Authentizität im Fremdsprachenunterricht


Term Paper (Advanced seminar), 2002

21 Pages, Grade: 1


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Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Authentizität des Textes
2.1 Originaltexte
2.2 Editierte Originaltexte
2.3 Didaktische Texte

3. Authentizität als Bezug zur Lebenswirklichkeit
3.1 Materialien und Aufgaben
3.2 Lehrer-/Lernersprache

4. Authentizität der Person

5. Fazit

6. Bibliographie

1. Einleitung:

Das hessische Kultusministerium fordert in seinem Rahmenplan Neue Sprachen, Sekundarstufe I, dass fremdsprachlicher Unterricht „authentische Einblicke in die Lebenswirklichkeit anderer Sprachräume geben”[1] und sich somit an „authentischen Verwendungszusammenhängen”[2] orientieren soll. Daher sollen im Fremdsprachenunterricht möglichst viele authentische Materialien verwendet werden. Was bedeutet jedoch 'authentisch'? Was versteht man unter 'Authentizität'? Konsultiert man den Duden, so findet man folgende Erklärung für den Begriff 'authentisch': 'im Wortlaut verbürgt', 'echt'[3]. Für 'Authentizität' schlägt der Duden folgende Definitionen vor: 'Echtheit', 'Rechtsgültigkeit'[4]. In englischen Wörterbüchern, wie dem Concise Oxford Dictionary, wird der Begriff 'authentic' mit 'undisputed origin or veracity' und 'genuine'[5] beschrieben.

Die Begriffe 'authentisch' und 'Authentizität' werden im Zusammenhang mit Fremdsprachenunterricht sehr häufig gebraucht, doch jeder Verfasser eines auf dieses Thema bezogenen Textes misst diesen Begriffen eine andere Bedeutung zu. Deshalb soll in dieser Arbeit versucht werden, das Spektrum an Bedeutungen und Lesarten des Authentizitätsbegriffes zu erfassen und seine verschiedenen Aspekte aufzuzeigen. Die Diskussion um den Authentizitätsbegriff bewegt sich hauptsächlich um drei Problemfelder - „Authentizität des Textes”, „Authentizität als Bezug auf die Lebenswirklichkeit” und „Authentizität der Person”. Daher soll versucht werden, die verschiedenen Lesarten von 'Authentizität' und 'authentisch' in diese drei Kategorien einzuordnen und ein abgerundetes Bild davon zu erstellen, was 'Authentizität' im Kontext von Fremdsprachenunterricht bezeichnet.

2. Authentizität des Textes:

Die erste Frage, die sich im Zusammenhang mit der Authentizität des Textes stellt, ist: Warum sollen überhaupt authentische Texte im Fremdsprachenunterricht verwendet werden? Wie Erich Germer sind viele Autoren, die sich mit dem Thema 'Authentizität' beschäftigt haben, der Meinung, dass mit Hilfe von authentischen Texten „die Bewältigung von real-life situations beim Gebrauch der Fremdsprache geübt werden kann und [...] sie außerdem in hohem Maße motivierend wirken”[6]. Authentische Text sollen auf „Lebenssituationen vorbereiten, in denen [...] Texte verschiedener Sorte verstanden werden müssen”[7]. Außerdem stellen authentische Texte, laut Edelhoff, „Selbstzeugnisse einer Gesellschaft”[8] dar und vermitteln folglich auch landeskundliche Informationen. Es gibt allerdings auch einige wenige Stimmen, die einer Verwendung von authentischen Texten im Fremdsprachenunterricht kritisch gegenüber stehen. Sie sehen eine Gefahr darin, dass „die Häufung von lexikalisch-idiomatischen und grammatischen Erklärungen bei der Erarbeitung von vielen authentischen Texten und die Verarbeitung von darin enthaltenem disparatem sprachlichem Lernstoff[...] Verunsicherung beim Kursteilnehmer auslösen und ihm das Gefühl vermitteln [kann], dass er noch weit von der angestrebten Kommunikationsfähigkeit entfernt ist”[9].

Als nächstes stellt sich die Frage, welche Texte das Prädikat 'authentisch' erhalten sollen. Für Thomas Fritz ist ein Text dann authentisch, wenn er nicht für den Unterricht, sondern für das echte Leben geschrieben worden ist, er eine reale Kommunikationsabsicht verfolgt und exemplarisch Prinzipien liefert[10]. Edelhoff dagegen schreibt authentischen Texten fünf feste Merkmale zu, die immer wiederkehren: „die äußere Gestalt, das Medium [...], die sprachliche Einkleidung (Kode, Register), die Adressaten [...] [und] den Zweck der Mitteilung”[11]. Andere wiederum, so zum Beispiel Werner Beile, bezeichnen einen Text als authentisch, wenn „die Sprache authentisch kling[t] [...] [, wenn also ein] native speaker sie für authentisch halten könnte”[12]. Dürfen demnach nur Originaltexte als 'authentisch' bezeichnet werden? Oder können editierte Originaltexte und didaktische Texte auch als 'authentisch' gelten? Diese Fragen sollen im folgenden behandelt werden.

2.1 Originaltexte:

Als Originaltexte werden solche Texte angesehen, die von Muttersprachlern für Muttersprachler verfasst worden sind, also Zeitungsartikel, Gedichte, Romane, Radio- bzw. Fernsehsendungen, Flugblätter, Programme, etc. Die Notwendigkeit, Originaltexte im Fremdsprachenunterricht zu lesen, wird von niemandem bestritten, genauso wenig wie die Tatsache, dass Originaltexte als authentisch angesehen werden können. Lediglich die Begründungen variieren. So sollen Originaltexte laut Diane Davies im Zuge des Fremdsprachenunterrichts genutzt werden, da sie „a rich source of information about the language in use at a given moment and in a particular context of situation: about register, stylistic choices [...] and [...] about attitudes to English usage”[13] darstellen. Außerdem vermitteln Originaltexte Erkenntnisse zu verschiedenen Sprachvarianten, Genres und Literaturperioden[14]. Pye sieht den Vorteil von Originaltexten im Fremdsprachenunterricht darin, dass sie „the look, the feel and the sound of life in another place and another culture”[15] dokumentieren und somit als stark motivierend angesehen werden können. Für Pye spielen auch landeskundliche Erkenntnisse eine wichtige Rolle. Edelhoff fordert die Verwendung von authentischen Texten im Fremdsprachenunterricht, „damit sich die Repräsentation der Fremdsprache in der Schule [und die] Fremdsprachenbegegnung- bzw. -anwendung im Leben möglichst

annähern”[16]. Krashen sieht die Lektüre von Originaltexten als Mittel zum Spracherwerb an - dabei sollen im Anfangsunterricht leichtere, später schwerere Texte gelesen werden. Sein Hauptkriterium zur Auswahl der adäquaten Lektüre lautet folgendermaßen: „[t]exts are appropriate if they are interesting and comprehensible”[17].

Doch können editierte Originaltexte nicht auch alle diese Forderungen erfüllen?

2.2 Editierte Originaltexte:

David Birt beschäftigt sich eingehend mit der Frage, bis zu welchem Grad ein Text vereinfacht oder zusammengefasst werden kann, ohne an Authentizität zu verlieren. Um diese Frage zu beantworten, unterscheidet Birt zwischen Stil und Inhalt. Ist das Hauptelement eines Textes sein Inhalt, wie es in Geschichtstexten beispielsweise der Fall ist, so ist für Birt eine Vereinfachung akzeptabel[18], wenn dadurch der Inhalt des Textes einem breiteren Publikum zugänglich gemacht wird. Ist jedoch der Stil das wichtigste Element eines Textes, wie bei allen literarischen Texten, so wäre „any attempt at simplification [...] a disaster”[19] - lediglich eine Übersetzung oder ernsthafte Reproduktion ist für Birt annehmbar. Birt ist also der Meinung, dass ausschließlich editierte Texte, deren Schwerpunkt ihr Inhalt darstellt, als authentisch angesehen werden können. Leslie A. Hill argumentiert ähnlich: Die gekürzte Version eines Romans oder einer Erzählung spiegelt nur dann ein authentisches Bild des Textes wider, wenn „[m]ost of the impact of the original [...] [lies] in the story line”[20]. Wirkt der Originaltext aber allein aufgrund seiner „beauty of language [and] the magic of atmosphere”[21], so scheint eine Simplifizierung unmöglich. O'Neill weist darauf hin, dass „all language is edited and modified in some way for the people for whom it is intended”[22]. Dies hätte zur Folge, dass jeglicher authentische Text editiert wäre und es den authentischen Text in Reinform nicht gäbe. Oder anders gesagt, jeder Text wäre authentisch. Mugglestone schließt daraus, dass es nicht darum geht, ob ein Text authentisch ist oder nicht, sondern um folgendes „ how natural is the language? How appropriate is it? Is it acceptable? Is the message clear?”[23]. Germer geht sogar so weit, „verschiedene Grade der Nicht-Authentizität”[24] zu unterscheiden - die gekürzte oder simplifizierte Version eines Originaltextes bezeichnet er als „semi-authentisch”[25]. Gegen eine Abstufung von Authentizitätsgraden spricht sich Beile vehement aus: „Verschiedene Grade von Authentizität kann es nicht geben”[26], da es auch kein fast authentisches Portrait geben kann. Beile kommt zu dem Schluss, dass sich ein Text nicht aufgrund seiner Authentizität für den Fremdsprachenunterricht eignet, sondern die Frage der Akzeptabilität eine viel wichtigere Rolle spielt. Wenn also ein vereinfachter Text von einem Muttersprachler als akzeptabel eingestuft wird, so eignet er sich für die Verwendung im Fremdsprachenunterricht. Barnaby setzt sich mit einem anderen Aspekt der Authentizität von editierten Texten auseinander: „Does a thing become non-authentic when it is used for a purpose for which it was not originally intended?”[27] Barnaby argumentiert, dass der Wert eines Textes in dem Text selbst und nicht in seiner Herkunft liegt: „If the given text, whether it be original, edited or completely re-written, can stand outside the lesson as a cohesive verbal structure in its own right, then it is an authentic text”[28]. Es geht also nicht länger um die Herkunft eines Textes, sondern um dessen Eigenständigkeit. Barnabys These enthält Ansätze, die Widdowsons Konzept der Authentisierung widerspiegeln. Authentisierung orientiert sich nicht an den Eigenschaften und Merkmalen des Textes, sondern ist das Ergebnis eines Bewertungsprozesses von seiten des Lerners bzw. Lehrers.[29] Sehen die Lerner einen Text, der nicht von einem Muttersprachler für Muttersprachler geschrieben worden ist, trotzdem als authentisch an, so authentisieren sie den Text. Pye vertritt einen ähnlichen Standpunkt: „Our feelings in the presence of authentic dinosaur bones are different to our feelings in the presence of a replica. But if we think the skeleton is real, although actually it is not, our feelings are no less genuine. Do our feelings validate, or even authenticate the skeleton in any way?”[30] Es stellt sich nun die Frage, ob didaktische Texte, die speziell für den Gebrauch im Unterricht geschrieben worden sind, auch authentisiert werden können? Inwieweit sind didaktische Texte überhaupt authentisch?

[...]


[1] Hessisches Kultusministerium (Hrsg.): Rahmenplan Neue Sprachen, Sekundarstufe I, Frankfurt: Diesterweg 1996¹, S. 5.

[2] A.a.O., S. 6.

[3] Vgl. 22. Auflage des Dudens.

[4] Vgl. ebenda.

[5] Vgl. The Concise Oxford Dictionary, hrsg. v. Judy Pearsall, 10. überarbeitete Auflage, New York 2001.

[6] Germer, Erich, Probleme der Authentizität im Englischunterricht, in: ENGLISCH. Eine Zeitschrift für den Englischlehrer, 16. Jahrgang 1981, Heft 4, S. 138.

[7] Edelhoff, Christoph, Authentizität im Fremdsprachenunterricht: Landeskunde - Texte - Lernende, in: Zielsprache Deutsch, 27. Jahrgang 1986, S. 27.

[8] A.a.O., S. 39.

[9] Hohmann, Heinz-Otto, Authentische Texte beim Spracherwerb - Reiz und Risiko, in: Zielsprache Englisch. Zeitschrift für den Englischunterricht in der Erwachsenenbildung, 26. Jahrgang 1996, Heft 3, S. 8.

[10] Vgl. Fritz, Thomas, Authenticity RULES OK, in: Zielsprache Englisch. Zeitschrift für den Englischunterricht in der Erwachsenenbildung, 27. Jahrgang 1997, Heft 1, S. 13.

[11] Edelhoff, Christoph, Authentizität im Fremdsprachenunterricht: Landeskunde - Texte - Lernende, S. 29.

[12] Beile, Werner, Authentizität aus anderer Sicht, in: Der Fremdsprachenunterricht, Heft 5, 198?, S. 61.

[13] Davies, Diane, Teaching learners about the language, in: Zielsprache Englisch. Zeitschrift für den Englischunterricht in der Erwachsenenbildung, 27. Jahrgang 1997, Heft 1, S. 8.

[14] Vgl. A.a.O., S. 9.

[15] Pye, Bruce, Dinosaurs, awe-thenticity and EFL, in: Zielsprache Englisch. Zeitschrift für den Englischunterricht in der Erwachsenenbildung, 26. Jahrgang 1996, Heft 2, S. 29.

[16] Edelhoff, Christoph, Authentizität im Fremdsprachenunterricht, in: Christoph Edelhoff (Hrsg.), Authentische Texte im Deutschunterricht. Einführung und Unterrichtsmodelle,1. Auflage, München: Hueber, 1985, S. 7.

[17] Krashen, Stephen D., Not pedagogical or authentic, but interesting and comprehensible, in: Zielsprache Englisch. Zeitschrift für den Englischunterricht in der Erwachsenenbildung, 26. Jahrgang 1996, Heft 2, S. 22.

[18] Vgl. Birt, David, Authentic - content or style?, in: Zielsprache Englisch. Zeitschrift für den Englischunterricht in der Erwachsenenbildung, 26. Jahrgang 1996, Heft 4, S. 10.

[19] Ebenda.

[20] Hill, Leslie A., Authenticity in Simplified Texts, in: Zielsprache Englisch. Zeitschrift für den Englischunterricht in der Erwachsenenbildung, 26. Jahrgang 1996, Heft 2, S. 19.

[21] Ebenda.

[22] O'Neill, Robert, 'Strangers in Venice' or 'What is authentic English ?', in: Zielsprache Englisch. Zeitschrift für den Englischunterricht in der Erwachsenenbildung, 26. Jahrgang 1996, Heft 2, S. 27.

[23] Mugglestone, Patricia, There is nothing sacred about authentic materials, in: Zielsprache Englisch. Zeitschrift für den Englischunterricht in der Erwachsenenbildung, 26. Jahrgang 1996, Heft 3, S. 10.

[24] Germer, Erich, Probleme der Authentizität im Englischunterricht, S. 135.

[25] Ebenda.

[26] Beile, Werner, Authentizität aus anderer Sicht, S. 61.

[27] Barnaby, David, Authentic? It's a genuine repro, in: Zielsprache Englisch. Zeitschrift für den Englischunterricht in der Erwachsenenbildung, 26. Jahrgang 1996, Heft 4, S. 1.

[28] A.a.O., S. 2.

[29] Vgl. Widdowson , Henry G., Teaching language as communication, Oxford: Oxford University Press, 1979, S. 80.

[30] Pye, Bruce, Dinosaurs, awe-thenticity and EFL, S. 28.

Excerpt out of 21 pages

Details

Title
Authentizität im Fremdsprachenunterricht
College
University of Frankfurt (Main)  (Institut für England- und Amerikastudien)
Course
Seminar: Aufgaben und Handlungsanweisungen im Fremdsprachenunterricht
Grade
1
Author
Year
2002
Pages
21
Catalog Number
V6711
ISBN (eBook)
9783638142182
ISBN (Book)
9783656519416
File size
539 KB
Language
German
Keywords
Authentizität, Fremdsprachenunterricht, Seminar, Aufgaben, Handlungsanweisungen, Fremdsprachenunterricht
Quote paper
Julia Reichert (Author), 2002, Authentizität im Fremdsprachenunterricht, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/6711

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