Ironie in verschiedenen Textsorten


Magisterarbeit, 2006

84 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung
1.1 Gliederung der Arbeit

I. Teil: Theoretischer Hintergrund
2. Begriffsbestimmung der Ironie
2.1 Ironie seit dem klassischen Altertum
2.2 Ironie in Wörterbüchern des 20. Jahrhunderts
2.3 Die Abgrenzung der Ironie von anderen Stilformen
3. Erste Ironietheorien der Linguistik
3.1 Implikaturtheorie nach Grice
3.1.1 Kooperationsprinzip und Konversationsmaximen
3.1.2 Generelle und partikuläre Implikaturen
3.1.3 Ironie als konversationelle partikuläre Implikatur
3.2 Ironie als Sprechakt
3.2.1 Ironie als indirekter Sprechakt
3.2.2 Ironie als uneigentlicher Sprechakt
4. Neuere Erklärungsmodelle
4.1 Echoic Mention Theory
4.2 Echoic Reminder Theory
4.3 Pretense Theory
4.4 Allusional Pretense Theory
5. Zusammenfassung der Theorien
6. Ironiesignale

II. Teil: Ironie in schriftlichen Textsorten – Eine Analyse
7. Ironie in schriftlichen Texten
7.1 Textsorte und Textsortenklasse
7.2 Ironie in verschiedenen Textsorten
8. Anwendung der allusional pretense theory auf Ironie in verschiedenen Textsorten
8.1 Analyse
8.2 Zusammenfassung und Auswertung der Ergebnisse
9. Verwendungsmotivationen von verbaler und textueller Ironie
9.1 Höflichkeit
9.2 Negative Bewertung
9.3 Ästhetischer Humor
10. Schlussbetrachtung
10.1 Ausblick
11. Anhang
12. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Kommunikation dient nicht ausschließlich der Übertragung von Informationen. Häufig wenden Sprecher indirekte Sprechweisen an, um ihrem Gegenüber, über Informationen hinaus, etwas zu vermitteln. Die Ironie, als allgegenwärtiges Phänomen, stellt eines dieser indirekten Kommunikationsmittel dar. Sie ist sowohl in Alltagsgesprächen als auch in der Literatur zu beobachten. Zudem kann Ironie in anderen schriftlichen Texten, wie z.B. der folgenden Kontaktanzeige gefunden werden.

Frau völlig außer sich, weil die „4 davorsteht“ und auch noch alleine mit Sohnemann (auch mit einer 4 aber ohne 0) .brauche unzuverlässigen Mann, der mich kritisiert und mich nach kurzer Zeit wieder verlässt.

Kontaktanzeige: „Sie sucht Ihn“

In: Colibri April 2006

Ein Leser erkennt die Ironie hier intuitiv. Was veranlasst ihn aber, diese Kontaktanzeige als ironisch aufzufassen? Es scheinen sich komplexe Strukturen dahinter zu verbergen, die weder leicht zu durchschauen noch auf einer rein syntaktischen Ebene auszumachen sind.

„Grundsätzlich gehört die Fähigkeit zur ironischen Verwendung von Sprache zu den Möglichkeiten jedes Sprechers. Ebenso ist grundsätzlich jeder fähig, Ironie zu erkennen“ (Gießmann 1977:420). Die Fähigkeit allein, kann jedoch nicht das ausschlaggebende Motiv zur Ironieverwendung sein, denn dies würde nicht die Häufigkeit der ironischen Äußerungen erklären.

In der Literaturwissenschaft sind viele Beiträge zur Ironie in Bezug auf die Stilistik entstanden. Seit den 1960er Jahren befasst sich die Linguistik mit diesem Thema. Es lassen sich viele Auffassungen und Untersuchungen zur verbalen Ironie in der Literatur finden. Hieraus entwickelten sich konkrete Theorien, die herausstellen, wie ironische Äußerungen erkannt bzw. ver-standen werden. Allerdings gibt es wenig linguistisch fundierte Arbeiten zur Ironie in Texten bzw. bestimmten Textsorten.

In dieser Arbeit soll deshalb der Frage nachgegangen werden, ob sich die Theorien, die ursprünglich für ironische Äußerungen konzipiert worden sind, auch auf Ironie in Textsorten anwenden lassen.

1.1 Gliederung der Arbeit

Diese Arbeit ist in zwei Teile gegliedert. Der theoretische Hintergrund bestimmt zunächst den Ironiebegriff, um die Ironie anschließend von anderen Stilformen abzugrenzen (Kapitel 2). Im Folgenden wird diese aus implikatur- und sprechakttheoretischer Sicht erläutert (Kapitel 3). Der nächste Punkt stellt weitere Erklärungsmodelle vor, die neue Herangehens-weisen postulieren (Kapitel 4). Abschließend werden die erläuterten Theorien zur Verdeutlichung zusammengefasst und gegenübergestellt (Kapitel 5), um die umfassendste Ironietheorie herauszuarbeiten. Denn diese wird die Grundlage für die Analyse bilden, indem sie auf schriftliche Textbeispiele angewendet wird. Zudem wird ein Überblick von Ironiesignalen aufgezeigt und diskutiert, ob diese zur Ironieerkennung notwendig sind (Kapitel 6).

Den zweiten Teil dieser Arbeit bildet eine Analyse, welche sich mit Ironie in verschiedenen Textsorten befasst (Kapitel 8). Hierzu werden zunächst die Begriffe Text, Textsorte und Textsortenklasse (Kapitel 7) betrachtet. In Kapitel 9 werden ergänzend mögliche Verwendungsmotivationen von verbaler und textueller Ironie angeführt.

In der Schlussbetrachtung werden die wichtigsten Erkenntnisse dieser Arbeit zusammenfassend dargestellt und ein kurzer Ausblick aufgezeigt (Kapitel 10).

I. Teil: Theoretischer Hintergrund

2. Begriffsbestimmung der Ironie

In diesem Kapitel wird aufgezeigt, was unter dem Begriff Ironie verstanden wird. Zunächst soll ihre Bedeutung im klassischen Altertum beleuchtet und ihre steten Bedeutungsveränderungen aufgezeigt werden, um schließlich zu einer Definition der Ironie zu gelangen, wie sie in Wörterbüchern des 20. Jahrhunderts zu finden ist. Zudem muss Ironie von anderen Formen, wie z.B. der Lüge abgegrenzt werden, um sie in ihrer Ganzheit zu erschließen.

2.1 Ironie seit dem klassischen Altertum

Die Etymologie des griechischen Wortes ειρωνεία bzw. eironeia ist nicht vollständig geklärt. Jedoch ist die ursprünglich negative Grundbedeutung eindeutig. Der Ironiker wurde im klassischen Altertum mit „Lügnern, Rabulisten, Rechtsverdrehern, durchtriebenen, abgefeimten glatten Ge-sellen“ (Lapp 1992b:47) in Verbindung gebracht. Der früheste schriftliche Beleg konnte bei Aristophanes nachgewiesen werden, der Ironiker als „elastisch wie Gummi oder schlüpfrig wie Öl“[1] bezeichnet. Denn durch leere Redensarten und hohles Geschwätz täuscht der Ironiker Wissen vor, um zu heucheln, zu höhnen, zu spaßen und sich durchzuschwindeln (vgl. Lapp 1992a:18).

Sokrates hingegen wendet die Ironie als ein Verfahren an, um seinem Gegenüber vor Augen zu führen, dass dieser nicht allwissend ist. Durch stetes Nachfragen bringt er seine Dialogpartner zu einem Bekenntnis der Unwissenheit. Danach kann ein gemeinsames Wissen aufgebaut werden, das von innen kommt (vgl. Weinrich 1976:578). Sokrates tritt demnach nicht als Belehrender auf, sondern als „Kleintuer“, da er vorgibt weniger zu wissen als sein Gegenüber (vgl. Müller 1995:9).

Seit Aristoteles verliert die Ironie ihre negative Bedeutung vollständig, da er diese als „die feine Art der Verstellung“, als das „Kleintun aus Höflichkeit und Rücksichtnahme“ (Lapp 1992b:48) charakterisiert. Der Ironiker im Sinne des Aristoteles handelt aus einem ehrenwerten Motiv (vgl. Engeler 1980:23) und ist sogar als tugendhaft zu bezeichnen, da er großes Wissen bzw. große Ehre verleugnet, um seine Bescheidenheit zum Ausdruck zu bringen. Zu dieser ethischen Haltung kommt die Komponente des rhetorischen Gebrauchs. Die Ironie wird als Stilmittel in öffentlichen Auseinandersetzungen eingesetzt, um den gegnerischen Standpunkt bloßzustellen, anzugreifen oder lächerlich zu machen. Hier wird Ironie als das „Gegenteil des Gemeinten“ (Müller 1995:11) bestimmt. Sie ist demnach abhängig vom „jeweiligen Zusammenhang, von den Motiven und der Persönlichkeit des eirons[2] und von der gesellschaftlichen Umgebung“ (Lapp 1992a:21).

Cicero führt den Ironiebegriff als dissimulatio in die lateinische Sprache ein, womit, wie schon bei Aristoteles, die untertreibende Ausdrucksweise gemeint ist. Später wird dieser um den Begriff simulatio erweitert, welcher das „verstellende Zitieren gegnerischer Positionen“ (Müller 1995:11) zum Ausdruck bringt. Für den Römer Quintilian gehört die Ironie zur allegorischen Rede[3], einer rhetorischen Figur also, und nicht wie bei den Griechen zum gesellschaftlichen Verhalten. Den beiden Auffassungen von Ironie ist jedoch gemeinsam, „dass die Intention des Sprechers von dem verschieden ist, was er wirklich sagt, und dass der Hörer das Gegenteil von dem versteht, was ausgesprochen wird“ (Lapp 1992a:22). Cicero erweitert diese Gegenteilsdefinition, indem er ausführt, dass nicht nur das Gegenteil des Gesagten gemeint sein kann, sondern auch lediglich etwas anderes. Quintilian wie auch Cicero begreifen die Ironie als eine Art der transparenten Verstellung, die vom Hörer durch Gesten, Mimik, Kontext, Intonation etc. demaskiert werden kann (vgl. Lapp 1992a:22f.). Später werden die erwähnten Funktionen Demütigung, Bloßstellung sowie Spotten, um den Aspekt des Scherzens erweitert (vgl. Engeler 1980:27). Als charakteristisches Merkmal steht nun nicht mehr das „Kleintun“ im Vordergrund, sondern die Art der Verstellung durch den Sprecher.

2.2 Ironie in Wörterbüchern des 20. Jahrhunderts

Ein kurzer Überblick über die Definitionen des Ironiebegriffs in Wörterbüchern des 20. Jahrhunderts soll nun zeigen, dass dieser steten Veränderungen unterworfen ist.

1971 schreibt der Brockhaus: Ironie ist „eine in Spott wurzelnde Haltung oder Äußerung, die das Gegenteil von dem meint, was sie ausspricht, und das, worauf sie sich richtet, in Frage stellt“. Das Hauptmerkmal ist hier die Gegenteilsdefinition. Das ironische Objekt wird dieser Definition nach bewertet, indem es in Frage gestellt wird. Dem Sprecher selbst werden weder positive noch negative Charakterzüge zugeschrieben.

Das große Wörterbuch der deutschen Sprache schreibt 1999 zu dem Begriff Ironie: „feiner verdeckter Spott, mit dem man etwas dadurch zu treffen sucht, dass man es unter dem augenfälligen Schein der eigenen Billigung lächerlich macht“. Hier wird explizit eine Funktion der Ironie herausgestellt: die negative Bewertung bzw. das Lächerlichmachen. Es wird hier ausdrücklich die Verstellung des Ironikers herausgestellt, jedoch kein Gegenteilsaspekt erwähnt.

Die folgende Definition aus dem Deutschen Wörterbuch von Wahrig (2001) behandelt noch ein weiteres, bisher nicht erwähntes Merkmal der Ironie: „hinter Ernst versteckter Spott, mit dem man das Gegenteil von dem ausdrückt, was man meint, seine wirkliche Meinung aber durchblicken lässt“. Es zeigt sich hier deutlich, dass die Begriffe Ironie und Lüge voneinander abzugrenzen sind. Rosengren (1986:44) veranschaulicht den Unterschied so:

Lüge: Sprecher behauptet p, glaubt aber – p; Hörer soll p glauben.

Ironie: Sprecher behauptet p, glaubt aber – p; Hörer soll – p glauben.

Die Gemeinsamkeit aller dargestellten Definitionen besteht darin, dass sie Ironie mit verdecktem Spott in Verbindung bringen. Auch Engeler (1980:27ff.) hat dies in einer etwas umfassenderen Untersuchung dargelegt. Er zieht dafür verschiedene Wörterbucheinträge von 1876 bis 1969 heran. Zusammenfassend stellt er darüber hinaus fest, dass das Zeigen der eigentlichen Absicht des Sprechers über die Jahre an Bedeutung gewinnt. Wohingegen der Aspekt des vorgetäuschten Unwissens, d.h. die sokratische Form der Ironie, zurücktritt. Der Gegenteilsaspekt, der in den Definitionen häufig als Hauptmerkmal der Ironie angegeben ist, scheint jedoch weder ein notwendiges noch ein hinreichendes Kriterium für Ironie zu sein, was in Kapitel 3.1 deutlich werden wird. Zudem fehlen den Begriffsbestimmung in Wörterbüchern Angaben zu formalen und sprachlichen Realisierungen dieses ironischen Inhalts (vgl. Engeler 1980:28).

2.3 Die Abgrenzung der Ironie von anderen Stilformen

Um das Phänomen Ironie ganzheitlich erfassen zu können, soll es nun von anderen Stilformen abgegrenzt werden. Im intuitiven Alltagswissen der Sprecher liegen z.B. Ironie und Sarkasmus dicht beieinander und können somit leicht verwechselt werden. Um dies für den weiteren Verlauf dieser Arbeit und gerade auch für die Analyse in Kapitel 8.1 auszuschließen, wird nun auf der Grundlage des Dudens[4] ein Vergleich angestellt. Die Definitionen sind wortwörtlich übernommen und so unter dem jeweiligen Stichwort zu finden.

Lüge: bewusst falsche, auf Täuschung angelegte Aussage; absichtlich wissentlich geäußerte Unwahrheit;

Spott: Äußerung oder Verhaltensweise, mit der sich jmd. über jmdn., jmds. Gefühle o. Ä. lustig macht, seine Schadenfreude ausdrückt, über jmdn. etw. frohlockt;

Hohn: mit verletzendem, beißendem Spott verbundene, unverhohlene Ver-achtung;

Sarkasmus: beißender, verletzender Spott, Hohn, der jmdn., etw. lächerlich machen will;

Ironie: feiner, verdeckter Spott, mit dem man etw. dadurch zu treffen sucht, dass man es unter dem augenfälligen Schein der eigenen Billigung lächerlich macht.

Zusammenfassend ist festzustellen, dass die Ironie im Gegensatz zur Lüge die Täuschung oder Verstellung offenkundig macht. Sie ist indirekter bzw. feiner und weniger verletzend als Spott, Sarkasmus oder Hohn. Deshalb wird die Ironie von Hörern weniger negativ bewertet als die anderen Phänomene.

3. Erste Ironietheorien der Linguistik

Wie schon herausgestellt wurde, ist die Ironie ein nicht leicht zu fassendes Phänomen, welches sich nicht ausschließlich auf der Satzebene beschreiben lässt. Es besteht eine Diskrepanz zwischen der Äußerung selbst und seiner Bedeutung oder anders ausgedrückt: zwischen dem Gesagten und dem Gemeinten. Somit wird deutlich, dass die Semantiktheorie, welche sich auf Wahrheitsbedingungen stützt, keine adäquate Lösung bieten kann. Das Kompositionalitätsprinzip, als Grundgedanke der Semantik, besagt: „Die Bedeutung eines Satzes ist eine Funktion der in ihm enthaltenen Ausdrücke und der Art ihrer Zusammensetzung“ (Schwarz/Chur 2001:117). Sätze werden demnach als kontextunabhängige Konstruktionen angesehen, deren Bedeutungen sich aus den Teilen ihrer einzelnen Wörter ergeben. Das folgende Beispiel soll nun belegen, dass dies nicht immer der Fall ist.

Beispiel 1 (Meibauer 2001:24):

[Fraktionschef Joschka Fischer auf die Frage, welchen SPD-Kanzlerkandidaten seine Partei bevorzuge:]

Wir haben uns für August Bebel entschieden.

Da August Bebel zum Sprechzeitpunkt nicht mehr lebt, ist klar, dass sich die Partei nicht für ihn als Kanzlerkandidaten entschieden haben kann. Joschka Fischer meint hier etwas anderes: Abgesehen von der wörtlichen Bedeutung der Aussage, die aus dem genannten Grund als unwahr anzusehen ist, liegt hier eine weitere Bedeutung vor, die sich ausschließlich aus dem Kontext ergibt. Es ergeben sich mehrere Deutungsmöglichkeiten: Er wollte zu verstehen geben, dass sich die Partei nicht einigen konnte, alle Bewerber abgelehnt hat, oder dass er zu diesem Zeitpunkt kein Kommentar abgeben will (vgl. Meibauer 2001:24).

Um das Phänomen Ironie beschreiben zu können, wurde deshalb in der Pragmatik nach Lösungen gesucht. Hier haben sich seit den 1960er Jahren Ironietheorien ausgebildet, die sich zum Teil widersprechen bzw. einander widerlegen oder aufeinander aufbauen. Diese sollen nun vorgestellt werden.

3.1 Implikaturtheorie nach Grice

Die Implikaturtheorie nach H. Paul Grice (1975) ist eine der wichtigsten Theorien der Pragmatik. Die konversationelle Implikatur bezeichnet eine durch Schlussfolgerung ermittelte (Zusatz-) Bedeutung einer Äußerung, die über den wörtlichen Gehalt einer Äußerung hinausgeht (vgl. Auer 1999:94).

Um Implikaturen in einem Gespräch erkennen zu können, muss davon ausgegangen werden, dass sich die Sprecher in einem Gespräch stets kooperativ, zielgerichtet und rational verhalten. Nach Grice kann ein Gespräch als kooperatives Handeln bezeichnet werden, bei dem alle Beteiligten das gleiche Ziel verfolgen: zu verstehen und verstanden zu werden (vgl. Rolf 1994:215). Um dies zu gewährleisten, muss es Regeln geben, nach denen sich die Teilnehmer richten. Grice entwickelte das Kooperationsprinzip sowie vier Konversationsmaximen, die nicht als moralische Norm bzw. Vorschrift, sondern als Verhaltensregeln gelten sollen. „Das Kooperationsprinzip und die Konversationsmaximen stellen einen Gesprächshintergrund dar, einen Hintergrund, der von den Gesprächs-teilnehmern, zumindest implizit, als ’operativ’ angesehen wird“ (Rolf 1994:106).

3.1.1 Kooperationsprinzip und Konversationsmaximen

Grice geht davon aus, dass sich alle Sprecher an diese Regeln halten, da es andernfalls kaum möglich wäre, effizient zu kommunizieren bzw. effektiven Informationsaustausch zu betreiben (vgl. Auer 1999:96). Im Folgenden werden diese Regeln nun erläutert.[5]

Das Kooperationsprinzip:

Gestalte deinen Gesprächsbeitrag so, wie es die anerkannte Zielsetzung oder Richtung des Gesprächs, an dem du beteiligt bist, zum betreffenden Zeitpunkt erfordert.

Die Konversationsmaximen:

1. Die Maxime der Qualität

Versuche deinen Gesprächsbeitrag so zu gestalten, dass er wahr ist - genauer:

(i) Sage nichts, von dessen Wahrheit du nicht überzeugt bist.

(ii) Sage nichts, wofür du keine hinreichenden Beweise hast.

2. Die Maxime der Quantität

(i) Mache deinen Gesprächsbeitrag so informativ wie (für die augenblicklichen Gesprächszwecke) nötig.

(ii) Mache deinen Gesprächsbeitrag nicht informativer als nötig.

3. Die Maxime der Relation

(i) Mache deine Gesprächsbeiträge relevant.

4. Die Maxime der Modalität

Sei verständlich – genauer:

(i) Vermeide Unklarheit im Ausdruck.

(ii) Vermeide Mehrdeutigkeit.

(iii) Fasse dich kurz.

(iv) Sei methodisch (Beachte die Reihenfolge).

(Levinson 2000:112)[6]

Wenn man jedoch Gespräche beobachtet, wird schnell deutlich, dass sich die Sprecher nicht immer an diese Regeln halten. Nach Grice werden sie jedoch nur scheinbar verletzt. Das folgende Beispiel soll dies verdeutlichen.

Beispiel 2 (Levinson 2000:118):

A: Kannst du mir sagen, wie spät es ist?

B: Nun, der Milchmann war da.

Sprecher B verhält sich hier nur scheinbar unkooperativ. Wenn man davon ausgeht, dass der Gesprächsbeitrag von B relevant für die Beantwortung der Frage von A ist, so lässt sich durch einen Schlussprozess[7] diese Relevanz herstellen und die Implikatur ableiten.

Sprecher A kann nun zum einen folgern, dass Sprecher B die genaue Uhrzeit nicht weiß, da er sie ihm sonst genannt hätte. Zum anderen kann er, wenn er weiß, wann der Milchmann für gewöhnlich kommt, daraus schließen, dass es später ist, als zu der Zeit, zu welcher der Milchmann üblicherweise kommt. Somit ist die Relevanz der Aussage von B durch den Schlussprozess hergestellt. Die Implikatur in diesem Beispiel entsteht demnach durch die Befolgung der Relevanzmaxime. Ebenso können Implikaturen durch eine scheinbare Missachtung bzw. Verletzung anderer Maximen entstehen.

Beispiel 3 (Meibauer 2001:27):

A: Der Fritz hat die alle total abgezockt!

B: Geschäft ist Geschäft.

+>[8] Das ist zwar nicht richtig, aber so ist das nun mal im Geschäftsleben.

Die Implikatur entsteht hier durch die scheinbare Verletzung der ersten Quantitätsmaxime (Mache deinen Gesprächsbeitrag so informativ wie nötig). B entgegnet mit einer Tautologie; da diese in jeder Situation wahr sind, sind sie relativ uninformativ, „da man ja weiß, dass jedes Ding mit sich selbst identisch ist“ (Meibauer 2001:27). Da Sprecher A jedoch davon ausgehen kann, dass Sprecher B kooperativ ist, muss sich hinter der Tautologie eine Zusatzinformation verbergen. Folglich ist A angehalten, einen Schlussprozess zu vollziehen, um somit die Implikatur bzw. die eigentliche Information zu ermitteln.

Auch die Ironie kann nach Grice durch die Verletzung einer Maxime, der Qualitätsmaxime, erkannt werden. In diesem Zusammenhang ist aber noch ein weiterer Aspekt von Bedeutung, weshalb zunächst der Unterschied zwischen partikulären und generellen Implikaturen geklärt werden soll, um die Ironie als Implikatur im Ganzen (siehe Kapitel 3.1.3) erfassen zu können.

3.1.2 Generelle und partikuläre Implikaturen

Grice unterscheidet zwei Arten von konversationellen Implikaturen: generelle und partikuläre.

Generelle Implikaturen entstehen, ohne dass ein bestimmter Kontext erforderlich ist, im Gegensatz dazu, können partikuläre Implikaturen nur in einem Kontext verstanden werden.

Beispiel 4 (Meibauer 2001:33):

Ich habe Herrn Schmitz mit einer Frau getroffen.

+> Es war nicht seine Frau.

Die Implikatur eine Frau aber nicht seine Frau wird hier ohne Kontext verstanden, sie wird durch den unbestimmten Artikel ausgelöst. Nach Grice´ Maxime der Quantität (Mache deinen Beitrag so informativ wie nötig, aber nicht informativer als nötig!) nimmt der Hörer an, dass der Sprecher seine Frau gesagt hätte, wenn er die Ehefrau getroffen hätte. Dies soll mit der Theorie der skalaren Implikaturen erklärt werden. Unbestimmte und bestimmte Artikel lassen sich auf einer Skala anordnen, die den Informativitätsgrad anzeigt. Wenn ein Sprecher behauptet, es gelte ein niedrigerer oder schwächerer Punkt der Skala, so implikatiert er, dass ein höherer oder stärkerer Punkt nicht gilt (vgl. Levinson 2000:145). Obwohl in diesem Beispiel der Kontext nicht von Bedeutung ist, handelt es sich hier um eine konversationelle generelle Implikatur, da sie tilgbar[9] ist:

Beispiel 5 (Meibauer 2001:33):

Ich habe Herrn Schulze mit einer Frau gesehen, ich glaube, es war seine Frau.

Partikuläre Implikaturen entstehen nur, wenn sie in einem bestimmten Kontext stehen.

Beispiel 6 (Levinson 2000:138):

A: Was um alles in der Welt ist mit dem Braten passiert?

B: Der Hund sieht sehr glücklich aus.

+> Der Hund hat den Braten gefressen.

Die Implikatur wird nur in dem Kontext ausgelöst, den Sprecher A hier vorgibt, denn lediglich die Situation, dass der Braten weg ist, lässt die Implikatur (der Hund hat den Braten gefressen) entstehen. Alle Implikaturen, die auf der Befolgung der Maxime der Relevanz beruhen, sind partikulär, da Äußerungen nur in Bezug auf eine bestimmte Situation hin relevant sein können. Bezogen auf das Beispiel bedeutet das: Nur wenn A davon ausgeht, dass die Äußerung von B relevant ist, lässt sie sich als Beantwortung seiner Frage interpretieren.

Im nächsten Abschnitt soll geklärt werden, wie sich die Ironie in diesen Fällen verhält, d.h. ob sie auf einer Befolgung oder Missachtung einer bestimmten Maxime beruht bzw. einen bestimmten Kontext benötigt oder nicht. Lässt sich die Ironie in das Konzept von Grice einfügen?

3.1.3 Ironie als konversationelle partikuläre Implikatur

Grice zufolge entsteht Ironie durch die Verletzung der Qualitätsmaxime, deshalb kann sie durch die Theorie der Implikaturen dekodiert und erschlossen werden. Dies soll am folgenden Beispiel belegt werden.

Beispiel 7 (Levinson 2000:121):

A: Teheran liegt in der Türkei, Herr Lehrer.

B: Und London liegt in Armenien, stimmt´s?

Der Lehrer (Sprecher B) reagiert auf die Antwort des Schülers (Sprecher A) mit einer rhetorischen Frage, die inhaltlich falsch ist. Der Lehrer spricht demnach offensichtlich die Unwahrheit. Er verletzt die Maxime der Qualität ganz bewusst, da man annehmen kann, dass ein Lehrer weiß, dass London nicht in Armenien liegt. Dem Schüler ist dies ebenso klar und er erkennt die Antwort des Lehrers als ironisch, da er annimmt, dass der Lehrer kooperativ ist und relevant antwortet. Die Antwort übermittelt deshalb ein ‚Nein’, also das Gegenteil dessen, was von Sprecher A erwartet wurde. Folglich entsteht Ironie durch die scheinbare Verletzung der Qualitätsmaxime, denn wörtlich betrachtet, sagt der ironische Sprecher die Unwahrheit (vgl. Meibauer 2001:28).

Das nächste Beispiel soll nun den partikulären Charakter der Ironie verdeutlichen.

Beispiel 8 (Grice 1975:53):

Kontext: X, der A sehr nahe stand, hat ein Geschäftsgeheimnis an B verraten. Dies ist A und seinem Zuhörer bekannt. In diesem Zusammenhang äußert sich A so:

A: X is a fine friend.

Die Aussage von Sprecher A ist hier natürlich ironisch gemeint und da dem Zuhörer der Verrat bekannt ist, wird er diese auch so verstehen. Da man, was in diesem Beispiel ganz deutlich wird, ein bestimmtes Hintergrund-wissen benötigt, um die Inferenz zu erkennen und um die wörtliche Interpretation auszuschalten, scheint die Ironie eine konversationelle partikuläre Implikatur zu sein.

Der Hörer darf demnach annehmen, dass auf der Ebene des Gesagten zwar die Maxime verletzt ist, dies aber nicht für die Ebene des Implikatierten gilt (vgl. Rolf 1994:113).

Jedoch ist in diesem Beispiel (obwohl es von Grice selbst stammt) fraglich, ob hier noch eine Implikatur im grice´schen Sinne vorliegt, da diese von vielen Sprechern schon als konventionalisiert angesehen wird und demzufolge nicht durch einen Schlussprozess ermittelt werden muss.[10]

Grice gibt in seiner Theorie zwar an, wie ein Hörer eine ironische Äußerung ermittelt und sie durch einen Schlussprozess dekodiert, er zeigt jedoch nicht auf, was genau mit einer ironischen Äußerung gemeint wird, denn das Gemeinte ist nicht immer genau das Gegenteil des Gesagten. »X ist ein feiner Freund«, kann nicht nur ironisch gebraucht werden für »X ist kein feiner Freund« (aber nun mal mein Freund), sondern ebenso im Sinne von »X ist gar kein Freund«. „Grice selber gibt kein präzises Kriterium dafür an, was als ‚most obviously related proposition’ zählen soll“ (Lapp 1992:72).

Zudem macht er keine Angaben zur Motivation bzw. zur Verwendung von Ironie in Gesprächen.

3.2 Ironie als Sprechakt

Neben der Implikaturtheorie von Grice hat sich ein weiteres Teilgebiet der Pragmatik mit der Ironie beschäftigt. In diesem Kapitel soll herausgestellt werden, ob die Sprechakttheorie das Phänomen Ironie hinreichend erklären kann.

John L. Austin[11] wird als Begründer der Sprechakttheorie angesehen. Er stellt fest, dass es in der Alltagssprache einige Deklarativsätze gibt, die „offenbar keineswegs geäußert werden, um wahre oder falsche Aussagen zu machen“ (Levinson 2000:249).

Beispiel 9 (Levinson 2000:249):

- Ich entschuldige mich.

- Ich gebe dir mein Wort.

Mit Sätzen wie diesen wird nicht nur etwas gesagt, sondern auch etwas getan (vgl. Austin 1972:110), denn nach dem Äußern dieser Sätze verändert sich etwas in der Welt. John R. Searle[12] führt diese Theorie weiter aus und konstatiert als wesentliches Merkmal von Äußerungen, dass diese als Handlungen zu verstehen sind. Die wesentlichen Kennzeichen einer Handlung sind folgende (vgl. Meibauer 2001:85):

- Durch das Ausführen der Handlung verändert sich etwas in der Welt;
- die Veränderung muss auf das Eingreifen des Handelnden zurückzuführen sein;
- Handlungen müssen intentional sein

Die Sprechakttheorie untersucht demnach „die Relation zwischen einer Äußerung und einem sprachlichen Handlungstyp (Sprechakttyp) in einer Äußerungssituation“ (Meibauer 2001:85).

Nach Austin/Searle besteht jeder Sprechakt aus Teilakten:[13]

- Äußerungsakt: Äußerung von Wörtern, Sätzen (S[14] sagt etwas)

- Propositionaler Akt: Äußerung eines Satzes mit einem bestimmten Sinn und einer bestimmten Bedeutung (S sagt etwas mit einer bestimmten Bedeutung)

- Illokutionärer Akt: das Behaupten, Fragen, Befehlen, Ver-sprechen usw. mit dem Äußern eines Satzes (S sagt etwas mit einer bestimmten Bedeutung in einer bestimmten Art)

- Perlokutionärer Akt: das Erzeugen von Wirkungen durch den Sprecher auf die Hörer (S sagt etwas mit einer bestimmten Bedeutung in einer bestimmten Art und erzielt damit eine Wirkung bei H)

Nach dieser theoretischen Einführung soll nun geklärt werden, ob die ironische Äußerung ein Speech Act nach Austin/Searle ist. Austin selbst schließt die Ironie sowie andere Arten nicht-wörtlichen Sprechens noch von seinen Untersuchungen aus, da diese nicht mit seiner Theorie in Einklang zu bringen ist. Searle betrachtet sie später nur am Rande, da sie ein Spezialfall des allgemeinen Problems darstellen (vgl. Lapp 1992:88f.).

Rosengren (1986:41) versucht das Phänomen der Ironie in einem sprechakttheoretischen Rahmen zu erklären. Sie stellt fest:

„Offensichtlich kann man die kommunikative Funktion nicht aus der Semantik und der Syntax der Sätze ableiten, die dazu verwendet werden, um die ironisch gemeinte Sprachhandlung zu realisieren. [...] Durch die Ironie wird kommunikativ gehandelt, wird in die Beziehung zwischen Menschen eingegriffen.“

Ironische Äußerungen als Handlungen zu verstehen, die Auswirkungen auf die Welt haben (perlokutionärer Akt), entspricht dem sprechakt-theoretischen Ansatz von Austin und Searle. Trotzdem kann eine ironische Äußerung kein Sprechakt im eigentlichen Sinn sein, d.h. kein illokutionärer Akt wie Behauptungen, Fragen, Aufforderungen usw., denn man kann Ironie durch verschiedene Sprechhandlungstypen realisieren

Beispiel 10 (Rosengren 1986:47):

- Spann doch mal aus! (wenn jemand den ganzen Tag nichts getan hat)
- Verschütte die Suppe diesmal sofort, dann sparst du dir die Schritte zum Tisch. (wenn jemand immer wieder etwas verschüttet)
- Ist das nicht aufregend? (wenn etwas langweilig ist)

Somit können zwar verschiedene ironisch gemeinte illokutionäre Akte geäußert, die Ironie aber nicht als eigener Sprechakttyp bezeichnen werden, da „ironische Äußerungen von der ‚normalen’ Verwendung eines Äußerungstyps [...] zu unterscheiden sind“ (Lapp 1992a:91). Die Ironie scheint auf einer anderen Ebene zu liegen.

3.2.1 Ironie als indirekter Sprechakt

Da ein Sprecher mit einer ironischen Äußerung etwas anderes meint als er direkt sagt, ist u.a. von Rosengren (1986) versucht worden, die Ironie als einen indirekten Sprechakt zu charakterisieren. Zunächst soll die Theorie der indirekten Sprechakte erläutert werden.

In seinem Aufsatz Indirect Speech Acts (1975) stellt Searle dar, dass Sprechhandlungen auch indirekt geäußert werden können.

Beispiel 11 (Searle 1975:61):

Student X: Let´s go to the movies tonight.

Student Y: I have to study for my exam.

Y äußert hier nicht nur eine Feststellung, sondern lehnt gleichzeitig den Vorschlag von X ab. Somit werden zwei illokutionäre Akte in einer Äußerung vollzogen. Die wörtliche Illokution nennt Searle secondary, die gemeinte bzw. intendierte Illokution primary illocutionary act (vgl. Searle 1975:62). Um diesen bzw. die Inferenz zu erschließen, schlägt er zehn Schritte vor.[15]

Searle begrenzt sein Indirektheitskonzept explizit auf Fälle, bei denen eine Äußerung zusätzlich eine weitere, die eigentlich intendierte Handlung, beinhaltet und somit beide Handlungen ausgeführt werden. Überall dort, wo zudem Propositionen verändert werden, verweist er auf Grice´ Konzept der konversationellen Implikatur (vgl. Hartung 1998:37). Dabei hat die Implikaturtheorie mit der Sprechakttheorie nichts zu tun, Searle selbst erklärt sie sogar als unzulänglich (vgl. Hartung 1998:37).

Eine indirekte Sprechhandlung kommt durch die Umfunktionierung bzw. die Uminterpretation des illokutionären Aktes zustande. Ist nun aber die Ironie respektive eine ironische Äußerung ein indirekter Sprechakt?

Da man mit einer ironischen Äußerung etwas anderes meint als man sagt, der Hörer demnach eine Uminterpretation leisten muss, um das Intendierte zu verstehen, liegt es auf den ersten Blick nahe, diese Frage mit „ja“ zu beantworten. Das nächste Beispiel soll dies jedoch widerlegen.

Beispiel 12 (Rosengren 1986:51):

P2 fährt P1 im Lauf eines Gesprächs an, daraufhin P1 zu P3:

„Ist sie nicht ein sanfter Engel?“

Wie dieses Beispiel zeigt, muss der Hörer eine Uminterpretation der Proposition leisten, um die Frage zu verstehen. Es wird jedoch nicht der illokutionäre Akt umfunktioniert, denn es handelt sich immer noch um eine Frage, wenn auch wohl um eine rhetorische. Deshalb kann man sagen, dass diese Frage zwar ironisch gemeint ist, hier aber kein indirekter Sprechakt nach Searle vorliegt.

Da sich in Beispiel 11 gezeigt hat, dass es indirekte Sprechakte gibt, die nicht ironisch sind, kann man zusammenfassend schlussfolgern, dass nicht alle (indirekten) Sprechakte per se immer ironisch sind und nicht alle ironischen Äußerungen durch indirekte Sprechakte vollzogen werden. Es finden sich jedoch auch Beispiele wie das folgende, welches zeigt, dass es Äußerungen gibt, die ironisch sind und zugleich durch einen indirekten Sprechakt vollzogen werden.

Beispiel 13 (Lapp 1992a:96):

Ich stelle fest, dass die Beteiligung im Seminar heute mal wieder umwerfend ist.

Es zeigt sich hier eine ironische Äußerung: „die Beteiligung im Seminar war heute wieder mal umwerfend“ (die Beteiligung war schlecht). Diese wird durch eine indirekte Sprechhandlung: „Ich stelle fest“ (ich fordere euch auf, es besser zu machen) geäußert. Es ändert sich demnach zum einen der illokutionäre Akt und zum anderen die Proposition.

Somit kann das Phänomen Ironie teilweise, aber nicht hinreichend durch einen indirekten Sprechakt geklärt werden.

3.2.2 Ironie als uneigentlicher Sprechakt

Norbert Groeben und Brigitte Scheele brachten 1984 im Rahmen eines DfG-Forschungsprojektes einen Band zum Thema Produktion und Rezeption von Ironie heraus, welche die psychischen Gebrauchsbedingun-gen von Ironie ermitteln sollte. Sie stellen ihren empirischen Untersuchungen einen linguistischen Hypotheserahmen voran, in dem sie Ironie als uneigentliches Sprechen[16] definieren.

Da Ironie nicht ausschließlich als indirekter Sprechakt angesehen werden kann, sie jedoch auch nicht direkt ist, schlagen Groeben/Scheele zur Lösung des Problems eine Trennung der Begriffsbestimmungen ‚indirekt’ und ‚uneigentlich’ vor. Wie im vorherigen Kapitel beschrieben und in Beispiel 13 verdeutlicht, gibt es ironische Äußerungen, die durch die Umfunktionierung des illokutionären Sprechaktes erschlossen werden. So können Sprecher z.B. tadeln durch ironisches loben (1) oder ablehnen durch ironisches propagieren (2):[17]

Beispiel 14 (Groeben/Scheele 1984:36f.):

(1) Ein Lehrer ruft einen Schüler auf, der trotz Ermahnung weiter‚geschwätzt’ hat, und fragt ihn etwas zu dem gerade Vorgetragenen; der Schüler mit ratlosem Gesicht: „Ja ähh...“, der Lehrer: „Bis hierhin schon ganz richtig“.

(2) Bundeskanzler Schmidt ist der Meinung, dass Studenten zu lange studieren und dieses noch auf Kosten der Steuerzahler. (...) Es kommt der Vorschlag Arbeitnehmer mit 55 Jahren in Rente zu schicken, um die Beschäftigungsprobleme zu lösen. Der Bundeskanzler sagt darauf: „Ich finde das hervorragend! Das führt unmittelbar vom Bafög in die Rente“.

Es wurde auch deutlich (Beispiel 12), dass Ironie nicht immer durch die Umfunktionierung des illokutionären Sprechakts dekodiert werden kann. Die Autoren sind daher der Meinung, dass bei der Ironieverwendung immer eine Dissoziation auf propositionaler Ebene (uneigentlich) und zusätzlich in einzelnen Fällen auf illokutionärer Ebene (indirekt) entsteht.

[...]


[1] Im Original bei Aristophanes, hier zitiert nach Lapp (1992a:18).

[2] Eiron meint hier die Person, die sich ironisch äußert.

[3] griech. allo agoreuein: etwas anders sagen (Fricke/Zymner 1996:49).

[4] Um einen aussagekräftigen Vergleich der Stilformen bzw. ihre Unterscheidung zu gewährleisten, stammen alle Stichworte aus dem Duden: Das große Wörterbuch der deutschen Sprache in 10 Bänden (1999).

[5] Im englischen Original von Grice (1975:47).

[6] Ausführlichere Beschreibungen und Erklärungen der Konversationsmaximen und des Kooperationsprinzips finden sich z.B. in Meibauer (2002:214ff.).

[7] Ein ausführlicher Schlussprozess bzw. ein allgemeines Muster für das Erschließen einer Implikatur findet sich z.B. in Levinson (2000:124).

[8] +> bedeutet: implikatiert konversationell.

[9] Meibauer verwendet den Begriff streichbar, näheres zu den Implikaturtests siehe Meibauer (2001:31f.) oder auch Davis (1998:7ff).

[10] Ausführlicher wird dieses Problem bei Auer (1999:97f.) und Rolf (1994:114ff.) erläutert.

[11] Mit seinem Werk „How to do things with words“ (1962) oder in deutscher Übersetzung „Zur Theorie der Sprechakte“ (1972).

[12] Mit seinem Werk „Speech Acts. An essay in Language Philosophy“ (1969) oder in deutscher Übersetzung „Sprechakte“ (1974).

[13] vgl. hierzu: Austin (1972:11ff.); Meibauer (2001:86f.); Levinson (2000:258); Maas/ Wunderlich (1974:118ff.).

[14] S bezeichnet den Sprecher, H den Hörer.

[15] Der Schlussprozess gilt nur für nicht-konventionalisierte indirekte Sprechakte. Jedoch soll dies hier nur am Rande erwähnt sein. Ausführlicher ist dies in Searle (1975:63) oder Meibauer (2001:102) erläutert.

[16] Berg (1978) schließt sich dieser Begriffsdefinition an.

[17] Dies ist nur eine Auswahl dessen, was Groeben/Scheele an oppositionellen Sprechakttypen anführen. Siehe hierzu: Groeben/Scheele (1984:33ff.).

Ende der Leseprobe aus 84 Seiten

Details

Titel
Ironie in verschiedenen Textsorten
Hochschule
Bergische Universität Wuppertal
Note
1,7
Autor
Jahr
2006
Seiten
84
Katalognummer
V67079
ISBN (eBook)
9783638585255
ISBN (Buch)
9783638802666
Dateigröße
1778 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Ironie, Textsorten
Arbeit zitieren
Ellen Becker (Autor:in), 2006, Ironie in verschiedenen Textsorten, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/67079

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