Gewalt und Sicherheit. Eine Untersuchung in den Printmedien während der FIFA-Weltmeisterschaft 2006


Proyecto/Trabajo fin de carrera, 2006

117 Páginas, Calificación: 1,3


Extracto


Inhaltsverzeichnis

Vorwort

I. Theorie
1. Entdeckungszusammenhang
1.1 Motto: Die Welt zu Gast bei Freunden
1.2 Erwartungen an die WM
1.2.1 Wirtschaftliche Faktoren
1.2.2 Gesellschaftspolitische Faktoren
1.3 Forschungsinteresse
2. Begründungszusammenhang
2.1 Theorien zur Entstehung von Gewalt
2.1.1 Der trieb- bzw. instinkttheoretische Ansatz
2.1.2 Die Frustrations-Aggressions-Hypothese
2.1.3 Der lerntheoretische Ansatz
2.2 Abgrenzung anlassbezogenen Gewaltformen
2.3 Hooliganismus
2.3.1 Soziale Faktoren
2.3.2 Persönliche Faktoren
2.3.3 Situative Faktoren
2.3.4 Einordnung, Organisation
2.3.5 Einschätzungen des Konfliktpotenzials bezüglich der WM 2006
2.4 Sicherheitsaspekte
3. Untersuchungszusammenhang
3.1 Die Funktion der Presse in der Gesellschaft
3.2 Nutzung und Verbreitung von Zeitungen
3.3 Zum Stand der Medienwirkungsforschung
3.3.1 Effekte von Gewaltdarstellungen in den Printmedien
3.3.2 Möglichkeiten der Darstellung
3.3.2.1 Fotos
3.4 Auswahl des Untersuchungsmaterials
3.4.1 Frankfurter Allgemeine Zeitung
3.4.2 Süddeutsche Zeitung
3.4.3 Bildzeitung
3.4.4 Westfälische Nachrichten
3.5 Hypothesenbildung

II. Empirie
4. Methodik
4.1 Theorie der quantitativen Analyse
4.2 Theorie der qualitativen Analyse
4.3 Operationalisierung und Indikatoren
5. Die quantitative Analyse
5.1 Quantitative Analyse – FAZ
5.2 Quantitative Analyse – SZ
5.3 Quantitative Analyse – Bildzeitung
5.4 Quantitative Analyse – WN
6. Die qualitative Analyse
6.1 Qualitative Analyse – FAZ
6.2 Qualitative Analyse – SZ
6.3 Qualitative Analyse – Bildzeitung
6.4 Qualitative Analyse – WN
6.5 Ergebnis
6.5.1 Verifizierung/Falsifizierung der Hypothesen
6.5.2 Zusammenfassung
7. Literaturverzeichnis

Vorwort: Strukturierung und Quellen

Um einen Überblick über den Aufbau der vorliegenden Arbeit zu geben, soll im Folgenden kurz auf die einzelnen Abschnitte eingegangen werden.

Der Theorieteil umfasst den Entdeckungs-, Begründungs- und Untersuchungszusammenhang.

Der Entdeckungszusammenhang soll die Bedeutung und Weitflächigkeit des Phänomens Fußball-Weltmeisterschaft erklären. Er gibt Aufschluss über ihre Auswirkungen auf verschiedene Bereiche des öffentlichen Interesses. Damit sei der Anlass der Studie definiert und legitimiert.

Im Begründungszusammenhang soll der Kern der Untersuchung, die im Fußballkontext auftretende Gewalt dargestellt werden. Dies geschieht auf den Ebenen ihrer Entstehung, ihren Auftretensformen, ihres Potentials im Hinblick auf die WM 2006 und der geplanten Reaktion auf sie, letzteres in Form der Vorstellung der Sicherheitskonzepte von Organisationskomitee (OK) und Sicherheitskräften. Diesen Komplex genau zu beleuchten schafft die Voraussetzung für die qualitative Analyse der Berichterstattung in den Printmedien.

Aufgabe, Stellung und das Potential der Printmedien wird im Untersuchungszusammenhang beschrieben. Da die Untersuchung im Grunde ein inhaltsanalytisches Forschungsdesign hat, soll auch die inhaltliche Orientierung der untersuchten Medien beschrieben werden.

Im Empirieteil wird die Artikulation der Gewalt und verwandter Aspekte während der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 innerhalb der Bericht-erstattung in SZ, FAZ und Bildzeitung und WN quantitativ und qualitativ nach inhaltlichen Strukturen analysiert und ausgewertet.

Aufgrund der Aktualität des Ereignisses können manche der zur Verdeutlichung verwandten Zahlen oder Experteneinschätzungen nicht aus wissenschaftlichen Veröffentlichungen entnommen werden, sondern entstammen „schnellen“ Medien wie Zeitungen oder Online-Quellen. Solche sind schon bei Verwendung mit einer Fußnote markiert. Über die Verlässlichkeit der Zahlen und Einschätzungen kann also keine genaue Angabe gemacht werden, allerdings werden ausschließlich seriöse „Qualitätszeitungen“ und Internetportale zur Gewinnung von Fakten benutzt und der Versuch unternommen, die Nachvollziehung der Referenz so einfach wie möglich zu machen.

Der Dank des Autors geht an Herrn Polizeidirektor Seidel von der Polizeilichen Führungsanstalt Münster/Hiltrup für seine genauen Auskünfte im Interview zur Sichtweise der Polizei bezüglich Gewalt und Sicherheitsaspekten.

I. Theorie

1. Entdeckungszusammenhang

Die Fifa-WM 2006 war das größte sportliche und gesellschaftliche Ereignis des Jahres weltweit, sie war sicherlich auch das wichtigste Sportevent des Jahrzehnts in Deutschland. Im Mittelpunkt steht dabei der Sport, das friedliche Aufeinandertreffen der 32 besten Fußballteams der Welt im Wettstreit um die Krone des Fußballs.

Die WM ist immer ein Großereignis, dass auf vielen Ebenen enormen Einfluss hat. Es schlägt Wellen, nicht nur im sportlichen Bereich (eine Fußball-Weltmeisterschaft ist das wichtigste Turnier in der Mannschafts-sportart, die die weltweit größte Aufmerksamkeit erregt), sondern ist auch politisch, wirtschaftlich und medial global gesehen von immenser Bedeutung. Lässt man die Olympischen Spiele, die ja diverse Sportarten vereinen außen vor, gibt es in der Welt des Sports nichts Größeres: Kein Turnier kann eine vollständigere Abdeckung durch die Medien aufweisen, mit keinem wird mehr Geld verdient, keines ist besser dazu geeignet, im olympischen Geist völkerverbindend zu wirken.

Die Ausmaße der WM in den oben aufgezählten Kategorien können im Rahmen dieser Arbeit nur kurz gestreift werden, über jede einzelne könnte man wahrscheinlich ein ganzes Buch schreiben.

Diese Arbeit soll vielmehr das thematisieren, was den Erfolg auf den angesprochenen Ebenen verhindern, vernichten kann, denn die Reichweite der medialen Berichterstattung deckt nicht nur die positiven Aspekte der WM ab, sondern wird auch die negative, oder plakativer ausgedrückt die hässliche Seite des Ereignisses nicht vernachlässigen: Es ist während der WM im Ausrichterland zu Gewalttaten gekommen, und egal ob sie im direkten Fußballkontext standen oder nicht, die Medien haben sie in aller Welt verbreitet. Das Thema dieser Arbeit ist die Aufbereitung und Bewertung dieser Ereignisse und deren Implikationen durch die Medien.

Nicht umsonst werden die Medien zumindest in Deutschland oft als vierte Macht im Staat apostrophiert, ist die Macht der Bilder sprichwörtlich und hat jede größere Behörde eine Pressestelle, fast jedes ambitionierte Unternehmen eine PR-Abteilung. Die Medien, das sind die Organe, die Nachrichten publik machen und das öffentliche und im zweiten Schritt oft auch das private Ansehen von Organisationen, Personen, Instanzen, Regierungen und eben auch Ereignissen und deren Verantwortlichen bestimmen. Die Einschätzungen der cirka 15000 akkreditierten Medienvertreter[1] sind maßgebend für die Außendarstellung und beeinflussen so das Gelingen der WM und aller verbundenen Nebeneffekte auf den oben erwähnten Ebenen in einem globalen Rahmen.

Da aber auch die Untersuchung der weltweiten Berichterstattung ein immer noch viel zu großes Feld ist, um hier besprochen zu werden, soll sich in dieser Arbeit auf die nationalen Medien, genauer auf vier deutsche Printmedien beschränkt werden. Namentlich sollen die Bildzeitung als Vertreter des Boulevards, die zwei auflagenstärksten überregionalen Tageszeitungen „Süddeutsche Zeitung“ und „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ und die „Westfälischen Nachrichten“ aus Münster als regionale Zeitung in den Vergleich miteinbezogen werden.

1.1 Motto: Die Welt zu Gast bei Freunden

Die Regierung der Bundesrepublik Deutschland hatte das offizielle Anliegen, dass sich der Staat, den sie vertritt, während der WM in einem besonders guten Licht präsentiert. Dies liegt in ihren Erwartungen im politischen, sozialen und wirtschaftlichen Bereich begründet. Von einer positiven Außendarstellung erhoffte man sich einen positiven Effekt. Um dieses Ziel zu erreichen entwickelte die Bundesregierung und das nationale Organisationskomitee ein hospitality concept, eine Imagekampagne, die im Englischen mit „A time to make friends“ überschrieben wurde, den Deutschen aber unter dem Motto „Die Welt zu Gast bei Freunden“ ein Begriff ist. Ein Element des Konzepts war die nationwide service and friendliness campaign[2] , also die nationale Service-und-Freundlichkeits-Kampagne. Diese wurde gesponsert vom Bundesministerium des Innern und vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie. Das ganze Projekt sollte Signalwirkung für die deutsche Öffentlichkeit und auch Besucher aus dem Ausland haben. Viele Verbände und Unternehmen kooperierten dabei mit den Ministerien. Unter diesen sind der Bundesverband der Deutschen Tourismuswirtschaft (BTW), die Deutsche Bahn AG, die zwölf Ausrichterstädte und der ADAC. Unter ihrer Mithilfe wurden Einheimischen und Besuchern Informations-, Kultur- und Freizeitangebote gemacht, die Bezug zur WM haben.

Aber auch Privatpersonen wollten mithelfen, das Land als guten Gastgeber zu präsentieren oder auch einfach selbst von Kontakten mit internationalen Fußballfans profitieren. Zu diesem Zweck sind spezielle Internetportale zum Beispiel von vielen Universitäten oder Fanorganisationen wie „Ein Dach für Fans“ (EDFF) eingerichtet worden, die teilweise auch regen Zuspruch fanden, aber natürlich zu wenig Kapazitäten boten, um auch nur einen kleinen Teil der erwarteten Million an ausländischen Besuchern mit Unterkunft zu versorgen.

Um auch den Fans die Möglichkeit zu geben, die Atmosphäre des Massenerlebnisses Fußball mitzuerleben, fanden überall im Land private oder semi-private Public Viewing Veranstaltungen statt, die gut frequentiert wurden. Hierbei konnten private Anbieter die Fernsehbilder gebührenfrei verwenden, kommerzielle Veranstaltungen mussten von der Fifa lizensiert werden. Vor allem diese meistens relativ großen Public Viewing Veranstaltungen mussten, obwohl sie oft privat organisiert wurden, von der Polizei gesichert werden. Dazu kam eine hohe Polizeipräsenz an den Stadien und auch in den Innenstädten, wo sich die ausländischen Fans aufhielten. Dieses leitet zu dem Thema über, das für sich allein und mit seinen Nebeneffekten die Nachrichten im Vorfeld der WM bestimmt hat: Sicherheit.

Denn absolute Sicherheit, so argumentierten die Veranstalter, sei die Voraussetzung dafür, dass sich die Besucher in Deutschland auch wohl fühlen. Wie aber kann man verhindern, dass die WM zu einer Art Polizeifestspiele verkommt, wie es Fanvertreter befürchteten. Sowohl die Aussicht auf überbordende Polizeipräsenz als auch bürokratische Auswüchse der Sicherheitsdebatte wie die wochenlange Ungewissheit bezüglich der Personalisierung der Eintrittskarten vermittelten Manchen das Gefühl Gast in einem „Big Brother“ - Staat und nicht „bei Freunden“ zu sein. Es stand zu befürchten, dass die Abwehrmaßnahmen gegen die Hooligans vor allem die ganz normalen Fußballfans treffen könnten.

Zur Legitimation der extensiven Sicherheitsmaßnahmen wurden die Bedrohung durch Hooligans, deren Grad in Kapitel 2.3 beschrieben wird und auch die Gefahr durch Terroranschläge und rechtsradikale Gewalttäter instrumentalisiert. Allerdings legten die Politiker Wert auf die Feststellung, dass die von ihnen erdachten Maßnahmen gerechtfertigt seien und auch Wirkung zeigten, was an der Debatte um „ausländerfreie Zonen“ in Ostdeutschland zu sehen war, die, angestoßen durch den ehemaligen Regierungssprecher Karsten Heye in den Wochen vor der WM intensiv in den Medien diskutiert wurde. Heye warnte Besucher mit dunklerer Hautfarbe, manche Orte in den neuen Bundesländern zu besuchen, da sie diese womöglich „nicht wieder lebend verlassen“ würden. Dies führte zu einer Diskussion über den latenten Rassismus in manchen Regionen Deutschlands und die resultierende Gefährdungslage während der WM, die Spitzenpolitiker mit dem Verweis auf einen funktionierenden Sicherheitsapparat einseitig beendeten.

Es wird zu überprüfen sein, inwieweit diese Einschätzung, wie auch überhaupt die Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der Sicherheit richtig und gerechtfertigt waren. Klar ist jedoch, dass das Thema Sicherheit in Deutschland öffentlich diskutiert wurde und die Notwendigkeit dieser Diskussion dem eingangs erwähnten Anliegen der Bundesregierung, eine positiven Außendarstellung zu erreichen entgegenstand. Interessant wird die Untersuchung der Aufarbeitung dieser Problematik durch die Medien sein - auch im Hinblick auf ihre Darstellung von Gewalt.

1.2 Erwartungen an die WM

Nicht nur Fußballfans in aller Welt freuten sich auf die WM, auch Vertreter der Wirtschaft und Politiker versprachen sich Profite auf mehreren Ebenen. Eine WM ist ein Ereignis, das auf vielerlei Bereiche des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens Auswirkungen hat und haben soll.

Voraussetzung ist dabei allerdings immer der reibungslose Ablauf der WM. Nichts wäre schlimmer als die Ablenkung des Fokus vom Wesentlichen beispielsweise durch Naturkatastrophen, Krankheit oder Gewalt in allen ihren Formen, schlimmstenfalls direkt am Ort des Geschehens. Dies alles würde die Vermarktung der WM erheblich behindern.

Während man die ersten beiden Störfaktoren aber kaum je wird kontrollieren können, wurden massive Vorkehrungen getroffen um wenigstens die Gewalt präventiv zu verhindern. Diese Thematik zu analysieren stellt einen wichtigen Punkt dieser Arbeit dar.

Im Folgenden sollen jedoch erstmal die zu erwartenden Auswirkungen auf Wirtschaft, Politik und Gesellschaft aufgezeigt werden, um die Reichweite des Phänomens einer modernen Fußballweltmeisterschaft zu dokumentieren.

1.2.1 Wirtschaftliche Faktoren

Die Fifa als Inhaber des Formats und größter einzelner Profiteur der WM generierte 3 Milliarden Schweizer Franken (1,9 Milliarden Euro) aus der Verwertung der WM-Rechte. Aufgeteilt ist diese Summe in 1,872 Milliarden Franken (1,2 Milliarden Euro) für Fernseh- und Neue-Medien-Lizenzen und 1,092 Milliarden Franken (0,7 Milliarden Euro) für Marketingrechte, Lizenzen und Hospitality-Programm. Damit wurde der Voranschlag von ursprünglich 1,5 Milliarden bzw. 0,5 Milliarden Schweizer Franken (0,96 Milliarden bzw. 0,32 Milliarden Euro) um ein Drittel übertroffen. Die Fifa selbst finanziert sich zu rund 90 Prozent über die Fußball-WM.

Der Rechteinhaber ISL/Kirch, bzw. dessen Nachfolgefirma Infront garantierte 0,96 Milliarden Euro für die globalen TV-Rechte an der WM, was einem Plus von 15% gegenüber dem Preis der Rechte für die Fußball-WM 2002 in Japan und Südkorea entsprach (0,8 Milliarden Euro).

Allein die deutschen öffentlich-rechtlichen Fernsehsender ARD und ZDF ließen sich die Endrunde im eigenen Land mehr als 160 Millionen Euro kosten, der weltweit größte Anteil.

Der Umsatz verteilt sich innerhalb des enormen Finanzaufkommens immer weiter nach unten. Das lokale Organisationskomitee (OK) schöpfte aus rund 430 Millionen Euro Einnahmen, unterteilt in 200 Millionen Euro für Eintritte, 64 Millionen Euro von lokalen Sponsoren und Ausrüstern und 166 Millionen Euro an Beiträgen durch die Fifa.

Die Dimensionen des finanziellen Schadens, der durch Ausfall oder Verschiebung der WM aus verschiedenen Gründen entstehen würde spiegeln sich in den Versicherungen wieder, die Fifa und OK im Vorfeld der WM abgeschlossen haben. Allein die Ausrichterhaftpflicht belief sich auf eine Versicherungssumme von 140 Millionen Euro, die Versicherungssumme der Ausfallpolice betrug 158 Millionen Euro[3].

Auch für die Binnenwirtschaft wurde ein enormer Aufschwung durch die Fußball-WM erwartet. Der Sportökonom Markus Kuhrscheidt von der Ruhr-Universität Bochum benannte im ARD-Interview die Größe des langfristigen Gewinns für die deutsche Volkswirtschaft durch die WM mit 1,5 bis 3,5 Milliarden Euro. Der damalige Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement prognostizierte im Jahr 2005 für Deutschland gar einen langfristigen Gewinn von über acht Milliarden Euro beim Bruttoinlandsprodukt.

Kuhrscheidt rechnete mit rund einer Million ausländischer Besucher, die ungefähr 800 Millionen Euro für Unterkunft und Gastronomie, Sport- und Fanartikel ausgeben werden. Darüber hinaus erwartete er, dass rein rechnerisch WM-bedingt rund 30 000 Arbeitsplätze bis zum Jahr 2010 entstehen werden[4].

Doch es gibt auch Anhaltspunkte für wirtschaftliche Effekte der WM, die sich nicht unbedingt messen lassen. Man erwartete eine Art Euphorieeffekt, der sich auf die Wirtschaft überträgt, vor allem dann, wenn die deutsche Nationalmannschaft das Turnier erfolgreich abschließt, was nicht einmal unbedingt zwingend den Weltmeisterschaftstitel erfordert. Dies könnte Auswirkungen auf das Konsumverhalten der Deutschen haben, was dann einen Konjunkturaufschwung begünstigen würde.

Diese Überlegungen sind aber hochspekulativ, vom organisatorischen und sportlichen Ablauf der WM abhängig und kaum mit Fakten zu belegen. Dennoch veröffentlichten verschiedene Instanzen Zahlen, die ein zusätzliches Wirtschaftswachstum prophezeiten, die man aber auch hinsichtlich der Interessen der veröffentlichenden Gesellschaften und Unternehmen kritisch hinterfragen muss. Die Bundesagentur für Arbeit und der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) erwarteten ein zusätzliches Wirtschaftwachstum von 0,3 Prozentpunkten, die Gesellschaft für wirtschaftliche Strukturforschung Osnabrück hielt dagegen ein zusätzliches Wachstum von nur 0,1 Prozentpunkten wahrscheinlich.[5] Die Postbank erwartete ein zusätzliches Wachstum von 0,3 Prozentpunkten und einen Konsumanstieg um drei bis vier Milliarden Euro.[6]

Sichere Gewinner der WM sind allerdings die Medienunternehmen, Event- und Sicherheitsdienstleister, Gastronomie- und Hotelgewerbe, die Bauindustrie durch Maßnahmen zur Verbesserung der Infrastruktur und nicht zuletzt der WM-Stadien, sowie die Sportartikelhersteller und die Unterhaltungsindustrie. Bei Bewertungen der Zuwächse im letztgenannten Industriezweig muss allerdings abgewartet werden, ob eine eventuelle Steigerung der Verkaufszahlen Folge einer bloßen temporären Verlagerung der Konsumfreude ist, der ein Sinken der Absatzahlen nach der WM folgen könnte.

1.2.2 Gesellschaftspolitischen Faktoren

Will man die gesellschaftspolitischen Auswirkungen der WM, oder auch jedes anderen sportlichen Großereignisses analysieren, muss man zwischen der nationalen und der internationalen Ebene unterscheiden.

Zunächst einmal wird jedes Ausrichterland darauf bedacht sein, eine möglichst positive Außendarstellung zu betreiben. Sich in einem guten Licht zu präsentieren, das heißt eine perfekte Organisation, gute Rahmenbedingungen und eine stimmungsvolle Atmosphäre zu schaffen und Gewalttaten zu verhindern. Bei geschätzten 30 Milliarden Menschen, die die Spiele weltweit am Fernseher verfolgen (Addition aller Zuschauer aller Spiele), ist der Nutzen für den Wirtschafts-, Innovations- und Wissenschaftsstandort sowie für das Reiseziel Deutschland kaum abzuwägen. Aus diesem Grund hat die Bundesregierung zusammen mit dem Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) die Darstellungskampagne „1.FC Deutschland 06“ im Vorfeld der WM ins Leben gerufen, die helfen soll, das Image des Landes nachhaltig positiv zu besetzen. Um Meldungen auch in einem diesem Weltereignis angemessenen Rahmen publik zu machen wurde eigens das Nationale Informations- und Kommunikationszentrum (NICC) eröffnet, über das alle Nachrichten rund um die WM an Vertreter der Presse und des Fernsehens ohne Zeitverlust distribuiert werden können.

Auf der internationalen Ebene hat die Weltgemeinschaft sicherlich die große Chance, die Fußball-WM, d.h. attraktiven Hochleistungssport gepaart mit ausdrucksstarkem Gestus zu nutzen, um die Völkerverständigung voran zu treiben. An dieser Stelle sei an die Mut machenden Bilder des gemeinsamen Mannschaftsfotos der Teams aus den USA und dem Iran bei der WM 1998 in Frankreich erinnert, die um die Welt gingen. Allein genützt hat es - wenn man sich die gegenwärtige weltpolitische Lage gerade bezüglich der beiden erwähnten Staaten vor Augen hält - scheinbar wenig. Dennoch wird kaum jemand widersprechen, wenn behauptet wird, dass Sport oder der Fußball im Speziellen geeignet ist, vereinigend zwischen den Völkern zu wirken, gerade durch das demonstrative Ausklammern der Politik und das Verweisen auf Gemeinsamkeiten.

1.3 Forschungsinteresse

Es soll eine quantitative und qualitative Inhaltsanalyse stattfinden, durch die Rückschlüsse auf die Art und Weise der Darstellung von anlassbezogener Gewalt und Sicherheitsaspekten während der Fußball-Weltmeisterschaft durch die Medien in Deutschland gezogen werden können. Auch sollen Unterschiede zwischen verschiedenen Zeitungen respektive verschiedenen Zeitungssorten herausgearbeitet werden. In einer abschließenden Analyse soll wenn möglich untersucht werden, aus welchen Gründen die Berichterstattung in ihrer Form stattgefunden hat und welchen Effekt sie gehabt hat.

Als Forschungsmethode wird die Inhaltsanalyse gewählt, da einzig mit ihr eine genaue, wissenschaftlich abgesicherte Untersuchung des Textkorpus auf die veranschlagten Ziele hin möglich ist.

2. Begründungszusammenhang

Um ein genaueres Bild über die anlassbezogene Gewalt während der WM zu bekommen, muss sie definitorisch eingegrenzt und in ihrem Potential beschrieben werden. Dazu werden in diesem Abschnitt der Arbeit verschiedene Konzepte der Aggressionsforschung vorgestellt und eine mögliche Kategorisierung vorgeschlagen. Da die größte Gefahr nach einhelliger Einschätzung im Vorfeld der WM von organisierten Hooligans ausging, werden die sozialen, persönlichen und situativen Umstände ihrer Aktivitäten dargestellt. Zur Einschätzung der Sicherheitslage durch die Polizei wurde vor der WM ein Interview mit Polizeidirektor Ulrich Seidel von der Polizeilichen Führungsakademie Münster geführt, der mit der Ausbildung von polizeilichen Führungskräften für (sportliche) Großeinsätze betraut ist. Ergebnisse dessen werden in Auszügen wiedergegeben. Mit direktem Bezug dazu wird das offizielle „Nationale Sicherheitskonzept für die WM 2006“, das vom Bundesministerium des Innern (BMI) erarbeitet wurde vorgestellt.

2.1 Theorien zur Entstehung von Gewalt

Der Drang zur Aggression scheint, betrachtet man die Menschheitsgeschichte, der menschlichen Natur inhärent zu sein. Aggression und Gewalt begleiten uns seit je her. Waren früher Gewaltausbrüche normal und als legitimes Mittel zur Erreichung von Zielen akzeptiert, sind sie heute in ihrem Vorkommen außerhalb der monopolistischen Kontrolle der Nationalstaaten geächtet und erschrecken uns in ihrer Gestalt archaisch anmutender Rückfälle in längst vergangene Zeiten.

Warum werden Menschen gewalttätig? Die moderne Wissenschaft unternimmt seit langem Anstrengungen zur Beantwortung dieser Frage in Form von verschiedenen Forschungsprojekten und Studien.

Eine Fülle von Aggressionstheorien ist auf dem „wissenschaftlichen Markt“, Pilz gibt schon 1976 einen Überblick, auf den sich zumindest im deutschsprachigen Raum viele Veröffentlichungen zu diesem Thema beziehen. Er unterscheidet bei Aggressionstheorien zwischen

a) dem trieb- bzw. instinkttheoretischen Ansatz
b) der Frustrations-Aggressions-Hypothese und
c) dem lerntheoretischen Ansatz

Im Folgenden sollen diese Modelle kurz vorstellt werden.

2.1.1 Der trieb- bzw. instinkttheoretische Ansatz

Zurückgehend auf die Forschung von Freud und Adler geht dieses Modell von Aggression als einem angeborenen, also natürlichen Trieb aus, der für eine stetige Aufladung aggressiver Energien sorgt, die unseren Organismus dahingehend beeinflussen, nach Möglichkeiten zu suchen sich abzureagieren. Dieses wird Appetenzverhalten genannt. Das aggressive Verhalten kann nicht abgeschaltet, sondern höchstens temporär unter Kontrolle gebracht werden. Man nimmt an, dass diese Instinkthandlung einen Schlüsselreiz zur Auslösung des Verhaltens benötigt. Sollten diese Schlüsselreize ausbleiben können so genannte Leerlaufhandlungen auftreten, d.h. aggressive Handlungen ohne nachvollziehbare Gründe.

Dieser Ansatz, der mit der ethologischen Triebtheorie von Konrad Lorenz von 1963 eng verwandt ist, ist mittlerweile nur mehr von historischer Bedeutung (vgl. Bauer 2004). Hauptkritikpunkte, die letztlich den Ansatz auch falsifizieren sind die Tatsachen, dass viele Instinkthandlungen gar keinen Triebstau aufweisen (z.B. Fluchtverhalten) und dass Wiederholungen nach einem relativ rhythmischen Muster, wie Lorenz es in seiner Triebtheorie beschreibt, „in keinster Weise zu beobachten sind“ (Nolting, 2001; Roth, 1999, zit. nach Bauer, 2004, S.77).

Dennoch muss festgehalten werden, dass Hooligans in Interviews immer wieder von postaggressiven Glücksgefühlen sprechen, den so genannten Kicks. Ihre Beschreibungen lassen eine Ähnlichkeit der Motivation zur Gewalt im Feld des Hooliganismus mit triebhaften Entladungen von Aggressivität vermuten.

2.1.2 Die Frustrations-Aggressions-Hypothese

Einen anderen Ansatz verfolgt die Frustrations-Aggressions-Hypothese, die auf Forschungsergebnissen von Dollard & Miller basiert. Laut dieser Theorie gehen Aggressionen auf vorangegangene Frustrationserlebnisse zurück, also auf die Verhinderung von zielgerichteten Aktivitäten, wobei Aggression nicht die einzige, wohl aber die wichtigste Verhaltensweise ist, die auf Frustrationen folgt.

Der Grad der Aggression, also womöglich die Schwelle zwischen autoaggressivem Verhalten und einem Verhalten, das Dritte schädigt, wird dabei von drei Faktoren beeinflusst (vgl. Bauer, 2004):

Faktor 1: Antriebsstärke zu der frustrierten Antwort. Die Frustration ist umso höher, je mehr einem Individuum das verwehrt bleibt, wonach es strebt.

Faktor 2: Grad der Interferenz mit der frustrierenden Antwort. Leichte Hindernisse wirken sich weniger stark auf die Frustration aus als unüberwindbare Hindernisse.

Faktor 3: Zahl der Sequenzen vor frustrierter Aktivität. Immer wiederkehrende und sich wiederholende Behinderung führen zu stärkeren Frustrationen als ein einzelnes Hindernis. Stärkere Aggressionen sind Resultat von stärkeren Frustrationen.

Eine Schwäche der Frustrations-Aggressions-Hypothese liegt darin, dass sie die so genannte instrumentelle Aggression, also die Aggression, die bewusst zur Durchsetzung der eigenen Ziele verwandt wird, nicht berücksichtigt und weitere Gründe einer aggressiven Handlung nicht benannt werden. Deswegen und weil sowohl Alltagserfahrungen als auch Forschung gezeigt haben, dass Aggressionen auch ohne emotionale Beeinflussung und ohne vorausgehende Frustrationen vorkommen, wird die Frustrations-Aggressions-Hypothese in ihrer radikalen Form wissenschaftlich nicht mehr vertreten. Als gesichert gilt jedoch, dass Frustrationen, vor allem in latenter Form, beispielsweise als lang anhaltende Misshandlung während der Kindheit, zu schweren Persönlichkeitsstörungen führen kann, die auch bei Hooligans nachgewiesen worden sind (s. Kapitel 2.3.2). Diese Zusammenhänge sind allerdings keineswegs Automatismen.

2.1.3 Der lerntheoretische Ansatz

Der lerntheoretische Ansatz zur Erklärung von aggressiven Handlungen geht zurück auf die Studien über das operante Konditionieren von Skinner (1973). Der Mensch wird demnach als verhaltensneutral gesehen, bis sein Verhalten durch die soziale Umwelt geformt wird. Die einschlägigen Lerntheorien sind das Bekräftigungslernen, also das Lernen durch positive oder negative Verstärkung und das Beobachtungslernen, welches sich hauptsächlich durch Imitation erfolgreicher Verhaltens-weisen Anderer auszeichnet.

Der lerntheoretische Ansatz ist der jüngste der drei vorgestellten Hypothesen zur Entstehung von aggressivem Verhalten und, obwohl die Wissenschaft sich von monokausalen Beschreibungsversuchen hin zu pluralistischen Ansätzen orientiert, eine curriculare Theorie.

Beim operanten Konditionieren werden Reaktionen aufgrund der unmittelbaren Konsequenzen dieser Reaktionen gelernt, bzw. verlernt.

Bezieht man dieses Modell auf „unseren“ Untersuchungsbereich, also die anlassbezogene Gewalt, gibt es nur eine Lösung, nämlich die Bestrafung jedweden Versuchs von Seiten der Täter gewalttätig zu werden. Allen muss klar werden, dass Gewalt in keinem Fall toleriert werden kann, da sich ansonsten diese Verhaltensweisen in den Köpfen der Ausübenden verstärken werden. Dies entspricht den Strategien der Polizei bezüglich Bekämpfung der Gewalt während der WM (s. Kapitel 2.4).

Ähnlich verhält es sich mit dem Beobachtungslernen oder Lernen am Modell. Ausgehend von einem Experiment Banduras aus dem Jahr 1961, bei dem Kinder mit aggressiven und nicht-aggressiven Modellen konfrontiert wurden, wobei das aggressive Modell erfolgreich war und dann von den Kindern imitiert wurde, besagt diese Theorie, dass jede Form von Modellen, Strategien und Vorbildern (sogar aus der Tierwelt) von Menschen kopiert werden, umso eher, wenn sie erstrebenswerte Ergebnisse erreichen, also verstärkt werden (vgl. Bauer, 2004, S.79f).

Menschen, die häufig aggressiven Modellen ausgesetzt werden, sind affiner gegenüber Aggression oder Gewaltausübung als Personen, denen Gewalt als Modell nicht oder kaum begegnet ist.

Geht man von dieser Theorie aus, sollte Gewalt am besten überhaupt nicht öffentlich thematisiert werden, denn Lernen am Modell sieht eine Löschung von Verhaltensweisen bei negativen Konsequenzen nicht vor. Dies allerdings ist, berücksichtigt man die Funktion der - in unserem Falle - Printmedien hinsichtlich ihrer Aufgabe der Information und Thematisierung von aktuellen Vorgängen (s. Kapitel 3.1) nur auf den ersten Blick von Vorteil, denn die Information der Allgemeinheit ist sicherlich von größerer Bedeutung. Es muss jedoch sichergestellt werden, dass Gewalt etwa von Seiten der Hooligans keinesfalls als erfolgreiches Modell dargestellt wird, d.h. man sollte darauf verzichten, sie beispielsweise in Jubelpose vor zurückweichenden Polizeikordons in der Zeitung abzubilden.

Genauer noch als die wissenschaftlichen Modelle zur Entstehung von Gewalt geben die persönlichen und sozialen Rahmenbedingungen der die Gewalt ausübenden Personen Aufschluss darüber, welchen Hintergrund die Affinität zur Gewalt hat.

2.2 Abgrenzung anlassbezogener Gewaltformen

Bei der Untersuchung der Darstellung von Gewalt während der WM in den Printmedien stehen der Untersucher wie auch die berichtenden Journalisten vor dem Problem der Abgrenzung. Was ist anlassbezogene Gewalt, bzw. was wird zu dieser gezählt, welche Gewalt, die zeitliche oder räumliche Nähe zum Fußballkontext aufweist, muss als nicht anlassbezogen markiert werden?

Als Gewaltformen, die untersuchungsrelevant sind, mögen als vorläufige Arbeitskategorien die folgenden gelten:

a) Hooliganismus als am meisten gefürchtete Kriminalitätsform, die konzertierte Gewaltausbrüche in organisierter Form beinhaltet.
b) Gewalt in Delikten, die zwar unorganisiert sind, aber in direktem Fußballkontext stehen.
c) Störungen sonstiger Art, wie Aktionen so genannter Flitzer, also Personen, die während der Spiele das Spielfeld betreten, oder Würfe von Gegenständen aus den Fanblocks aufs Spielfeld o.ä. Diese sind keine „Kavaliersdelikte“ und werden von der Polizei ebenso wie die erstgenannten Gewaltformen mit Strafverfolgung geahndet.

Die Polizei, die mit der Gewalt umzugehen hat, kategorisiert sie im Moment ihres Auftretens nicht nach „anlassbezogen“ oder „nicht anlassbezogen“. Allein die Schwere des Delikts determiniert die Reaktion der Polizei. Die Kategorisierung erfolgt erst durch die Medien, bewusst oder unbewusst durch eine inhaltliche Kontextualisierung.

Für die vorliegende Arbeit sind diese Kontextualisierungen ausschlaggebend. Ihre Muster herauszuarbeiten ist ein wichtiger Bestandteil der empirischen Untersuchung.

2.3 Hooliganismus

Obwohl das Problem der Abgrenzung und Bewertung von Gewalttaten und ihres Einflusses auf den reibungslosen Ablauf der WM besteht, ist die Form der Gewalt, die einer WM und auch dem Ausrichterland den unbestritten größten (Image-)Schaden zufügen kann, der Hooliganismus, zumindest wenn man vom politisch motivierten Terrorismus absieht.

Die Bilder, in denen hauptsächlich deutsche Hooligans während der WM 1998 in Frankreich den Polizisten Daniel Nivel auf den Straßen von Lens brutal zusammenschlugen gingen um die Welt und hinterließen einen enormen Eindruck sowohl von der Unkontrollierbarkeit der Szene und der Ohnmacht der Sicherheitskräfte. Analogien zu weiter zurückliegenden Taten deutscher Staatsbürger gerade in Frankreich waren schnell herbei geschrieben und warfen einen Schatten auf die Reputation Deutschlands in der Welt.

Der positive Aspekt - wenn man in diesem Zusammenhang überhaupt davon sprechen darf - war die verstärkte Thematisierung des Problems und endlich auch eine umfassende wissenschaftliche Untersuchung der Szene. Gerade den staatlichen Stellen wurde klar, dass eine Marginalisierung des Problems nicht zielführend und in höchstem Maße einladend für weitere Gewalttaten wirken musste.

Die Bekämpfung von Gewalt fällt ins Ressort des BMI, das in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern mehrerer Universitäten 2001 eine umfassende Analyse der Hooliganszene publizierte, die Ursachen, Entwicklung, Prävention und Interventionsmöglichkeiten umriss und die Beweggründe der Gewalttäter soziologisch und (sozial)psychologisch zu ergründen bemüht war.

Auch im Rahmen dieser Arbeit ist es wichtig, die Ursachen und Ausmaße des Hooliganismus zu benennen, da nur so ein Abgleich mit der Darstellung in den Medien sinnvoll stattfinden kann. Dabei sollen fünf Kategorien eröffnet werden, die geeignet sind, die Rahmenbedingungen des Hooliganismus zu beleuchten:

Bei den Kategorien „Soziale Faktoren“ und „Persönliche Faktoren“ werden vor allem die Daten aus der Intensivuntersuchung an 33 Hooligans verwandt (BMI, 2001, S.96-143).

Bei der Beschreibung der situativen Faktoren und dem Versuch der Kategorisierung der Hooligans innerhalb ihrer Szene (s. 2.3.4 Einordnung, Organisation) sollen vor allem Struktur und Größe der Szene in Deutschland umrissen werden.

Um zu einer Einschätzung des Konfliktpotentials der (internationalen) Hooliganszene speziell für die WM 2006 zu kommen, sollen Daten aus den Interviews mit dem Polizeidirektor Seidel und dem Fanforscher Gunther Pilz aus dem Fußballmagazin 11 Freunde benutzt werden.

Die Hooligans berichteten im Schnitt immerhin von 84 Fights, die mitgemacht worden sind. Unklar ist, inwieweit die Ergebnisse auf eine ohnehin zahlenmäßig nicht genau schätzbare Gesamtgruppe generalisiert werden können. Jedoch wurde die Intensivuntersuchung auch eher durchgeführt um „prototypische Grundmuster der Biographie“ (BMI, 2001, S.97) von aktiven oder ehemals aktiven Hooligans zu eruieren und ist in diesem Zusammenhang auch durchaus aufschlussreich.

2.3.1 Soziale Faktoren

Das Alter der untersuchten Hooligans lag zwischen 17 und 44 Jahren, alle sind männlich, das Einstiegsalter der vorliegenden Stichprobe wurde zwischen dem 13. und 22. Lebensjahr angegeben. Drei Fünftel kamen aus den alten Bundesländern, die anderen aus den neuen.

Nur knapp die Hälfte der Untersuchten wuchs in den ersten 18 Lebensjahren in einer intakten Familie, d.h. mit Vater und Mutter in einem Haushalt auf, bei den anderen gab es eine so genannte Brokenhome-Situation, die zu 42% aus einer Scheidung der Eltern resultierte, die in der Hälfte der Fälle vor dem zwölften Lebensjahr stattfand.

Diese relativ hohe Zahl an Brokenhome-Biografien unter den untersuchten Hooligans korrespondiert mit Hintergründen anderer schwer delinquenter Jugendlicher (vgl. Göppinger & Bock, 1997; Lösel & Pomplun 1998, zit. nach BMI 2001, S.98).

Ausgehend von den Berufen der Erziehungsberechtigten ist das sozioökonomische Milieu, aus dem die Untersuchten entstammten, hauptsächlich der unteren Mittelschicht zuzurechnen. 27% der Väter waren mindestens einmal, oft aber über mehrere Jahre arbeitslos. Bei den Müttern war dies nur zu 6% der Fall, was mitunter daran liegt, dass gut ein Viertel Hausfrauentätigkeiten nachgingen. Dies wiederum kann als Indikator für ein traditionelles Rollenverständnis in den Familien der späteren Hooligans gewertet werden.

Befragt nach der familiären Erziehung berichteten 39% der Stichprobe von starkem Alkoholkonsum des leiblichen oder faktischen Vaters. Damit teilweise verbunden war innerfamiliäre Gewalt. In 12% der Fälle wurde die Mutter geschlagen, 9% gaben an, dass ihr Vater auch außerhalb der Wohnung gewalttätig wurde. Dieser relativ hohe Prozentsatz lässt hinsichtlich der späteren Gewalttätigkeit der Probanten sicherlich Rückschlüsse über die Entstehung der Gewalt durch Imitation beziehungsweise über Lernen von Gewalt durch Modelle zu (vgl. Pilz, 1976). Cirka die Hälfte der Befragten gab an, selbst Opfer von Misshandlungen im Elternhaus gewesen zu sein, allerdings scheinen sie in der großen Mehrzahl nicht ständig massive Formen von Gewalt erfahren zu haben. Dennoch kann man von einer insgesamt erhöhten Gewalttendenz im Elternhaus sprechen. Ein weiteres Risiko für Dissozialität bzw. spätere Gewalttätigkeit sind Inkonsistenzen zwischen den Elternteilen, von denen immerhin 48% der Befragten berichten (vgl. BMI, 2001, S.100).

Die Untersuchung von Medienkonsum brachte keine Argumente für eine etwaige Verstärkung aggressiven Verhaltens durch aggressionshaltige Medieninhalte, oder auch nur für deren häufigere Nutzung. Drei Viertel der Befragten lesen häufig oder täglich eine Tageszeitung. Beim Fernsehprogramm ist eine Affinität zu Sportsendungen deutlich, hierbei vor allem Fußball, Boxen, Eishockey und Motorsport. Andere Formate sind aber nicht signifikant unterrepräsentiert.

Befragt nach politischen Einstellungen gaben 31% der Hooligans an, generelles Interesse an der Tagespolitik zu haben, 61% bekundeten ein ausgesprochenes Desinteresse, das vielleicht am besten mit Politikverdrossenheit zu beschreiben ist. 42%, davon die Mehrzahl Arbeitslose, würden sich dem rechten Spektrum zuordnen, als rechtsradikal beschrieben sich aber nur zwei der Befragten. Generell geht der Bericht des BMI davon aus, dass wohl Überlappungen der Hooliganszene mit der rechten Szene existent sind, was auch am Dresscode der Aktiven sichtbar ist, aber sie keinesfalls darauf reduziert werden kann. Vielmehr kann man Hooligans wahrscheinlich als eher unpolitisch beschreiben, wenn auch für Parolen vor allem aus der rechten Ecke des politischen Spektrums manchmal nicht unempfänglich (vgl. BMI, 2001, S.120).

2.3.2 Persönliche Faktoren

Zur Beschreibung des Phänomens „Hooliganismus“ sind auch Daten zur Persönlichkeit der auffällig gewordenen Personen unerlässlich. In der Intensivuntersuchung wurden zur Ermittlung des Intelligenzquotienten deswegen eine Kurzform des Hamburg-Wechsler Intelligenztest für Erwachsene durchgeführt.

Hierbei zeigte sich eine breite Streuung bei den Probanden. Gut ein Drittel der Hooligans zeigte eine unterdurchschnittliche Intelligenz (IQ kleiner als 85), gut die Hälfte bewies durchschnittliche Intelligenzwerte (IQ 85-115), 15% wiesen einen überdurchschnittlichen Intelligenzwert auf. Damit lag die Stichprobe ungefähr im Durchschnitt ihrer jeweiligen Altersgruppe (vgl. BMI, 2001, S.106), bestätigte aber Tendenzen zu Zusammenhängen mit Ergebnissen internationaler Delinquenzforschungen. Insgesamt dürften bei einem kleinen Teil der Hooligans intellektuelle Defizite für ihr Verhalten teilverantwortlich sein, die breite Verteilung spricht für Differenzierungen, die mit den verschiedenen Rollen innerhalb der Rollen in der Hooliganszene korrespondieren (vgl. BMI, 2001, S.107).

Zur Beschreibung der Grundmuster an Persönlichkeitsmerkmalen wurde den Untersuchungsteilnehmern das Freiburger Persönlichkeitsinventar nach Fahrenberg et al. (1994) vorgelegt. Durch einen Vergleich mit einer großen Normstichprobe konnten so hervorstechende Eigenschaften der Hooligans abgelesen werden.

Besonders große Abweichungen von der Norm wurden in den Skalen Aggressivität und Erregbarkeit gemessen. Dies weist darauf hin, dass die Betroffenen spontan und reaktiv zu Aggressionen neigen. Auch lässt es auf Tendenzen zur aggressiven Durchsetzung von Interessen schließen. Wird eine Person mit diesen Persönlichkeitsmerkmalen durch Beleidigung oder einfache Opposition herausgefordert, kann sie eher zur Anwendung körperlicher Gewalt tendieren. Das Übermaß an Erregbarkeit deutet darauf hin, dass Betroffene leicht reizbar sind.

Aggressives oder dissoziales Verhalten kann nicht nur mit einer übermäßigen Ausprägung bestimmter Persönlichkeitsmerkmale, sondern auch mit veritablen Persönlichkeitsstörungen zusammenhängen. Dies kann zwar nicht den Hooliganismus als Massenphänomen erklären, wurde aber dennoch an den Hooligans der Stichprobe mit Hilfe der Verwendung eines Screening-Fragebogens nach Fydrich et al. (1997) untersucht. Die Probanden zeigten hierbei mit 72% eine sehr hohe Rate an Auffälligkeiten in der Tendenz zur Antisozialen Persönlichkeitsstörung (ASPS) als Ausdruck einer allgemein gestörten Persönlichkeitsentwicklung, die meist schon im Kindesalter ihren Ursprung hat. Wesentlich erhöhte Werte konnten auch in den Bereichen der paranoiden und zwanghaften Persönlichkeitsstörungen (34,4%, bzw. 37,5%) gemessen werden. Diese verändern die Interpretation dahingehend, dass sich Betroffene in sozialen Situationen, die verhaltensunauffällige Personen als mehr oder weniger normal wahrnehmen, zum Beispiel bedroht oder verfolgt fühlen, was wiederum Aggression als Lösung oder notwendige Konsequenz erscheinen lässt. Hinzu kommen ablesbare Tendenzen, stur und rigide die eigenen Wertvorstellungen durchzusetzen, die in mit dem Hooliganismus verwandten, meist rechtsgerichteten Gruppierungen, sichtbar sind (vgl. BMI, 2001, S.112-113).

Die Erkennung von einschneidenden Persönlichkeitsstörungen ist dahingehend ernst zu nehmen, als dass sie die Problematik auf eine andere Ebene heben. Sie werfen die Frage der Therapierbarkeit, bzw. der generellen Begegnung des Phänomens auf. Hat man fehlgeleitete, aber gesunde, oder gestörte, vielleicht gar kranke Einzeltäter vor sich, die womöglich aufgrund ihrer Dispositionen immer wieder rückfällig werden?

Fest steht, dass man auf keinen Fall den Fehler machen darf, das Massenphänomen Hooliganismus zu verharmlosen, da es sich erwiesenermaßen bei den Aktiven nicht „nur“ um ansonsten unauffällige junge Leute auf der Suche nach dem Kick-Erlebnis handelt.

[...]


[1] Quelle: Bundesministerium des Innern (BMI) (2006). Nationales Sicherheits- konzept zur WM 2006 [Elektronische Version], S.3

[2] Quelle: Fifa-Homepage: http://fifaworldcup.yahoo.com/06/en/o/redcarpet.html

[3] Quelle: Süddeutsche Zeitung vom 18.Mai 2006

[4] Quelle: http://sport.ard.de/wm2006/news200602/22/interview_wm_wirtschaft.jhtml

[5] Quelle: Süddeutsche Zeitung vom 8. Juni 2006.

[6] Quelle: Pressemitteilung der Deutschen Postbank AG vom 24.Mai 2006 unter http://www.postbank.de/pbde_ag_home/pbde_pr_presse/pbde_pr_pressearchiv/pbde_pr_pressearchiv_2006/pbde_pr_pm797.html

Final del extracto de 117 páginas

Detalles

Título
Gewalt und Sicherheit. Eine Untersuchung in den Printmedien während der FIFA-Weltmeisterschaft 2006
Universidad
University of Münster
Calificación
1,3
Autor
Año
2006
Páginas
117
No. de catálogo
V67454
ISBN (Ebook)
9783638585866
ISBN (Libro)
9783638711531
Tamaño de fichero
1115 KB
Idioma
Alemán
Notas
Diese Arbeit besteht aus einem Theorieteil, in dem die (soziologisch interessanten) Implikationen der WM, der Hooliganismus, wichtige Informationen über die untersuchten Zeitungen im Besonderen und die Presse und ihre Effekte im Allgemeinen und die relevante Medienwirkungsforschung gezeigt werden, dann folgt in der Empirie eine qualitative und quantitative Inhaltsanalyse der relevanten Artikel zu Gewalt und Sicherheit während der WM aus den Zeitungen FAZ, SZ, Westfälische Nachrichten und Bild.
Palabras clave
Gewalt, Sicherheit, Eine, Untersuchung, Printmedien, FIFA-Weltmeisterschaft, Fußball, Analyse, Soziologie, Sportwissenschaft, Sportsoziologie, Deutschland, WM, World Championship, Zeitungsanalyse, Literaturarbeit, empirisch
Citar trabajo
Martin Steinbrink (Autor), 2006, Gewalt und Sicherheit. Eine Untersuchung in den Printmedien während der FIFA-Weltmeisterschaft 2006, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/67454

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