Das Gewissen - Eine theologische, anthropologische und pädagogische Annäherung


Hausarbeit (Hauptseminar), 2006

21 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Der Gewissensbegriff in der Theologie
2.1 Das Gewissen nach heutigem, theologischem Verständnis
2.2 Die Entwicklung des Gewissensbegriffs von den Anfängen bis heute

3. Das Gewissen als Persönlichkeitsmerkmal
3.1 Die Rolle des Gewissens im Leben des Einzelnen
3.1.1 Das Gewissen als Entscheidungsinstanz
3.1.2 Wann findet Gewissenstätigkeit statt?
3.1.3 Das Gewissen als Personmitte und Instanz der Identitätsfindung
3.2 Das Gewissen als Ort der Gottesbegegnung
3.3 Konsequenzen für die menschliche Würde und Verantwortung

4. Entfaltung und Bildung des Gewissens
4.1 Das Gewissen als entfaltbare Anlage
4.2 Gewissensentfaltung von außen
4.3 Gewissensentfaltung durch den Einzelnen

5. Fazit

6. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Täglich sprechen Menschen aller Kulturen, Glaubensrichtungen und Altersgruppen davon, ein „schlechtes Gewissen“ bezüglich einer bestimmten Handlung zu haben und oft kann man nach einer Entscheidung sagen, mit „gutem Gewissen“ agiert zu haben. Die Berufung auf das Gewissen in schwierigen Handlungs- oder Entscheidungskonflikten ist etwas alltägliches und selbstverständliches im menschlichen Leben. Es teilt dem Menschen, wie eine innere Stimme, mit, wie er sich zu verhalten hat. Nicht nur im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland ( Art. 4 Abs. 1 GG: „Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich“)[1], sondern auch in der Pastoralkonstitution „Gaudium et Spes“ des Zweiten Vatikanischen Konzils ( GS 16: Die Würde des sittlichen Gewissens)[2], wird dem Gewissen und der Gewissensfreiheit im Zusammenhang mit menschlicher Würde große Bedeutung beigemessen. Die Frage nach dem Wesen und der Funktion des Gewissens war zu allen Zeiten auch ein wichtiges Thema in der Theologie, an das sehr unterschiedlich herangegangen und das sehr vielseitig behandelt wurde.[3] Doch was ist das Gewissen heute theologisch gesehen und wie hat sich seine Bedeutung dahingehend entwickelt? Ist es ein angeborenes Persönlichkeitsmerkmal oder kann es nur von außen gebildet und entwickelt werden? Im Folgenden wird zunächst, im Anschluss an eine aktuelle, theologische Definition des Gewissens, die Entwicklung der Konzeption des Gewissensbegriffs in der christlichen Tradition von den Anfängen bis heute geschildert, bevor die Rolle des Gewissens für das persönliche Leben und die menschliche Identität genauer beleuchtet wird. Anschließend wird der Frage nachgegangen, ob, und wenn inwiefern, sich das Gewissen im Leben eines Menschen ausbilden und weiterentwickeln lässt und welche Einflüsse dabei eine Rolle spielen.

2. Der Gewissensbegriff in der Theologie

2.1 Das Gewissen nach heutigem, theologischem Verständnis

Da nur der Mensch, als das einzige, rational denkende Wesen, die Fähigkeit hat sein Handeln zu beurteilen und seine Entscheidungen selbst, ohne äußere Einflüsse, zu treffen, ist das Gewissen ein ihm vorbehaltenes Phänomen.[4] Es wird in existentiell wichtigen Entscheidungssituationen aktiv, die das persönliche Leben eines Einzelnen betreffen[5] und in denen die persönliche Meinung nicht mit den überlieferten Regeln und Normen der Gesellschaft im Einklang ist. In solchen Situationen macht sich das Gewissen durch Warnungen, Beruhigungen oder auch Anklagen bemerkbar und wird vom Individuum als eine innere Stimme oder ein innerer Richter erlebt.[6] Diese innere Stimme sagt dem Einzelnen was sittlich gut und was böse ist und leitet ihn dazu an das Gute zu tun. Hierbei steht es, als die wichtigste und höchste Instanz, über allen gesellschaftlichen Regeln und überlieferten Traditionen und ist absolut verbindlich in seinem Urteil. Dies ist dadurch begründet, dass das Gewissen das Innerste eines Menschen darstellt, welches von außen durch nichts manipuliert und beeinflusst werden kann. Im Gewissen erfährt der Mensch, theologisch gesehen, die Bestätigung Gottes dafür, dass er selbst, ohne äußere Einflüsse, dazu in der Lage ist sittlich zu handeln und eigenständig Urteile zu fällen. Da das Gewissen, weil es dem Menschen durch Gott selbst geschenkt wurde, dem natürlichen Gesetz Gottes unterstellt ist, richten sich die Maßstäbe sittlichen Handelns für den christlichen Menschen nach der Verkündigung Jesu Christi und der göttlichen Wahrheit. Der Einzelne wurde von Gott so erschaffen, dass es ihm möglich ist nach der Wahrheit zu suchen und sie zu erkennen und nach einem der Verkündigung Jesu und der Schrift entsprechenden Leben zu streben. Das Gewissen wird als ein Ort im Menschen verstanden, an dem sich sein Glaube an Gott und sein Gesetz manifestiert und an dem er sich direkt vor Gott gestellt weiß, der ihn durch die ihm geschenkte Fähigkeit sittlich zu handeln ermöglicht frei und nach eigener, innerer Einsicht zu handeln und vor dem er seine Entscheidungen und Handlungen verantworten muss.[7] Durch die Tatsache, dass sich im Gewissen die Verantwortung eines Einzelnen vor Gott vollzieht, ist die Gewissensentscheidung in jedem Falle verbindlich. Sie lässt sich weder vom Individuum selbst, noch von außen modifizieren und zieht demnach die entsprechende Handlung nach sich, wenngleich gesellschaftliche Normen andere Handlungen vorsehen würden. Durch das Grundrecht auf Gewissensfreiheit, das sowohl durch das Grundgesetz, als auch durch die Pastoralkonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils gegeben ist, darf niemand gezwungen werden gegen seine Gewissensentscheidung zu handeln, auch wenn diese durchaus fehlbar ist.[8] Selbst wenn der Mensch grundsätzlich dazu geschaffen ist sich sittlich gut zu entscheiden, können mangelndes Wissen, die Unfähigkeit richtig zu schlussfolgern oder fehlende Erfahrungen auf einem Gebiet dazu führen, dass das Gewissen eine sittlich falsche Handlung als richtig bewertet. Die Verbindlichkeit des Gewissens ist jedoch trotzdem gegeben, da die Verantwortung gegenüber dem persönlichen Gewissen den Gesetzen, Normen und Regeln der Gesellschaft vorzuziehen ist.[9]

2.2 Die Entwicklung des Gewissensbegriffs von den Anfängen bis heute

Bevor der Begriff des Gewissens als solcher erstmals in der Bibel auftauchte, wurde das Herz, als das Zentrum eines jeden Menschen, mit den Funktionen, die später dem Gewissen zugeschrieben wurden, betraut. Der Gewissensbegriff synderesis, lateinisch conscientia, lässt sich erstmals im Ersten Korintherbrief des Apostels Paulus im Neuen Testament finden. Bereits hier lässt sich erkennen, dass das Gewissen und dessen Urteile eine große Rolle für den Menschen und seine Identität spielen, da Paulus die Gemeinde dazu auffordert, die Heiden nicht für ihre Handlungen zu verurteilen, weil sie diese Entscheidungen ihrem Gewissen entsprechend getroffen haben. Sich diesem gezwungenermaßen zu widersetzen wäre eine starke Verletzung der Persönlichkeit des Einzelnen. Das Gewissen ist, so Paulus, allerdings nicht autonom, sondern entscheidet gemäß vorgegebener, von Gott geschaffener, Normen und Regeln.[10] Es dient dazu, die Übereinstimmung des eigenen Handelns und Urteilens mit dem Wissen, das der christliche Glaube voraussetzt, zu überprüfen. Außerbiblisch gab es in der Geschichte von Philosophie und Theologie viele verschiedene Versuche das Gewissen und seine Funktion zu ergründen und zu beschreiben. Während die conscientia in der hellenistischen Philosophie als eine Instanz im Inneren des Menschen verstanden wurde, die überprüft ob die eigene Lebensgestaltung mit dem natürlichen Gesetz konform ist, sah Augustinus das Gewissen nicht nur als eine solche moralische Instanz, sondern als einen Ort im Innersten des Einzelnen, wo er direkt mit Gott in Kontakt treten und auf seinen göttlichen Ruf, durch den ihm das göttliche Gesetz verkündet wird, antworten kann. In der Hochscholastik entwickelte Thomas von Aquin eine Gewissenstheorie, die der heutigen Auffassung bereits sehr nahe kam, in der er zwischen der conscientia als der Gewissenstätigkeit, und der synderesis als der Gewissensanlage unterschied. Die Gewissenstätigkeit im Modell Aquins meint einen, auf eine bestimmte Entscheidungssituation folgenden, Gewissensspruch, während die Gewissensanlage die in jedem Menschen vorhandene Fähigkeit ist zwischen Gut und Böse unterscheiden zu können und sich für das Gute zu entscheiden. Wenn diese, jedem angeborene, Gewissensanlage auf einen speziellen Fall angewendet wird, so Aquin, kommt es zu einem Gewissensspruch. Thomas von Aquin war es auch, der erstmals von einem gegebenenfalls irrenden Gewissen ausging, wobei der Gewissensspruch unter Umständen wie Unwissen oder falschen Schlussfolgerungen falsch sein kann, jedoch trotzdem unbedingt verbindlich ist. Während der Reformation bekam das Gewissen die Funktion eines Ortes der Selbstanklage im Menschen, an dem er seine Fehler vor Gott bringt, der allein die Möglichkeit hat ihn von diesem schlechten Gewissen zu befreien, wodurch das Gewissen zu einem inneren Ort der Begegnung und des Verhältnisses zwischen Gott und Mensch wurde. Zur gleichen Zeit entwickelte sich jedoch auch die Ansicht, das Gewissen sei nur dazu notwendig, die Handlungen des Einzelnen den Normen der Institution Kirche unterzuordnen. Während es den Anschauungen der moderneren Philosophen nach ebenfalls stark durch äußere Einflüsse, wie Erziehung und soziale Gruppen geprägt war, und sich deshalb individuelle, sittliche Urteile durchsetzten weil man selbst- und nicht fremdbestimmt sein wollte, sah die Theologie des 20. Jahrhunderts das Gewissen als eine existentielle Instanz im Menschen an, die die Verantwortungsfähigkeit des Einzelnen begründet. Im Gegensatz zu den Entwicklungen während der Reformation sah man es nun nicht mehr als den kirchlichen Normen untergeordnet, sondern als notwendige Vorraussetzung für den Glauben an, da die persönliche Einsicht und Zustimmung eines jeden Menschen zum Glauben, und nicht die bloße Orientierung an kirchlichen Regeln, diesen erst ermöglicht. Die Tatsache, dass das Gewissen nur als Mittel gesehen wurde die Handlungen und Entscheidungen des Einzelnen an die kirchliche Lehre anzupassen, wurde als unzureichend und nicht der Lehre Jesu Christi entsprechend empfunden, weshalb die moderne Theologie ihm wieder eine bedeutende Stellung bemisst. Die Fähigkeit des Menschen sittlich zu urteilen und sich für das Gute zu entscheiden, wurde zu einem wichtigen Aspekt menschlicher Würde und Individualität, was besonders durch die Pastoralkonstitution „Gaudium et Spes“ des Zweiten Vatikanischen Konzils zum Ausdruck kam, in der das Gewissen und die Gewissensfreiheit als Eckpfeiler der Würde des Menschen besonders gewürdigt wurden. Auch das von Thomas von Aquin erstmals angesprochene Phänomen des irrigen Gewissens wurde in der neueren Entwicklung aufgenommen und weitergeführt. Vor dem Hintergrund der immer komplexer werdenden Entscheidungssituationen, in die der Einzelne während seiner Entwicklung gerät, entwickelte sich auch die Notwendigkeit für das Individuum die Konformität oder Unkonformität seiner eigenen Haltungen mit den in der Gesellschaft geltenden Normen zu überprüfen und zu beurteilen. Durch die Vielzahl von Einschätzungen und Sichtweisen, die durch die unterschiedlichen gesellschaftlichen, persönlichen und kulturellen Hintergründe und Erfahrungen eines jeden Menschen bedingt werden, können tradierte Sitten und Regeln häufig als sittlich falsch bewertet werden, was gegensätzliche Handlungen nach sich ziehen kann. Diese Entscheidungen müssen, angesichts der Verbindlichkeit des Gewissens und seines Vorranges vor Autoritäten, akzeptiert und dürfen nicht als grundsätzlich falsch betrachtet werden, sollten sie anstatt durch Unwissenheit und Trägheit, durch reflektierte, persönliche Erfahrungen hervorgerufen werden.[11]

[...]


[1] vgl. http://www.bundestag.de/parlament/funktion/gesetze/grundgesetz/gg_01.html

[2] vgl. Pastoralkonstitution „Gaudium et Spes“ Die Kirche in der Welt von heute. Trier: Paulinus-Verlag 1969, S.14f.

[3] vgl. Griesl, Gottfried: Gewissen. Ursprung, Entfaltung, Bildung. Augsburg : Verlag Winfried-Werk GmbH 1970. S.7.

[4] vgl. Hilpert, Konrad: Art. Gewissen. Theologisch-ethisch. LThK Band 4. Freiburg im Breisgau: Herder Verlag 1995. S.621.

[5] vgl. Wiedmann, Franz: Die Strategie des Gentleman. John Henry Newmans Gewissensposition. In: Gründel, Johannes (Hrsg.): Das Gewissen. Subjektive Willkür oder oberste Norm. Düsseldorf: Patmos Verlag 1990. S.84.

[6] vgl. Hilpert, Konrad: Art. Gewissen. Theologisch-ethisch. LThK. S.621.

[7] vgl. Schavan, Anette: Art. Gewissen. Praktisch-theologisch. LThK Band 4. Freiburg im Breisgau: Herder Verlag 1995. S.626.

[8] vgl. Gründel, Johannes: Verbindlichkeit und Reichweite des Gewissensspruches. In: Ders.: Das Gewissen. Subjektive Willkür oder oberste Norm. Düsseldorf: Patmos Verlag 1990. S.103f.

[9] vgl. Hilpert, Konrad: Art. Gewissen. Theologisch-ethisch. LThK S.625.

[10] vgl. Eckert, Jost: Art. Gewissen. Neues Testament. LThK Band 4. Freiburg im Breisgau: Herder Verlag 1995. S.621.

[11] vgl. Hilpert, Konrad: Art. Gewissen. Theologisch-ethisch. LThK. S. 621ff.

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Das Gewissen - Eine theologische, anthropologische und pädagogische Annäherung
Hochschule
Universität Paderborn
Note
1,3
Autor
Jahr
2006
Seiten
21
Katalognummer
V66581
ISBN (eBook)
9783638591447
ISBN (Buch)
9783656784838
Dateigröße
492 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Gewissen, Eine, Annäherung
Arbeit zitieren
Melanie Kloke (Autor:in), 2006, Das Gewissen - Eine theologische, anthropologische und pädagogische Annäherung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/66581

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