Leseprobe
Gliederung
1. Abstrakter Expressionismus
1.1. Die Künstlergeneration im New York der 40er Jahre
1.2. Stilmerkmale und Wesenszüge
2. Clyfford Still
2.1. Clyfford Still
2.2. Wichtige Entwicklungen in seiner Malerei anhand einiger beispielgebender Werke
2.2.1. 1938-N-No.1
2.2.2. 1946-N
2.2.3. 1949-M
2.2.4. 1952-A
2.2.5. Bildteil
3. Zusammenfassende Betrachtung
4. Bibliographie
1.1. Die Künstlergeneration im New York der 40er Jahre
Die amerikanische Kunstwelt hatte bis zum Ende der 30er Jahre des vorigen Jahrhunderts
ganz im Schatten der großen europäischen Avantgarde-Strömungen gestanden.
Die führenden Vertreter ihrer unzähligen programmatischen Stilrichtungen wurden
regelmäßig ausgestellt und in die Sammlungen der neu gegründeten Museen für moderne
bzw. nichtgegenständliche Kunst aufgenommen.
Das Gedankengut der Moderne, allem voran der psychoanalytische Mainstream des Sur-
realismus, hatte über die Massenmedien „Einzug in die amerikanische Kultur“[1] gehalten.
Das nichtgegenständlich-geometrische Bildrepertoire wurde von den Bauhäuslern Josef Albers bzw. Lazlo Moholy-Nagy oder anderen bedeutenden europäischen Lehrern wie Hans Hofmann gelehrt.Picasso war der mit Abstand am meisten bewundertste und ausgestellte Künstler.
Amerikanische Maler spielten zu dieser Zeit in der öffentlichen Rezeption moderner Kunst keine Rolle; sie waren mit Motherwells Worten „ für Galeristen, Sammler oder Kuratoren völlig uninteressant..“[2], solange sie „modern und Amerikaner“[3] waren. Diese Entwicklung verstärkte sich noch, als zu Kriegsbeginn mit der zweiten großen Einrei-sewelle nahezu die gesamte europäische Geisteselite immigrierte und New York damit Paris als international führende Kunstmetropole ablöste. Die moderne europäische Kunst erfuhr im Zuge der Verfolgung durch die Nazis eine gesellschaftliche Aufwertung und geriet zum „Sinnbild des geistigen Widerstandes, der Integrität und der Kontinuität eines liberalen europäischen Bewußtseins“[4]. Die Pioniere und „Revolutionäre der Vorkriegszeit“ wurden „zu etablierten Größen“[5].
Schon Jahre vor dem zweiten Weltkrieg geriet New York zum Nährboden für eine
eigene amerikanische Avantgarde.Im Jazz- und Existenzialismus-geschwängerten
Greenwich Village lebte und arbeitete eine Boheme aus Künstlern und Literaten, tummelten sich die noch unbekannten Vertreter der `Beat Generation’ , trafen Musiker
wie John Cage oder Miles Davis auf Dichter wie Dylan Thomas und Tennessee Williams. Ein von Präsident Roosevelt ins Leben gerufenes staatliches Programm der Arbeitsbeschaffung für Künstler (FAP) sicherte vielen von ihnen die Existenz und trug ebenfalls zu einer gegenseitigen Befruchtung bei. Ein akademisches Zuhause hatte diese Künstlergeneration unter anderem am ´Black Mountain College`, einer der „wichtigsten Kaderschmieden der amerikanischen Avantgarde“[6], sowie an der im Village gelegenen ´New York School of Social Research`.
Man gehörte weder zum amerikanischen noch zum exileuropäischen Kunstestablishment,
sondern war Teil einer Gemeinschaft von Individualisten, in deren Einzelgängertum
„die Orientierung erst gefunden werden mußte und daher alles möglich war“[7].
In ihrer gesellschaftlichen Isolation ( „we are alone“[8] lag diese „ungeheure Freiheit“[9] begründet, mit der sie innerhalb weniger Jahre die erste amerikanische Malerei mit internationaler Anerkennung schufen. Dabei verwahrten sich die meisten Künstler gegen die Etikettierung als Bewegung oder ´School of ` , es ginge einzig, so Barnett Newman , um „die Schaffung einer neuen freien plastischen Sprache“[10].
Newman als ein wesentlicher programmatischer Kopf postulierte auch das Ende des Surrealismus als führende Bewegung angesichts der allgegenwärtigen Kriegsschrecken und Greueltaten, die jede surrealistische Alptraumphantasie in den Schatten gestellt hatten: “Es ist verständlich, daß der Surrealismus mit Ausbruch des Krieges in Vergessenheit geraten ist.“[11]
Für Adolph Gottlieb, von Clement Greenberg 1947 als „der vielleicht führende Exponent der neuen einheimischen Schule“[12] bezeichnet, waren „in einer Zeit der Gewalt persönliche Vorlieben für gefällige Farben und Formen völlig irrelevant“[13].
Die rein formale geometrische Abstraktion stand bei diesen radikalen Amerikanern ohnehin immer mehr in dem Vorwurf, nur noch dekorativ zu sein.
Statt dessen wollte man sich mehr noch als die Kubisten und Surrealisten auf die „spirituelle Verwandschaft“[14 ] der abstrakten Kunst zu den Bildwerken archaischer Kulturen besinnen und suchte in der formalen Beschäftigung mit ihnen den tatsächlichen Kontakt zu verborgenen Kräften und Bewußtseinszuständen.
Für Robert Motherwell , einen weiteren führenden Theoretiker der Bewegung, war die „abstrakte Kunst wahrer Mystizismus“[15].
In diesem Sinne standen die Abstrakten Expressionisten, wie sie seit 1946 genannt wurden, dem Symbolismus des fin de siecle nahe, bildeten gewissermaßen seine Weiterführung und Neubelebung innerhalb der ungegenständlichen Malerei.
Für diese Malergeneration bildete „das Werden des Bildes, der konstituierende Akt“[16] den Maßstab ihrer Kunst, deren Authentizität wichtiger als der Inhalt wird.
Ganz im Sinne des Existenzialismus geriet bei den Künstlern dieser Epoche die Kategorie des Selbst in den Mittelpunkt ihrer Suche .
1.2. Stilmerkmale und Wesenszüge des Abstrakten Expressionismus
Die augenscheinlichste Gemeinsamkeit ist zunächst die neue Dimension des Formats, der
„Big Canvas“. Sowohl für den Schaffungs- , als auch für den Rezeptionsprozeß forderte
diese „ein neues Verhältnis von Betrachter und Bild“[1]. Rothko schrieb : „Wenn man ein
kleines Bild malt, stellt man sich außerhalb der eigenen Erfahrung., (...) Wenn man
jedoch ein großes Bild malt, ist man mitten drin. Das kann man nicht beherrschen“[2].
Für William Rubin besteht die „Leistung dieser Bilder in der Übertragung der Intimität
des Staffeleibildes auf die Größe des Wandbildes, ohne jedoch die Unterordnung unter
die soziale Kollektivität der Architektur nachzuvollziehen“[3].
Inhaltlich gab es bis um 1945 gemeinsame Anklänge des zeichenhaft-surrealen, wofür
die Rezeption von Klee und Miro, aber vor allem das starke Interesse an den archaisch-
rhythmischen Bildwelten der amerikanischen Ureinwohner Pate stand.
Die vom europäischen Surrealismus übernommene Grundhaltung, daß „der Ursprung der
Kunst im Unbewußten liege“[4],erfuhr bei Pollock,Gottlieb,Still,Pousette-Dart und
Newman durch die Begeisterung für die präkolumbianische Kunst eine Hinwendung zum
kollektiv-mythischen Urgrund der primitiven Malerei. Es war „ein mit Jungs Ideen
verknüpftes Verständnis von Mythos, Totem und Ritual, das diese Künstler als
Advokaten eines neuen, veränderten Bewußtseins moderner Menschen erscheinen läßt“[5]
Sowohl Newman, als auch Gottlieb und Pollock hatten sich sehr intensiv mit indianischer
Kunst und Kultur auseinandergesetzt, Richart Pousette-Darts sagte von sich, daß seine
frühen Arbeiten „eine der amerikanischen Indianerkunst vergleichbare innere Vibration
haben“[6]. Newman organisierte 1946 in der Betty Parsons Gallery eine Ausstellung mit
indianischer Malerei der Nordwestküste und schrieb dazu im Katalogvorwort:
„Diese Werke sollten all denjenigen als Beispiel dienen, die die moderne abstrakte
Kunst als esoterische Übung einer snobistischen Elite abtun, denn unter diesen
einfachen Völkern war die abstrakte Kunst eine selbstverständliche,
wohlverstandene, weitverbreitete Tradition. (..) Ist es nicht vielmehr so, daß dieses
Werke die Arbeit der modernen amerikanischen abstrakten Künstler beleuchtet, die
ihre rein plastische Sprache mit intellektuellen und emotionalen Inhalten füllen und
die, ohne primitive Symbole nachzuahmen, einen lebendigen Mythos für sich und
ihre Zeit schaffen?“[7]
[...]
[1] Hirsch , Sanford : Einige Anmerkungen zum Surrealismus und den Anfängen des ‘abstrakten Expressionismus’ , in: Malerei des Amerikanischen Abstrakten Expressionismus , Ausst.-Kat. , Pfalzgalerie Kaiserslautern 1997 , S.157
[2] nach einem Interview mit Barbaralee Diamondstein , a.a.O. , S.182
[3] ebenda
[4] Bocola , Sandro : Die Kunst der Moderne , Prestel , München 1994 , S. 399
[5] a.a.O. , S. 400
[6] Görtler , Dirk : Warum sie keine Maler waren , in: Malerei des Amerikanischen Abstrakten Expressionismus , S.203
[7] Merkert , Jörn : Zur Malerei von Willem de Kooning , in: Willem de Kooning Retrospektive , München 1984 , S.124
[8] Still , Brief an Mark Rothko , hier zitiert aus: Edel , Das Selbst und das Absolute , in : Malerei des Amerikanischen Abstrakten Expressionismus , S.129
[9] (wie Anm. 6) , ebenda
[10] Newman , Barnett : Die Nerw York School Frage , in: Schriften und Interviews 1925-1970 ,Gachnang & Springer , Bern 1996 , S.273
[11] Newman , Barnet : Surrealismus und Krieg, in: Schriften und Interviews 1925 - 1970 , Gachnang und Springer, Bern 1996 , S.102
[12] Greenberg in The nation ( 6.12.1947) , hier zitiert aus : Newman , Barnett : Schriften und Interviews , S.154
[13] Aus: Adolph Gottlieb und Marc Rothko, The Portrait and the modern Artist , hier entn. aus : Malerei des Amerikanischen Abstrakten Expressionismus , Ausst.-Kat. , Pfalzgalerie Kaiserslautern , 1997 , S. 175
[14] ebenda
[15] Herschel B.Chipp , Theories of Modern Art , hier zitiert aus: Edel , Das Selbst als das Absolute , in : Malerei des Amerik. Abstr. Expressionismus , S.148
[16] Buhlmann , Britta E. : Jackson Pollock , in: Malerei des amerikanischern Abstrakten Expressionismus, S.23
[1] Sagner-Düchting , Karin : Monets Spätwerk im Blick der Moderne , in: Claude Monet und die Moderne , Aust.-Kat. , München 1994 , S.26
[2] Clearwater , Bonnie : Writings by Mark Rothko 1903-1970 ,Aust.-Kat. , Tate Gallery , London 1987 , hier zitiert aus : Claude Monet und die Moderne , Ausst.-Kat. , München 1994 , S.123
[3] Rubin , William : Jackson Pollock and the Modern Tradition , in : Artforum 7 , März 1967 , hier zitiert aus : Claude Monet und die Moderne , S.123
[4] aus einem Interview mit Howard Putzel , in: „Arts and Archtitecture“ , Februar 1944 , hier zitiert aus: Bocola , Sandro : „Die Kunst der Moderne“ , München 1994 , S.403
[5] W. Jackson Rushing : Am.Eingeb-Kultur und Abstr. Expr. , in : Das Geistige in der Kunst - Abstrakte Malerei 1890-1985 , Urachhaus , Stuttgart 1988 , S.274
[6] a.a.O. , S.271
[7] Newman , Barnett : Die indianische Malerei der Nordwestküste , in: Schriften und Interviews 1925-1970 , Gachnang & Springer , Bern 1996 , S.151