Die -Judenfrage- Eine Lösung in Sicht?


Seminararbeit, 2002

24 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die Juden in der Diaspora

3. Entstehung der "Judenfrage" im Russischen Reich
3.1 Emanzipation oder Assimilation?

4. Repressionen bis hin zu den Pogromen gegen die Juden

5. Die „Judenfrage" - Eine Lösung in Sicht?

6. Eine Antwort: Das Pogrom von Kielce

7. Schlussbemerkung

Anhang

Quellen- und Literaturangaben

1. Einleitung:

Der Titel meiner Hausarbeit ist bewusst provokativ. Er soll verdeutlichen, wie vergangen einerseits und wie historisch aktuell andererseits die „Judenfrage“ ist. Es scheint so, als gäbe es tatsächlich den „ewigen Juden“ und dadurch die „ewigen Probleme“. Tatsache ist vielmehr, dass schon seit Menschen Gedenken die Nichtjuden ein Problem mit ihnen hatten und haben. Ich will in meiner Hausarbeit über die Nationalitäten im Russischen Reich die Entstehung der Judenfrage erläutern und die damit einhergehenden Aspekte genauer betrachten. Es ist nämlich im Hinblick auf die Juden besonders interessant zu erfahren, auf welche Art und Weise hier die russische Politik versagt hat. Nicht nur die russische, muss ich hier sagen, was angesichts des Holocaust zwingend erscheint.

2. Die Juden in der Diaspora:

Die Juden befanden sich schon seit der frühesten Geschichte auf Wanderschaft, die „ohne Ziel und ohne Ende vor sich zu gehen schien“[1], sie befanden sich auf der Flucht, eher weniger freiwillig als meist gezwungen. Der Beginn der „Heimatlosigkeit“, zugleich der Beginn der Staatslosigkeit, ist mit der Zerstörung Jerusalems und der Schleifung des Tempels um 70. nach Christus zu datieren und der große Migrationsprozess setzte mit der Anerkennung des Christentums (381 n. Chr. mit dem 2. ökumenischen Konzil von Konstantinopel) als Staatsreligion im Römischen Reich ein. Die Heimatlosigkeit äußerte sich nicht nur örtlich gesehen, sondern auch glaubensgeschichtlich, denn von nun an waren das Judentum und das Christentum[2] derart getrennt worden (auch als Schisma bezeichnet), dass es bis heute Folgen zeitigt. In dieser Trennung lag seitens der Christen unter anderem der schwerwiegende Vorwurf der Gottlosigkeit seitens der Juden (vgl. hierzu

Kapitel 4.). Bis zum Ende des 13. Jahrhunderts hatte ein Großteil der Juden, die Sefardim, vor allem auf der iberischen Halbinsel eine willkommene Bleibe, während eine andere Gruppe, die Aschkenasim, im Orient (im großen Türkischen Reich und in Nordafrika) Zuflucht fand. Mit der Gründung des Staates Israel am 14. Mai 1948 sollte das stete Leben in der Diaspora auch hier „ein natürliches Ende“[3] und das Leben in einer neuen Heimat einen Anfang haben. Sollte, wohlgemerkt.

Die sefardischen Juden waren zumeist gebildete Menschen von gesellschaftlichem Ansehen. Sie flohen am Ende des 13. Jahrhunderts mit der beginnenden Verfolgung seitens der Inquisition aus Spanien und Portugal Richtung Norden, unter anderem nach Frankreich, Deutschland, England und Holland und nach Ost- und Mitteleuropa und kehrten wieder zur jüdischen Gläubigkeit zurück. Ende des 18. Jahrhunderts wird die Zahl der Juden auf drei Millionen geschätzt. Davon lebten 1,5 Millionen in Ost- und Mitteleuropa.[4] Die Sefardim waren besonders im Handel, Finanzwesen und auf politischem Gebiet aktiv. Sie konnten sich schnell ins neue soziale und kulturelle Leben in der neuen Heimat eingliedern. Sie knüpften als Händler Kontakte in die Kolonialgebiete Spaniens, Hollands, Englands und anderer Länder, welche eine intensive Kolonisationspolitik betrieben. Auf den Nenner gebracht heißt dies, dass ohne jüdische Händler sich die Wirtschaft nicht hätte entwickeln können.[5] Diesen starken wirtschaftlichen Aspekt der sefardischen und aschkenasischen Juden gilt es zu betonen, um andererseits die Entstehung von starken Aversionen vieler Nichtjuden, und das nicht nur im Russischen Reich, gegen die Juden verstehen zu können. Im Laufe des 18. Jahrhunderts veränderten sich die Methoden der Kolonialpolitik und die Juden wurden aus den Verwaltungen gedrängt. Somit verringerte sich der wirtschaftliche Einfluss, bestärkt noch durch den Beginn der Französischen Revolution.[6] Gegen Ende des 19. Jahrhunderts lebten im Russischen Reich, welches enorme „politische und soziale Erschütterungen erlebt(e)“[7], gemäß der ersten Volkszählung 1897 ca. 5,2 Millionen Juden, doch deren Feinde werden sie weitaus zahlreicher schätzen.[8] Daraus entsprang eine Reihe zahlreicher Probleme für das Zusammenleben von Juden und Nichtjuden, deren Gesamtproblematik in ganz Europa auch als „Judenfrage“ diskutiert wurde. Und, wie man betonen muss, noch nicht zu Ende diskutiert worden ist.

3. Entstehung der „Judenfrage“ im Russischen Reich:

Der Entstehung der Judenfrage im Russischen Reich jedoch steht die Entstehung derselbigen überhaupt voran. Es gibt sie dem Wortlaut nach nicht schon seit des Existierens der Juden, sondern gerade mal länger als 160 Jahre[9]. Nichts desto weniger gab es im Zusammenleben der Juden mit Nichtjuden stete Spannungen und Überwürfnisse. Insofern ließe sich „die Judenfrage ganz allgemein als das Problem der Existenz von Juden unter den Völkern definieren.“[10] In dieser stark zugespitzten Formulierung liegt augenscheinlich die Lösung des Problems: Die gezielte Auslöschung der jüdischen Existenz, die „Endlösung“, wie sie unter und mit Hitler propagiert und aktiv praktiziert wurde. In dieser Endlösung liegt zugleich die Charakterisierung der jüdischen Existenz: Sie erregt Missbehagen, welches kultiviert und bis zu gezielten Hassattacken gesteigert wird. Des weiteren handelt es sich um eine weltweite verstreute Existenz, die durch äußere Merkmale „und durch Bande der Abstammung, Religion, Geschichte und Tradition irgendwie zusammengehalten“[11] wird. Sie befinden sich fast ausschließlich in der Minderheit, beruflich und sozial sich unterscheidend von der übrigen Bevölkerung, mal über- mal unterdurchschnittlich vertreten. Eine Sonderklasse eben. Man könnte sagen, dass gerade in der Differenz das Wesen der jüdischen Existenz liegt. Diese Differenz wurde selbst dann nicht aufgehoben, wenn es einmal rechtlich- formale Gleichberechtigung gab. Die Differenz wurde von den Nichtjuden, besonders von den Christen, zur metaphysischen Kategorie erhoben, welche nicht beseitigt werden konnte. Gerade durch diese Kategorie waren nur Nichtjuden, besonders wiederum die Christen, a priori zur Existenz berechtigt. Die Juden waren a priori nicht oder nur bedingt existenzberechtigt, sie waren sozusagen ein Fehler der (Heils-) Geschichte.[12] Dass es sie trotzdem gab und gibt, genau das war und ist das Problem.[13]

Im Russischen Reich kam es erst nach den drei Teilungen Polens (siehe hierzu die Karte II. im Anhang) zu einer größeren Anzahl von Juden, wenngleich schon lange vorher durch die Zaren und Zarinnen gezielt repressive Juden- Politik betrieben wurde. Bis dahin wurde immer wieder betont, „dass die Juden kein Niederlassungsrecht in Russland besäßen.“[14] Erst unter Katharina II. wurde den Juden vereinzelt in dünn besiedelten Gegenden das Recht zur Niederlassung gewährt. Dies geschah vor allem im Hinblick auf den wirtschaftlichen Vorteil durch jüdische Händler. Die Beschäftigung mit den Juden aber besaß eher episodenhaften Charakter. Als aber nach der ersten Teilung Polens 1772 mehr als 100 000 Juden in den russischen Untertanenverband[15] aufgenommen wurden, erhielt dieser Zugewinn einen anderen innenpolitischen Charakter. Doch gab es zwischen der ersten und den zwei weiteren Teilungen 1792 und 1795 niemals einen gänzlich erfolgreichen Versuch, den rechtlichen Status der Juden in Russland festzuschreiben.[16] Egal, ob Juden der Kaufmannsklasse oder dem Bürgerstand zugeteilt wurden: Sie wurden als eine Sonderklasse behandelt, mit besonderen Steuerabgaben (doppelt so viele wie christliche Kaufleute und Bürger) belegt und durch andere Maßnahmen, z.B. dem Versuch, die Juden aus den Dörfern in die Städte zu versetzen oder dem Entzug der Rechte als Schankwirte und Pächter[17], gegängelt. Durch den Zuwachs an jüdischer Bevölkerung aufgrund der Teilungen, wurde, um der Komprimierung und der besseren Kontrolle wegen, der sog. Ansiedlungsrayon ( siehe hierzu Karte I. im Anhang) gebildet, der nach und nach erweitert wurde, und von Kurland im Norden bis ans Schwarze Meer im Süden reichte. Insgesamt waren, alternierend unter den jeweiligen Zaren, 11- 15 Gebiete bestimmt worden, in denen die Ansiedlung gesetzlich genehmigt und geregelt wurde. Unter diesen Gebieten befand sich auch die Provinz Litauen, dessen Gouverneur I. G. Frizel der jenige ist, der die Probleme um die wirtschaftlichen Aktivitäten, v. a. seitens der städtischen Juden, der Schankwirte und der Pächter, in seiner Herangehensweise derart zusammenfasste und bündelte, dass sie der deutschen Sicht ähnlich scheint.[18] Hier gibt es also Parallelen in der deutschen und der russischen Politik, und eine ähnliche Entstehungsgeschichte zur Judenfrage hin. Frizel erwies sich als sehr engagiert und übte Druck auf seine Vorgesetzten aus, Ideen zur Einschränkung der wirtschaftlichen Betätigung zu ersinnen.[19] Er selbst entwickelte eine Reform, um die angebliche Übermacht der Juden, der „Scharlatane“[20] und des Kahals (der jüdischen Verwaltungseinheit) wieder in eine Nutzerbringung für den Staat zu lenken. Die Judenheit in den Gebieten des Ansiedlungsrayons, besonders in der Ukraine, in Litauen, Weißrussland und dem geteilten Polen, wurde durch ihn in vier Kategorien eingeteilt, wobei ihm nur eine, die der Händler, nützlich schien.[21] Bei ihm machten sich viele der bekannten Ressentiments gegenüber Juden bemerkbar, wie das der Indoktrination seitens der Chassidim und der Religion, der „impenetrable Jewish language“[22] und der Machtgier der Juden einerseits und deren „angeborenen Faulheit“[23] andererseits. Aber nicht nur bei ihm griff die steigende Ablehnung der Juden. Nach einer Hungersnot im Gouvernement Minsk 1797 kam es zur Anklage gegen die Juden, die man dafür verantwortlich machte und nun vermehrt als „Sündenböcke“ für alle weiteren sozialen und wirtschaftlichen Nöte nach Lust und Laune instrumentalisierte. In dem Fall der Hungersnot bezichtigten die niedrigsten Verwaltungsstellen sie der Korrumption der Bauern und der Verleitung zur Trinksucht.[24] Daraufhin veranlasste der Senator G. R. Derschawin ein Ende Dezember 1804 bestätigtes Statut, welches einer Zwangsreform entsprach. Er befand sich damit auf einer Linie mit dem Gouverneur Frizel. Demnach musste man die christliche Bevölkerung vor den Juden und deren Machenschaften schützen[25] und stärken, die Juden für die Provinzen ausschließlich nützlich machen, aufklären und verbessern.[26] Dem besagten Statut zufolge sollte eine rigorosere Russifizierung[27] der Juden in sozialer und kultureller Hinsicht stattfinden und vor allem eine Vertreibung der Juden vom Lande in die Stadt vollzogen werden.[28] Die Umsetzung und deren Erfolg waren unterschiedlich, u. a. abhängig von wirtschaftlichen Aspekten, und 1812, zur Zeit der Napoleonischen Kriege, kurzzeitig zur Disposition gestellt aufgrund der hohen Loyalitätsbekundungen der Juden an der Seite der russischen Armee und Kriegswirtschaft.

[...]


[1] Alex Bein: Die Judenfrage: Biographie eines Weltproblems, Bd. 1, Stuttgart 1980, S. 13.

[2] Vgl. Hans- Jochen Gamm: Das Judentum, aktual. Neuauflage, Frankfurt a. Main/ New York 1998, S. 62. Der Autor bezieht sich hier auf den „Ausschließlichkeitsanspruch“ des Christentums, welches durch die geistliche Monopolstellung eine Glaubenspluralität in Europa gewaltsam verhinderte.

[3] Ebenda, S. 6. Der Autor betont, dass es vielen anderen Völkern, die sich auf der Flucht befanden, gelang, sich, im Gegensatz zu den Juden, vollständig zu assimilieren, d. h. sich im jeweiligen Volk zumindest kulturell anzugleichen.

[4] Jakob Katz: Zur Assimilation und Emanzipation der Juden, Darmstadt 1982, S. 167.

[5] Haim Hillel Ben- Sasson (Hrsg.): Geschichte des jüdischen Volkes, Bd. 3, Vom 17. Jahrhundert bis zur Gegenwart, von Shmuel Ettinger, München 1980, S. 11 f.

[6] Ebenda, S.13.

[7] Vgl. Jakob Katz: Zur Assimilation und Emanzipation der Juden, S. 167.

[8] Vgl. Hans Rogger: Jewish Policies and right- wing politics in Imperial Russia, London 1986, S. 16.

[9] Vgl. Alex Bein: Die Judenfrage, Bd. 1., S. 2. Das Wort „Judenfrage“ scheint sich um 1842 in Deutschland aus folgenden Umschreibungen für das Problem der Existenz der Juden heraus kristallisiert zu haben: ´Duldung`, ´bürgerliche Verbesserung`, ´Gleichberechtigung`, ´Emanzipation` der Juden, wohl auch ´Judensache`. Der Begriff wurde bald in ganz Europa heimisch.

[10] Ebenda, S. 4.

[11] Ebenda.

[12] Ebenda, S. 212.

Philosophisch betrachtet liest sich das so: „Mit der Hervorbringung des Christentums, das für Hegel, wie für Kant, die vollkommenste Verkörperung der göttlichen Vernunft ist, hat das jüdische Volk seine Aufgabe erfüllt.“

[13] Und wie schon Jean- Paul Sartre sagte: “Wenn es den Juden nicht schon gäbe, der Antisemit würde ihn erfinden.“ (Jean- Paul Sartre: Betrachtungen über die Judenfrage, Paris 1946.)

[14] Jüdisches Lexikon in vier Bänden, begründet von Georg Herlitz u. Bruno Kirschner, Bd. IV./I., S. 1542.

[15] Ebenda, S. 1545.

[16] Vgl. John Doyle Klier: Russia gathers her Jews: The origins of the “Jewish Question” in Russia, 1772- 1825, Illinois 1986, S. 80.

[17] Jüdisches Lexikon in vier Bänden, Bd. IV./I., S. 1545.

[18] Vgl. John Doyle Klier: Russia gathers her Jews, S. 88 f.

[19] Ebenda, S. 88 f.

[20] Ebenda, S. 90.

[21] Ebenda, S. 91.

[22] Ebenda.

[23] Ebenda.

[24] Vgl. Jüdisches Lexikon in vier Bänden, Bd. IV./I., S. 1547.

[25] Vgl. John Doyle Klier: The origins of the Jewish minority problem in Russia, 1772- 1812, Ann Arbor 1975, S. 255.

[26] Vgl. John Doyle Klier: Russia gathers her Jews, S. 97 ff.

[27] Vgl. Hans Rogger: Jewish Policies and right- wing politics in Imperial Russia, S. 25. Der Autor betont in diesem Zusammenhang eine Austauschmöglichkeit der Begriffe Assimilation und Russifizierung und damit auch die wechselhafte russische Politik, um allg. auf das Problem der Identitätsfindung eines multinationalen Staatengebildes hinzuweisen.

[28] Vgl. Jüdisches Lexikon in vier Bänden, Bd. IV./I., S. 1547 f.

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Die -Judenfrage- Eine Lösung in Sicht?
Hochschule
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg  (Historisches Seminar)
Veranstaltung
PS: Die Nationalitäten im Russischen Reich 1762- 1918
Note
1,0
Autor
Jahr
2002
Seiten
24
Katalognummer
V6672
ISBN (eBook)
9783638141956
ISBN (Buch)
9783638639569
Dateigröße
571 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
In der Arbeit fehlen zwei Karten, die aber über die Quellenangaben nachvollzogen werden können.
Schlagworte
Juden, Russische Reich
Arbeit zitieren
Anton Distler (Autor:in), 2002, Die -Judenfrage- Eine Lösung in Sicht?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/6672

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