Die Zukunft der Demokratie im Zeitalter der Globalisierung


Bachelor Thesis, 2005

59 Pages, Grade: 1,7


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

I. Einleitung

II. Theoretische Grundlagen
II.I Legitimität
II.II Dimensionen und Voraussetzungen demokratisch legitimierter Herrschaft
II.II.I Soziale Legitimität
II.II.II Input-Legitimität
II.II.III Output-Legitimität

III. Globalisierung
III.I Definition
III.II Der historische Kontext
III.III Ursachen der Globalisierung
III.IV Dimensionen der Globalisierung

IV. Herausforderungen der Globalisierung
an die Demokratie
IV.I Das nationalstaatliche Demokratiedefizit
IV.II Das transnationale Demokratiedefizit

V. Zur Zukunft der Demokratie
V.I Modelle einer überstaatlichen Demokratie
V.I.I Der radikale Kommunitarismus
V.I.II Der liberale Internationalismus
V.I.III Die kosmopolitische Demokratie

VI. Fazit

VII. Literaturverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

I. Einleitung

Kaum ein Gegenstand der aktuellen politikwissenschaftlichen Debatten verdient mehr Beachtung als der gegenwärtig, unter den Vorzeichen der als Globalisierung charakterisierten Transformationsprozesse in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft, geführte Diskurs um die zukünftige Gestalt der Demokratie. Wurde noch vor wenigen Jahren der Kulminationspunkt der dritten Demokratisierungswelle gefeiert (Huntington, 1991) und die Hoffnung auf eine demokratische Weltrevolution (Kriele, 1987) genährt, verschärft sich seit geraumer Zeit der Blick auf eine Fülle von Herausforderungen, welche die wesentlichen Bestandteile und Perspektiven der Demokratie ernsthaft in Zweifel zu ziehen scheinen und damit die Zukunftsfähigkeit dergleichen zum hochaktuellen Diskussionsgegenstand werden lassen.

Wie kein anderes Phänomen bestimmt dabei das der Globalisierung die Diskussion um die Zukunft von Demokratie und Staatlichkeit, jener historischen Symbiose, welche die Entwicklung der modernen Demokratie erst ermöglichte (Brock, 1998: 44, 56; vgl. auch Scharpf, 1993), die sich nunmehr jedoch den schleichenden Erosionserscheinungen eines umfassenden Globalisierungstrends ausgesetzt sieht. Während der Prozess sozioökonomischer Entgrenzung unablässig voranschreitet und sich Nationalstaaten und Internationale Organisationen noch immer auf der Suche nach ihrer Rolle im Ordnungsgefüge des 21. Jahrhunderts befinden, droht die Demokratie scheinbar an den territorialstaatlichen Grenzen Schiffbruch zu erleiden. Längst stimmen sich global konstituierende Problemstrukturen nicht mehr mit den national wie international existenten Lösungsstrukturen überein und offenbaren immer wieder die Unzulänglichkeiten vorhandener Institutionen und Instrumente beim Umgang mit der Realität einer irreversiblen Globalisierung und einer sich entgrenzenden kapitalistischen Ökonomie. Die zunehmende Transnationalisierung von Handlungsräumen und Problemzusammenhängen führt zu einer signifikanten Entwertung der Nationalstaaten als bislang weitgehend exklusiver Handlungsrahmen des Politischen und droht damit zugleich, dem politischen wie gesellschaftlichem System ein erhebliches Maß an demokratischer Legitimität zu entziehen. Die stetig steigende Zahl von Internationalen Organisationen und überstaatlichen Regelwerken, sowie weltweit zu erkennende Tendenzen der Regionalisierung[1], sind dabei Ausdruck einer kontinuierlichen, als Antwort auf einen drohenden Steuerungsverlust der Nationalstaaten zu verstehenden, Transformation politischer Handlungsmacht in den überstaatlichen Bereich, ohne das jedoch die gleichsam notwendige demokratische Legitimation der daraus entstehenden politischen Entscheidungsstrukturen oder des konkreten politischen Outputs gewährleistet wäre.

Umso drängender stellt sich also die Frage nach den zukünftigen Erhaltungsbedingungen der Demokratie, wenn ihr historischer Bezugsrahmen zunehmend ausgehöhlt wird (Brock, 1998: 56) und ihre institutionellen und sozialen Grundlagen zu erodieren drohen. Welchem Wandel unterliegen Demokratie und Staatlichkeit angesichts tief greifender Veränderungen im Zeitalter der Globalisierung tatsächlich und wie ist Demokratie in einem politischen Mehrebenen- und Multiakteurssystem denkbar, welches von der globalen bis zur lokalen Ebene reicht?

Anknüpfend an diese Fragen soll im Folgenden eine ebenso differenzierte wie übersichtliche Analyse der Entwicklungs- und Erhaltungsbedingungen der Demokratie entlang des bereits skizzierten Problemhorizonts erfolgen und durch die kritische Berücksichtigung bereits bestehender überstaatlicher Demokratiekonzepte die Zukunftschancen der Demokratie in einer sich zunehmend entgrenzenden und verdichtenden Welt ausgelotet werden. Aufgrund der teils stark heterogenen Ausgangssituation der Nationalstaaten und dem naturgemäß begrenzten Umfang dieser Arbeit wird sich die Analyse der Konsequenzen der Globalisierung für Demokratie und Staatlichkeit auf die das westliche Demokratiemodell verkörpernde und in ihrem wirtschaftlichen Entwicklungsstand und Verständnis von Demokratie vergleichsweise homogene Staatengemeinschaft reduzieren, die mit Abstrichen weitgehend kongruent zur OECD-Welt ist.

Um eine Annäherung an den für diese Arbeit relevanten Bezugsrahmen zu ermöglichen wird eingangs der im Folgenden zentrale Bedeutung erlangende Begriff der demokratischen Legitimität präzisiert und mittels eines dreigliedrigen Legitimitätskonzeptes, welches zwischen sozialer Legitimität, Input-Legitimität und Output-Legitimität differenziert, für den Kontext dieser Untersuchung fruchtbar gemacht. Ziel der Differenzierung ist eine analytische Trennung der Dimensionen demokratischer Legitimität und die Identifikation der mit ihnen verbundenen Anforderungen an ein politisches System. Das darauf folgende Kapitel nähert sich schließlich dem höchst schillernden Globalisierungsbegriff (Wiesenthal, 1996: 37). An den Versuch einer genaueren Begriffsbestimmung und der skizzenhaften Einordnung des vielschichtigen Phänomens Globalisierung in seinen historischen Kontext, knüpft eine Untersuchung seiner wesentlichen Ursachen und Dimensionen an. Die Analyse soll einen Einstieg in das undurchsichtige Globalisierungsphänomen ermöglichen und deutlich machen, welche spezifischen Prozesse unter dem Begriff Globalisierung zusammengefasst sind. Das anschließende Kapitel wird die gewonnenen Erkenntnisse aufgreifen und mit der Analyse der globalisierungsbedingten Veränderungen der Demokratie auch die durch die Globalisierungsprozesse determinierten Herausforderungen an eine überstaatliche Demokratie in den Fokus rücken. Darauf aufbauend wird der letzte Teil dieser Arbeit genutzt, um die wichtigsten bereits bestehenden überstaatlichen Demokratiekonzepte der verschiedenen Positionen in diesem Diskurs zu skizzieren. Eine Analyse ihrer Stärken und Schwächen soll es ermöglichen auf die generelle Realisierbarkeit einer weiteren Transformation der Demokratie zu schließen, die es im abschließenden Fazit und unter Berücksichtigung der in der Untersuchung gewonnenen Erkenntnisse zu erörtern gilt.

II. Theoretische Grundlagen

Gilt es zunächst den Begriff der demokratischen Legitimität zu präzisieren, geschieht dies vor allem vor dem Hintergrund die wesentlichen Leistungsanforderungen identifizieren zu können, welche sich an ein demokratisch legitimiertes politisches System richten. Zum anderen soll damit aber auch ein Analyseraster zur Verfügung gestellt werden, mit dem es möglich ist die gegenwärtigen Globalisierungsprozesse auf ihre Wirkung hinsichtlich der Konsistenz der Demokratie in der westlichen Welt zu überprüfen und welches sich zugleich als Bewertungsgrundlage für die Entwürfe einer überstaatlichen Demokratie eignet.

II.I Legitimität

Fragt man nach den Bedingungen für die Stabilität politischer Systeme kommt der Legitimität der Herrschaftsordnung eine zentrale Rolle zu. Denn der politisch-soziologische Begriff Legitimität bezeichnet die Rechtmäßigkeit und Anerkennungswürdigkeit politischer Herrschaft und bezieht sich im Kontext dieser Untersuchung sowohl auf den normativ geprägten Legitimitätsanspruch einer politischen oder gesellschaftlichen Ordnung, als auch auf den empirisch orientierten Legitimitätsglauben der Herrschaftsunterworfenen (Nohlen, 2002: 275-277). Während der Legitimitätsanspruch die objektive Anerkennungswürdigkeit einer Herrschaftsordnung in den Vordergrund rückt, in der bestimmte Grundprinzipien - in einem modernen demokratischen System sind das z.B. Rechtsstaatlichkeit, demokratische Verfahren und Kontrolle, sowie Grund- und Beteiligungsrechte - verwirklicht sind, greift der Legitimitätsglaube nach Weber ein Verständnis von Legitimität auf, welches sich auf die stille wie ausdrückliche Anerkennung der Herrschaftsordnung, ihrer Institutionen und ihrer Entscheidungen durch die Beherrschten bezieht (Weber, 1992).[2] Weber differenziert dabei zwischen drei Formen legitimer Herrschaft. Neben der charismatischen und traditionalen Form, hebt er insbesondere die sich im modernen Nationalstaat konstituierende legale Herrschaft hervor, die Kraft gesatzter Regeln Geltung erlangt. Die enge Verknüpfung und sich verstärkende Wechselwirkung von Legitimitätsanspruch und Legitimitätsglaube anerkennend, definierte Lipset Legitimität auch als die Befähigung eines politischen oder gesellschaftlichen Systems, die Überzeugung zu generieren und schließlich auch aufrechtzuerhalten, dass die existierenden politischen Institutionen, die für die Gesellschaft angemessenen sind (Lipset, 1960: 64). Einen umfassenden Ansatz zur Erfassung der Bedeutung des politischen Systems bei der Herstellung von Legitimität liefert Easton mit seiner funktionalen Theorie des politischen Systems (Easton, 1979), welche ausgehend von dem Verständnis, Legitimität ist die Überzeugung der Herrschaftsunterworfenen, dass die Funktionsweise des politischen Systems mit ihren Interessen, Werten und Normen übereinstimmt, zwischen spezifischer und diffuser politischer Unterstützung differenziert. Während die kurzfristige spezifische Unterstützung (Input) dabei auf tatsächliche Politikergebnisse und Leistungen des politischen Systems (Output) in Relation zu den formulierten Leistungserwartungen zurückzuführen ist, muss die diffuse Unterstützung als langfristige, unabhängig vom Output des politischen Systems, gewährleistete Unterstützung verstanden werden, die nachlassende spezifische Unterstützung abfängt, jedoch bei langfristiger Unzufriedenheit ebenfalls im Bestand gefährdet ist.

An welche konkreten Anforderungen nun die demokratische Legitimität eines politischen Systems gebunden ist, lässt sich am griffigsten mit der Gettysburg-Formel von Abraham Lincoln beschreiben. Nach Lincoln ist Demokratie „government of the people, by the people, for the people”, das heißt in der Demokratie geht die Herrschaft vom Volk aus, wird von diesem ausgeübt und ist Ausdruck seiner Interessen. Dieser idealtypischen Trias entsprechend unterscheidet ein für den Untersuchungskontext besonders fruchtbares und an der von Easton eingeführten Differenzierung angelehntes Legitimitätskonzept zwischen sozialer Legitimität (government of the people), Input-Legitimität (government by the people) und Output-Legitimität (government for the people)[3]. Im Folgenden gilt es nun diese Dimensionen der demokratischen Legitimität näher zu beleuchten und die mit ihnen verbundenen Leistungsanforderungen an ein demokratisches politisches System zu identifizieren.

II.II Dimensionen und Voraussetzungen demokratisch legitimierter Herrschaft

II.II.I Soziale Legitimität

Insbesondere der sozialen Legitimität kommt bei der Frage nach den Voraussetzungen demokratisch legitimierter Herrschaft eine zentrale Rolle zu. Denn im Gegensatz zu der institutionellen Input- und Output-Dimension demokratischer Legitimität muss soziale Legitimität als strukturelle und damit weitaus schwerer herstellbare Komponente des Legitimitätsbegriffes verstanden werden, die zudem für alle Dimensionen des hier verwendeten Legitimitätskonzeptes teils grundlegende Bedeutung hat.

Soziale Legitimität bezieht sich auf das Maß an Identifikation, dass die Beherrschten der Herrschaftsordnung entgegenbringen und bedarf in demokratischen Systemen des Konsenses und des Bewusstseins über gemeinsame Werte und Interessen. Dies sind die Voraussetzungen für die Entwicklung eines identitären Verbundenheitsgefühls, welches Elias als Wir-Identität beschrieb (Elias, 1987) und das gegenwärtig zum Hauptkritikpunkt an den Entwürfen einer überstaatlichen Demokratie avanciert. Identitäten können hier als „... the process of construction of meaning on the basis of a cultural attribute, or related set of cultural attributes, that is/are given priority over other sources of meaning.“ (Castells, 1997: 6. zitiert nach Baums, 2000: 6) verstanden werden. Nur die Existenz einer Wir-Identität, welche gemeinsame Werte und Interessen teilt und damit kollektiv belastbar wird, ermöglicht es der überstimmten Minderheit bei den für demokratische Systeme so essentiellen Mehrheitsentscheidungen Abstimmungsniederlagen als Ausdruck kollektiver Selbstbestimmung und nicht als Fremdherrschaft zu verstehen. Wo hingegen kulturelle und ethnische Differenzen zu groß sind und ein gemeinschaftlicher Konsens über Werte, Normen und Interessen utopisch erscheint, kann die Ausbildung einer solidarischen Wir-Identität als eine wesentliche Grundlage demokratischer Legitimität unmöglich werden.

Nach Kielmannsegg konstituiert und stabilisiert sich eine solche Wir-Identität aus Kommunikations-, Erfahrungs- und Erinnerungsgemeinschaften (Kielmannsegg, 1996: 54f.; Zürn, 1998: 239), ist demnach also nicht nur von sozio-kulturellen Unterstützungsleistungen, sondern auch von einer institutionellen Infrastruktur abhängig, die öffentliche Diskurse und politische Kommunikation, mit anderen Worten also eine funktionierende Öffentlichkeit ermöglicht.

Öffentlichkeit stellt sich dabei sowohl in normativer, wie auch in herrschaftsstabilisierender Hinsicht als wesentliche Ressource demokratischer Legitimität politischer Herrschaft dar und ist ein wichtiges Teilstück sozialer Legitimität ohne das auch die unabdingbare Wir-Identität undenkbar bleibt. Definiert werden kann Öffentlichkeit als „... ein intermediäres System, dessen politische Funktion in der Aufnahme (input) und Verarbeitung (throughput) bestimmter Themen und Meinungen sowie der Vermittlung der aus dieser Verarbeitung entstehenden öffentlichen Meinung (output) einerseits an die Bürger, andererseits an das politische System besteht.“ (Gerhards/Neidhardt, 1990: 6). Wird mit Öffentlichkeit in normativer Hinsicht die Forderung nach Transparenz, Kontrolle und Partizipation verbunden, besteht ihre herrschaftsstabilisierende Funktion in der Möglichkeit die öffentliche Auseinandersetzung verschiedener Meinungen zu gewährleisten. Differierende Ansichten können in der öffentlichen Diskussion ausgehandelt und potenziell destabilisierenden Themen auf diese Weise ihre Gefährlichkeit genommen werden. Inwieweit eine für kollektiv verbindliche Entscheidungen zuständige politische Öffentlichkeit auch auf einer überstaatlichen Ebene realisierbar ist, wird folglich zu einer der zentralen Fragen, wenn es gilt die Möglichkeiten und Bedingungen einer überstaatlichen Demokratie einzuschätzen.

Zusammenfassend lassen sich demnach vor allem zwei Voraussetzungen identifizieren, um eine ausreichende soziale Legitimität demokratischer politischer Systeme gewährleisten zu können. Diese sind eine kollektiv belastbare Wir-Identität im oben dargestellten Sinne, sowie eine funktionierende Öffentlichkeit.

II.II.II Input-Legitimität

Bei der Input-Dimension demokratischer Legitimität steht die Frage im Vordergrund in welchem Ausmaß politische Entscheidungen dem Willen des Volkes Rechnung tragen und welche konkreten Partizipationsmöglichkeiten dieses hat, um auf politische Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse Einfluss zu nehmen. Input-Legitimität zielt somit auf die Verwirklichung der Volkssouveränität als Kernelement der Demokratie, ohne dabei jedoch, trotz der offensichtlichen Bevorzugung repräsentativer Verfahren in modernen Gesellschaften, grundsätzlich an eine bestimmte Realisierungsmethode gebunden zu sein.

Als legitim können politische Entscheidungen demnach gelten, wenn und weil sie durch die Zustimmung des Volkes zustande kommen oder wie Carl Schmitt es ausdrückt: „Was das Volk will, ist eben gut, weil es (das) will“ (Schmitt, 1983: 229). Die Zustimmungspflichtigkeit des Volkes impliziert zugleich die für die demokratische Input-Legitimität wesentliche Kongruenzbedingung, nach der die von einer Entscheidung Betroffenen mit dem Kreis der am Entscheidungsprozess Beteiligten übereinstimmen muss. Möglichst umfassende den Grundsätzen der Freiheit und Gleichheit folgende Beteiligungschancen der Bürger, Möglichkeiten der Kontrolle und Initiative, sowie Verständlichkeit und Nachvollziehbarkeit politischer Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse sind dabei generalisierte Aspekte jener, in den demokratischen Systemen der Gegenwart recht unterschiedlich ausgeprägten, Verfahren, die aus der Input-orientierten Perspektive legitimitätsschaffend wirken und die Rückbindung an den demos sicherstellen sollen.

Doch verbindet sich mit der input-orientierten Rechtfertigung der „urdemokratischen Mehrheitsregel“ (Scharpf, 2004) auch eine essentielle Voraussetzung auf die bereits im Hinblick auf die Herstellung sozialer Legitimität hingewiesen wurde. Denn eine ausreichende Legitimität für Mehrheitsentscheide lässt sich nur unter der Voraussetzung aggregieren, das Bürger und politischen Entscheidungsträger nicht ausschließlich egoistische, den eigenen Vorteil in den Vordergrund rückende Interessen vertreten, sondern zudem auch gemeinschaftsorientierte Präferenzen teilen, also neben den eigenen Nutzen auch den der anderen Gemeinschaftsmitglieder als Argument in ihre für politische Entscheidungen erheblichen Präferenzen einfließen lassen (Scharpf, 2004). Erst eine solche Gemeinschaftsorientierung oder auch Wir-Identität lässt Mehrheitsentscheide legitim und mögliche nicht ausgleichbare Nachteile für die überstimmte Minderheit akzeptabel erscheinen.

Als wesentliche Anforderung, die von der Input-Dimension demokratischer Legitimität an ein politisches System ausgeht, ergibt sich demnach die Verwirklichung der Volkssouveränität im Sinne der Kongruenzbedingung und der umfassenden Rückbindung politischer Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse an den demos. Zugleich wird deutlich, dass die Dimensionen demokratischer Legitimität in Wechselwirkung zu einander stehen und sich gegenseitig bedürfen, um eine hinreichende demokratische Legitimität gewährleisten zu können. Dies wird nicht zuletzt auch in der Output-Dimension deutlich.

II.II.III Output-Legitimität

Im Mittelpunkt der output-orientierten Dimension demokratischer Legitimität steht die Frage nach der tatsächlichen Leistungsfähigkeit des politischen Systems. Ausgehend von einem normativen Gemeinwohlbegriff, der die gesamtgesellschaftlichen Interessen und Probleme zum zentralen Bezugspunkt output-orientierter Legitimität macht, gelten politische Entscheidungen dann als demokratisch legitimiert, wenn sie eine den gesellschaftlichen Herausforderungen adäquate Problemlösungskompetenz aufweisen können und zugleich den Kriterien der Effektivität und Effizienz entsprechen. Nur wenn es die vom politischen System getroffenen Entscheidungen in ihrer inhaltlichen wie geographischen Reichweite vermögen den real vorfindbaren Problemzusammenhängen gerecht zu werden, kann aus der Output-Perspektive von ausreichender demokratischer Legitimität gesprochen werden.

Doch ist eine rein output-orientierte Argumentationsweise bei der Legitimation politischer Entscheidungen nicht in jedem Fall hinreichend, da diese in ihren unterschiedlichen inhaltlichen Reichweiten auch einer abgestuften Legitimität bedürfen. So sind Entscheidungen, die in ihrer Qualität dem Pareto-Kriterium entsprechen, also in ihrer Konsequenz niemanden im Vergleich zum Status quo schlechter stellen aber mindestens ein Individuum besser, ausreichend durch den output-orientierten Imperativ der effektiven und gemeinwohlorientierten Problemlösung gedeckt (Vgl. Scharpf, 1997). Genauso verhält es sich auch mit Entscheidungen bei denen für die Steigerung der Gesamtwohlfahrt Nachteile für bestimmte Betroffenheitsgruppen in Kauf genommen werden, so lange diese auch durch den erwarteten Nutzen der Entscheidung ausgeglichen werden können (entspricht dem Kaldor-Prinzip, Kaldor, 1939. zitiert nach Scharpf, 2004). Offensichtlich nicht hinreichend sind output-orientierte Legitimationsmuster hingegen bei Entscheidungen, die unkompensierte Nachteile zur Folge hätten, was de facto jede Entscheidung betrifft die solidarischen Charakters ist. Dafür bedarf es weiterhin Legitimationsargumente, die sich auf eine Wir-Identität beziehen können. Demzufolge und entgegen einem „minimierten“ Demokratieverständnis ist auch die Output-Legitimität unter gewissen Umständen auf die Existenz einer sozialen Legitimität angewiesen, um eine ausreichende demokratische Legitimität politischer Entscheidungen gewährleisten zu können. „Die Anforderungen an die Bindekraft dieser Wir-Identität steigen dabei in dem Maße, wie durch kollektiv verbindliche Entscheidungen gravierende Opfer oder die Bereitschaft zu solidarischer Umverteilung abgefordert werden“ (Scharpf, 1997).

Ein weiterer wichtiger Aspekt der Output-Dimension demokratischer Legitimität ist die Bereitstellung institutioneller Mechanismen, die ein gemeinwohlorientiertes Handeln ermöglichen und zugleich das der Entscheidungskompetenz der Politik innewohnende Potenzial zum Missbrauch der ihr anvertrauten Macht begrenzen sollen. Die verschiedenen Ausprägungen demokratischer Systeme der Gegenwart haben dabei ganz unterschiedliche Antworten gefunden diesem doppeltem Anspruch gerecht zu werden (Vgl. Scharpf, 1997), die hier jedoch nicht näher erklärt werden sollen. Wichtig erscheint in diesem Kontext der Verweis darauf, dass sowohl Elemente der Input-Dimension (Partizipation), als auch der sozialen Dimension (Öffentlichkeit) demokratischer Legitimität wichtige Bestandteile dieser institutionellen Mechanismen sind.

Als wesentliche Anforderungen, die sich aus der Output-Dimension demokratischer Legitimität ergeben, lassen sich folglich neben einer effektiven, am Gemeinwohl orientierten Problemlösungsfähigkeit des politischen Systems auch institutionelle Mechanismen ausmachen, die Machtmissbrauch ausschließen und gemeinwohlorientiertes Handeln ermöglichen.

Wie aufgezeigt, lassen sich aus jeder der drei Dimensionen des hier verwendeten Legitimitätskonzeptes spezifische Anforderungen formulieren, die ein politisches System gewährleisten muss, um als demokratisch legitimiert gelten zu können. Doch bedarf dieser Katalog von Voraussetzungen neben ein paar Anmerkungen einer wichtigen Ergänzung, die, wenn sie auch nicht aus den demokratischen Grundprinzipien herleitbar ist, als integraler Bestandteil und wichtiger Stabilitätspfeiler der westlich-liberalen Ordnung verstanden werden muss. Denn das westliche Demokratieverständnis steht in enger Verknüpfung mit den Grundsätzen der Rechtsstaatlichkeit[4] und der damit einhergehenden Garantie der Grundrechte, die Herrschaftskontrolle im Rahmen der Gewaltenteilung und der rechtsstaatlichen Herrschaftsausübung gewährleisten und als Garant für politische Freiheit und Gleichheit gelten. Obwohl gleichermaßen wichtig, sind Demokratie und Rechtsstaatlichkeit jedoch voneinander zu differenzieren. So ermöglicht Rechtstaatlichkeit politische Kontrolle und stellt wichtige Voraussetzungen für die moderne westliche Demokratie sicher, ist jedoch auch ohne Demokratie denkbar.

Zudem soll nochmals verdeutlicht werden, dass entgegen einer „minimalistischen“ Auffassung von Demokratie hier die Ansicht vertreten wird, dass ein politisches System trotz sich verändernder Rahmenbedingungen weiterhin den Anforderungen aller drei Legitimitätsdimensionen genügen können muss, um eine stabile Demokratie etablieren zu können, die sich in der Lage sieht, den ihr innewohnenden normativen Geboten nachzukommen. Eine Reduktion demokratischer Legitimität auf output-orientierte Legitimationsmuster zu ungunsten der input-orientierten Seite erscheint demnach genauso unzulässig wie die Vernachlässigung der sozialen Legitimitätsdimension. Das Selbstverständnis westlicher Demokratien beruht nicht nur auf den vielseitigen Einfluss- und Beteiligungsmöglichkeiten der Bürger an politischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozessen, sondern misst sich zudem am Postulat der sozialen Sicherung und solidarischen Umverteilung, die ohne ausreichende soziale Legitimität undenkbar wären. Sozialstaatlichkeit ist ein integraler Bestandteil und wesentlicher Garant freiheitlicher Demokratien und bleibt genauso wie die umfassende Möglichkeit der politischen Partizipation eine der essentiellen Voraussetzungen zur Schaffung demokratischer Legitimität und politischer Stabilität.

Zugleich ist zu bedenken, dass Demokratie immer nur als Demokratisierung zu denken ist (Brock, 1998: 69), also immer als unvollendeter Prozess verstanden werden sollte, der vielfältigen Veränderungen unterliegt und sich folglich weiterentwickeln und anpassen muss. Die Angemessenheit einer politischen Herrschaftsform stellt sich als ständiges prozessuales Problem dar. Demnach bedarf es auch bei der Auseinandersetzung mit einer möglichen Transformation demokratischer Legitimationsmuster in den überstaatlichen Raum einer Flexibilität, die es erlaubt sich von nationalstaatlich geprägten Mechanismen und Verfahren lösen zu können, ohne dabei jedoch den Anspruch zu verlieren, den genannten Anforderungen zu genügen. Ein methodologischer Nationalismus ist daher genauso wenig angebracht, wie der Verfall in realitätsfernen Utopien oder der vorzeitige Todgesang der Demokratie.

III. Globalisierung

Galt das Hauptaugenmerk des vorherigen Kapitels der Identifikation der wesentlichen Voraussetzungen demokratisch legitimierter Herrschaft, so soll in einem nächsten Schritt der Untersuchungsfokus auf das multikausale und multidimensionale Globalisierungsphänomen gelenkt werden, ohne dabei jedoch einen Anspruch auf Vollständigkeit verfolgen zu können und wollen. Vielmehr zielt dieses Kapitel neben einer Einführung in den Globalisierungskontext darauf ab, die wesentlichen Veränderungsprozesse der Globalisierung in ihrem geographischen Kern, der OECD-Welt, aufzuzeigen, um so auf die Konsequenzen für Demokratie und Staatlichkeit in der westlichen Welt schließen zu können.

III.I Definition

Sich ursprünglich auf den Sektor Wirtschaft beschränkend und dort die zunehmend globale Verflechtung der Ökonomien und Finanzmärkte in den Blick rückend (Nohlen, 2002: 181), erfuhr der Begriff Globalisierung in den letzten Jahren durch eine Vielzahl weiterer unter ihm subsumierter nicht wirtschaftlicher Prozesse einen stetig wachsenden Bedeutungsinhalt. Der Begriff avancierte zu einem zentralen Terminus bei der Analyse der gegenwärtigen politischen, wie wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse und ihrer Veränderungen, verlor mit seiner Verwendungsvielfalt allerdings auch weitgehend sein Profil.

Wie bereits angedeutet, ist das Phänomen Globalisierung trotz seiner wörtlichen Implikationen weniger als bereits erreichter oder unmittelbar bevorstehender globaler Endzustand (Globalität), sondern vielmehr als ein multidimensionaler und unvollendeter Prozess zu verstehen, der eine Fülle verschiedenster, teils widersprüchlicher Entwicklungsgänge in sich eint. Während der Terminus an sich also eher als mögliche Zieldefinition zu verstehen ist, sind die unter dem Begriff zusammengefassten Prozesse teils weit davon entfernt, globale Ausmaße anzunehmen und reduzieren sich in ihrer Mehrheit noch immer auf die um die Schwellenländer erweiterte Triade Nordamerika, Westeuropa und Japan.[5] Deutlich wird dies nicht zuletzt auch immer wieder dann, wenn in der wissenschaftlichen Diskussion ausgehend von dem durch den Globalisierungsbegriff präjudizierten Bezugsrahmen einschränkend von Globalisierungstrends oder -tendenzen die Rede ist (z.B. Höll, 2000: 207-209; Nuscheler, 2004: 53) oder gar die aufgrund der veränderten Rahmenbedingungen und ihrer Qualität und Quantität nach zweifelsfrei neuartigen Globalisierungsprozesse an sich angezweifelt werden.

[...]


[1] Entgegen einer neorealistischen Sichtweise wird Regionalisierung hier als Prozess fortschreitender regionaler Integration und enger werdender Verflechtung von Staaten, Ökonomien und Gesellschaften verstanden. Regionalisierung ist demnach vor allem Ausdruck der Notwendigkeit und des Willens zur internationalen Kooperation und nicht als Zeichen eines sich in Fragmentierung und Abschottung von globalen Zusammenhängen verdeutlichenden Konfliktpotenzials der internationalen Beziehungen zu verstehen.

[2] Obwohl Weber Glaube als Legitimitätskriterium auch auf andere sich zumindest potenziell durch Zwang aufrechterhaltende Herrschaftsformen bezieht, ist dieser per se nur freiwillig aggregierbar und wird damit zur primären Abgrenzung zwischen legitimer, auf freier Zustimmung basierender und nicht legitimer Herrschaft (Westle, 1989: 27-28).

[3] Eine Input-Output-Differenzierung demokratischer Legitimität ist jedoch nicht unumstritten. So existieren Legitimitätskonzepte, die auf einem auf die Output-Dimension reduziertem Demokratieverständnis beruhen, dabei jedoch die Input-Dimension weitgehend marginalisieren.

Das eine Output-Konzentrierte Legitimität dem modernen Demokratieverständnis nach nicht ausreichend ist, ja dem der Demokratie innewohnendem Prinzip der Volkssouveränität zuwiderläuft, erscheint aus einem nicht-elitentheoretisch geprägten Demokratieverständnis heraus offensichtlich und wird nicht zuletzt durch den hier dargelegten Diskurs belegt (siehe auch S. 11).

[4] Die fünf elementaren Merkmale eines Rechtsstaates sind: 1. das Prinzip der Gewaltenteilung, 2. der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit allen staatlichen Handelns, 3. die Gewährleistung von Rechtsschutz durch unabhängige Gerichte, 4. der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, 5. die Gebote der Bestimmtheit, der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes und 6. als elementarste Komponente der Rechtsstaatlichkeit die Gewährleistung der Grundrechte (Vgl. Katz, 1996: 85; Münch, 1994: 179f.).

[5] Sich den unvollendeten Prozesscharakter der Globalisierung vergegenwärtigend, scheint auch die weitere Verwendung des Begriffes ungeachtet des damit präjudizierten Bezugsrahmens und trotz vorhandener Alternativen (z.B. Denationalisierung, Entgrenzung) vertretbar, wenn nicht sogar hilfreich, bedenkt man die ohnehin ausufernde und begrifflich inflationäre Globalisierungsdebatte.

Excerpt out of 59 pages

Details

Title
Die Zukunft der Demokratie im Zeitalter der Globalisierung
College
Humboldt-University of Berlin  (Sozialwissenschaftliches Institut)
Grade
1,7
Author
Year
2005
Pages
59
Catalog Number
V66837
ISBN (eBook)
9783638592260
ISBN (Book)
9783638714358
File size
621 KB
Language
German
Keywords
Zukunft, Demokratie, Zeitalter, Globalisierung
Quote paper
Christian Blume (Author), 2005, Die Zukunft der Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/66837

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