Schlüsselqualifikationen: Das Ticket für die moderne Arbeitswelt - Eine Einführung in den autonomiefördernden DaF-Unterricht für Mexiko


Masterarbeit, 2004

113 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Das „know-how“ für die Berufswelt des dritten Jahrtausends
1.1 Stellenanzeigen: Nach wem wird gesucht?
1.2 Begründungszusammenhänge für Schlüsselqualifikationen
1.3 Begriffsbestimmung und Stellenwert
1.4 Versuch einer Einteilung von Schlüsselqualifikationen
1.5 Didaktische Grundsätze der Implementierung
1.6 Zusammenfassung und Folgerung

2. Die Weichenstellung für ein lebenslanges Lernen
2.1 Allgemeine Definition und Begründung von Lernerautonomie
2.1.1 Pädagogische Perspektive
2.1.2 Die kognitive Lerntheorie
2.1.3 Die konstruktivistische Theorie
2.1.4 Konkrete Definition
2.2 Autonomes Lernen und Schlüsselqualifikationen
2.3 Notwendige Rahmenbedingungen für autonomes Lernen
2.3.1 Veränderung von Schüler- und Lehrerrolle
2.3.2 Vom lehrerzentrierten zum schülerzentrierten Unterricht
2.3.3 Kannbeschreibungen
2.4 Bewusstmachung
2.4.1 Subjektives Wissen
2.4.2 Lernstrategien und -techniken
2.4.3 Lernstile
2.5 Von der Fremd- zur Selbststeuerung: Stufen zur Autonomie
2.6 Zusammenfassung und Folgerung

3. Ein Warming-up für Manager hochkomplexer Lernprozesse
3.1 Bestimmungsort Mexiko
3.1.1 Beschreibung der mexikanischen Zielgruppe
3.1.2 Eine empirische Studie
3.1.2.1 Beschreibung der Studie
3.1.2.2 Auswertung der Studie
3.1.3 Folgerungen für eine didaktisch-methodische Kontinuität
3.2 Das geeignete Lehrwerk
3.2.1 Ein Rückblick auf autonomiefördernde Lehrwerke
3.2.2 Aufbau von Tangram
3.2.3 Die methodische Vermittlung laut Lehrerhandbuch
3.2.4 Resümee
3.3 Aufbau von Lernerautonomie mit dem gewählten Lehrwerk
3.3.1 Generelle Planung
3.3.2 „Transparenz“: Die Lerner lernen sich besser kennen
3.3.3 Selbständiges Arbeiten mit dem Lehrwerk
3.3.4 Bewusstmachung der Sprachlernziele
3.3.5 Zwischenspiel: Eine Reflektion am Ende des Halbbandes
3.4 Jenseits des Lehrwerks
3.5 Schlüsselqualifikationen und Fremdsprachenunterricht

Autonomie anstelle Angst vor der Freiheit

Literaturverzeichnis:

Anhang 1: Fragebogen

Anhang 2: Statistische Auswertung

Anhang 3: Erklärung

Einleitung

Auf Grund des raschen Wandels in der Arbeitswelt und der Unsicherheit über zukünf­tige An­forderungen ist der Erwerb von Fachwissen längst nicht mehr ausreichend. Wie diese verän­derten Anforderungen und zukünftigen Probleme gemeistert werden sollen, verbirgt sich für viele hinter dem Ausdruck Schlüsselqualifikationen. „Gerade diese Unschärfe des Begrif­fes mag Ursache für die breite Übereinstimmung bezüglich der Forderung nach Schlüsselqua­lifikationen von Seite der Arbeitnehmer und -geber, von Industrie, Schule und Eltern sein.“ (Italienisches Schulamt 2001: 28)

Im ersten Schritt dieser Arbeit wird also die mögliche Vielschichtigkeit, die sich hinter die­sem Begriff verbirgt, aufzudecken versucht. Gleichzeitig stellt sich aber auch die Frage wie Schlüsselqualifikationen erworben werden können, denn erst unter dieser Erklärung wird es für den Fremd­sprachenunterricht möglich, sie in einen unterricht­lichen Zusammen­hang zu stellen.

Eine absolute Methode für den Erweb von Schlüsselqualifikationen gibt es sicherlich nicht, wenn diese auch gerne als Allheilmittel erwünscht wäre. Deshalb können es nur Unterrichts­prinzipien sein, die zu einem dauerhaften integrativen Bestandteil werden (vgl. Reetz 1990: 279). Ein dafür geeignetes Prinzip könnte die Lernerautonomie sein, die Inhalt des zweiten Kapitels ist. Durch die Bewusstma­chung individueller Lernpro­zesse werden Lerner dazu angeregt, eine aktive Rolle beim Ler­nen ein­zunehmen. Dabei wird stufenweise versucht, die Lerner zu einer wachsenden Selbst­steuerung zu befähi­gen, die sich in Veränderungsprozessen von Denken und Handeln des Lerners wider­spiegeln. Die moderne Fremdsprachendidaktik hat sich infolgedessen eine ver­änderte Aufgabe gesetzt, nämlich die Lerner bei der Verantwortungsübernahme ihres eigenen Lernprozesses zu begleiten und zu unterstützten.

Im abschließenden dritten Kapitel geht es dann darum aufzuzeigen, wie autonomer Fremd­sprachenunterricht unter besonderer Berücksichtigung der mexikanischen Lerner geplant werden kann. Auf der Basis eines Lehrwerks werden konkrete Vorschläge gemacht, wie Be­wusstmachungsprozesse und Entscheidungsfrei­räume für den Lerner in den Sprachlernpro­zess eingeleitet werden können. Wichtig ist es dabei auch, sich in die veränderte Lehrerrolle einzudenken und sich mit ihr vertraut zu machen. Der Aufbau autonomen Lernens beschränkt sich somit nicht auf die Vermittlung der Fremdsprache, sondern trägt maßgeblich zur Entfal­tung der Persönlichkeit bei. Infolgedessen kann durch einen autonomiefördernden Fremdsprachenunterricht der Erwerb von Schlüssel­qualifikationen gefördert werden.

Zur Schreibweise: Da im Süden Mexikos das Matriarchat noch fest in der Gesellschaft verankert ist, werde ich mich in dieser Arbeit auf die leserfreundliche Verwen­dung der maskulinen Formen beschränken und zugleich in jedem Augenblick Kollegin­nen und Lernerinnen eingeschlossen wissen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1. Das „know-how“ für die Berufswelt des dritten Jahrtausends

Sapere aude!

Immanuel Kant

Die ursprüngliche personale Motivation eines Handwerkers, dessen ‘Lebendigkeit der Ar­beit’ aus der Einsicht in alle Arbeitsschritte abzuleiten war, wurde von der Industrie­gesell­schaft abgelöst. Ihr Prinzip, zerlegen, analysieren und reduzieren, forderte nach einem Spe­zialistentum, für das der Einblick in den Gesamtzusammenhang verloren ging. In der technozentrischen Entwicklung sollte sich der ideale Arbeitnehmertyp in seiner Funktiona­lität der einer Maschine annähern, d.h. er sollte tun, was ihm gesagt wurde ohne zu wider­sprechen (vgl. Glaser 1993: 95). Im gegenwärtigen technischen Wandel hingegen wird diese angeleitete Fremdbestimmung immer mehr durch die Forderung nach mehr Eigenver­antwortlichkeit und zunehmender Selbstbestimmung abgelöst. Die produktiven und kreati­ven Potenziale des Individuums werden wieder stärker gefordert. Je dynamischer, komple­xer und unvorhersehbarer also die gesell­schaftliche, technische, wirtschaftliche und damit auch persönliche Umweltentwicklung verläuft, desto größere Bedeutung kann diesen not­wendigen Eignungen zugesprochen werden (vgl. Glaser 1993: 96f).

1.1 Stellenanzeigen: Nach wem wird gesucht?

Beim Einstieg in das moderne Berufsleben reichen Fachkenntnisse und gute Noten schon lange nicht mehr aus. Zu einem einträglichen Mitarbeiter gehören mehr als nur fachliche Qualitäten: Er muss zusätzlich über- und außerfachliche Qualifikationen aufweisen können. In Stellenausschreibungen werden von potentiellen Bewerbern diese besagten Schlüssel­qualifikationen oder soft skills verlangt, denn sobald es um Personal­entscheidungen geht, spielen sie längst eine zentrale Rolle, sowohl bei der Einstellung als auch beim beruflichen Aufstieg. Dies bedeutet, dass heute schon von Hochschulab­solventen ein breites Spektrum an Schlüsselqualifikationen erwartet wird. Nach der Bundesvereinigung der deutschen Ar­beitgeberverbände sollen die Qualifikati­onen eines idealen Hochschulabsolventen aus 49% Schlüsselqualifikationen und aus 51% fachli­chen Qualifikationen bestehen (vgl. Honolka 2003: 4). Diesbezüglich wurden am 22./23. Juli 2000 (DEKRA 2000) in zwölf Tageszei­tungen 12.645 Stellenangebote hinsichtlich der fachübergreifenden Anforderungen analy­siert und ausgewertet. Die 106 gefundenen Begriffe für Schlüsselqualifikationen ergaben die folgenden Top Ten.

Tabelle 1.1: Auswertung von Stellenangeboten

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Wie aus der Tabelle ersichtlich ist, steht Teamfähigkeit an erster Stelle der Schlüssel­quali­fikationen, die nur mit geringem Abstand von Englisch als internationaler Wirt­schaftsspra­che gefolgt wird. Danach wird die Begrifflichkeit immer unklarer, denn allgemeine Berufs­erfahrung, Kunden- und dienstleistungsorientiertes Handeln und Eigenmotivation etc. sind keine Qualifikationen und können deshalb von Hochschulab­solventen nicht erwartet wer­den. Ist der Begriff Schlüsselqualifikationen also überhaupt fassbar? Die Bundesanstalt für Arbeit teilte mit, dass mittlerweile über 600 verschiedene Definitionen im Umlauf sein sollen, für das was unter Schlüsselqualifikationen verstan­den wird (vgl. uni 2003/5: 22). Das ver­deutlicht einerseits die wachsende Relevanz des Begriffs und veranlasst deshalb immer mehr Berufs­zweige ihre eigenen Definitionen und Einteilun­gen für Schlüsselqualifikationen vorzuneh­men, aber andererseits wird der Begriff immer mehr zu einem „großen Omnibus“ (Beck 1993: 22), in dem nahezu alles Platz hat. Bevor jedoch eine genauere Begriffsbestimmung versucht wird, um den Begriff Schlüsselquali­fikationen für den Fremdsprachenunterricht überhaupt erst greifbar werden zu lassen, möchte ich noch einen Schritt zurückgehen und seinen Begründungs­zusammenhang hinterfragen.

1.2 Begründungszusammenhänge für Schlüsselqualifikationen

Aufgrund rascher technologischer Innovation veralten Kenntnisse und Fertigkeiten schnell. Ihre „Halbwertszeit“ wird immer kürzer. Man geht davon aus, dass berufliches Fachwissen nach fünf Jahren, technologisches nach drei Jahren und EDV-Wissen sogar schon nach einem Jahr veraltet (vgl. Lechner 2002: 2). Dies drückt sich ebenfalls in einem ständigen wirtschaftlichen Wandel aus. Neue Produktions- und Arbeitstechniken stellen den Arbeitnehmer vor fortwährend veränderte Anforderungen. Insbesondere die Infor­mations- und Kommunikationstechnologien haben dabei einen hohen Stellenwert einge­nommen. Ferner ist es kaum noch denkbar, sein ganzes Leben am gleichen Arbeitsplatz zu verbringen; auf Grund der Globalisierung vielleicht nicht einmal im gleichen Land. Selbstständige Weiterbildungen und ein lebenslanges Lernen sind dadurch unerlässlich geworden.

Diesen Wandel erkannte Dieter Mertens schon Anfang der siebziger Jahre. Als Reaktion auf diesen sich verändernden Arbeitsmarkt entwickelte er den Begriff Schlüsselqualifi­ka­tion. Mertens verstand unter diesen Qualifikationen einen „Schlüssel“ für eine rasche und reibungslose Erschließung des sich immer schneller verändernden Fachwissens (vgl. Mer­tens 1974). Demnach sollte „die mentale Kapazität nicht mehr als Speicher von Faktenwis­sen, sondern als Schaltzentrale für intelligente Reaktionen genutzt werden.“ (Bunk 1991: 366) Schlüsselqualifikationen wurden von Mertens als überfach­liche Kenntnisse, Fertig­keiten und Fähigkeiten definiert, welche sowohl zur Bewälti­gung von aktuellen Aufgaben benötigt werden als auch dazu befähigen sollen, zukünfti­gen beruflichen Anforderungen gerecht zu werden. Die von Mertens vorgeschlagenen Inhalte blieben dabei auf materiale (Breitenelemente und Vintage-Faktoren) und formale (Basis- und Horizont-) Qualifikatio­nen begrenzt[1], die nur dazu dienen sollten, die wachsenden beruflichen Aufgaben effizien­ter auszuführen.

Das Bundesinstitut für Berufsbildung begründet die starken Veränderungen der Arbeitswelt damit, dass sich die ursprünglich funktionalen Arbeitschritte immer mehr in eine prozess­haft-dynamische Richtung bewegen (vgl. uni 2003/5: 23). Die Veränderun­gen in der Be­rufswelt vollzogen sich folglich nicht nur inhaltlich, so wie es Mertens vermutete und hät­ten den Menschen dabei unberührt gelassen, sondern führten zu markanten Umbrü­chen des beruflichen Handelns, wodurch auch eine Persönlichkeits­veränderung bedingt wurde. Schlüsselqualifikationen folglich, die Berufsfähigkeit fördern und zur Bewältigung einer flexiblen Arbeitswelt beitragen sollen, können nicht mehr auf eine kognitiv-intellektuelle Dimension reduziert sein, so wie sie von Mertens vorgeschlagen wurden. Denn sobald be­rufliche Handlungszusammenhänge gezielt in den Blick genommen werden, stellt sich her­aus,

„dass Arbeitsprozesse zunehmend weniger direkt angeleitet, sondern aufgrund von Rahmen­vorgaben zu organisieren sind. [Man muss somit U.W.] (...) in der Lage sein, Ziel­vorgaben aus eige­nem Vermögen in Schrittabfolgen zu übersetzen, die einzelnen Aktivitä­ten (Arbeitsschritte) selbst vorzunehmen, bei Störungen zunächst selbst eine Fehleranalyse durchzuführen und gege­benenfalls nach Lösungsmöglichkeiten zur Behebung des Problems zu suchen.“ (Belz 1997: 8)

Der zentrale Wandlungsprozess in der Arbeitswelt zeigt sich folglich im Übergang von der Anweisung zur Selbstständigkeit. Berufsfähigkeit verlangt zunehmend nach einer verän­derten Persönlichkeit, die sich auf Selbstständigkeit gründet. Diese kann jedoch nicht erst mit der beruflichen Arbeitswirklichkeit initiiert werden, sondern muss so früh wie möglich im lebenslangen Lernprozess eines jeden Individuums angelegt sein. Folglich darf berufliche Selbstständigkeit nicht als Ausdruck von Einzelkämpfertum missverstanden werden. Meist können Aufgaben in einer komplexen Arbeitswelt nicht mehr alleine bewäl­tigt werden, da zu viele Faktoren und Bereiche ineinander verkettet sind. Deswegen ist Selbstständigkeit als berufliche Befähigung zu verstehen, durch die der einzelne einen wichtigen Beitrag zu einem arbeitsspezifischen Ganzen leisten kann. Die Stärken des Ein­zelnen können jedoch nur nutzbar gemacht werden, wenn die Mitarbeiter über weitere Fä­higkeiten verfügen, die sich als Teamfähigkeit zusammen­fassen lassen:

„Dazu zählen alle „Gruppentugenden“ wie Empathie, Wahrhaftigkeit, Geltenlassen des besse­ren Arguments, Kompromissfähigkeit, Bereitschaft zur Führung, aber auch zum Ge­horsam, Fä­higkeit zum Rollenwechsel, erst recht wenn es mit Minderung sozialer Aner­kennung einher­geht.“ (Belz 1997: 8)

Um in der zunehmend komplexeren Arbeitswelt ein rationelles und rentables Wirt­schaften zu ermöglichen, muss Selbstständigkeit daher als Voraussetzung für Teamfä­higkeit gesehen werden. Schlüsselqualifikationen sind folglich nicht getrennt voneinan­der zu betrachten bzw. zu erwerben, sondern „untrennbar miteinander verbunden oder setzen einander gegen­seitig voraus.“ (Archan/Tutschek 2002: 9)

Daraus geht hervor, dass der ursprüngliche An­satz von Mertens, der sich auf materiale und formale Qualifikationen beschränkte und den Menschen nur in seiner Denk- und Problemlösungsfähigkeit weiterzuentwickeln versuchte, notgedrungen durch die personalen Qualifikationen wie Selbständigkeit und Teamfähigkeit erweitert werden musste (vgl. Bunk 1991: 368), um sich bei steigendem internationalen Wettbewerb behaupten zu können. Schlüsselqualifikationen sind also keine Modeerscheinung, sondern lassen sich klar auf Grund einer sich verändernden Arbeitswelt begründen. Aber welche Tragweite sollen diese überfachlichen Qualifikationen dabei umspannen?

1.3 Begriffsbestimmung und Stellenwert

Eine erste sehr allgemeine Definition hält den ursprünglichen Impetus von Mertens inso­weit bei, dass sie die Begrenzung der Funktion von Schlüsselqualifikationen auf die Ar­beitswelt aufrechterhält:

„Schlüsselqualifikationen sind all jene Fähigkeiten, die nicht zu den rein fachlichen Fertig­keiten und Kenntnissen gehören, jedoch wesentlich zum Erfolg und zum Weiterkommen im berufli­chen Bereich beitragen. Sie werden für die Arbeitswelt der Zukunft immer wichti­ger!“ (Lechner 2002:1)

Solange Schlüsselqualifikationen jedoch in ihrem Einsatz allein auf die betriebszweck­ori­entierte Ebene begrenzt bleiben, stellen sie nur Kompetenzen in einem Handlungsge­füge dar, „dessen Ziele und Regeln andernorts definiert sind, und für das sie nur in einem imma­nent funktionalen Sinn von Belang sind.“ (Belz 1997: 8) Dies ist aber auf Grund der darge­stellten Veränderungen nicht mehr überzeugend. Die Grenzen zwischen technischem, wirt­schaftlichem sowie gesellschaftlichem und persönlichem Wandel haben sich weitgehend aufgelöst. Deshalb muss die Einengung des Wortgebrauchs auf eine berufliche Wirklichkeit überwunden werden. Das Bundesministerium für Wirt­schaft und Arbeit stellt diese Zu­sammenhänge klar dar. Es durchbricht dabei die bisherige rein berufliche Funktionalität von Schlüsselqualifikationen und hebt ihre Verknüpfung mit der Persönlichkeitsbildung verstärkt in den Fordergrund:

„Allgemein gesehen versteht man unter dem Begriff Schlüsselqualifikationen jene außer­fachli­chen Fähigkeiten, die Aspekte der Persönlichkeitsbildung beinhalten, Fähigkeiten, die zwar für die Berufsausübung sehr wichtig sind, die aber (...) auch für andere (...) Lebensbe­reiche Be­deutung haben.“ (Archan 2002: 2)

Daraus geht hervor, dass Schlüsselqualifikationen auch in außerberuflichen Lebensberei­chen, die z.B. politische, kulturelle und familiäre Handlungsfelder umfas­sen, einen zentra­len Stellenwert einnehmen (vgl. auch Beck 1993: 17f, Belz 1997: 6f). Sie dürfen also nicht mehr auf die Berufswelt begrenzt gesehen werden. Dies hat zur Folge, dass auch die Maß­nahmen zu ihrer Förderung nicht mehr auf den „Zeitpunkt“ einer beruflichen Qualifizierung vorenthalten bzw. beschränkt sein dürfen, wie es z.B. von Brassard (1994: 16) angenommen wurde, sondern zum ständigen Inhalt von Schule, Hochschule und Berufswelt werden müssen.

Diese vielschichtige Bedeutung von Schlüsselqualifikationen erkannte Beck schon Anfang der 90er Jahre und stellte ihre Relevanz in Bezug auf die schulische Entwick­lung heraus: „Für den schulischen Bereich kommt verstärkt der Aspekt hinzu, daß die Kenntnisse, Fer­tigkeiten, Fähigkeiten, Einstellungen und Werthaltungen nicht nur auf die Berufsqualifika­tionen abzielen, sondern auch auf eine ganzheitliche Entwicklung der Persönlichkeit.“ (Beck 1993: 17f) Beck stimmt einerseits mit den zuvor darge­stellten Definitionen des Bun­desministeriums für Wirtschaft und Arbeit überein, hebt aber andererseits den Faktor der Persönlichkeitsentwicklung noch einmal verstärkt durch die Begriffe Einstellung und Werthaltung hervor, deren Entwicklungen vorrangig mit individuellen Erfahrungen ver­bunden sind und meist aus langjährigen Lernprozes­sen hervorgehen. Schlüsselqualifikatio­nen sind deshalb besonders lang verwertbare Kenntnisse, Fertigkeiten, Fähigkeiten, Ein­stellungen und Werthaltungen auch zum Lösen gesellschaftlicher Probleme sowie „Selbst­hilfequalifikationen“, um weniger auf Fremdhilfe angewiesen zu sein (vgl. Beck 1993: 17f). Auch er unterstreicht die Notwendigkeit, dass ihnen schon in der Schule eine zentrale Größe zugesprochen werden muss.

Durch diese genauere Fokussierung sind klare Unterschiede zwischen den Auslegungen von Schlüsselqualifikationen zu erkennen, die sich aus ihrer Zweckhaftigkeit ableiten las­sen. Denn solange sie sich auf den „Wirtschaftsutilitarismus“ beschränken, scheinen Ein­stellungen und Werthaltungen keine Bedeutung zu haben, da es sich um eine Fortsetzung der technozentrischen Entwicklung handelt, bei der der Wert eines Arbeit­nehmers vorran­gig an seiner Funktionalität und Optimierung gemessen wird. Allerdings

„erst mit der konsequenten Hinwendung zur Person kommt ein kritisches Moment im Sinne aufklärerischer Tradition zur Geltung. (...) es handelt sich um die „Erlaubtheit einer anderen Perspektive“. Es darf und soll danach gefragt werden, wo bei aller Anerkennung betriebli­cher Erfordernisse auch die Person zu ihrem Recht kommen kann.“(Belz 1997: 8)

Denn sobald auch die Person in das Zentrum gerückt wird, werden Einstellungen und Werthaltungen zu einem relevanten Faktor. Die Aufgabe von Schlüsselqualifikationen überwindet ihre berufliche Begrenztheit und dient zur Lösung gesellschaftlicher Themen. Denn in wie weit ein gesellschaftliches Problem vom Individuum als solches erkannt wird, hängt von seiner Einstellung ab und ob es einen Beitrag zur Lösung leistet, ist vorrangig durch seine Werthaltung bedingt. Folglich kann die Festlegung von Schlüsselqualifikatio­nen sehr unterschiedlich ausfallen. Der weitere Inhalt dieser Arbeit schließt sich der Defi­nition von Beck an, die ebenfalls Einstellungen und Werthaltungen zu den Schlüsselquali­fikationen zählt und sich in dem folgenden Versuch einer Eintei­lung widerspiegelt.

1.4 Versuch einer Einteilung von Schlüsselqualifikationen

Auf Grund des gängigen Wortgebrauches wird leicht der Anschein erweckt, als wäre relativ klar, was unter Schlüsselqualifikationen im Konkreten zu verstehen wäre. Den Begriff jedoch inhaltlich auszufüllen, ist ein schwieriges Unterfangen, da er sehr unterschiedliche Vorstellungen zulässt. Bei der Erstel­lung von Katalogen dominiert die normative Bestimmung, d.h. es werden als besonders wünschenswert erachtete „Quali­fikationen“ beschrieben und aufgelistet. Deshalb treten bei Einteilungen auch große Variabilitäten auf, sowohl bei den Kategorien als auch bei den konkreten Inhalten. Stellvertretend für die zahlreichen Systematisierungsvarianten wird eine klare Auftei­lung in materiale, formale und soziale/personale Qualifikationen verwen­det, die auch vom Deutschen Bundestag befürwortet wird.

Tabelle 1.2: Schlüsselqualifikationen

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

(vgl. Bunk 1991: 369)

Wird dieser Katalog nun interpretiert, lässt sich vereinfacht sagen, dass materiale Inhalte vorrangig wissens- bzw. stofforientiert sind. Es handelt sich also um konkrete Kenntnisse und Fertigkeiten. Gemäß kann auch die Bezeichnung Fachkompetenz dafür verwendet werden. Formale Qualifikationen hingegen sind zusammenfassend denk- und methodenbe­stimmte Fähigkeiten. Entsprechend wird der Begriff Methodenkompetenz benutzt. Und personale Qualifikationen schließen soziale und personale Verhaltenswei­sen sowie auch ein bestimmtes Arbeitsverhalten mit ein. Demgemäß werden dafür die Ausdrücke Sozialkom­petenz und Selbstkompetenz gebraucht (vgl. Beck 1993: 20). „Will man schlagwortartig die jeweiligen Qualifi­kationsgruppen kennzeichnen, so repräsentieren materiale Kenntnisse und Fertigkeiten das Allgemeine, formale Fähig­keiten das Selbstständige und personale Verhaltensweisen das Menschliche.“ (Bunk 1991: 368)

1.5 Didaktische Grundsätze der Implementierung

Wie zuvor schon verdeutlicht, kann mit der Ausbildung von Schlüsselqualifikationen nicht bis zum Berufsbeginn gewartet werden, da Lernen ein lebenslanger Prozess ist. Die Grund­bausteine dafür werden in den ersten Lebensjahrzehnten durch das soziale Umfeld wie Fa­milie, Kindergarten und Schule etc. geschaffen und ermöglichen eine fortlaufende Weiter­entwicklung. „Der Erwerb von Schlüsselqualifikationen ist ein lebenslanger Prozess, der aus der Dynamik des Neu- und Umlernens lebt.“ (Richter, Ch. 1995. In: Beck 1997: 6) Bei einer gesteuerten Förderung muss der Erwerb in Auseinan­dersetzung mit ganzheitlichen Lernanforderungen stattfinden, da sich Schlüsselqualifi­kationen nur in komplexen Lebenssituationen, so­wohl beruflicher als auch privater Natur, erwerben lassen (vgl. Beck 1993: 157). Dabei sind sie inhaltsneutral, auf beliebige Inhalte anwendbar (Transfer) und erhalten ihre Leistungsmöglichkeiten erst aus der Neueinbettung in ein spezifisches Handlungsfeld. Deshalb schaffen Schlüssel­qualifikationen auch eine Basis für zukünftige und noch unbestimmte Anforderungen. Hinter diesem Konzept kann deshalb laut Beck (1993: 21) kein konkretes Menschen- bzw. Gesellschaftsbild stehen und lässt sich auf sehr unterschiedliche Auffassungen vom Menschen übertragen.

In beruflichen Aus- und Weiterbildungen hat die Vermittlung von Schlüsselqualifikati­onen längst einen zentralen Stellenwert eingenommen. Insbesondere Großbetriebe haben hierfür laut Belz (1997: 3) großartige Arbeit geleistet, indem sie es den Auszubil­denden in sogenannten Lerninseln ermöglichen, sich am konkreten Modell überfachli­che Qualifikationen anzueignen. Dabei wird durch selbstständiges, eigenverantwortli­ches und kooperatives Lernen und Arbeiten eigenständiges Denken und Handeln als Ziel für die Auszubildenden angestrebt. Selbstständigkeit, Identifikation und Leistungs­bereitschaft werden hervorgehoben und verstärkt gefördert. „Die Form der Gruppenar­beit ist in diesem Bereich unerlässlich, da nur sie einen notwendigen Austausch der Lernenden garan­tiert.“ (Belz 1997, In: Vorbemerkungen) Nach Brassard (1994: 223) sollen dabei folgende didaktische Kriterien Anwendung finden:

Die Lernenden

-planen und organisieren lassen (anstatt ihnen vorzugeben, was wann und wie zu erledi­gen ist)
-Probleme und mögliche Lösungen formulieren lassen (anstatt eingrenzende Aufga­ben­stellungen)
-Alternativen suchen und aufzeigen lassen (anstatt es nur bei einer Lösungsmöglich­keit zu belassen)
-ihre Arbeitsabläufe selbst kontrollieren lassen (anstelle von außen kontrollieren)
-Bewertungskriterien erarbeiten lassen (anstatt sie vorzugeben)
-den Lernerfolg kontrollieren und bewerten lassen (anstatt sie zu bewerten)
-in ihrem eigenständigen Denken und Handeln herausfordern und fördern (anstatt fer­tige Lösungen vorzugeben)
-in die Verantwortung miteinbeziehen (anstatt sie alleine zu übernehmen)
-in Selbstständigkeit, Identifikation und Leistungsbereitschaft unterstützen und för­dern (anstatt unselbstständig und demotiviert arbeiten zu lassen)

Die Aufgabe des Lehrers ist dabei

-sie auf Positives hinzuweisen (anstatt nur Negatives anzusprechen)
-sie zu ermutigen und zu loben (anstatt nur zu bemängeln und zu tadeln)
-sie anzuregen und zu beraten (anstatt vorzugeben und zu bestimmen)
-sie berichten, erklären und begründen zu lassen (anstatt selbst nur aktiv zu sein)
-sie kooperativ und gemeinsam erarbeiten zu lassen (anstatt sie zu isolieren)

Da Schlüsselqualifikati­onen - wie zuvor ausführlich erörtert wurde - einen lebenslangen Lernprozess bilden und einen zentralen Beitrag zur Persönlichkeitsentwicklung leisten, kann ihr Erwerb aber nicht, im Gegensatz wie es Brassard (1992: 16) fordert, auf „Lerninselbesuche“ begrenzt sein. Denn dadurch würde das oben gesetzte Ziel „eigen­ständiges Denken und Handeln zu fördern“ wieder auf ein konkretes Arbeitsfeld beschränkt und vielen Menschen die Chance zur persönlichen und beruflichen Qualifi­zierung vorenthalten werden. Genau das Gegenteil muss der Fall sein. Die als notwen­dig dargestellten didaktischen Gestaltungen müssen beim Individuum so früh wie möglich greifen. Denn sowohl der Erwerb von Qualifikationen kann nicht eindeutig einem bestimmten Tätigkeitsfeldern zugeordnet werden so wie auch aus der Beschäfti­gung in gewissen Tätigkeitsfeldern kein eindeutiger Erwerb von Qualifikationen abzuleiten ist. „Somit laden Schlüsselqualifikationen zum lebenslangen Lernen und zu ste­tigen Veränderungsprozessen und Weiterentwicklungsmöglichkeiten der Person und der Gesellschaft ein.“ (Belz 1997: 11)

1.6 Zusammenfassung und Folgerung

Schlüsselqualifikationen, so wie sie als Grundlage für diese Arbeit verstanden werden, sollen also nicht nur in beruflicher Hinsicht als bedeutend angesehen werden, sondern ebenso als unverzichtbaren Beitrag zur Persönlichkeitsentwicklung. Ihre Aneignung umfasst einen lebenslangen Lernpro­zess, der beim gesteuerten Erwerb nur unter ganzheitlichen Lernanforderungen stattfinden kann. Wenn sich aber ihr Erwerb nicht auf spezifische Tätigkeitsfelder zurückführen lässt, sie inhaltsneutral sind und sich folglich auf beliebige Inhalte anwenden lassen, dann könnten sie ebenfalls in vielen Bereichen von Schule, Universität, Ausbildung, Fortbildung etc. zum tragenden Inhalt werden. Wären die dafür notwendigen didaktischen Grundsätze (s.o.) auch auf den Fremdsprachenunterricht übertragbar? Könnte also im Sprachunterricht die Zielsetzung kommunikative Kompetenz um den persönlichkeitsfördernden Faktor Schlüsselqualifi­kationen ergänzt werden?

Das institutionelle Erlernen einer fremden Sprache läuft meist nach anderen als die zuvor für die Schlüsselqualifikationen vorgeschlagenen Prinzipien ab. Wie müsste dieser Lernprozess jedoch neu definiert werden, damit auch Schlüsselqualifikationen gefördert und aufgebaut werden könnten? Gibt es schon Ansätze? Unter besonderer Berück­sichtigung dieser Perspektive soll im Folgenden die Frage geklärt werden, welche didaktischen Prinzipien dafür in „Deutsch als Fremdsprache“ (DaF) implemen­tiert werden müssten.

2. Die Weichenstellung für ein lebenslanges Lernen

Lehren heißt zeigen, dass etwas möglich ist.

Lernen heißt, seine eigenen Möglichkeiten ausloten.

Paulo Coelho

Traditioneller Fremdsprachenunterricht beschränkt sich meist auf Sprachvermittlung und trägt deshalb kaum dazu bei, dass Schlüsselqualifikationen wie z.B. selbständiges Lernen, Prob­lemlösungsfähigkeit und Teamfähigkeit erworben werden. Auf der Grundlage welcher didaktischer Prinzipien könnten sie jedoch umfassend gefördert werden? Eine Möglichkeit, die die Fragestellungen dieses zweiten Teils der Arbeit bestimmt, ist das autonome Lernen, denn „Kern und Ausgangspunkt der Schlüsselquali­fikationen ist die Kategorie der Selbst­ständigkeit“. (Bunk 1991: 368) Im autonomieför­dernden Unterricht können die Lerner zuneh­mend Verantwortung für das eigene Lernen übernehmen. Dies trägt zur Persönlichkeitsentwicklung bei, denn „ein positives Selbstwertgefühl entsteht erst dann,“ so Chan (2002: 58), „wenn sich der Mensch als auto­nom Handelnder erlebt und dem eigenen Handeln den Erfolg zuschreiben kann.“ Chan bezieht sich diesbezüg­lich auf die humanistische Psychologie, die Autonomie als ein Grundbedürfnis des Menschen herausstellt. Durch veränderte Lehr- und Lernformen können Lernern im autonomen Fremdsprachenunterricht zunehmend Verantwortung zugesprochen werden und sich dadurch Schlüsselqualifikationen aneignen. Sprachunter­richt kann dadurch einen neuen Stellenwert in der modernen Arbeitswelt bekommen.

Um die Zusammenhänge zwischen Schlüsselqualifikationen und Lernerautonomie zu verdeutlichen, muss zuerst geklärt werden, was ‘autonomes Lernen’ im einzelnen bedeu­tet. Vorab soll jedoch ein mögliches Missverständnisse ausgeräumt werden: Autonomes Lernen bildet kein Synonym für autodidaktisches Lernen. Falsch wäre also anzunehmen, dass autonomes Lernen den Lehrer überflüssig machen würde und dass Eingriffe von Lehrerseite in den Lernprozess autonomes Lernen unterbinden würde. Der autonomiefördernde Lehrer hat vielmehr die Aufgabe, den Lerner in der Entfaltung seiner Selbständigkeit zu unterstützen. Diesbezüglich hebt Little aber hervor, dass es unwahrscheinlich ist, dass Lerner ohne die Unterstützung vom Lehrer autonom werden, aber auch andererseits, dass es nicht der Fall sein kann, „that the development of learner autonomy can be programmed in a se­ries of lesson plans.” (Little 1991: 3) Lernerauto­nomie kann also weder vorgeschrieben noch erzwungen werden.

Um klären zu können, inwieweit autonomer Fremdsprachenunterricht einen Beitrag zum Erwerb von Schlüsselqualifikationen leisten kann, muss zuerst die Frage geklärt sein, was genau unter autonomem Lernen zu verstehen ist. Daran schließen sich die Frage nach den Bedingungen, die für eine Verwirklichung von Lernerautonomie unverzichtbar sind. Abschließend wird in diesem Teil der Arbeit auch die Frage nach dem passenden Material zu klären versucht.

2.1 Allgemeine Definition und Begründung von Lernerautonomie

Das Wort ‚Autonomie’ ist dem Griechischen autonomia entlehnt und wurde seinerseits aus dem Wort autonomos (auto = selbst, eigen; nomos = Gesetz) abgeleitet.[2] Bezüglich des Konzeptes der Lernerautonomie bedeutet dies für den Lerner, im Vergleich zum traditio­nellen Unterricht, ein hohes Maß an Freiheit. Um jedoch Missverständnissen entgegenzu­treten, hebt Little hervor, dass diese dem Lerner gewährte Freiheit nicht absolut sein kann, „because we are social beings (...); our essential condition is one of interdependence.“ (1991: 5)

Lernerautonomie nimmt nun schon seit über zwei Dekaden immer mehr Bedeutung sowohl bei den Forschern als auch Didaktikern ein. Der ursprüngliche Ansatz von Holec (1979), der auf den Fremdsprachenerwerb in der Erwachsenenbildung gerichtet war, erweckte schon bald zunehmende Aufmerksamkeit auch in der schulischen Welt, sodass Anfang der neunziger Jahre alle Anzeichen dafür sprachen, dass Lernerautono­mie bald den Status eines „buzz-words“ erlangen würde, den die Begriffe ‚kommunika­tiv’ und ‚authentisch’ schon lange genossen hatten (vgl. Little 1991: 1f). Aber wodurch begründet sich diese entschei­dende Wende in der Pädagogik und was verbirgt sich hinter dem neuen Begriff?

Die intensive Diskussion um die Lernerautonomie, sowohl in der allgemeinen Pädago­gik als auch Fremdsprachendidaktik, begründet sich vor allem durch die Abkehr vom Behaviorismus Mitte der 70er Jahre. Dabei wurde die behavioristische Vorstellung vom passiven und nachahmenden Lerner durch die kommunikative Didaktik abgelöst, die den Lerner in den Mittelpunkt des Lehr- und Lernprozesses rückte. Lernerorientierung bedeutet für den kommunikativen Ansatz, den Lerner als Subjekt des Unterrichts zu betrachten und dessen Verstehens- und Mitteilungsbedürfnisse zu fördern (vgl. Düwell 2003: 350). Ebenfalls der rasche Fortschritt der Informations- und Kommunikations­technologie, die dem Lerner gänzlich neue Möglichkeiten zum selbständigen Lernen eröffnete, hat bedeutend dazu beigetragen und gewinnt zunehmend an Relevanz (vgl. Chan 2000: 56).

2.1.1 Pädagogische Perspektive

Als Gegensatz zum traditionellen Unterricht, wobei Lernen vom Leben isoliert wird, stellt Little (1991: 4) die Überwindung der Barrieren zwischen beiden als Notwendig­keit für autonomes Lernen heraus. Dies ermöglicht dem Lerner Verknüpfun­gen zwischen neuem Wissen und bereits vorhandenen Kenntnissen herzustellen und vereinfacht infolgedessen den Transfer von neu erworbenem Wissen auf das reale Leben sowohl in beruflichen als auch privaten Bereichen. Little begründet den Abbau der Barrieren zwischen Leben und Lernen als Notwendig­keit für das autonome Fremd­sprachenlernen. Folglich lautet seine „provisional definition of autonomy“ wie folgt:

„Essentially, autonomy is a capacity – for detachment, critical reflection, decision-making and independent action. It presupposes, but also entails, that the learner will develop a par­ticular kind of psychological relation to the process an content of his learning. The capacity for auton­omy will be displayed both in the way the learner learns and in the way he o she transfers what has been learned to wider contexts.” (Little 1995: 4)

Inwieweit stimmen aber die Überlegungen Little’s mit dem gegenwärtigen Kenntnis­stand des Lernens überein? Die Erkenntnisse, die in den letzten Jahren in der kognitiven Psycho­logie und in der konstruktivistischen Lerntheorie gewonnen wurden, bieten für das Konzept der Lernerautonomie eine ab­ge­sicherte empirische Basis. Sie bestätigen, dass die aus der Praxis kommenden Prinzipien der Lernerautonomie in viel höherem Maße mit dem gegenwärtigen Kenntnisstand des Lernens über­einstimmen als die durch Instruktion entwickelten Unterrichtskonzepte.

2.1.2 Die kognitive Lerntheorie

Aus der Perspektive der kognitiven Lerntheorie stellt sich die Frage: Was tun Men­schen, wenn sie versuchen einen Text, ein Bild oder einen Film zu verstehen? Wie geben sie dem, was sie lesen oder sehen, Sinn? Nach Wolff (1999: 41f) nehmen Psycholinguisten an, dass Wahrnehmen und Verstehen konstruktive Operationen sind, die jeder Mensch individuell und auf der Grundlage seines spezifischen Welt- und Erfahrungswissens durchführt. Diese Informationsverarbeitungsprozesse sind notwen­dige komplexe mentale Operationen, die durch Strategien, sogenanntes prozedurales Wissen, gesteuert werden. Eingehende Stimuli interagieren mit dem bereits vorhande­nen Wissen und durch die Interaktion entsteht neues Wissen, das dann angemessen gespeichert und organisiert wird. Daraus geht hervor, dass Verstehensprozesse und somit auch Lernprozesse für jeden entsprechend seiner Erfahrun­gen und seines Wissens unterschiedlich sein müssen. „Lernen wird in dieser Theorie als eine aktive Tätigkeit verstanden, die der Lerner unabhängig durchführt und die nicht von außen beeinflusst oder kontrolliert werden kann.“(Wolff 1999: 43)

2.1.3 Die konstruktivistische Theorie

Der Erklärungsversuch aus der kognitiven Psychologie, in dem Wahrnehmen und Verste­hen als konstruktive Operationen formuliert werden, wird in der Theorie des radikalen Konstruktivismus noch einen Schritt weitergeführt. Diese behauptet, dass es keine Wirk­lichkeit außerhalb des menschlichen Gehirns gibt, da sie von ihm erst konstruiert wird und deshalb nur subjektiv in seinem Gehirn existieren kann. Das Hauptkriterium für die kogni­tive ‘Welterzeugung’ ist nach Chan (2000: 63f), der sich hier auf Bleyhl beruft, jedoch nicht die Suche nach einer Wahrheit, sondern die Viabilität oder die Brauchbarkeit der er­zeugten Wirklichkeit für das eigene Überleben. Die Wahrnehmung ist also durch das be­dingt, was wir zum Handeln brauchen und was uns wichtig erscheint. Das menschliche Gehirn stellt entsprechend ein in sich geschlos­senes System dar, das sich selbst organisiert und nur geringfügig von äußeren Faktoren beeinflussen lässt. Laut Wolff ist Lernen als Konstruktion von Wissen folglich ein Produkt dieser Selbstorganisation:

„Wenn Lernen so verstanden wird, wenn das Ergebnis des Lernens nicht eine objektive Re­ali­tät, sondern die subjektive Konstruktion von Welt ist, dann verbindet sich Selbstorgani­sation auch mit Eigenverantwortlichkeit. Der Mensch ist für sein eigenes Lernen verant­wortlich, weil er damit sein Überleben als autopoietisches System sichert.“ (1994: 415)

Unter dieser veränderten Perspektive stellt sich Lernen als individueller und vom Lerner eigenständig gesteuerter Konstruktionsprozess heraus, bei dem sich jeder Lerner sowohl bezüglich Lernweg als auch Ergebnis unterscheidet. Die Verantwortung für das Lernen liegt darum in den Händen des Lerners. Nach Wolff (1994: 427) besteht kein Zweifel darin, dass der Konstruktivismus die theoretische Grundlage des autonomen Lernens bildet, wo­durch nahezu alle aus diesem Denkmodell ableitbaren Lernprinzipien verwirklicht werden können. Zur Verdeutlichung werden diese kurz veranschaulicht:

-Der Einsatz von authentischen Materialien entspricht dem Prinzip ausschließli­cher Be­rücksichtigung komplexer Lerninhalte.
-Die Förderung authentischer Interaktion in der Zielsprache entspricht dem Prin­zip der authentischen Lernumgebung, in der Lerninhalte konkret gebraucht wer­den.
-Die bewusste Fokussierung auf Verarbeitungs- und Lernprozesse bezieht sich auf das Prinzip der Wissensverarbeitung.
-Die Sozialform der Gruppenarbeit unterstreicht das Prinzip des kooperativen Ler­nens. Im Austausch des individuellen Wissens bringen Lerner ihre subjektiven Wel­ten zusammen und bauen dadurch eine neue Welt auf, in der sich alle orien­tieren können (vgl. Wolff 1994: 427, 1999: 44).

Als Konsequenz dieser Erkenntnis fordert Wolff u.a. (z.B. Little 1991: 15ff) eine Unter­richtspraxis, die dem Lerner die Möglichkeit zum selbstbestimmten, autonomen Lernen eröffnet. „Individualisierung“ bedeutet jedoch noch nicht automatisch Erfolg, solange Ler­ner nicht entsprechend zur Selbststeuerung ihres Lernens befähigt werden, was von Holec (1979) zum entscheidenden Merkmal der Lernerautonomie erklärt wird.

2.1.4 Konkrete Definition

Zu den ersten und bedeutendsten Dokumenten der Lernerautonomie zählt zweifellos der Bericht von Henri Holec, den er 1979 unter dem Titel: „Autonomy and foreign Language Learning“ für den Europarat anfertigte. Hierin definiert Holec Autonomie, die sich auf Er­wachsenenbildung bezieht, folgendermaßen:

„[...] autonomy is „the ability to assume responsibility for one’s own affairs”. In the context which we are dealing, the learning of languages, autonomy is consequently the ability to take charge of one’s own learning. (Holec 1979: 3)

Unter „ability to take charge of one’s own learning“ versteht Holec die Fähigkeit des Ler­ners, sein eigenes Lernen zu steuern. Dabei setzt er selbstgesteuertes Lernen mit autono­mem Lernen gleich (vgl. Chan 2000: 57f). Der autonome Lerner trägt somit die Verant­wortung bezüglich aller Aspekte, die das Lernen betreffen. Im Einzelnen muss er im Stande sein, selbstständig

-die Ziele,
-die Lerninhalte und -progressionen,
-die Lernmethoden und -techniken sowie
-die Umstände und Modalitäten seines Lernens zu bestimmen und
-seine Lernleistung zu evaluieren.

Diese Fähigkeit ist nach Holec jedoch nicht angeboren, sondern muss entweder auf einem natürlichen Weg oder, wie es meistens der Fall ist, erst durch gesteuertes Lernen erworben werden (vgl. Holec 1979: 3f). Auch Little (s.o.) betrachtet die Förderung der Lernerautonomie als Befähigung des Lerners zur Eigenverantwortung als unumgäng­lich. Dafür sind allerdings folgende Vorraussetzun­gen notwendig:

-Der Lerner muss eine positive Einstellung zum Lernen haben.
-Er muss die Fähigkeit entwickeln, die Inhalte und Prozesse seines Lernens zu reflektie­ren.
-Er muss in der Lage sein, bewusste Kontrolle über das Lernen auszuüben (vgl. Chan 2000: 59).

2.2 Autonomes Lernen und Schlüsselqualifikationen

Ist autonomes Lernen gleichzeitig auch Erwerb von Schlüsselqualifikationen oder bildet es erst die Voraussetzungen dafür? Möglicherweise bestehen nur aus zeitlicher Entspre­chung vereinzelte Parallelen zwischen den Begriffen, da sie doch aus zwei sehr unterschiedlichen Bereichen kommen: Pädagogik und Wirtschaft.

Holec als „Begründer“ der Lernerautonomie stützte sein Konzept auf die soziopoliti­schen Veränderungen, die Ende der 60er Jahre aus dem unaufhaltsamen wirtschaftli­chen Fort­schritt hervorgingen. Als Ausdruck der Übersättigung der Bürger am Kon­sumverhalten entwickelte sich der Slogan „quality of life“. Dieses veränderte gesell­schaftliche Bewusst­sein verlangte nach der verstärkten Entwicklung des Individuums sowie „those abilities which will enable him to act more responsibly in running the affairs of the society in which he lives” (Holec 1979: 1f) als Voraussetzung für die Erneuerung der Gesellschaft. Diesbe­züglich schließt sich Holec Janne an, den er folgendermaßen zitiert:

„(adult education)...becomes an instrument for arousing an increasing sense of awareness and liberation in man, and, in some cases, an instrument for changing the environment it­self. From the idea of man ‘product of his society’ one moves to the idea of man ‘producer of his society’.” (Holec 1979: 2)

Vergleichen wir die unveränderte Zielsetzung der Autonomie mit der von Schlüssel­qualifi­kationen aus ihrer ursprünglichen Entstehung heraus, tritt erst eine Annäherung nach der Weiterentwicklung des Konzeptes von Mertens (1974) auf. Mit der Erweite­rung der Schlüsselqualifikationen um die soziale Kompetenz durch Bunk (1991) wird die ursprüng­liche Begrenztheit der rein beruflichen Zielsetzung überwunden, die sich in einer wachsen­den Verantwortungsübernahme für die Gesellschaft manifestiert und zur Lösung gesell­schaftlicher Probleme beiträgt. Beide Konzepte unterstreichen ihren Anteil an der Persön­lichkeitsentwicklung, die eine Voraussetzung für die aktive Teilnahme an der gesellschaft­lichen Weiterentwicklung bildet.

Erst wenn die Barrieren zwischen „learning“ und „living“ aufgelöst werden, kann Lernen zu Verhaltensänderungen führen und auch in politischer Dimension wirkliche Bedeutung erlangen. Denn jetzt, um mit Bernes’ zu sprechen, kann „school knowledge“ zu „action knowledge“ werden (vgl. Little 1995: 11f). Hierfür trägt autonomes Lernen durch die Förderung von Transferleistungen einen wichtigen Beitrag beim Lerner, denn

„if there are no barriers between learning and living, learners should have little difficulty in transferring their capacity for autonomous behavior to all other areas of their lives, and this should make them more useful members of society and more effective participants in the de­mocratic process.” (Little 1991: 8)

Little betont deshalb die Entwicklung von Lernerautonomie als eine Notwendigkeit in un­serer Gesellschaft, da Wissen mit ungeheurer Geschwindigkeit verfällt und die Menschen nur überleben können, wenn sie die Fähigkeit zum autonomen Wissenser­werb entwickeln. Dabei bezieht sich Little auf Carl Rogers, der sagt, „the development of the individual’s capacity to cope with rapid chances in knowledge (...) is the only thing that makes any sense as a goal for education in the modern world.” (Little 1991: 13, vgl. Little 1999: 22f)

Selbstständiger Wissenserwerb bildete ebenfalls schon bei Mertens den Auslöser und zent­ralen Angelpunkt für überfachliche Fähigkeiten. Unbeantwortet blieb jedoch das „Wie“ dabei. Da Wissenserwerb jedoch Konstruktion ist und erst durch den Austausch in einer Soziali­tät zu einer neuen intersubjektiven Wirklichkeit heranreifen kann, stellt Wolff (1999: 38) „die Fähigkeit beim Prozess des Wissenserwerbs miteinander zu kooperieren und das er­worbene Wissen zu teilen“ von zentraler Bedeutung auf dem modernen Arbeitsmarkt her­aus. Somit gewann also fast zeitgleich in beiden Konzepten Anfang der 90er Jahre die Sozialkompetenz an großer Bedeutung. In Folge dessen ist Autonomie nicht mehr Voraussetzung für den Erwerb von Schlüssel­qualifikationen, sondern selbst Teil des direkten Erwerbsprozesses.

Betrachten wir jetzt die Einteilung von Schlüsselqualifikationen (siehe Einteilung Bunk in Kapitel 1) aber jetzt unter Berücksichtigung der Zielsetzungen (s.o.) des autonomen Lernens erneut, so sind die Analogien leicht zu erkennen. Nur bezüglich der Kodierungs- und Dekodierungsfertigkeiten im ersten Bereich: Materiale Kenntnisse und Fertig­keiten, könnten Unklarheiten auftreten. Bezüglich des Fremdsprachenunterrichts sind sie jedoch leicht zu veranschaulichen: Die Bedeutungen bleiben in einer anderen Sprache solange de­kodiert, solange die Sprache nicht ausreichend verstanden wird. Im zweiten Bereich der formalen Fähigkeiten ist die Übereinstimmung mit dem autonomen Lernen besonders zu hervorheben. Die aktive Rolle des autonomen Lerners, der bereit ist die Verantwortung für seinen eigenen Lernprozess zu übernehmen, kann mit dem Umfang der personalen und sozialen Verhaltensweisen, die die Reichweite von Initiative bis Verantwortungsübernahme um­spannt, gleichgesetzt werden. „Dass Lerntheorie, Erziehungsziele und pragmatische Notwendigkeiten sich an dieser Stelle miteinander verbinden“ drückt Wolff als einen „glücklichen Zufall“ aus. (1999: 46)

2.3 Notwendige Rahmenbedingungen für autonomes Lernen

Die Annäherung an autonomes Lernen wird durch vielseitige Faktoren begünstigt. Ob­wohl ihre Verbindungen sich unter realen Bedingungen gegenseitig beeinflussen, werden sie zur Veranschaulichung hier isoliert von einander dargestellt. Ein verändertes Rollenverhalten auf Lehrerseite bildet eine grundlegende Voraussetzung, wodurch die Entwicklung von autonomem Lernen erst beginnen kann. Derartige Ver­änderungen müssen aber als langfristige Prozesse verstanden werden, die einen Wandel vom lehrerzentrierten zum wachsend lernerzentrierten Unterricht einleiten. Daher kann der Lerner zunehmend Verantwortung übernehmen und das Lernen verstärkt den eigenen Bedürfnissen anpassen. Veränderte Rollen und veränderte Ziele können sich jedoch schwerlich mit Material verwirklichen, das fremdbestimmte Ziele und Schritte impli­ziert. Lerner sollen deshalb vermehrt selbst gewähltes Material in ihren Lernprozess mit einbringen, welches ihnen durch Authentizi­tät individuelle Lernzugänge ermöglicht.

2.3.1 Veränderung von Schüler- und Lehrerrolle

Aus Tradition entstandene und deshalb sehr verfestigte Rollen können nicht so einfach ab­gelegt werden. Der Lerner muss deshalb erst schrittweise auf die Lernerautonomie vorbe­reitet werden bzw. die Bereitschaft zur Eigenverantwortlichkeit entwickeln. Dabei über­windet der Lerner auf dem Weg von der Abhängigkeit zur Autonomie seine traditionelle passiv Haltung und nimmt eine neue, kreativ-aktive ein. Laut Holec (1979: 26) braucht der Lerner dann keinen „mediator of knowledge“ mehr, denn „it is no longer essential for the learning to be taken charge of by the teacher, the learner himself can assume responsibility for it.” Er stellt heraus, dass die neue Rolle vom Lerner jedoch erst angenommen werden kann, wenn eine ausreichende Bereitschaft und Befähigung zur Verantwortungsübernahme entwickelt ist, denn auf Grund des traditio­nell-instruierenden Unterrichts sind keine der beiden Bedingungen vom Lerner voraus­zusetzen, sondern müssen erst ausgebildet werden (vgl. Holec 1979: 26). Für die Entfaltung von Bereitschaft, so Holec, muss ein „gradual deconditioning process“ stattfinden. Durch Bewusstmachung der individuellen Vorstellun­gen vom Fremdspra­chenlernen wird versucht beim Lerner eine neue Sichtweise aufzu­bauen: „to free himself from the notion that there is one ideal method, that teachers pos­sess“ (Holec 1979: 27). Bezüglich der zweiten Bedingung, der Befähigung des Lerners, spricht er von einem „gradual process of acquiring the knowledge (...) he needs in order to assume responsibility for his learning“(Holec 1979: 27). Darunter versteht er die Punkte, die zur autonomen Lernsteuerung notwendig sind: Selbstbestimmung der Lernziele, -in­halte und -techniken sowie die Überwachung und Evaluation der eigenen Lernleistung.

In Littles Überlegungen wird die veränderte Lernerrolle als „learning how to learn“ formu­liert und nimmt ebenfalls die zentrale Stellung für den Erwerb von Lernerauto­nomie ein. Dafür muss der Lerner die bewusste Kontrolle über die eigenen Lernpro­zesse ausüben kön­nen „and should develop a capacity to reflect critically on the learning process, evaluate his progress, and if necessary make adjustments to his learning strategies.” (1995: 52) Little stellt daher die Ausbildung eines kritischen Reflektionsvermögens als Basis auf.

Chan bevorzugt für die graduelle Hinführung zum Lernen lernen an Stelle von ‘Lerner­trai­ning’[3] den Begriff der metakognitiven Entwicklung und definiert sie „als die Fähigkeit des Lerners, sich der Komponenten der Metakognition zur Steuerung und zum Reflektieren des eigenen Lernens zu bedienen.“ (2000: 69) Sie bildet, so Chan, die Basis für die Lernerauto­nomie und führt sie mit Hilfe Littlewoods weiter aus: Bezüglich der Fähigkeiten, die nach Littlewood in Wissen und Fertigkeiten aufgeteilt werden, muss der Lerner sowohl das Wis­sen über die Faktoren besitzen, die das Lernen beein­flussen als auch die entsprechenden exekutiven Fertigkeiten, um die gewählten Lerner­aktivitäten ausführen zu können. Dafür muss er über ein hohes Maß an metakognitivem Wissen und metakognitiven Kontrollstra­tegien verfügen, die ihm eine bewusste Analyse, Planung, Überwachung und Evaluation des Lernprozesses und der -ergebnisse ermöglichen.[4] Bezüglich der Bereitschaft, die Little­wood in die Variablen Selbstbewusst­sein und Motivation aufteilt, stellt Chan diese eben­falls in einen engen Zusammenhang mit der metakognitiven Entwicklung des Lerners: „Der durch die effektivere Lernsteuerung errungene Lernerfolg führt schließlich beim Lerner zu einer Steigerung der Motivation sowie zur Stärkung seines Selbstbewusstseins.“ (2000: 70)

Für die Implementierung eines autonomiefördernden Unterrichts wird ebenso dem Lehrer eine gewichtige Rolle zugeteilt. Voraussetzung ist seine positive und aufge­schlossene Hal­tung bezüglich des autonomen Lernens bzw. des ‘Lernen lernen’. Bei Nunan (1996: 11) wird diese Haltung des Lehrers auf einer graduellen Skala von Ablehnung und Überein­stimmung gegenüber folgenden Punkten veranschaulicht:

-Lerner lernen am besten, wenn der Inhalt im Zusammenhang mit ihren Erfahrun­gen und Vorwissen stehen.
-Lerner sind daran interessiert, ihr Gelerntes auch in absehbarer Zukunft anwen­den zu können.
-Lerner haben das Recht bei der Unterrichtsplanung mitzuwirken.
-Die individuellen Vorstellungen der Lerner vom Fremdsprachenlernen müssen berück­sichtigt werden
-Lerner, die für ihr Lernen Strategien entwickelt haben, sind effektivere Lerner

[...]


[1] Zur genaueren Analyse der mertensschen Begriffe: siehe Mertens 1974: 36-43.

[2] Duden Deutsches Universalwörterbuch. Bearbeitet von G. Drosdowski u.a. Mannheim: Dudenverlag 1996: 198.

[3] Denn „die Verwendung dieser Bezeichnung impliziert, dass der Lerner wieder in die Rolle des passiven Objekts gedrängt wird, an dem fremdbestimmte Trainingsmaßnahmen ausgeführt und dem fremdbestimmte Zielsetzungen aufgedrängt werden sollen.“ (2000: 68)

[4] Zur detaillierteren Darstellung von Metakognition siehe Chan (2000): Kapitel 3.2.1

Ende der Leseprobe aus 113 Seiten

Details

Titel
Schlüsselqualifikationen: Das Ticket für die moderne Arbeitswelt - Eine Einführung in den autonomiefördernden DaF-Unterricht für Mexiko
Hochschule
Universität Kassel
Note
1,0
Autor
Jahr
2004
Seiten
113
Katalognummer
V67696
ISBN (eBook)
9783638587419
ISBN (Buch)
9783638711593
Dateigröße
1246 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Schlüsselqualifikationen, Ticket, Arbeitswelt, Eine, Einführung, DaF-Unterricht, Mexiko
Arbeit zitieren
Ulrich Wettemann (Autor:in), 2004, Schlüsselqualifikationen: Das Ticket für die moderne Arbeitswelt - Eine Einführung in den autonomiefördernden DaF-Unterricht für Mexiko, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/67696

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