Das Verhältnis der Geschlechter in der Passio Sanctuarum Perpetuae et Felicitatis


Hausarbeit (Hauptseminar), 2006

25 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Perpetua
2.1 Die Tochter
2.1.1 Der erste Besuch – Kapitel drei
2.1.2 Der zweite Besuch – Kapitel fünf
2.1.3 Der dritte und vierte Besuch – Kapitel sechs und neun
2.1.4 Perpetuas Mutter
2.2 Die Ehefrau und Mutter
2.3 Die Schwester
2.4 Die Katechumenin

3 Perpetua und Felicitas – Frauen in der Arena

4 Schlussbetrachtung

5 Bibliographie
5.1 Veröffentlichte Quellen
5.2 Sekundärliteratur
5.3 Zeitschriftenartikel

1 Einleitung

Die Passio Sanctarum Perpetuae et Felicitatis ist das einzige erhaltene Selbstzeugnis einer Frau des frühen Christentums. In Form eines Tagebuches schildert es auf sehr subjektive Weise die Geschehnisse, die sich in den Tagen vor dem siebten März im Jahre 203 nach Christus in einem karthagischen Gefängnis ereigneten. Die Verfasserin, Vibia Perpetua, hält in ihren Niederschriften ihr Erleben der Tage bis zu ihrem Tod durch Hinrichtung fest. Monique Alexandre beschreibt den Status des Tagebuches sehr treffend, wenn sie schreibt, dass es „[a]n der Seite all jener schweigenden Frauen […] hier eine Frau zu geben [scheint], die sich schriftlich äußert und eine seltene Stimme hören lässt.“[1] Weitere weibliche Selbstzeugnisse sind nach dem zweiten Jahrhundert nicht mehr bekannt, da seit dieser Zeit die Stellung der Frau in der Kirche an Bedeutung verlor, weibliche Theologinnen wurden zurückgedrängt. Dieser Tatsache verdankt Perpetuas Tagebuch seine Einzigartigkeit. Es gelangte unter anderem nur zu solcher Berühmtheit, weil weitere Schriftstücke seiner Art nicht existieren.

Des Weiteren ist die Passio, wie sie im Folgenden verkürzt genannt wird, eine der ersten christlichen Schriften, die in lateinischer Sprache verfasst ist und zu großen Teilen aus einer Ich-Erzählung besteht. Es gibt ebenfalls eine griechische Fassung, die aber aller Wahrscheinlichkeit nach eine Übersetzung des lateinischen Originals ist und erst einige Zeit später erschienen ist.[2]

Die Autorin der Ich-Erzählung ist Vibia Perpetua, deren Tagebuch von einem Erzählerbericht umrahmt ist. Der Erzähler ist unbekannt, wohlgleich es Spekulationen über seine Identität gibt. Weit verbreitet ist die Vermutung, dass Tertullian, der erste bedeutende Schriftsteller und Theologe des frühen Christentums, der Erzähler bzw. Redaktor gewesen sein könnte. Es existieren jedoch keine gesicherten Informationen zu dieser Person.

Perpetuas Tagebuch, das sich von Kapitel drei bis einschließlich Kapitel zehn erstreckt, wird von einem Prolog, einem Epilog und der Schilderung des Hinrichtungstages durch den Erzähler eingerahmt.

Ein weiterer Bestandteil der Passio ist die Vision des Saturus, eines Perpetua nahe stehenden Mitgefangenen, die direkt im Anschluss in den Kapiteln 11 bis 13 geschildert wird. Wie der Erzähler versichert, ist auch diese Vision von deren Empfänger handschriftlich zu Papier gebracht worden.

In Pro- und Epilog (Kapitel eins und 21.11) richtet sich der Erzähler an die frühchristliche Gemeinde, indem er die Bedeutung des vorliegenden Zeugnisses für den gemeinsamen Glauben hervorhebt. Diese vom Erzähler adressierte Gemeinschaft der gläubigen Christen Nordafrikas ist sehr wahrscheinlich auch die Zielgruppe, die Perpetua mit ihrer Niederschrift erreichen wollte. Die Passio hat zu gleichen Teilen eine stark theologisch erbauende Wirkung für jedermann und eine deutliche Botschaft an die Frauen dieser Kreise. Die Christinnen konnten sich mit Perpetuas Schicksal insofern identifizieren, als dass sie ähnliche Probleme und Konflikte mit ihrer Familie und Ehemännern erleben mussten. Das Tagebuch zeigte ihnen, wie sich eine Frau über all dies hinwegsetzte, um ihren Glauben zu leben und ihren Weg des Martyriums beschreiten zu können. Genau dieser Umgang einer Frau mit ihrer Familie, vor allem mit ihrem Vater, und allen anderen männlichen Autoritäten soll in der vorliegenden Arbeit untersucht werden. Wie gestaltet sich das für die römische Kaiserzeit typische Verhältnis der Geschlechter zueinander in der Passio Sanctarum Perpetuae et Felicitatis und welche Abweichungen sind in diesem konkreten Beispiel zu verzeichnen?

Diese Fragestellung wird sehr textnah unter Verwendung ergänzender Sekundärliteratur untersucht werden. Die zugrunde liegende Quelle ist die lateinische Fassung, die ich aus Peter Habermehls Monographie übernommen habe, sowie dessen Übersetzung ins Deutsche. Habermehl selbst hat die lateinische Fassung im Wesentlichen der Edition van Beeks aus dem Jahr 1936 entnommen. Die Werke der Sekundärliteratur bieten weitestgehend unterschiedliche Zugänge zu verschiedenen Schwerpunktthemen der Passio. Während Habermehl eine literaturwissenschaftliche Analyse des Textes durchführt, indem er unter anderem die Rezeption der Passio sowie die Mentalitätsgeschichte beleuchtet, liegt der Fokus bei Salisbury explizit auf dem Martyrium und der Erinnerung an die Märtyrer. Dronke hingegen reiht Perpetua in die Reihe der weiblichen Schriftstellerinnen des Mittelalters ein und untersucht, wie einzelne Schriftstücke die christliche Literatur geprägt haben. Ganz anders ist die Thematik bei Osiek, die sich ausschließlich mit der Frage nach Perpetuas Ehemann befasst und hierbei eine sehr interessante These bezüglich dessen Verbleibs entwickelt.

2 Perpetua

Vibia Perpetua war die Autorin des Tagebuches, das den größten Teil der gesamten Passio einnimmt. Der Erzähler stellt sie den Lesern in Kapitel zwei zusammen mit den anderen Gefangenen, die allesamt junge Christen in der Taufvorbereitung sind, nur kurz und wenig detailliert vor. Neben ihrem Familiennamen Vibius erfährt man von der Katechumenin lediglich, dass sie honeste nata ist, also aus vornehmen Hause stammt, liberaliter instituta, klassisch gebildet und matronaliter nupta, standesgemäß verheiratet ist.[3] Sie soll zum Zeitpunkt ihrer Verhaftung 22 Jahre alt gewesen sein.

Die Tatsache, dass Perpetua der kathargischen Oberschicht entstammte, ist schon am Familiennamen Vibius erkennbar. Vibius ist ein römischer Familienname, ein so genanntes gentilicium. Perpetua und ihre Familie waren demnach römische Staatsbürger, die in Kathargo oder Umgebung[4] lebten. Doch warum ist Perpetua die einzige aus der Gruppe, deren Familiennamen explizit genannt wird? Peter Habermehl stellt in einer Fußnote die Vermutung an, dass hier eine Verwandtschaft zu kathargischen Prokonsuln aus dem 1. Jahrhundert nach Christus bestanden haben könnte.[5] Mit diesem Zusatz könnte der Herausgeber der Passio die Besonderheit festgehalten haben, dass die Tochter einer womöglich stadtbekannten Familie auf Grund ihres Glaubens verhaftet wurde. Eventuell wollte er damit auch die gesellschaftlich herausragende Stellung Perpetuas unter ihren Glaubensbrüdern verdeutlichen.

Die klassische Bildung Perpetuas, auf die der Erzähler nur in zwei Worten eingeht, umfasste in der Antike die Beherrschung des Lateinischen und Griechischen und die Lektüre sowie Kenntnis der wichtigsten römischen und griechischen Autoren. Diese höhere Bildung wurde, wie liberaliter schon sagt, nur Kindern freier Familien zuteil. Man könnte auch sagen, sie wurde „wie für eine Freie gebührlich“ erzogen.[6] Demnach besaß sie durchaus die Fähigkeit, ein Tagebuch in lateinischer Sprache zu verfassen.

Die dritte Bemerkung, die der Erzähler über Perpetuas gesellschaftlichen Stand macht, bezieht sich auf ihre Ehe. Sie ist standesgemäß verheiratet. Dies ist zugleich die erste und einzige Stelle, die den Leser indirekt über Perpetuas Ehemann informiert. In diesem kurzen Kapitel klärt der Erzähler den Leser weiterhin auf, dass Perpetua noch Mutter, Vater und zwei Brüder hat; einer von beiden ist ebenfalls in Vorbereitung auf die christliche Taufe. Perpetua selbst ist zum Zeitpunkt ihrer Verhaftung schon Mutter eines Sohnes, der noch im Säuglingsalter ist und von ihr gestillt wird.[7]

Während Perpetua ihren Ängsten, Gedanken und Visionen in ihrem Tagebuch Ausdruck verleiht, lernt der Leser im Bericht des Erzählers eine völlig andere Perpetua kennen. Da der Erzählerbericht sich mit dem Tag des Martyriums befasst, wird Perpetua hier zur Heldin erhoben. Für ihn stellt sie die ideale Märtyrerin dar, die ihre enorme Stärke beweist. Im Schlusssatz der Passio, bevor sich der Erzähler im Epilog erneut an die Gemeinde wendet, für die er den Aufzeichnungen Perpetuas einen Rahmen gab, ist er fast davon überzeugt, dass Perpetuas Stärke so groß war, auch ihren eigenen Tod zu diktieren.[8]

2.1 Die Tochter

In ihren Aufzeichnungen tritt Perpetua vor allem als Tochter in Erscheinung, die einen für sie und ihre Familie bedeutenden Konflikt mit ihrem Vater austragen muss. Doch weshalb nur mit dem Vater und nicht auch mit den anderen Mitgliedern der Familie Vibius?

Traditionell lag für Mädchen der römischen Oberschicht der Lebensmittelpunkt in ihrer Familie. Hier wurden sie hauptsächlich von ihren Vätern erzogen, da nur Söhne einen Tutor zur Seite bekamen, der sie auf die Aufgaben des Lebens vorbereitete. Die Erziehung der Mädchen wurde deshalb von den Vätern wahrgenommen, damit diese selbst später als Mütter ihrer Rolle gerecht würden und ihren Söhnen die Werte der römischen Gesellschaft vermitteln konnten.[9] Eine enge Verbindung zwischen Tochter und Vater war im römischen Reich daher durchaus üblich. Das lag nicht zuletzt daran, dass es bei der Geburt eines Mädchens eine Art Ritual gab, bei dem das Neugeborene dem pater familias vor die Füße gelegt wurde. Er entschied in dieser Situation, ob das Kind leben oder sterben sollte.[10] Hatte der pater familias sich für das Leben des Kindes entschieden, so legte er natürlich großen Wert auf dessen Erziehung. Es konnte sogar durchaus sein, dass der pater familias zeit seines Lebens die Macht über seine Tochter behielt. Ging sie im damals üblichen Alter zwischen 11 und 17 Jahren eine manusfreie Ehe ein, blieb sie Teil der väterlichen Familie und weiterhin seiner patria potestas unterstellt. Die andere Möglichkeit, das Eingehen einer Manusehe, machte die Tochter zu einem Teil der Familie des Ehemannes, unter dessen patria potestas, soweit er schon pater familias war, sie dann auch stand. Die Verwandtschaft zu ihrer eigenen Familie wurde damit aufgehoben. Prinzipiell war es in der römischen Oberschicht üblich, dass Töchter eheliche Verbindungen eingingen, die ihren Vätern soziale oder politische Vorteile, sowie den Familien die Statussicherung einbrachten. Die Fortführung der Familienlinie galt als selbstverständlich.

Vor diesen gesellschaftlichen Hintergründen ist auch die Verbindung von Perpetua zu ihrem Vater zu betrachten. Bei seinen Besuchen im Gefängnis verleiht er seinem Anliegen, Perpetua zur Abkehr vom christlichen Glauben zu bewegen und sie zur Familie zurückzuführen, deutlich Ausdruck. Perpetuas Tagebuch beginnt und schließt mit ihrer ersten und letzten Begegnung während seiner insgesamt vier Besuche.[11]

2.1.1 Der erste Besuch – Kapitel drei

Bei der ersten Begegnung mit ihrem Vater sitzen Perpetua und ihre Mitchristen noch in Untersuchungshaft. Perpetua versucht vergebens ihren Vater, durch für sie logische Argumente, davon zu überzeugen, dass sie Christin ist. Sie versucht ihm dies durch den folgenden Vergleich näher zu bringen:

„Pater, inquam, vides verbi gratia vas hoc iacens, urceolum sive aliud? et dixi: Video. et ego dixi ei: Numquid alio nomine vocari potest quam quod est? et ait: Non. sic et ego aliud me dicere non possum nisi quod sum, Christiana.“[12]

Ihre Logik erweist sich als völlig unverträglich mit den emotionalen Argumenten ihres Vaters, der diese aus Liebe zu seiner Tochter vorbringt. Diese Liebe, mit der er gerade noch versucht hat sie umzustimmen, schlägt daraufhin in Wut um. „tunc pater motus hoc verbo mittit se in me ut oculos mihi erueret[…]“[13]

Obwohl sie sich bewusst ist, dass ihr Vater aus reiner Liebe handelt und sie vor dem Tode retten will, untergräbt sie in diesem Moment des Widerspruchs gegen seine Wünsche zum ersten Mal seine väterliche Autorität. Doch nicht nur dieses Verhalten, sondern auch das nach außen unemotional wirkende Auftreten seiner Tochter versetzt ihn in Rage.[14] Des Weiteren dürfte er sich bewusst geworden sein, dass seine Tochter ihm rhetorisch und argumentativ überlegen ist. Die traditionellen Rollen von Vater und Tochter verkehren sich hier ebenfalls zum ersten Mal. Perpetua zeigt sich gefasst und beherrscht, wie es Männern zugeschrieben wurde, ihr Vater hingegen emotional und aufbrausend, das stereotypische Frauenverhalten.[15] Perpetua ist danach froh, dass ihr Vater geht und sie sich während seiner Abwesenheit erholen kann, da sie die von ihm ausgehende Bedrohung mit Sicherheit gespürt hat.[16]

[...]


[1] Alexandre, Monique, Perpetua oder das Selbstbewusstsein einer Frau, in: Duby, Georges, Perrot, Michelle et al., Geschichte der Frauen, Frankfurt am Main und New York 1993, S. 530.

[2] Vgl. hierzu: Habermehl, Peter, Perpetua und der Ägypter oder Bilder des Bösen im frühen afrikanischen Christentum. Ein Versuch zur Passio Sanctarum Perpetuae et Felicitatis, Berlin 1992, S. 3.

[3] Vgl. 2,1 in: o.Verf., Passio Sanctarum Perpetuae et Felicitatis, o.O, o.J., in: Habermehl, S. 6 – 29, zitiert nach: Beek, C.J.M.J. van, Passio Sanctarum Perpetuae et Felicitatis, Band 1, Nijmegen 1936.

[4] Über den genauen Wohnort der Familie herrscht Unklarheit. Manchmal wird Kathargo selbst, oder das in der Nähe liegende Thuburbo Minus angeführt.

[5] Vgl. Habermehl, S. 49.

[6] Vgl. ebd.

[7] Vgl. 2,2 – 3.

[8]Fortasse tanta femina aliter non potuisset occidi,[…], nisi ipsa voluisset.“, 21,10.

[9] Vgl. Salisbury, Joyce E., Perpetua’s Passion. The Death and Memory of a Young Roman Woman, New York und London 1997, S. 7.

[10] Vgl. ebd. S. 111.

[11] Siehe Kap. 3,1 – 3; 5; 6,2 – 5; 9,2 – 3.

[12] Kap. 3,1 - 2.

[13] Kap. 3,3.

[14] Vgl. Dronke, Peter, Women Writers of the Middle Ages. A Study of Texts From Perpetua (+203) to Marguerite Porete (+1310), Cambridge 1984, S. 5.

[15] Vgl. Habermehl, S. 57.

[16] Kap. 3,3 - 4. „[…] sed vexavit tantum et profectus est victus cim argumenti diaboli. tunc paucis diebus quod caruissem patrem, domino gratias egi et refrigeravi absentia illius.“

Ende der Leseprobe aus 25 Seiten

Details

Titel
Das Verhältnis der Geschlechter in der Passio Sanctuarum Perpetuae et Felicitatis
Hochschule
Justus-Liebig-Universität Gießen  (Institut für Geschichts- und Kulturwissenschaften)
Veranstaltung
Geschlechterverhältnisse in der römischen Kaiserzeit
Note
1,0
Autor
Jahr
2006
Seiten
25
Katalognummer
V67298
ISBN (eBook)
9783638602501
ISBN (Buch)
9783656722397
Dateigröße
516 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Intensive Quelleninterpretation (textnah) unter Benutzung von Sekundärliteratur.
Schlagworte
Verhältnis, Geschlechter, Passio, Sanctuarum, Perpetuae, Felicitatis, Geschlechterverhältnisse, Kaiserzeit
Arbeit zitieren
Ramona Aulbach (Autor:in), 2006, Das Verhältnis der Geschlechter in der Passio Sanctuarum Perpetuae et Felicitatis, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/67298

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