Darstellung der eigenen Fremde in Michael Roes Reiseroman "Leeres Viertel Rub´ Al-Khal". Inwiefern findet eine Distanzierung der Protagonisten zu ihrer kulturellen Identität statt?


Hausarbeit, 2005

19 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhalt

Vorwort

1. Das empfundene ´Fremdsein´ des Protagonisten Schnittke
1.1. Zum Status als Fremdling
1.2. Inwiefern nähert sich Schnittke der ´Fremde´?
1.3. Erfolgt durch bestimmt Erfahrungen Schnittkes
eine Distanzierung zu seiner eigenen Kultur?

2. Das empfundene Fremdsein des zeitgenössischen Ethnologen
2.1. Zum Status als Fremdling
2.2 . Nähert sich der Ethnologe der ´Fremde´?
2.3 . Erfolgt durch bestimmt Erfahrungen des Ethnologen
eine Distanzierung zu seiner eigenen Kultur?

3. Fazit

Literaturverzeichnis

Vorwort

Diese Arbeit nimmt Michael Roes Roman Leeres Viertel Rub´Al-Khali. Invention über das Spiel zur Grundlage, in dem der Autor zwei Reiseberichte aneinander fügte: Zum Einen, das Tagebuch Alois Ferdinand Schnittkes[1], der gegen Ende des 18. Jahrhunderts als Sekretär an einer Expedition in den Orient teilnahm. Diese Forschungsreise hatte zum Ziel, die mosaischen Gesetzestafeln zu finden. Zum anderen, die Aufzeichnungen eines deutschen Völkerkundlers[2], der Spiele der arabischen Welt analysieren möchte, um eine Theorie über den Zusammenhang zwischen Spiel und menschlicher Kultur zu entwickeln[3].

In diesem Aufsatz soll die Darstellung der ´eigenen Fremde´ beider Protagonisten untersucht werden. Weiterhin wird die Frage geklärt, in wiefern eine Distanzierung dieser Figuren zu ihren kulturellen Identitäten stattfindet. Die Aussagen der beiden Helden werden jeweils auf gleiche Weise untersucht:

Zunächst wird im ersten Kapitel über das ´empfundene Fremdsein´ von Schnittke nachgedacht, um zu erfahren, ob sich diese Figur überhaupt als ´Fremder´ in der ´Fremde´ empfindet. Der Abschnitt 1.1. wird noch genauer ausführen, wie er und wie Andere mit seinem ´Status des Fremden´ umgehen. Im Teil 1.2. soll der Frage nachgegangen werden, inwiefern sich Schnittke dem fremden Kulturkreis annähert. Passus 1.3. klärt gleich darauf, ob durch bestimmt Erfahrungen Schnittkes eine Distanzierung zu seiner eigenen Kultur stattfindet. In den Punkten 2. – 2.3. werden die gleichen Untersuchungen für den zweiten Protagonisten, den Ethnologen, vorgenommen. Das Fazit im dritten Kapitel soll als Vergleich die erarbeiteten Ergebnisse vereinen.

1. Das empfundene ´Fremdsein´ des Protagonisten Schnittke

Alois Schnittke thematisiert sein eigenes ´Fremdsein´ in seinem Tagebuch. Etliche niedergeschriebene Erfahrungen bezeugen, wie und wann er sich damit auseinander setzt. Diese ´Fremdheit´ entwickelt sich und verändert seine Sichtweisen, einerseits auf seine gegenwärtige Umgebung, andererseits auf seine Vergangenheit und seine Herkunft. Zunächst wird nun eine Auswahl der oben genannten Erfahrungen dargestellt.

1.1. Zum Status als Fremdling

Einerseits profitiert Schnittke von seinem Status als Fremdling, da sich dieser häufig positiv auf seine Situation auswirkt: Er erhält mehrfach Einladungen zu üppigen Mahlzeiten und Aufenthalten in Beduinen-lagern, entweder weil er durch Freundlichkeit auf sich aufmerksam gemacht hat oder aufgrund seiner Rolle als fremder Europäer. Ihm wird meist mit Neugier und Achtung begegnet, die sich auch zur Mystifizierung steigern kann: Durch sein ständiges Schreiben wird er von Mitgliedern eines Beduinenstamms für einen Magier gehalten und aufgefordert, innerhalb des Stamms kursierende Krankheiten zu verscheuchen. Durch die „Ehrfurcht vor der Schrift“[4] der Schnittke umgebenden Beduinen wird er - da er als Einziger lesen kann - dazu gedrängt, nachzublättern, wo sich ein verschollenes Stammeskind aufhalten könnte, „als sey in den Büchern […] aller Los bereits verzeichnet[5]. Solche Szenen, in denen er positive Resonanz auf seine Fremdheit erhält, schildert der Protagonist häufig in einem belustigten Ton und nicht ohne Stolz.

Andererseits erfährt er jedoch auch Diskriminierung, z.B. in seiner Rolle als Christ unter überwiegend Mohammedanern: Schnittke äußert sich unwillig über die Sitte, als „Ungläubiger“[6] von seinem Reittier absteigen zu müssen, sobald sich ein Moslem auf einem Pferd nähert. Zudem verärgert den Protagonisten ein Gebot, welches morgenländischen Christen, Juden und Europäern nicht gestattet ein Pferd zu besteigen - sie dürften nur auf Eseln sitzen - so sehr, dass er auf das Reiten in der Stadt verzichtet und zu Fuß geht.[7]

Weiterhin gibt es auch Akte der Gewalt aufgrund seiner Fremdheit: Während Schnittke und seine Reisebegleiter ein - verlassen wirkendes - Dorf betreten, wird zunächst eines ihrer Kamele angeschossen, kurz darauf auch ein Gruppenmitglied.[8] Die übrige Gruppe kann sich hinter eine schützende Mauer retten. Als sie am nächsten Tag endlich auf Ortsbewohner stoßen, will niemand das Geschehene gesehen oder gehört haben und die Kameraden werden sogar der Unaufrichtigkeit bezichtigt. Schnittke bemerkt an dieser Stelle, er könne nichts gegen „die Macht des Masquenspiels ausrichten“ und verlässt den „unseligen Orth“.[9] Es zeigen sich also ganz unterschiedlich Resonanzen auf sein ´Fremdsein´. Er selber kann diese Reaktionen nicht steuern.

1.2. Inwiefern nähert sich Schnittke der ´Fremde´?

Der Protagonist ist bereit eine intensive Verbindung zu seinem Reiseort aufzunehmen, er vergleicht den Moment des Ankommens im Orient mit einer Eheschließung: Als er vom Schiff aus Land sichtet, fühlt er sich „wie ein orientalischer Bräutigam, der gerade den Schleier seiner Braut lüftet und zum ersten Male ihre Gesichtszüge sieht“[10]. Dabei erlebt Schnittke ein „sinnliche[s]“[11] Verlangen diesem „Schönen und Begehrendswerthen“[12] gegenüber, laut Klaus R. Scherpe die „Eroberungslust des Jungfräulichen“[13].

Auf erste Begegnungen mit Menschen in der ´Fremde´ hat sich Schnittke vorbereitet: Er kommt seinem morgenländischen Gegenüber stets entgegen, indem er Vorkenntnisse in Sprache und Konvention gezielt anwendet. Damit stößt er bei einem türkischen Sultan[14] genauso auf Beifall und Sympathie wie bei streitlustigen Sprösslingen des Asyr-Stamms[15]. Darüber hinaus beobachtet Schnittke genau, fragt nach, gliedert sich in den Alltag ein, insofern dies auf seiner Reise möglich ist.

Vor allem aber macht er sich Notizen und führt ein Tagebuch, er betreibt sozusagen Feldforschung. Schnittke verhält sich auffällig fortschrittlich für sein Zeitalter: Er teilt Informationen über seine Heimat mit, indem er Unterhaltungen durch seine vielseitige Kommunikations-fähigkeit möglich macht. Andererseits nimmt er Informationen und Erkundigungen auf und lernt so den fremden Kulturkreis verstehen. Zeitweise hat der Protagonist schon das Gefühl, „als wisse [er] endlich Alles oder doch wenigstens mehr vom Orient als die Orientalen selbst“.[16]

Nach und nach beobachtet er „Veränderungen der Wahrnehmung“[17] an sich, die er in einer Metapher erklärt: Schnittke beschreibt sich als ein Haus, dass „sich im Umbau“ befände und dessen „Fenster und Thüren“ erweitert wurden, dessen „Geschosse aufgestockt“ und „geheime Verbindungen zu anderen Gebäuden hergestellt“[18]. Eine Textszene belegt anschaulich diesen Prozess: Schnittke wird von seinem Reisegefährten Schlichter darauf angesprochen wird, dass ihr arabischer Begleiter Achmed unangenehm riechen würde. Der Protagonist Schnittke grübelt nun über diese Körpergeruchs-erscheinung und kommt zu dem Schluss, dass „in dem Maasse, in dem sich [seine] Nase mit [Achmeds] Geruch befreundet“, „ihr der vertraute Geruch der [europäischen] Gefährten fremd“ würde[19].

Die Gerüche symbolisieren, wie es sich insgesamt mit der ´Befreundung´ und ´Befremdung´ seitens des Protagonisten verhält: So wie die Tagebucheinträge es vermitteln, bewegen sich Schnittkes Reisegefährten durch die ´Fremde´, unterlassen aber den Prozess des Kennenlernens. Schnittke hingegen verkehrt innerhalb der ´Fremde´ - er entdeckt, probiert, ergründet, analysiert, versteht, sympathisiert. Durch diese Bemühungen kommt er der ´Fremde´ näher und stößt dabei – jedenfalls bei vielen Mitgliedern - auf Gegenseitigkeit, er wird also auch von der ´Fremde´ angenommen. So kommt die erwähnte ´Befreundung´ zustande.

Wie Schnittke bemerkt, findet zeitgleich ein ´Befremdung´ zu den Gefährten statt. Diese zweite Bewegung müsste prinzipiell nicht automatisch erfolgen. Sie ist das Resultat daraus, dass Schnittke sich für eine ´Seite´ entschieden hat, nämlich für die ´Fremde´. Denn seine Reisegefährten verachten – laut den Tagebucheinträgen - Volkssitten und Brauchtümer im Reiseland, halten den „Verstand der Morgenländer [für] begrenzt“, grob und kunstlos[20]. Es findet zwar ein ´Beobachten´ statt, allerdings ein voreingenommenes, welches aktuelle Betrachtungen verschleiert. ´Teilnehmen´ und ´Verstehen´ erfolgen bei den Gefährten hingegen nicht. Dadurch dass sie sich wiederum nicht der orientalischen Etikette entsprechend verhalten, fallen sie bei der einheimischen Bevölkerung unangenehm auf. Durch dieses gegenseitige Unverständnis bilden sich sozusagen zwei Parteien, zwischen denen Schnittke steht.

[...]


[1] Um den Bericht Schnittkes vollständiger gestalten zu können, hat der Autor Einträge anderer Forschungsreisender aus dem 18. und 19. Jahrhundert hinzugefügt. Diese werden am Ende von Roes Roman aufgelistet. Berücksichtigt werden kann dieser Umstand in dieser Arbeit jedoch nicht, da die Untersuchung und Beschreibung dieser Figur sonst zu kompliziert würde.

[2] Diese Figur wird von Roes nicht namentlich benannt, zur besseren Verständigung soll sie hier, laut ihrer Berufsbezeichnung der „Ethnologe“ heißen.

[3] Es muss an dieser Stelle bemerkt werden, dass sich beide Schriftsteller jeweils in einer individuellen, unüblichen Rechtschreibung ausdrücken. Diese wird hier in Zitaten authentisch übernommen.

[4] Michael Roes: Leeres Viertel Rub´Al-Khali. Invention über das Spiel. Frankfurt am Main: 1998, S. 672.

[5] Ebd.

[6] Ebd., S. 291.

[7] Ebd., S. 85.

[8] Ebd., S. 470 – 477.

[9] Ebd.

[10] Ebd., S. 34.

[11] Ebd.

[12] Ebd.

[13] Klaus R. Scherpe: Stadt, Krieg, Fremde. Literatur und Kultur nach Katastrophen. Tübingen: 2002, S. 200.

[14] Michael Roes: Leeres Viertel Rub´Al-Khali. Invention über das Spiel. Frankfurt am Main: 1998, S. 30.

[15] Ebd., S. 246.

[16] Ebd. S. 383.

[17] Ebd., S. 89.

[18] Ebd.

[19] Ebd.

[20] Ebd., S. 283.

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Darstellung der eigenen Fremde in Michael Roes Reiseroman "Leeres Viertel Rub´ Al-Khal". Inwiefern findet eine Distanzierung der Protagonisten zu ihrer kulturellen Identität statt?
Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin  (Institut für deutsche Literatur)
Veranstaltung
Theorie und Literatur des Fremden
Note
1,7
Autor
Jahr
2005
Seiten
19
Katalognummer
V67365
ISBN (eBook)
9783638603478
ISBN (Buch)
9783656795100
Dateigröße
465 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Darstellung, Fremde, Michael, Roes, Reiseroman, Leeres, Viertel, Rub´, Al-Khal, Inwiefern, Distanzierung, Protagonisten, Identität, Theorie, Literatur, Fremden
Arbeit zitieren
Sabine Immken (Autor:in), 2005, Darstellung der eigenen Fremde in Michael Roes Reiseroman "Leeres Viertel Rub´ Al-Khal". Inwiefern findet eine Distanzierung der Protagonisten zu ihrer kulturellen Identität statt?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/67365

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