Berufspolitische Interessenvertretung im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts

„Verband der Rheinisch-Westfälischen Presse“ und „Verein Wuppertaler Presse“


Mémoire de Maîtrise, 2006

135 Pages, Note: 1,0


Extrait


Inhaltsverzeichnis

Verzeichnis der Abkürzungen

1. Einführung

2. Ausgangssituation und Problemstellung der Arbeit
2.1 Forschungsstand
2.2 Forschungszusammenhänge
2.2.1 Kommunikationsgeschichte
2.2.2 Professionalisierungsforschung
2.2.3 Verbandsforschung
2.3 Funktionen von Berufsverbänden
2.4 Erkenntnisinteresse
2.5 Herangehensweise: Quellen und Methoden

3. Journalisten im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert
3.1 Entstehung der Massenpresse
3.2 Ausdifferenzierung des Journalistenberufes und seiner Merkmale
3.2.1 Stellung im Zeitungsbetrieb
3.2.2 Sozioökonomische Lage
3.2.3 Bildungsstand
3.2.4 Arbeitsrechtliche Stellung
3.2.5 Selbstverständnis und Ansehen des Standes

4. Organisationen der Journalisten und Verleger
4.1 Entwicklung und Probleme journalistischer Berufsorganisationen
4.2 „Reichsverband der deutschen Presse“
4.3 „Verein Deutscher Zeitungs-Verleger“ und „Arbeitgeberverband für das deutsche Zeitungsgewerbe“

5. Das ungelöste Problem der Journalistenausbildung

6. Auswertung der Quellen
6.1 Aussagewert benutzter und potenzieller Quellen
6.2 „Verband der Rheinisch-Westfälischen Presse“ und „Verein Wuppertaler Presse“
6.3 Konkrete Ergebnisse der Quellenauswertung
6.3.1 Sozialpolitische Forderungen
6.3.2 Rechtliches
6.3.3 Professionalisierung
a) Standesbewusstsein
b) Berufsethik
c) Ausbildung
d) Kontrolle des Berufszugangs 96 e) Normen der Berufsausübung
f) Gesellschaftlicher Status
g) Autonomie
h) Schutz der Berufsinteressen
6.3.4 Verbandsleben und organisatorische Probleme
6.3.5 Beziehungen zum Reichsverband

7. Fazit

Verzeichnis der verwendeten Literatur

Verzeichnis der Abkürzungen

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1. Einführung

Das Dilemma „in dem sich der Journalismus von Anfang an befand und bis in die unmittelbare Gegenwart befindet: Kein Beruf wie andere sein zu wollen, dennoch aber die Vorteile wahrnehmen zu wollen, die von der hochorganisierten modernen Berufsgesellschaft geboten werden und von Professionalismus im allgemeinen, d.h. durch überprüfbare Ausbildung, Fachwissen und Leistungsmessung, und im besonderen, d.h. Spezialisierung, gestiegene Anforderungen durch wissenschaftliche Ausbildung mit Prüfungen bestimmt sind? Kann er erwarten, daß er Lohn und Gehalt nach gesetzlichen Bestimmungen und tariflichen Regeln erhält, wenn er die Anforderungen nicht erfüllt, die an den Status des Arbeitnehmers gebunden sind!“[1]

Journalismus ist in Deutschland ein freier Beruf mit einem offenen Zugang; eine vorgeschriebene Ausbildung gibt es nicht, dennoch wird eine gute Ausbildung verlangt. Diese Zwangslage ist kein neues Problem, sondern existiert, seit sich der Journalismus im 19. Jahrhundert zur hauptberuflichen Tätigkeit entwickelte. Eine standardisierte wissenschaftliche Ausbildung ist wesentliches Merkmal der Professionalisierung eines Berufes. Darunter ist ganz allgemein der „Prozess der Verfeinerung, Anhebung, Aufwertung einer Berufsposition“ zu verstehen.[2] In dieser Arbeit soll das soziologische Konzept der Professionalisierung als Paradigma für die Untersuchung der Entwicklung des journalistischen Berufs im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts benutzt werden. Das Hauptaugenmerk liegt dabei auf den Berufsvereinigungen des Journalismus, zumal die Gründung solcher Organisationen sowohl Merkmal als auch Antriebsfaktor eines Professionalisierungsprozesses ist. Konkret soll in der vorliegenden Magisterarbeit der Frage nachgegangen werden, welche berufspolitischen Aufgaben (regionalen) Journalistenverbänden im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts zukamen und welchen Beitrag sie damit zur Professionalisierung bzw. Institutionalisierung ihres Berufes geleistet haben.

Jörg Requate, der sich in seiner Studie „Journalismus als Beruf“ eingehend mit Professionalisierungstendenzen im Journalismus des 19. Jahrhunderts beschäftigt hat, kommt zu dem Schluss, „daß die Aktivitäten der verschiedenen journalistischen Interessenvertretungen in dieser Hinsicht nicht überzubewerten sind. (…) Es stellt sich jedoch die Frage, ob die Organisationen damit das Scheitern des „professional project“ dokumentieren oder ob sie ohnehin eine andere Funktion erfüllten.“[3]

2. Ausgangssituation und Problemstellung der Arbeit

2.1 Forschungsstand

Im Gegensatz zur allgemeinen Pressegeschichte befindet sich die Journalismusgeschichte im Sinne einer Sozial- und Berufsgeschichte noch immer auf einem eher niedrigen Forschungsstand. Zwar lässt sich die Entwicklung journalistischer Medien und einzelner Organe recht gut nachvollziehen, jedoch wurden durch diese starke Konzentration auf eine allgemeine Presse- und Mediengeschichte die handelnden Personen vernachlässigt. Walter Hömberg stellte 1987 lapidar fest, dass es zwar eine Geschichte des Tabaks oder der Prostituierten gebe, jedoch keine Berufsgeschichte der Journalisten.[4] Erst die Studie „Journalismus als Beruf“ von Jörg Requate[5] aus dem Jahr 1995 leistete einen wesentlichen Beitrag um diese Lücke zu schließen. Seine Arbeit ist die erste umfangreiche Professionalisierungsstudie für den deutschen Journalismus. Requate zeichnet darin den Prozess der Verberuflichung der journalistischen Tätigkeit im 19. Jahrhundert in Deutschland nach und vergleicht diesen mit der Entwicklung in anderen Ländern. Diese Studie stellt gewissermaßen den Ausgangspunkt für die hier vorliegende Untersuchung dar. Mit der Untersuchung von Requate, die im Übrigen im Rahmen von Jürgen Kockas Forschungsprojekt über das Bürgertum und die Professionalisierung bürgerlicher Berufe im 19. Jahrhundert entstanden ist, liegt eine Arbeit vor, die kommunikations- und geschichtswissenschaftliche Forschung[6] zu verbinden weiß, und zumindest die gröbsten Fehlstellen der Sozial- und Berufsgeschichte des Journalismus beseitigt.

Wie die Journalismusgeschichte ist auch die Entwicklung der journalistischen Interessenverbände als ein wesentlicher Bestandteil der Geschichte des Journalistenberufs noch wenig untersucht. Publikationen über journalistische Berufsorganisationen sind rar und die vorliegenden Studien thematisch nahezu zusammenhanglos. Die meisten Arbeiten gehen zudem überhaupt nicht auf eine spezifische Fragestellung ein, sondern bieten lediglich die jeweilige Vereinsgeschichte in chronologischer Abfolge oder systematische Überblicke zur Organisationsstruktur. Welches Selbstverständnis sich aus Politik und Handeln der Vereinigungen ableiten lässt und welche Rolle sie im Professionalisierungsprozess des Journalistenberufes spielen, sind nur zwei wesentliche Aspekte, die bislang außer Acht gelassen wurden.

Die Anfänge der Organisationsbildung im Journalismus sind zum Beispiel mit der Arbeit von Cornelia Foerster über den 1832 gegründeten „Preß- und Vaterlandsverein“[7] beschrieben worden. Für den sich anschließenden Zeitraum hat Ariane Brückmann[8] eine Übersicht über die bis zur Konstituierung des „Reichsverbandes der deutschen Presse“ (RdP) – im Jahre 1910 – gegründeten journalistischen Zusammenschlüsse vorgelegt. Auf den Reichsverband geht sie nicht näher ein, da für diesen eine detaillierte Selbstdarstellung existiert. Marie Matthies, die seit 1921 Sekretärin in der Berliner Geschäftsstelle des RdP war, hat in der aus Anlass des zwanzigjährigen Bestehens des „Deutschen Journalisten-Verbandes“ 1969 entstandenen Rückschau „Journalisten in eigener Sache. Zur Geschichte des Reichsverbandes der deutschen Presse“ ihre Erinnerungen chronologisch zusammengetragen.

Die Entwicklung journalistischer Verbände nach 1945 ist mit der Darstellung von Heinz-Dietrich Fischer[9] zumindest in Ansätzen und hauptsächlich unter dem Gesichtspunkt der jeweiligen kommunikationspolitischen Absichten der Vereine aus allen Medienbereichen dokumentiert. Die genannten Arbeiten bieten allerdings kaum Anhaltspunkte für eine differenzierte Beurteilung der einzelnen Verbände unter ausgewählten Gesichtspunkten. Rein chronologische Überblicke bieten zwar die Möglichkeit, Bedingungen und Interessen der Vereinsbildung zu beleuchten. Um den Wirkungskreis dieser korporativen Akteure, ihre Stellung gegenüber sowie Einfluss auf direkte Gesprächspartner zu bestimmen, ist es notwendig die historische Perspektive um spezifische Fragestellungen zu erweitern. Auch Jürgen Prott vertritt die Ansicht, eine Beschäftigung mit der Geschichte der journalistischen Organisationen sollte nicht den alleinigen Zweck haben, „eine umfassende Chronologie aller wesentlichen Gesichtspunkte der Interessenorganisation der Journalisten zusammenzutragen.“[10] Es kommt vielmehr darauf an, die Politik der Verbände als Ausdruck eines spezifischen beruflichen Selbstverständnisses erkennbar zu machen.

Bislang sind nur wenige solcher Forschungsarbeiten erschienen, die einzelne Aspekte herausgreifen und diese kritisch kommentieren. Ein gutes Beispiel ist die Studie von Rudolf Stöber, die unter dem Titel „Pressefreiheit und Verbandsinteresse“ die beiden großen Presseverbände der Weimarer Republik – Reichsverband der deutschen Presse und „Verein Deutscher Zeitungs-Verleger“ (VDZV) – in ihrer Beziehung zueinander und zu Staat und Gesellschaft untersucht, wobei es primär um die Fragen geht, welches Interesse die beiden Vereinigungen an dem die Pressefreiheit definierenden Recht hatten und welche Zwecke sie damit verfolgten.[11]

Klaus-Detlef Funkes Arbeit „Innere Pressefreiheit. Zu Problemen der Organisation von Journalisten“ beschäftigt sich – wenn auch nur unter Berücksichtigung der Entwicklung nach 1945 – mit den offiziellen Stellungnahmen des „Deutschen Journalisten-Verbandes“ und der „Deutschen Journalisten-Union“ zur Frage der Kompetenzabgrenzung zwischen Verlag und Redaktion.[12] Jürgen Prott erfüllt seine eigene Forderung, indem er – im Rahmen einer journalistischen Gewerkschaftsgeschichte – versucht, eine These zu prüfen, laut der in der Entwicklung nach 1945 unter den Journalisten die Forderung nach einer gewerkschaftlich ausgerichteten Interessenorganisation zuungunsten einer an berufsethischen Idealen orientierten Standesvertretung laut wurde.[13] Für eine Beschäftigung mit der Entwicklung des Reichsverbandes ist dies insofern von Relevanz, als es auch im RdP zu einer Kontroverse über die Frage kam, ob der Verband berufsständisch oder gewerkschaftlich ausgerichtet sein solle.[14]

Die genannten Beispiele zeigen, dass die bisherige Forschungsarbeit dominiert wird von der Untersuchung der rechtlichen und sozialen Zielsetzungen der Verbände. Eine detaillierte Prüfung der tatsächlich berufsbezogenen Anstrengungen, insbesondere der Rolle der Journalistenorganisationen im Professionalisierungsprozess dieses Berufes ist dagegen bislang noch nicht unternommen worden. Aber auch weniger komplexe Fragestellungen haben in der bisherigen Forschungsarbeit ungenügend Beachtung gefunden: Wie kann die Wirksamkeit der Vereine gemessen werden? Welches Ansehen hatten Journalistenvereinigungen in der breiten Öffentlichkeit? Wurden die von den Journalistenvereinen gestellten Forderungen – z.B. nach einheitlichen Tarifen – vom Publikum des Journalismus akzeptiert und unterstützt? Welche gesellschaftlichen Instanzen haben in welcher Form auf die Verbände eingewirkt? Welchen Einfluss hatte der historische Kontext auf das Verbandshandeln?

Neben dem Mangel an konkreten Fragestellungen muss auch eine einseitige Konzentration auf den Reichsverband der deutschen Presse konstatiert werden. Innerhalb der Forschung zur deutschen Verbandsgeschichte sind Untersuchungen über die regionalen und lokalen Unterverbände des RdP eindeutig unterrepräsentiert. Dabei erscheinen die unteren Organisationsebenen für eine Betrachtung der internen Abläufe, der in ihnen ausgetragenen Berufsprobleme und Organisationsfragen sowie eine Rekonstruktion des Selbstverständnisses und des berufspolitischen Engagements sehr viel fruchtbarer. Sie machten die „eigentliche“ Arbeit, hatten mehr Kontakt zu den einfachen Mitgliedern und waren letztlich für die Umsetzung der an der Spitze des RdP getroffenen Beschlüsse zuständig – vorhandenes Aktenmaterial aus diesen Vereinigungen kann so als „authentischer“ als die Verlautbarungen der Führungsriege des Dachverbandes eingestuft werden.

Schon die zeitungswissenschaftliche Forschung hatte es – trotz traditionell historischer Ausrichtung – verpasst, sich neben dem Leben und Schaffen „publizistischer Persönlichkeiten“[15] auch weiter reichenden Fragestellungen zuzuwenden. Dennoch stammen die heute noch bedeutendsten Werke zum Thema Journalismusgeschichte aus dieser Zeit, ein Zeichen dafür, dass auch die jüngere Publizistik- und Kommunikationswissenschaft wenig zur Verbesserung der Forschungslage beigetragen hat. Erwähnt sei hier die Dissertation „Die Entstehung des deutschen Journalismus. Eine sozialgeschichtliche Studie“ von Dieter Paul Baumert aus dem Jahr 1928, in der der Autor beschreibt, wie der Journalismus in seiner Entwicklung vier Phasen durchlaufen hat: die präjournalistische Periode, die Periode des korrespondierenden Journalismus, die Periode des schriftstellerischen und die des redaktionellen Journalismus. Diese Einteilung findet sich noch heute in vielen neueren Handbüchern der Publizistikwissenschaft wieder.[16] Wichtige Beiträge leisteten auch Kurt Brunöhler mit seiner Dissertation über „Die Redakteure der mittleren und größeren Zeitungen im heutigen Reichsgebiet 1800-1848“ aus dem Jahr 1933 sowie Rolf Engelsing mit seiner Arbeit „Massenpublikum und Journalistentum im 19. Jahrhundert in Norddeutschland“ von 1966.

Zwischen diesen frühen Versuchen ein soziales Profil der Journalisten zu zeichnen und der Studie von Requate hat sich die Publizistikwissenschaft zumeist auf eine allgemeine Presse- und Mediengeschichte konzentriert und dabei sozial- und berufshistorische Aspekte weitgehend außer Acht gelassen. Die vorliegende Pressegeschichte greift zu kurz für eine Erklärung der Journalismusgeschichte, da sie zum einen nur die Institutionen untersucht. Das bedeutet, dass journalistische Rollen und ihr jeweiliges Selbstverständnis kaum Berücksichtigung finden trotz ihres Einflusses auf die Medien, für die sie arbeiten. Zeitungen entstehen nicht im luftleeren Raum, sondern vermitteln Interdependenzen zwischen Gesellschaft und Individuum. Notwendig ist daher eine Berücksichtigung der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung, d.h. der politischen, sozialstrukturellen, wirtschaftlichen und kulturellen Rahmenbedingungen. Zum anderen vernachlässigen die vorliegenden Arbeiten zur Pressegeschichte wichtige Entwicklungsstränge aus der Zeit vor 1945, obwohl heutige Situationen ihre Wurzeln zu einem großen Teil in der Weimarer Republik und auch im Nationalsozialismus haben.[17]

2.2 Forschungszusammenhänge

Den Rahmen für das hier behandelte Thema „Journalistenverbände und Professionalisierung“ bilden im Wesentlichen die folgenden drei Forschungszusammenhänge: Kommunikationsgeschichte, Professionalisierungsforschung und Verbandsforschung. Die beiden letzten Forschungsgebiete können weitestgehend der Soziologie zugeordnet werden. Konzepte aus diesen Wissenschaftsbereichen können durchaus auch einen Beitrag zum übergeordneten Forschungszusammenhang der Kommunikationsgeschichte leisten und sollten in zukünftigen Untersuchungen stärkere Berücksichtigung finden.

2.2.1 Kommunikationsgeschichte

In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg konzentrierte sich die deutsche Publizistikwissenschaft – damals noch als Zeitungswissenschaft bezeichnet – vornehmlich auf die normativ-ideologische Darstellung der „publizistischen Persönlichkeit“, anstatt die Berufswirklichkeit der Journalisten zu beschreiben. Erst in den späten 60er Jahren des 20. Jahrhunderts wurde die Orientierung an geschichtlich-gesellschaftlich überholten Berufsrollen zugunsten einer verstärkt theoriegeleiteten sozialwissenschaftlichen Ausrichtung aufgegeben, die von der empirischen Kommunikationsforschung des angloamerikanischen Sprachraums angeregt wurde. Eine neue Teildisziplin fand Eingang in die deutsche Kommunikationswissenschaft: die Kommunikatorforschung.

Untersuchungsgegenstand der Kommunikatorforschung sind die Produzenten und Sender von Aussagen. Sie sammelt Daten über die berufliche und soziale Situation der Journalisten[18] und analysiert die Einstellungen zu ihrer publizistischen Aufgabe sowie deren Erfüllung.[19] Bei diesem Forschungsansatz steht jedoch mehr die Herstellung der Zeitung im Mittelpunkt als die Redakteure selbst. Darüber hinaus beruht die Kommunikatorforschung auf der funktionalistischen Rollentheorie, die Redaktionen als autonome soziale Organisationen analysiert. Eine derartige Vorgehensweise vernachlässigt jedoch sowohl ökonomische, soziale und medienrechtliche Bedingungen als auch mögliche Handlungsziele der Kommunikatoren und die gesellschaftliche Relevanz der journalistischen Tätigkeit. Um die gesellschaftliche Dimension stärker einzubeziehen, könnten Betrachtungen über Arbeitsmarktentwicklung, Ausbildung und Berufsweg, berufliche Anforderungen, Rekrutierungspraxis, Status, Professionalisierungsprozesse und Berufsauffassungen hinzugezogen werden.[20] Aus Sicht des hier zu behandelnden Themas muss man der Kommunikatorforschung angesichts ihrer empirisch-systematischen Vorgehensweise dennoch eine gewisse „Geschichtsblindheit“ vorwerfen.[21]

In den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts kam es alsdann zu einem weiteren Trendwechsel, bei dem sich die Kommunikationsgeschichte als Teil der Kommunikationsforschung von ihrer lange vorherrschenden medienmonographischen sowie persönlichkeitsfixierten Darstellungsweise lösen konnte und einer sozialgeschichtlichen Ausrichtung zuwandte. Die Verbindung zur Sozialgeschichte konnte hergestellt werden durch die Einsicht, dass publizistische Mittel immer auch gesellschaftliche Einrichtungen sind. Massenkommunikation wurde als Strukturelement der Geschichte der Gesellschaft erkannt.[22] Die neue Kommunikationsgeschichtsforschung versuchte die Forderung von Kurt Koszyk nach einer „Kommunikationsgeschichte als Sozialgeschichte“ – im Sinne einer umfassenden Geschichte der öffentlichen Kommunikation – umzusetzen und befasste sich zunehmend auch mit historischen Journalismusuntersuchungen.

„Die Journalismusforschung hat es lange versäumt, historische Analysen in ihre Arbeit zu integrieren.“[23] Theorien des Journalismus beruhen heute vorrangig auf systemtheoretischen Erkenntnissen, d.h. Journalismus wird als ein System betrachtet, das sich im Laufe der Entwicklung der modernen Gesellschaft ausdifferenziert hat und folgende Merkmale aufweist: Es funktioniert nach eigenen Regeln, besitzt eigene Strukturen, bezieht sich aber dennoch auf und interagiert mit den anderen Teilsystemen der Gesellschaft. Die ihm zugeschriebene Funktion ist die Beobachtung der Gesellschaft. Probleme des funktional-strukturellen Ansatzes für eine historische Betrachtung des Journalismus ergeben sich daraus, dass er die Frage nach der Genese der Systembildung offen lässt und außerdem den Einfluss der anderen Systeme Politik und Wirtschaft nicht einbezieht.[24]

Zu lösen wären diese Probleme durch die Verbindung des systemtheoretischen mit einem differenzierungstheoretischen Ansatz. Eine solche Vorgehensweise unternimmt Bernd Blöbaum in seinem Buch „Journalismus als soziales System. Geschichte, Ausdifferenzierung und Verselbständigung“. Blöbaum beschreibt hier mit Hilfe der Theorie der gesellschaftlichen Differenzierung die evolutionäre Herausbildung des journalistischen Systems, nachdem sich die Strukturen eines modernen Funktionssystems Anfang des 19. Jahrhunderts gebildet hatten. Diesen Prozess beleuchtet er auf zwei Ebenen: „Historisch geht es um eine Verdichtung und Darstellung der Geschichte des Journalismus, systematisch geht es um eine soziologische Konstruktion eines gesellschaftlichen Funktionssystems.“[25] Teil einer solchen Theorie der sozio-historischen Funktionsdifferenzierung ist die soziologische Professionalisierungstheorie. Professionelle Tätigkeiten sind in den allgemeinen Strukturproblemen begründet, die die moderne Gesellschaft lösen muss. Die Kompetenz der Lösung gesellschaftlicher Strukturprobleme grenzt die Professionen von nicht-professionellen modernen Tätigkeitsformen ab.

2.2.2 Professionalisierungsforschung

Wenn Professionalisierungstheorien in der kommunikationswissenschaftlichen Journalismusgeschichte bisher eine Rolle spielten, dann nur im Rahmen der Professionalisierungsdebatte in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts. In dieser Zeit wurde Journalistenausbildung in Deutschland zu einem stark diskutierten medienpolitischen Thema. Ursachen waren die zunehmende Kritik am Volontariat als Hauptausbildungsweg, der hohe Anteil von Studienabbrechern im Journalismus sowie das Fehlen eines auf die Berufsanforderungen zugeschnittenen akademischen Ausbildungsganges. Ergebnis der Diskussionen war u. a. die Errichtung neuer Journalistik-Studiengänge an den Universitäten. Theoretisch untermauert wurde diese Diskussion durch die Forderung nach einer Professionalisierung des Journalistenberufs. Die so ausgelöste Professionalisierungsdebatte wurde hauptsächlich darüber geführt, ob der Journalistenberuf eine Profession sei bzw. werden könne. Auch heute sind die Meinungen darüber noch immer gespalten.

Viele verneinen diese Frage im Hinblick darauf, dass „Journalist“ bis heute keine geschützte Berufsbezeichnung ist, der Berufszugang im Gegensatz zum exklusiven Status der Professionen eher offen ist und sich journalistische Organisationen lange vergeblich bemüht hatten, einen geregelten Ausbildungsweg sowie einen einheitlichen Berufsethos festzulegen. Andererseits kann bestätigt werden, dass der Journalistenberuf in seiner bisherigen Entwicklung einige der typischen Professionalisierungsphasen durchlaufen hat: Er ist schon lange Zeit ein Ganztagsberuf, die Journalisten sind fast ebenso lang in nationalen Verbänden organisiert, und sie verfügen schon seit geraumer Zeit über Berufsregeln, die zumindest in einigen Ländern zu einer förmlichen Berufsethik zusammengefasst wurden.[26] Andere Meinungen verweisen hingegen auf negative Aspekte einer vollständigen Professionalisierung des Journalismus. Viele halten diese weder für möglich noch für notwendig oder wünschenswert. Argumentiert wird dabei meist unter Rückgriff auf die Bedingungen einer demokratischen Gesellschaft. So sieht Ulrich Saxer in der Pressefreiheit die einzige für Journalisten gültige Berufsnorm, während für freie Berufe wie Arzt oder Jurist weitaus strengere Regeln und Gesetze für Zugang, Ausbildungswege und Berufspraxis existierten. Die Pressefreiheit dagegen sorge dafür, dass so gut wie jeder, unabhängig von seiner Qualifikation, Zugang zu diesem Berufsfeld habe. Die rechtlich-politische Situation in Demokratien schließe damit eine volle Professionalisierung von vornherein aus.[27]

Andererseits ist es aber gerade unter demokratischen Gesichtspunkten nicht wünschenswert, wenn sich der Journalistenberuf zu einer „abgeschotteten“ Profession entwickeln würde. So haben Untersuchungen ergeben, dass sich gerade stärker professionell orientierte Journalisten in ihrer beruflichen Praxis am weitesten von der Öffentlichkeit und den Kommunikationsbedürfnissen der Bevölkerung entfernt haben.[28] Manche halten die Professionalisierung des Journalismus gar für „dysfunktional“ in Bezug auf die Leistungen, die der Journalismus für die Stabilisierung der Demokratie erbringen sollte, „denn sie reduziere die Durchlässigkeit des Berufes, behindere den ständigen Wandel des Berufssystems und damit eine ständige Reflexion und Qualifikation. Der begabte Außenseiter, der dem Beruf und damit der Demokratie neue Impulse geben könnte, werde so vom Journalismus systematisch ausgeschlossen.“[29]

Die Frage, ob Journalismus eine Profession ist oder nicht, ist heute überholt. Es erscheint sehr viel ergiebiger zu fragen, wie professionalisiert der Beruf ist bzw. wie professionalisiert er zu einem bestimmten Zeitpunkt war. Das Konzept der Professionalisierung sollte in Zukunft verstärkt als das zugrunde liegende Paradigma von Untersuchungen des Journalistenberufes in historischer Perspektive genutzt werden, zumal hier der Beruf als eine soziale Einheit betrachtet wird. Denn wenn es bisher um den beruflichen Wandel des Journalismus ging, wurde er lediglich auf der Mikroebene betrachtet: spezifische Zweige der Journalismusindustrie, einzelne Organisationen und herausstehender Praktiker werden analysiert anstatt Gruppen von journalistischen Institutionen, Journalisten oder größeren sozialen Strukturen sowie Berufsverbänden.

Der Begriff „Professionalisierung“[30] stammt aus der Berufssoziologie und umschreibt den Prozess der zunehmenden Organisierung und Institutionalisierung eines Berufes, in dessen Verlauf dieser bestimmte Eigenschaften erwirbt, die ihn von anderen Berufen abgrenzen und als Profession kennzeichnen. Beruf ist dabei zu verstehen als „eine Kombination spezifischer Fähigkeiten und Fertigkeiten, die als Leistungspotenzial die Grundlage für eine kontinuierliche Erwerbs- und Versorgungschance des Individuums abgeben. Er bildet die Basis und Rechtfertigung der gesellschaftlichen Position, und ist eines jener vergleichsweise stabilen Merkmale, die das Individuum mit gesellschaftlichen Strukturen und Prozessen verbinden.“[31] Profession stellt den höchsten Komplexitätsgrad auf einer gleitenden Skala beruflicher Konkretisierungen von Tätigkeiten dar, die „Arbeit“ von „Beruf“ differenziert und „Beruf“ wiederum von „Profession“ abgrenzt. Auf dieser Skala werden die drei Begriffe definiert anhand einer zunehmenden Systematisierung des Wissens sowie einer zunehmenden Vergesellschaftung bzw. Sozialorientierung.[32] Als typische Professionen werden am häufigsten Ärzte, Juristen und Pfarrer genannt.

Professionen und Professionalisierungsprozesse sind nicht nur soziologische Untersuchungsgegenstände, denn auch die Geschichtswissenschaft ist an der Entwicklung von Professionen interessiert. Hier wird Professionalisierung als ein historischer Prozess verstanden, als Herausbildung einer Profession über einen längeren Zeitraum. In der Soziologie hingegen wird der Professionalisierungsbegriff systematisch verwendet und an eine Reihe von Kriterien geknüpft, die eine Berufssituation ausmachen. Ein Beruf kann demzufolge die Merkmale einer Profession in höherem oder geringerem Grad erfüllen bzw. ein Beruf kann mehr oder weniger professionalisiert sein.

Um eine Profession idealtypisch zu beschreiben, haben Soziologen verschiedene Merkmalskataloge entworfen um „echte“ Professionen von „falschen“ – so genannten „Semi-Professionen“ – zu unterscheiden.[33] Geoffrey Millerson hat in einer Untersuchung von 1964 21 Definitionen des Begriffs Profession von englischen Autoren untersucht und die dabei am häufigsten benutzten Definitionselemente aufgeführt:

„(a) A Profession involves a skill based on theoretical knowledge.
(b) The skill requires training and education.
(c) The professional must demonstrate competence by passing a test.
(d) Integrity is maintained by adherence to a code of ethics.
(e) The service is for public good.
(f) The profession is organized.”[34]

Besonders häufig genannt wurden der Zusammenschluss zu einer Berufsorganisation, die Beachtung berufsethischer Vorschriften und die spezialisierten Fertigkeiten auf der Basis theoretischen Wissens. Diese Vorgehensweise wird zumeist dahingehend kritisiert, dass diese Merkmale auch auf andere – nicht professionalisierte – Berufe zutreffen würden, verschiedene Elemente wie „public good“ unterschiedlich interpretiert werden könnten und zudem empirische Beweismöglichkeiten fehlten.[35] Conze und Kocka fassen die wesentlichen Eigenschaften von Professionen folgendermaßen zusammen:

„‚Professions’, deutsch ‚akademische Berufe’ oder ‚Expertenberufe’ sind nicht-manuelle Vollzeitberufe, die eine langjährige, spezialisierte und tendenziell wissenschaftliche (…) Ausbildung voraussetzen, in der vor allem berufsspezifisches, generalisierbares, theoriehaltiges und durch Examensabschlüsse (Diplome, Patente, Titel) nachweisbares Fachwissen vermittelt wird. (…) Unter Berufung auf diese Kompetenz beanspruchen die Angehörigen professioneller Berufe das Monopol beim Angebot der von ihnen erbrachten Leistungen, wobei zur Realisierung solcher monopolistischer Ansprüche in der Regel auf staatliche Unterstützungen und Garantien (…) nicht verzichtet werden kann. Unter Berufung auf jene Kompetenz fordern die Angehörigen professioneller Berufe ein hohes Maß an Freiheit von Fremdkontrollen durch Laien (sei es durch die ‚Abnehmer’ ihrer Leistungen, also Patienten, Klienten und dergleichen, sei es durch soziale Organisationen oder durch den Staat) und bieten, gewissermaßen zum Ausgleich, bestimmte Formen der kollektiven, von ihren Berufsorganisationen durchzuführende Selbstkontrollen an (Kontrolle des Zugangs zum jeweiligen Beruf, fachspezifische Verhaltensanweisungen und Ehrenkodices, Ehrengerichte etc.). Unter Berufung auf jene Kompetenz und mit Verweis auf die gesellschaftlich zentrale Bedeutung der von ihnen erbrachten Leistungen beanspruchen die Angehörigen professioneller Berufe ein vergleichsweise hohes Einkommen und hohes Ansehen, sei es, daß sie als Beamte oder Angestellte durch den Staat, durch Gemeinden, Körperschaften oder Privatbetriebe alimentiert werden, sei es, daß sie beruflich in freiem Wettbewerb stehen.“[36]

Diskussionsgeschichtlich war das Professionalisierungskonzept zunächst zentraler Bestandteil strukturell-funktionaler Modernisierungstheorien. Professionalisierung gehört neben den Phänomenen der Industrialisierung, sozialen Differenzierung, Urbanisierung, Arbeitsteilung, Verwissenschaftlichung, Rationalisierung, Modernisierung und Spezialistisierung zu den interdependenten Charakteristika, die der Beschreibung entwickelter bzw. sich entwickelnder Gesellschaftssysteme dienen. Die Professionalisierung bestimmter Berufe ist sowohl Ausdruck als auch Antriebsfaktor der Ausdifferenzierung der modernen Gesellschaft. In der (Berufs-)Soziologie wird der Beruf stets in Zusammenhang mit der Gesellschaft betrachtet. Diese wird als Sozialsystem gesehen, als Geflecht von Interaktionsbeziehungen zwischen Akteuren, die Inhaber einer sozialen Position bzw. Funktion sind. Das System kann von anderen Sozialsystemen abgegrenzt werden, ist aber auch durch Austauschbeziehungen mit ihnen verbunden. Um ein Gleichgewicht der Austauschbeziehungen bezüglich Leistung und Gegenleistung zu behaupten, muss das System verschiedene „Probleme“ lösen: Es müssen Ziele des kollektiven Handelns formuliert und soziale Positionen definiert werden, die einen Beitrag zur Zielerfüllung leisten müssen (Politik). Es müssen Mittel für die Erreichung der Ziele bereitgestellt werden (Wirtschaft). Die Solidarität zwischen den Akteuren muss gesichert und ihre Beitragserfüllung kontrolliert werden (Integration). Es müssen Vorkehrungen getroffen werden, damit sich die Erwartungen der Akteure nicht unkontrolliert verändern und sich neue Akteure die Rollenerwartungen zu Eigen machen (Motivation).

Aus dieser funktionellen Differenzierung der Gesellschaft ergibt sich eine strukturelle: Das Sozialsystem gliedert sich in eine Vielzahl von Positionen, die alle einen bestimmten Beitrag zur Lösung eines der Probleme leisten.[37] Soziale Arbeitsteilung ist demnach die Aufspaltung des Prozesses der Problemlösung einer Gesellschaft in eine Vielzahl von spezialisierten Einzelbeiträgen zur Lösung der Probleme. Demzufolge spezialisieren sich die Individuen einer Gesellschaft auf die Verrichtung bestimmter Arbeiten bei der Erstellung von Gütern und der Bereitstellung bestimmter Dienstleistungen. Um die Problemlösungskompetenz ständig zu verbessern wird empirisches und systematisches Wissen immer stärker für die Lösung der Probleme fruchtbar gemacht, was zu einer zunehmenden funktionellen und strukturellen Differenzierung der Systeme führt. Die Beiträge zur Problemlösung und damit zur Zielerreichung des Systems werden durch gesteigerte Anforderungen an das Wissen zunehmend spezialisierter. Damit einher geht eine Rationalisierung der Arbeitsprozesse, d.h. die einzelnen Arbeitsschritte werden wissenschaftlich und planmäßig durchgeführt. Einzelne Berufspositionen werden so zunehmend professionalisiert.[38] In der soziologischen Literatur wird vielfach von einer nahezu universellen Tendenz zur Professionalisierung in der modernen Gesellschaft ausgegangen, d.h. dass im Prinzip alle Berufe irgendwann zu einer Profession werden, wobei der Prozess für alle Berufe gleich verläuft.[39]

Besonders diese Sichtweise wird von der Geschichtswissenschaft kritisiert, denn die Komplexität historischer Prozesse wird hier vollkommen ausgeblendet. Historische Professionalisierungsforschung stellt die Thesen der klassischen Professionalisierungssoziologie in Frage. Sie geht der Geschichte einzelner Berufe – vor allem ihrer Akademisierung – nach und analysier die dahinter stehenden Ursachen, Interessen und Wirkungskräfte.[40] Historisch gesehen setzen sich Professionen „in zentralen gesellschaftlichen Bereichen der Moderne seit dem 19. Jahrhundert durch und stellen jeweils eine ,Ablösung von Laienlösungen durch Formen rationalisierter Expertenlösungen von Problemen’ dar.“[41] Die sich wandelnden Lebensbedingungen seit der Aufklärung und der Französischen Revolution führten zu einer Erweiterung, Differenzierung und gesteigerten Leistungsauslese der akademischen Berufe, die mit ihrer auf einer Dienstleistungsethik beruhenden Tätigkeit auf immer neue gesellschaftliche Bedürfnisse antworteten. Für die Ausübung dieser Berufe wurden entsprechend ihrer gesellschaftlichen Bedeutung universitäre Ausbildungssysteme mit Leistungskontrollen und Berechtigungsnachweisen eingeführt.[42]

Nach Hannes Siegrist gibt es drei Ordnungsfaktoren im Feld der professionellen Tätigkeiten: Tradition, Politik und Markt. In der traditionellen Ordnung, d.h. vor dem Übergang in die bürgerliche Gesellschaft, in der neu ausgehandelt wurde, wer im System der sozialen Arbeitsteilung eine „professionelle“ Funktion ausüben sollte bzw. welche Kompetenz dafür erforderlich war und welcher Status damit zusammenhing, waren es verschiedene Akteure wie die ständischen Berufsvereinigungen, die Universitäten, die aristokratischen oder patrizischen Eliten, die Kirche oder der Zentralstaat, die darüber bestimmten.[43] In der modernen Gesellschaft werden nun drei Professionalisierungsmodelle unterschieden. Im ersten Modell übernimmt der Staat die Rolle des Professionalisierungsagenten. Im 18. und frühen 19. Jahrhundert verdrängte der Staat die Instanzen, die in der alten Ordnung die Arbeitsteilung und Funktionszuweisung bestimmt hatten, sorgte für eine Reform der Ausbildungsgänge und übernahm die Kontrolle des Berufszugangs.

Die dabei entstandenen so genannten „Amtsprofessionen“ waren ausgerichtet auf ein Allgemeinwohl, das ebenfalls vom Staat definiert wurde. Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts war auf dem europäischen Kontinent diese Form der Professionalisierung vorherrschend, in der der Staat den Professionen das Berufsmonopol verlieh, sie aber gleichzeitig an gesetzliche Vorschriften band. Die „Professionalisierung von oben“ erhielt bald Konkurrenz durch das „bürgerliche Laienmodell“. Die Französische Revolution und die demokratische, egalitäre und liberale Gesellschaftskonzeption, die sie schuf, führten zur Abschaffung der Funktionsmonopole der Ärzte und Advokaten. Von Frankreich ausgehend breitete sich diese De-Regulierungsbewegung auf andere Länder Europas aus, hauptsächlich Italien und Schweiz. Funktionsmonopole von Professionen wurden aufgehoben, diese Berufe galten nun als frei zugänglich für Laien, die sich selbst dafür fähig hielten. In der Praxis sah dies z.B. so aus, dass sich Laien vor Gericht selbst vertreten konnten ohne einen Anwalt hinzuzuziehen.

Unter Napoleon bildete sich dann das „staatlich-marktwirtschaftliche Modell“ der „freien Berufe“ heraus, eine Mischung aus staatlicher und marktliberaler Ordnung. „Das Erstarken des Marktprinzips und die Tendenz zur gesellschaftlichen Selbststeuerung förderten überall das Muster des freien Berufs und erschwerten eine staatliche Kontrolle der Professionen.“[44] Zunehmend bestimmte der Markt über Status und Position von Professionen, indem er begehrte Leistungen besser entlohnte als im Überfluss vorhandene Fähigkeiten.[45] In diesem auch als „bürgerliche Professionalisierung“ bezeichneten Modell sorgt der jeweilige Berufsstand selbst, etwa durch Berufsorganisationen, für eine berufsinterne Professionalisierung.

Jörg Requate kommt in seiner Studie nun zu dem Ergebnis, dass sich der Journalistenberuf nicht ohne weiteres in diese Modelle der Professionalisierung einordnen lässt. Es kann zum einen nicht von einer „Professionalisierung von oben“ gesprochen werden, da abgesehen von presserechtlichen Rahmenbedingungen der Staat nicht regulierend in den Beruf eingriff. Es kann ebenso wenig von einer „bürgerlichen Professionalisierung“ gesprochen werden. Requate belegt für den Zeitraum des 19. Jahrhunderts, dass den journalistischen Vereinigungen in Deutschland das gesellige Beisammensein wichtiger war als die Durchsetzung eines Professionalisierungsprojektes. Auch das Laienmodell lässt sich nicht auf den Journalistenberuf anwenden. Aufgrund dieser Überlegungen entwickelt Requate ein eigenes Modell für den Journalistenberufs, das er als „informelle“ Professionalisierung bezeichnet. Damit ist eine Entwicklung gemeint, in der sowohl ohne staatliche als auch ohne berufsorganisatorische Regulierungsmechanismen Berufsmerkmale allein durch die Berufsvertreter auf informelle Weise ausgebildet werden.

Zu diesen zählt Requate das Bemühen der journalistischen Vereinigungen, den Journalistenberuf als einen einheitlichen bürgerlichen Berufsstand darzustellen. Dazu gehörte die „bürgerliche Vereinsform, die Ausrichtung von Pressebällen sowie die inszenierte Bürgerlichkeit der Journalistentage der neunziger Jahre“; teilweise gab es auch Bemühungen, das Professionalisierungsprojekt, z.B. in Bezug auf Ausbildungswege, Altersvorsorge oder presserechtliche Fragen, voranzutreiben. Dennoch bestand der wichtigste Beitrag der Standesvertretungen in der Vermittlung eines bestimmten Berufsbildes.[46] Ein weiterer Bestandteil einer informellen Professionalisierung ist im gleich bleibend hohen Einfluss der Journalisten auf die Rekrutierung ihres beruflichen Nachwuchses zu sehen. Am wichtigsten erscheint Requate aber die Herausbildung eines spezifischen Selbstverständnisses, mit dem eine bestimmte Berufspraxis einherging. Einzig das berufliche Selbstverständnis erwies sich in diesem ansonsten stark heterogenen Berufsfeld als homogener Faktor.[47]

„Durch die Frage einer möglichen ,informellen’ Professionalisierung wird die etwas fruchtlose Fixierung auf die Berufsorganisationen vermieden und der Blick eher auf die Praxis des Berufs und seine gesellschaftliche Einbettung gelenkt, ohne daß dabei ganz auf das theoretische Konzept der Professionalisierung verzichtet würde.“[48] Für die hier vorliegende Arbeit sei dazu bemerkt, dass sich diese Aussage von Requate auf das 19. Jahrhundert bezieht. Ob auch die Aktivitäten der Journalistenverbände im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts weitgehend unbedeutend für den Professionalisierungsprozess blieben, soll in dieser Arbeit zu klären versucht werden.

Seit den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts ist eine Annäherung zwischen soziologischer und historischer Professionalisierungsforschung zu beobachten, denn die Dynamik von Professionalisierungsprozessen kann durch ein statisches Musterbild, wie es die Soziologie entworfen hat, nicht erfasst werden. Andererseits fehlte es der Geschichtsschreibung der akademischen Berufe lange an einer kritisch-theoretischen Grundlage. Beide Entwicklungen führten zur Einblendung einer historisch-kritischen Dimension in die Professionalisierungsdiskussion.[49] Die Kritik an rein funktionalistischen und modernisierungsoptimistischen Perspektiven hat zu einer Erweiterung des soziologischen Professionalisierungskonzeptes geführt, die seine sozialgeschichtliche Brauchbarkeit erhöhte: Professionalisierung wird nun auch unter konfliktsoziologischen Gesichtspunkten und der Beachtung sozialer Ungleichheit als Prozess der Durchsetzung von Interessen, als Zugewinn der einen und Verlust der anderen Berufsgruppe sowie als Herausbildung neuer Privilegien und Herrschaftsverhältnisse verstanden. In einer solchen Sichtweise rücken die Triebkräfte von Professionalisierungsprozessen in den Vordergrund. Dazu gehören die Wissenschaftsentwicklung, staatliche Eingriffe und vor allem auch die Interessenpolitik von Berufsverbänden.[50]

2.2.3 Verbandsforschung

Verbände sind ein elementarer Bestandteil moderner Gesellschaften. Mit ihrer Entstehung und ihren Handlungslogiken befassen sich sowohl die soziologische Organisationsforschung als auch die Politikwissenschaft. Hauptsächliches Anliegen der Verbandsforschung ist die Untersuchung des Einflusses, den die Gruppen der Gesellschaft auf Prozesse politischer Willensbildung nehmen.[51] Die bekannteste Definition von „Verband“ ist nach wie vor die von Max Weber: „Verband soll eine nach außen regulierend beschränkte oder geschlossene soziale Beziehung dann heißen, wenn die Innehaltung ihrer Ordnung garantiert wird durch das eigene auf deren Durchführung eingestellte Verhalten bestimmter Menschen: eines Leiters und, eventuell eines Verwaltungsstabes, der gegebenenfalls normalerweise zugleich Vertretungsgewalt hat.“[52]

Für heutige Verhältnisse muss dieser Definition jedoch noch das Merkmal des Strebens nach Einfluss auf politische Entscheidungen hinzugefügt werden: „Ein Verband ist eine kontinuierliche und geregelte Zusammenfassung von Menschen, die darin eine deklarierte Interessenartikulation und -verfolgung betreiben. Diese Zielausrichtung kann sich überwiegend auf die Teilnahme an politischen Entscheidungsprozessen im nationalen Maßstab richten, muß dies aber nicht notwendigerweise.“[53] Häufig werden für den Begriff Verband auch die Bezeichnungen Interessengruppe bzw. Interessenverband synonym verwandt.[54] Als kollektive Akteure der Interessenartikulation weisen Verbände folgende Merkmale auf, sie:

- sind problemnah und spezialisiert,
- basieren in der Regel auf freier Mitgliedschaft,
- agieren kommunikativ stark bezogen auf ihre Mitglieder,
- besitzen feste Mitgliedschaftsregeln,
- sind dauerhaft organisiert,
- handeln programmatisch auf Basis einer Satzung und geregelten Aufgabenzuweisungen und
- bilden Führungsstrukturen aus.

Verbände verfolgen vor allem drei Handlungsziele: die Repräsentation von Mitgliederinteressen (Interessenselektion und -aggregation), die Administration der Organisation (Bestandsicherung und effektive Zielverfolgung) sowie Mitgliederrekrutierung und Sicherung der Teilnahmebereitschaft.[55] Verbände werden zumeist als typische Erscheinungen der kapitalistischen Gesellschaft gesehen, in der unpersönliche Konkurrenzmechanismen über die Verteilung der Güter und Entlohnungen bestimmen. In einem solchen System sind sozial schwache Interessen benachteiligt und schließen sich deshalb im Kampf gegen die empfundene Ungerechtigkeit zusammen.[56]

Das Ausmaß des Einflusses, den Interessenverbände auf politische Entscheidungen bzw. ihre Fähigkeit die eigenen Forderungen durchzusetzen, hängt von verschiedenen Faktoren der eigenen Verbandsstruktur sowie der Ausrichtung des politischen Systems und der Gesellschaft ab. Verbandsinterne Faktoren sind die Ideologie der Interessengruppen (Selbstverständnis), ihre Organisation (Struktur, Abhängigkeit der Mitglieder, Grad der Zentralisation), der repräsentative Charakter des Verbandes (Organisationsgrad, Mobilisierbarkeit der Mitglieder), die Finanzkraft sowie die Qualität der Verbandsführung. Von außen werden die Interessengruppen beeinflusst durch die grundsätzliche Stellung von Verbänden in der Rechtsordnung, von der Struktur des Regierungssystems und der herrschenden politischen Kultur.[57] Weitere Kriterien für die Untersuchung und Klassifizierung von Verbänden sind die Adressaten ihres Einflusses – dies können Parlamente, die Regierung oder Bürokratie, internationale Organisationen, die Justiz, Parteien oder auch die öffentliche Meinung sein – und ihre Methoden wie Korruption und Bestechung, Überzeugung und freundschaftliche Kontakte, Drohungen, gewaltloser Widerstand oder alternative Strategien.[58]

Berufsverbände werden wie Gewerkschaften oder Verbraucherverbände zu den Interessenverbänden gezählt, deren wesentliches Merkmal die Vertretung von Einzelinteressen der Mitglieder in Politik und Öffentlichkeit ist. Gruppiert nach Handlungsfeldern, lassen sich Interessensverbände unterscheiden im Wirtschaftsbereich und in der Arbeitswelt, im sozialen Bereich, im Bereich der Freizeit und Erholung, im Bereich von Religion, Kultur und Wissenschaft und schließlich im gesellschaftspolitischen Querschnittsbereich. Bei beruflichen Organisationen muss differenziert werden nach freiwilligen und berufsständischen Vereinigungen. Die berufsständischen Vereinigungen sind Körperschaften des öffentlichen Rechts mit dem Recht der Selbstverwaltung unter der Aufsicht des Staates. Sie sind exklusive Standesorganisationen, in denen die Berufsangehörigen kraft Gesetz Mitglieder sein müssen, und besitzen als solche ein festgelegtes, monopolisiertes Betätigungs- und Aktionsfeld. Als Beispiel hierfür sind die Ärzte- oder Anwaltskammern zu nennen. Im Gegensatz dazu schließen sich in berufspolitischen Interessenvertretungen – die hauptsächlich als eingetragene Vereine organisiert sind – die Mitglieder zumeist freiwillig[59] zusammen, um gemeinsame Interessen zu verfolgen. Bei diesen Berufen hält der Staat den Berufstitel zum Schutz der Klientel und der Berufsangehörigen vor unqualifizierten Außenseitern für ausreichend.[60]

Eine nach verbandssoziologischen Kriterien aufgebaute Untersuchung journalistischer Verbände würde fragen nach den Gründen der Entstehung, den Zielen und der Reichweite des berufspolitischen Handelns, den Erwartungen der Mitglieder und den gewählten Mitteln, dem Verhältnis des Verbands zu Gesellschaft und Öffentlichkeit oder nach den Konflikten zwischen Verbandsleitung und Mitgliedern über die Verbandspolitik.[61] Eine rein systematische Analyse zu einem gegebenen Zeitpunkt würde jedoch nicht genügen, vielmehr müssen die Strukturen der jeweiligen Verbände im Zeitverlauf betrachtet werden, um mögliche Veränderungen des Berufes, seiner materiellen und ideellen Schwierigkeiten oder des beruflichen Selbstverständnisses erkennen zu können. Eine verbandssoziologische Betrachtungsweise würde zudem einer zu starken Konzentration auf Einzelschicksale entgegentreten, da sie ihre Schlüsse aus der Untersuchung allgemeiner Entwicklungen und kollektiver Bewusstseinslagen zieht.

Journalistische Verbandsgeschichte gibt somit keine vom Handeln herausragender Journalisten abgeleiteten ideologischen Berufsanleitungen, sondern beschreibt die Berufswirklichkeit, verdeutlicht die eigene Sichtweise der Journalisten auf ihre Lage und auf die Art und Weise, wie sie Probleme der Berufsausübung unter ihren Kollegen behandelten. Darüber hinaus lassen sich mit der Untersuchung journalistischer Interessenvertretung Erkenntnisse über die Organisierbarkeit und das berufspolitische Engagement der Journalisten gewinnen. Zudem wirft Verbandsgeschichte ein Licht auf die Zusammenhänge und Wechselbeziehungen zwischen journalistischem Selbstverständnis einerseits und den konkreten Bedingungen journalistischer Berufsausübung andererseits, denn aus den Diskrepanzen zwischen beidem ergibt sich schließlich erst der Wunsch nach einer Interessenvertretung.[62]

2.3 Funktionen von Berufsverbänden

Die Gründung von Berufsvereinigungen ist nicht nur Voraussetzung und Merkmal, sondern auch Mittel einer sich vollziehenden Professionalisierung. Bei der Untersuchung von Professionalisierungsprozessen spielen Berufsorganisationen daher eine wesentliche Rolle. Bevor sich die Inhaber einer bestimmten Berufsposition jedoch in formalen Verbänden organisieren, schließen sie sich zunächst in der informellen Organisation der Kollegenschaft zusammen. Eine solche „informelle Gruppe“ kontrolliert den Beitrag, den ein Akteur in der Arbeitsorganisation[63] zur Erreichung ihrer Ziele leistet, sie formuliert eine Politik gegenüber der Leitung dieser Arbeitsorganisation und versucht diese durchzusetzen, um die Kollegen vor „willkürlichen“ Maßnahmen zu schützen und einen fairen Lohn zu sichern. Daneben erfüllt die informelle Gruppe auch eine motivierende Funktion: Sie unterstützt die Sozialisierung neuer Mitglieder und hilft bei der Bewältigung der sich aus den Beziehungen zur Organisationsleitung ergebenden Spannungen.[64] Bezogen auf die journalistische Tätigkeit finden diese berufssoziologischen Ausführungen in der Studie von Requate ihre Entsprechung in seinem Konzept der „informellen Professionalisierung“.

„Die informelle Gruppe der Inhaber einer Berufsposition stellt vielfach den Anstoß und den Kristallisationskern für eine formale Berufsorganisation dar.“[65] Unter folgenden Bedingungen bilden sich Berufsverbände aus lokalen Kollegengruppen heraus:

- Freiwillige Organisationen müssen von den Trägern der sozialen Kontrolle zugelassen sein,
- Kommunikation über größere räumliche Distanzen muss technisch möglich sein,
- die Berufsinhaber müssen genügend zahlreich sein,
- die wissensmäßige Basis der Berufsposition muss bis zu einem gewissen Grad entwickelt sein,
- die berufliche Qualifikation der Berufskollegen muss relativ einheitlich sein,
- der Verband muss als für die Ausübung der Rolle wichtig definiert werden,
- das Beschäftigungsverhältnis muss weitgehend einheitlich sein und
- die Berufsrollen müssen so klar definiert sein, dass es keine Rivalitäten zwischen Kollegenschaften um die Zugehörigkeit der Inhaber verwandter Berufspositionen gibt.[66]

Bei Berufsverbänden handelt es sich zunächst um Interessenverbände, die als solche freiwillig gebildet sind, festgelegte Ziele verfolgen, arbeitsteilig organisiert sind und mit ihren Aktivitäten die individuellen, materiellen und ideelle Interessen ihrer Mitglieder verwirklichen wollen. Dies geschieht zumeist gegenüber anderen Organisationen und Gruppen, gegenüber dem Staat, den Parteien oder der Justiz. Damit sind sie intermediäre Instanzen, die der Interessenvermittlung dienen, dem Transfer von gesellschaftlichen Basisinteressen in das politische Entscheidungssystem. Interessenverbände tragen neben Staat, Markt und Gesellschaft zur sozialen Ordnung bei, indem sie die Interessen ihrer Mitglieder bündeln (Interessenaggregation), diese Interessen nach Prioritäten und Realisierungschancen ordnen bzw. nicht konfliktfähige Interessen aussondern (Interessenselektion), die durchsetzungsfähigen Interessen als gemeinsame Forderung öffentlich artikulieren (Interessenartikulation), damit einen Interessensausgleich zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Akteuren ermöglichen (Transformation) und somit die Möglichkeit der mittelbaren Teilhabe der Mitglieder an der politischen Willensbildung bieten (Partizipation).[67]

Neben diesen nach außen gerichteten Aktivitäten existieren auch Innenaktivitäten, die oftmals der eigentliche Grund für die Teilnahme in einem Interessenverband sind: das gesellige Vereinsleben, Information über berufliche Fragen, der gemeinschaftliche Schutz gegen mögliche Angriffe gegnerischer Gruppen oder die Durchsetzung materieller und anderer Forderungen gegenüber den jeweiligen Verhandlungspartnern. Weiterhin dienen Interessenverbänden der Selbsthilfe durch den Aufbau entsprechender Einrichtungen (Unterstützungskassen, Forschungseinrichtungen), der Weiterentwicklung der Selbstverwaltung (Organisation der Aus- und Weiterbildung) sowie der Solidarität (Bildung von Solidargemeinschaften zur Überwindung der Vereinzelung und Förderung der Solidarität der Mitglieder). Darüber hinaus bieten sie zahlreiche Dienstleistungen an wie Rechtsberatung, Fortbildungsmaßnahmen oder den Abschluss von tarifvertraglichen Regelungen. All diese Aktivitäten wären jedoch ohne das kollektive Handeln der Mitglieder nicht möglich. Zumeist wirken aber nicht alle Mitglieder im gleichen Umfang an der Realisierung der Ziele mit. Vielmehr werden Verbände zumeist von kleinen Führungszirkeln gelenkt, während der Großteil der Mitgliedschaft eher passiv bleibt.[68]

Neben ihrer primären Funktion als Interessenverbände kommt Berufsverbänden eine weitere wichtige Funktion im Konzept der Professionalisierung und Institutionalisierung eines Berufes zu. Häufig wird die Bildung von beruflichen Organisationen in der berufssoziologischen Literatur als erster wesentlicher Schritt hin zu einer Professionalisierung angesehen. Denn erst dadurch wird die Voraussetzung dafür geschaffen, dass die Berufsangehörigen die Veränderung ihres Berufes und die Verbesserung der Arbeitsbedingungen kollektiv selbst gestalten können. Diese Freiheit der Inhalte ist jedoch stark abhängig vom jeweiligen Organisationsgrad der Berufsinhaber. Existieren mehrere Berufsverbände und damit unterschiedliche Interessen innerhalb der eigenen Berufsgruppe, so ist dies zumeist ein Anzeichen für ein fehlendes einheitliches Berufsbild. „Der Organisationsgrad ist demnach ein Index für die Professionalisierung, der die Identität mit dem Beruf angibt und ein Indikator dafür ist, inwieweit von einem einheitlichen Berufsbild gesprochen werden kann.“[69]

Wesentlichste Aufgabe von Berufsverbänden im Konzept der Professionalisierung ist die Anerkennung des Berufes. Sie betreiben Öffentlichkeitsarbeit gegenüber den für sie relevanten Teilöffentlichkeiten: politische Entscheidungsträger, Ausbildungs- und Anstellungseinrichtungen, Klientel bzw. Publikum. Der Beruf soll der Öffentlichkeit vorgestellt und ein – selbst- und nicht fremd definiertes – Berufsbild geprägt werden. Sie versuchen quasi ihren Beruf zu „vermarkten“, indem sie seine Nützlichkeit und Wichtigkeit demonstrieren.[70] Wesentliche Voraussetzung für einen schlagkräftigen Verband ist, dass es ihm gelingt die Fremdkontrolle des Berufs – durch Laien oder den Statt – durch die Selbstkontrolle des Berufs zu ersetzen. Aus der Funktion der Berufsverbände als Vermittler der professionellen Selbstkontrolle ergeben sich die wesentlichen Aufgaben im Prozess der Professionalisierung:

- Schaffung eines homogenen Standesbewusstseins
- Schaffung einer einheitlichen (universitären) Ausbildung
- Kontrolle des Berufszugangs
- Kontrolle entwickelter Normen bzw. Leistungsstandards für die Berufsausübung
- Erhöhung des Berufsprestiges in der Gesellschaft
- Erstellung einer Berufsethik
- Vertretung der gemeinsamen Berufsinteressen nach außen
- externe Anerkennung der Kompetenzen, z.B. durch Gesetze
- Abgrenzung gegen Außenseiter und benachbarte Berufe bzw. Definition des Tätigkeitsfeldes
- Durchsetzung beruflicher Autonomie, basierend auf einer weitgehenden Unabhängigkeit von der Klientel, aber auch vom Staat[71]

2.4 Erkenntnisinteresse

Die bisherigen Ausführungen verdeutlichen, dass zu einer umfassenden Berufs- und Sozialgeschichte auch die Geschichte der Berufsvereinigungen gehört. Ziel dieser Arbeit soll es aber nicht sein, eine historisch lückenlose Darstellung der Entwicklung der deutschen Journalistenverbände zu geben. Vielmehr sollen die Gesichtspunkte herausgegriffen werden, die Rückschlüsse auf das Selbstverständnis und das berufspolitische Engagement der Journalisten zulassen. Genauer gesagt, soll untersucht werden, welche Rolle den journalistischen Berufsorganisationen im Prozess der Professionalisierung zukommt. Dabei soll die Frage berücksichtigt werden, welchen Einfluss der historische Kontext auf die jeweilige Vereinstätigkeit hatte. Hier sollen jedoch nicht die Aktivitäten der Verbandsführung des RdP untersucht werden, sondern die seiner regionalen und lokalen Unterorganisationen.

„Der Reichsverband hätte das, was er in den zehn Jahren seines Bestehens geleistet hat, nicht leisten können ohne seine Unterverbände. Sie stellten das Rädergetriebe der Maschine dar, die die Arbeit leistet, während die Zentrale das Steuer handhabt“, schreibt Cajetan Freund 1922.[72] Sich allein an den Aktivitäten der Verbandsspitze und einzelner herausstehender Mitgliedern zu orientieren, genügt für ein umfassendes Bild nicht. Solche Persönlichkeiten waren zwar wichtig für das Ansehen und das Fortkommen des Verbandes, sie sind aber nicht repräsentativ für die Mehrzahl der sonstigen Mitglieder, denn sie lebten und arbeiteten in den großen politischen, finanziellen und publizistischen Zentren des Landes, in denen sich die Arbeitsbedingungen der Journalisten anders gestalteten.

„Bei der Untersuchung bürgerlicher Berufe wird den Berufsorganisationen in der Regel relativ hohe Aufmerksamkeit gewidmet. Die berufsständischen Vereinigungen gelten zumeist als Träger des ‚professional project’“, stellt Jörg Requate fest.[73] Bei der Durchsicht der vorhandenen Literatur über Journalistenorganisationen fällt jedoch auf, dass die Frage, inwiefern die Ausbildung der Journalisten und eine Professionalisierung des Berufes in den Vereinen diskutiert und forciert wurden, bislang nur marginal thematisiert wurde. Die Recherchen zum Forschungsstand lassen daher vermuten, dass die Journalistenvereine der damaligen Zeit die Durchsetzung der eigenen Professionalisierung nicht als klar definiertes Ziel betrachteten. Daraus leitet sich eine erste zentrale Hypothese ab:

Den Vertretern regionaler Journalistenverbände waren materielle und rechtliche Forderungen wichtiger als ideelle bzw. berufliche; eine Professionalisierung des Berufes wurde hinter dem vorrangigen Ziel der Verbesserung der wirtschaftlichen und gesetzlichen Grundlage der Journalisten zurückgestellt.

Es wird angenommen, dass das Handeln der Vereinsführungen im Wesentlichen durch historische Bedingungen, also durch die allgemeinen sozialen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, bestimmt war und nicht durch ein idealisiertes Berufsbild, das es umzusetzen galt. Als ein weiteres Hindernis für die Professionalisierung des Journalistenberufes soll das Selbstverständnis des Berufes angesehen werden. Folgende These gilt es daher zu prüfen:

Das traditionelle Verständnis von der journalistischen Tätigkeit als ein Begabungsberuf mit freiem Zugang beeinträchtigte den Professionalisierungsprozess der Journalisten. Das heißt für die Berufsverbände, dass sich berufspolitische Anstrengungen eher auf die Praxis des Berufs – die Verbesserung der allgemeinen Arbeitsbedingungen – und seine gesellschaftliche Einbettung richteten als auf Versuche einer institutionalisierten Professionalisierung durch geregelte Ausbildungswege oder die rechtliche Abgrenzung zu anderen Berufen.

Mit dieser Arbeit soll eine Rekonstruktion der Tätigkeiten und des Selbstverständnisses regionaler Journalistenverbände unter dem Gesichtspunkt der Professionalisierung erfolgen. Konkret werden dazu Akten des „Verbandes der Rheinisch-Westfälischen Presse“ sowie des „Vereins Wuppertaler Presse“ aus dem ersten Drittel des 20. Jahrhunderts untersucht. Es soll herausgestellt werden, welche ihrer Aktivitäten zu einer (beginnenden) Professionalisierung des Journalistenberufs beigetragen haben bzw. welche Aufgaben die Vereinigungen ansonsten erfüllten. Daneben sollten Anzeichen für organisatorische Probleme, mit denen die Unterverbände vermutlich vielfach zu kämpfen hatten, berücksichtigt bzw. ein Licht darauf geworfen werden, wie sich das Vereinsleben konkret abspielte und wie sich die Beziehungen zur Reichsverbandsführung in Berlin gestalteten. Auf diese Weise soll ein Beitrag zu einer umfassenderen Journalismusgeschichte geleistet werden.[74]

2.5 Herangehensweise: Quellen und Methoden

Ausgangspunkt der Überlegungen zur vorliegenden Arbeit waren Akten des „Verbandes der Rheinisch-Westfälischen Presse“ (VRWP), einem dem 1910 gegründeten Reichsverband der deutschen Presse angeschlossenen Landesverband, sowie des „Vereins Wuppertaler Presse“, der diesem Landesverband als ein Ortsverein untergeordnet war. Das umfangreiche Aktenmaterial – aus dem Archiv des Leipziger Instituts für Kommunikations- und Medienwissenschaft – stammt aus dem Nachlass des Journalisten Fritz Goedecker, seinerzeit tätig als Redakteur des „Elberfelder Generalanzeigers“ und zeitweilig auch Vorsitzender des Vereins Wuppertaler Presse (VWP). Die Verbandsakten umfassen den Zeitraum 1904 bis 1937 und enthalten die verschiedenen Satzungen der Verbände, Mitgliederlisten, Jahres- und Kassenberichte, Rundschreiben an angeschlossene Ortsvereine, Einladungen und Abschriften von Vorträgen, hauptsächlich aber Protokolle von Mitgliederversammlungen und Vorstandssitzungen.

Die Akten des Vereins Wuppertaler Presse decken den Zeitraum 1897 bis September 1937 ab. Für das Jahr 1897 – in dem der Verein gegründet wurde – liegt jedoch lediglich die erste Satzung des Vereins vor. Die ersten Aktenschriftstücke finden sich erst ab 1924, da Goedecker in diesem Jahr zum Vorsitzenden des VWP gewählt wurde; zuvor übte er zwei Jahre lang die Funktion des Kassenführers aus. Das Aktenmaterial des Verbandes der Rheinisch-Westfälischen Presse umfasst den Zeitraum vom Gründungsjahr 1904 bis Juli 1933. Für die ersten Jahre liegen jedoch nur die „Mitteilungen des Verbandes der Rheinisch-Westfälischen Presse“ – das seit März 1905 erschienene Verbandsorgan – vor.[75] Aktenschriftstücke finden sich zunächst nur vereinzelt. Erst in den 1920er Jahren, als Fritz Goedecker als Vorsitzender des Vereins Wuppertaler Presse auch Vorstandsmitglied des Verbandes der Rheinisch-Westfälischen Presse wurde, wird das Material umfangreicher und enthält entsprechend auch die Niederschriften der Vorstandssitzungen des VRWP.

Die vorhandenen Verbandsakten beider Organisationen überschneiden sich in den 1920er und beginnenden 1930er Jahren, sind demnach für die Zeit der Weimarer Republik besonders umfangreich und vollständig. Jedoch finden sich in den Akten auch Unterlagen des Reichsverbandes der deutschen Presse und einer seiner Vorgängerorganisationen, des „Bundes Deutscher Redakteure“. Hierbei handelt es sich hauptsächlich um Satzungen beider Verbände und um einige Ausgaben der „Mitteilungen des Reichsverbandes der deutschen Presse“, dem Vorläufer des späteren Verbandsorgans „Deutsche Presse“. Diese wurden ebenso für die Untersuchung herangezogen wie die späteren Ausgaben der „Deutschen Presse“ und des „Zeitungs-Verlag“, der Verbandszeitschrift des Vereins Deutscher Zeitungs-Verleger.[76]

Sie wurden jedoch keiner vollständigen Analyse unterzogen wie die „Mitteilungen des Verbandes der Rheinisch-Westfälischen Presse“. Darauf wurde nicht nur deshalb verzichtet, weil eine solche Untersuchung im Rahmen dieser Arbeit zeitlich nicht möglich gewesen wäre, sondern auch weil hier bewusst die Landes- und Ortsvereine untersucht werden sollten und nicht die Verlautbarungen der Verbandsspitze des RdP. Entsprechende Ausgaben dieser Zeitschriften wurden jedoch hinzugezogen um ergänzende Informationen zu einzelnen Vorgängen zu bekommen oder um Artikel nachzulesen, auf die in den Verbandsakten verwiesen wurde. Um überhaupt einen Eindruck von der Arbeit im Verein Deutscher Zeitungs-Verleger und den Anschauungen der Verleger zu bekommen, wurden außerdem Akten des VDZV aus dem Nachlass von Robert Faber – Verleger der „Magdeburgischen Zeitung“ und Vorsitzender des VDZV von 1912 bis 1921 – im Stadtarchiv Magdeburg eingesehen. Zusätzlich wurde eine Festschrift des VRWP genutzt, die einen guten Überblick über die Ereignisse der Jahre 1904 bis 1929 bietet.[77]

Die ausgewählten Quellen sollen unter Prüfung der bereits genannten Thesen untersucht werden. Zunächst wurde dazu das Verbandshandeln in die Bereiche soziale, rechtliche und berufliche bzw. die Professionalisierung betreffende Aspekte unterteilt. Diese Einteilung soll keine allzu strenge Systematisierung bedeuten, zumal die Tätigkeiten der Vereinsmitglieder nur auf der theoretischen Ebene differenzierbar sind, ist jedoch notwendig, um die Breite des Tätigkeitsfeldes modellhaft abbilden zu können. Auf der praktischen Ebene gibt es jedoch vielfältige Überschneidungen und Wechselbeziehungen und können die drei Gebiete nicht isoliert voneinander betrachtet werden. Im Vordergrund stand aber die Frage, ob und inwiefern die hier untersuchten journalistischen Vereinigungen etwas zur Professionalisierung ihrer Mitglieder beigetragen haben, so dass dieser Bereich besonders differenziert betrachtet werden soll. „Kommunikationsgeschichtliche Forschung erscheint von geringem Wert“, stellt Bernd Blöbaum fest, „wenn sie nicht theoriegeleitet ist. Um nicht nur Einzelfälle aus der Geschichte nebeneinander zu stellen, bedarf es eines theoretischen Orientierungsrahmens, in den die Ergebnisse eingeordnet werden können.“[78] Als theoretisches Analyseinstrumentarium sollte daher das soziologische Konzept der Professionalisierung dienen.

Die bereits in Abschnitt 2.3 genannten Aufgaben, die Berufsverbänden im Prozess der Professionalisierung eines Berufes zukommen, sollen hier als Kategorien für die Durchsicht der Verbandsakten genutzt werden. Sie wurden zu folgenden acht Aufgabenbereichen zusammengefasst:

- Standesbewusstsein
- Berufsethik
- Ausbildung
- Kontrolle des Berufszugangs
- Normen für die Berufsausübung
- gesellschaftlicher Status
- Autonomie
- Schutz der Berufsinteressen

In den vorliegenden Verbandsakten sollte nun nach Hinweisen auf konkrete Aktivitäten gesucht werden, die diesen Aufgabenbereichen zugeordnet werden können, um so nachzuvollziehen, inwiefern die Arbeit in den Organisationen zur Professionalisierung des Berufs beigetragen hat. Dabei soll induktiv vorgegangen, d.h. Aktionen, Stellungnahmen und Beschlüsse sollen interessegeleitet analysiert werden, um aus den spezifischen Resultaten allgemeine Schlussfolgerungen über Zusammenhänge und Tendenzen abzuleiten. Die zusammenfassenden Ausführungen sollen unterstützt werden durch Zitate aus den Dokumenten, die einen Anhalt darüber geben, wie die Autoren ihre Berufsprobleme unter Kollegen behandelt haben.

3. Journalisten im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert

3.1 Entstehung der Massenpresse

In der systemtheoretischen Sichtweise des Journalismus gilt die Zeit bis Mitte des 19. Jahrhunderts als „Take-off“-Phase, in der sich der Journalismus nicht mehr weiter gegenüber den anderen Systemen abgrenzen musste, sondern eine fortschreitende Binnendifferenzierung des eigenen Systems einsetzte. Historisch betrachtet, war das 19. Jahrhundert in Deutschland geprägt durch einen tief greifenden Wandel in vielen Bereichen der Gesellschaft. Es setzten weit reichende Veränderungen ein, sowohl in politischer und sozialer als auch in wirtschaftlicher und technischer Hinsicht, die vor allem in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts auch das Pressewesen stark beeinflussten.

In der Zeit vor der bürgerlichen Revolution von 1848 war die Zahl der Journalisten relativ klein, zumal der massenhaften Verbreitung der periodischen Presse noch Schranken gesetzt waren. In technischer Hinsicht war die Produktion von Zeitungen zeitaufwendig und nur in kleinen Auflagen möglich; die Drucktechnik in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts blieb weit hinter der Entwicklung der anderen Industriezweige zurück, zudem musste Papier kostspielig und kompliziert aus Lumpen hergestellt werden. Politisch wurde die Entfaltung der Presse durch strenge staatliche Zensur und den Intelligenzzwang begrenzt.[79] Hinzu kamen soziale Schranken: das Volksbildungswesen war zur damaligen Zeit nur unzulänglich ausgeprägt, sodass die Zahl der Analphabeten hoch war. Und auch die individuelle ökonomische Situation schloss viele Bürger vom Zeitungskauf aus.

Nach der Revolution von 1848, besonders aber nach Gründung des Deutschen Reiches im Jahre 1871, setzten Prozesse ein, die die Struktur des Pressewesens grundlegend veränderte. Es kam zu einer allgemeinen Entfaltung der Wirtschaft. Das Banken- und Versicherungswesen wurde ausgebaut, der eingeschränkte Wirtschaftsliberalismus trieb die ökonomische Entwicklung in Richtung Konzentration und begünstigte die Herausbildung großer Monopole. Auch die Einführung der Gewerbefreiheit zwischen 1869 und 1871 förderte die Expansion der Presse durch die Möglichkeit der freien Verlagsgründung. Mit dem Reichspressegesetz von 1874 wurde zudem die rechtliche Grundlage für die Ausweitung des Pressewesens gelegt: Erstmals wurde die „Freiheit der Presse“ gesetzlich ausgesprochen[80], das staatliche Anzeigenmonopol wurde aufgehoben, was die Kalkulationsgrundlage im Zeitungsgewerbe veränderte, zumal Anzeigen nun in allen politischen Zeitungen erscheinen durften.

[...]


[1] Ronneberger (1986), S. 411

[2] Schulze-Krüdener (1996), S. 42

[3] Requate (1995), S. 222

[4] Vgl. Hömberg (1987), S. 621

[5] Jörg Requate: Journalismus als Beruf. Entstehung und Entwicklung des Journalistenberufs im 19. Jahrhundert. Deutschland im internationalen Vergleich. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1995.

[6] Denn auch der Zweig der Geschichtswissenschaft, der sich mit der Genese bürgerlicher Berufe und Professionen beschäftigt, hat die Erforschung der Entwicklung des Journalistenberufs vernachlässigt.

[7] Claudia Foerster: Der Preß- oder Vaterlandsverein von 1832/33. Sozialstruktur und Organisationsformen der bürgerlichen Bewegung in der Zeit des Hambacher Festes. Trier: Verlag Trierer Historische Forschungen 1982.

[8] Ariane Brückmann: Journalistische Berufsorganisationen in Deutschland. Von den Anfängen bis zur Gründung des Reichsverbandes der Deutschen Presse. Köln: Böhlau 1997.

[9] Heinz-Dietrich Fischer (Hrsg.): Medienverbände in Deutschland. Geschichte, Berufsaspekte, Politik. Berlin: Vistas 1991.

[10] Prott (1976), S. 72

[11] Vgl. Stöber (1992), S. 1

[12] Vgl. Funke (1972), S. 11

[13] Vgl. Prott (1976), S. 72

[14] Zu dieser Diskussion siehe auch Abschnitt 4.2.

[15] Die Bezeichnung stammt von Emil Dovifat, der sich weniger für die vielen Tausend anonymen Journalisten interessierte als für „publizistische Menschen“ vom Range eines Ghandi oder Carl von Ossietzky, die er für ihr Lebenswagnis und Lebensopfer bewunderte.

[16] Vgl. z.B. Donsbach (2000), S. 66

[17] Vgl. Meier (1999), S. 2 f.

[18] Der Begriff des Kommunikators wird in der kommunikationswissenschaftlichen Literatur häufig als Sammelbezeichnung für journalistische Tätigkeiten bzw. synonym für „Journalist“ verwendet. In dieser Begriffsverwendung bleibt jedoch die Entwicklung zahlreicher neuer Tätigkeitsfelder und Berufsbezeichnungen im Journalismus unberücksichtigt.

[19] Vgl. Böckelmann (1993), S. 9

[20] Vgl. Engels (2002), S. 8 ff.

[21] Vgl. Saxer (1997), S. 47

[22] Vgl. Meier (1999), S. 15 f.

[23] Haas (1999), S. 99

[24] Vgl. Meier (1999), S. 36 ff.

[25] Blöbaum (1994), S. 12

[26] Vgl. Kepplinger/Vohl (1976), S. 310

[27] Vgl. Requate (1995), S. 16

[28] Vgl. Scholl/Weischenberg (1998), S. 45

[29] Weischenberg (1995), S. 494

[30] Eine Eindeutschung des aus der angloamerikanischen Soziologie stammenden Begriffes „professionalization“. Im Deutschen wurde der Begriff „Profession“ im 18. Jahrhundert zumeist auf das Handwerk begrenzt, wohingegen in England damit hauptsächlich die „gelehrten“ Berufe – wie Juristen, Ärzte und Geistliche – gemeint waren. Die angloamerikanische Arbeitssoziologie hat damit begonnen, Professionen funktional zu definieren und von anderen Berufen abzugrenzen. Über die Nachkriegsrezeption kamen die soziologischen Konzepte dann nach Deutschland.

[31] Siegrist (1988), S. 13

[32] Vgl. Daheim (1973), S. 232 f.

[33] In der Soziologie der Professionen begann die systematische Analyse mit der Untersuchung der traditionellen Professionen, zunächst der Medizin im Jahr 1910. Dies resultierte in der Standardisierung bestimmter professioneller Ideale. Davon ausgehend begann man damit, ähnliche Berufe daraufhin zu untersuchen, ob nicht die gefundenen Merkmale der Professionen auch auf diese zutreffen.

[34] Millerson (1964), S. 4

[35] Vgl. McClelland (1985), S. 238 f.

[36] Conze/Kocka (1985), S. 18 f.

[37] Vgl. Daheim (1967), S. 15 f.

[38] Vgl. ebd., S. 18 ff. Eine solche Betrachtungsweise geht zurück auf Talcott Parsons, den bedeutendsten amerikanischen Soziologen der Nachkriegszeit. Als Anhänger des Funktionalismus hielt er die Gesellschaft für einen sich selbst regulierenden autonomen Organismus mit bestimmten Mechanismen, die die Aufrechterhaltung der sozialen Ordnung regulieren. In Parsons strukturell-funktionaler Theorie erfüllt jedes Glied der Gesellschaft einen bestimmten Zweck und ist jedes Handeln auf ein Ziel hin ausgerichtet.

[39] Vgl. ebd., S. 50

[40] Vgl. Kocka (1988), S. 7 f.

[41] Neverla (1998), S. 56

[42] Vgl. Conze/Kocka (1985), S. 13 f.

[43] Vgl. Siegrist (1988), S. 20

[44] Siegrist (1988), S. 25

[45] Vgl. ebd., S. 22 ff.

[46] Requate (1995), S. 236

[47] Ebd., S. 398

[48] Ebd., S. 18

[49] Vgl. McClelland (1985), S. 236

[50] Vgl. Conze/Kocka (1985), S. 20

[51] Vgl. von Beyme (1969), S. 1

[52] Weber (1985), S. 26

[53] Prätorius (1989), S. 769

[54] Unterschieden wird in der Literatur aber häufig zwischen „Verein“ und „Verband“. Während sich Organisationen mit Interessen aus dem ökonomischen Bereich eher als Verband bezeichnen, verwenden mehr im Freizeitbereich angesiedelte Organisationen den Begriff Verein.

[55] Vgl. Jarren/Donges (2002), S. 152 ff.; Sebaldt/Straßner (2004), S. 22

[56] Vgl. von Beyme (1969), S. 20

[57] Vgl. ebd., S. 38 ff.

[58] Vgl. von Beyme (1969), S. 85 ff., 155 ff.

[59] Zu den Merkmalen der Freiwilligkeit gehören die freiwillige Mitarbeit, die freie Entscheidung der Mitglieder über Ein- und Austritt, die Orientierung an den Interessen der Mitglieder, die (finanzielle) Unabhängigkeit von Dritten sowie die demokratische Entscheidungsstruktur. Vgl. Schulze-Krüdener (1996), S. 24.

[60] Vgl. Schulze-Krüdener (1996), S. 23 f.

[61] Eine solche Arbeit liegt mit der Studie von Friedhelm Kron – „Schriftsteller und Schriftstellerverbände. Schriftstellerberuf und Interessenpolitik 1842-1973“ – indes nur für den benachbarten Beruf der Schriftsteller, nicht aber für die Journalisten vor.

[62] Vgl. E. Fischer (1980), Sp. 10

[63] Im Falle des Journalismus wäre dies die Zeitung, bei der er arbeitet, bzw. die Redaktion.

[64] Vgl. Daheim (1967), S. 189

[65] Daheim (1967), S. 221

[66] Vgl. Millerson (1964), S. 48 ff.

[67] Vgl. Schulze-Krüdener (1996), S. 28 ff.

[68] Vgl. ebd., S. 31 f.

[69] Ebd., S. 43

[70] Vgl. Schulze-Krüdener (1996), S. 44

[71] Vgl. ebd., S. 45 ff.

[72] Freund (1992), S. 95

[73] Requate (1995), S. 222

[74] Es ließen sich noch sehr viel mehr offene Forschungsthemen gerade auf dem Gebiet der Verbandsgeschichte der Journalisten formulieren. Es fehlt bspw. eine Studie, die die Organisationen auf internationaler Ebene systematisch und historisch untersucht. Auch ein Vergleich der verschiedenen Landesverbände und Bezirksvereine innerhalb Deutschlands bzw. innerhalb des früheren Deutschen Reiches würde neue Erkenntnisse bringen. Von Interesse wäre auch eine Untersuchung über die wenigen im Reichsverband organisierten weiblichen Journalisten. Wo arbeiteten sie? Welche Stellung hatten sie unter den männlichen Kollegen im Verband? Auch der Einfluss der nationalsozialistischen Machtergreifung auf die journalistischen Verbände ist noch nicht umfassend untersucht. Zu fragen wäre hier, ob sich der Reichsverband bzw. seine Landesverbände sowie die anderen Journalistenorganisationen – vor allem der „Verein Arbeiterpresse“ oder der „Augustinusverein zur Pflege der katholischen Presse“ – und die Verlegerverbände der Vereinnahmung durch die Nazis widersetzten oder sich ihrer Politik bereitwillig anpassten.

[75] Im Oktober 1920 musste die Herausgabe der „Mitteilungen“ vorübergehend aufgrund der hohen Herstellungskosten von 1.000 Mark pro Ausgabe eingestellt werden. Fortan wurden alle wichtigen Meldungen des Landesverbandes in der „Deutschen Presse“ veröffentlicht. Im April 1924 wurde beschlossen die Verbandszeitschrift ab Mai wieder erscheinen zu lassen.

[76] Die vollständigen Titel dieser Verbandszeitschriften lauteten „Deutsche Presse. Organ des Reichsverbandes der deutschen Presse. Zeitschrift für die gesamten Interessen des Zeitungswesens“ und „Der Zeitungs-Verlag. Fachblatt für das gesamte Zeitungswesen. Herausgegeben vom Verein Deutscher Zeitungs-Verleger“.

[77] Anton Wolf: Verband der Rheinisch-Westfälischen Presse. Ein Rückblick auf 25 Jahre. Zur Jubelfeier am 20. Oktober 1929. Köln 1929.

[78] Blöbaum (1994), S. 86

[79] Intelligenzblätter (mit Zwangsabonnement für bestimmte Personenkreise) enthielten amtliche Bekanntmachungen und bezahlte Anzeigen, die sie entweder allein veröffentlichten oder die in anderen Zeitungen erst erscheinen durften, wenn sie zuvor im Intelligenzblatt gestanden hatten.

[80] Das Gesetz bot jedoch keinen ausreichenden Schutz vor behördlicher Überwachung. Der Artikel 118 des Gesetzes beschränkte aufgrund einer redaktionellen Nachlässigkeit den Verfassungsschutz auf die materielle Pressefreiheit, d.h. die Meinungsfreiheit, während die formelle Pressefreiheit, d.h. der Schutz der Presse gegenüber Maßnahmen der Verwaltung, ohne verfassungsrechtliche Sicherung blieb. Der Staat konnte sich so verschiedene Eingriffsmöglichkeiten schaffen: 1922 wurden durch das Republikschutzgesetz weitgehende Eingriffe bis hin zu begrenzten Erscheinungsverboten möglich. Vgl. H.-D. Fischer (1981), S. 91 ff.

Fin de l'extrait de 135 pages

Résumé des informations

Titre
Berufspolitische Interessenvertretung im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts
Sous-titre
„Verband der Rheinisch-Westfälischen Presse“ und „Verein Wuppertaler Presse“
Université
University of Leipzig  (Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft)
Note
1,0
Auteur
Année
2006
Pages
135
N° de catalogue
V66705
ISBN (ebook)
9783638591744
ISBN (Livre)
9783638721714
Taille d'un fichier
982 KB
Langue
allemand
Mots clés
Berufspolitische, Interessenvertretung, Beispiel, Rheinisch-Westfälischen, Presse“, Wuppertaler, Presse“, Drittel, Jahrhunderts
Citation du texte
M.A. Kathleen Deutschmann (Auteur), 2006, Berufspolitische Interessenvertretung im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/66705

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