Balzacs Entwürfe einer Stadtsemiotik


Hausarbeit, 2006

17 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die Stadtsemiotik; eine Annäherung
2.1. Definition des Begriffes Semiotik
2.2. Die Lesbarkeit der Stadt als Bestandteil der Stadtsemiotik:
2.3. Der Stadtdiskurs

3. Die hinter dem Thema stehenden Autoren
3.1. Zur Person des Autors Karlheinz Stierle
3.2. Zur Person des Honoré de Balzacs

4. Balzacs Werke auf dem Weg zur Semiotik und „Lesbarkeit“ der Stadt; der Comédie humaine
4.1. Code de gens honnêtes
4.2. Physiologie du mariage
4.3. Physiologie de la toilette
4.4. Der zentrale Gedanke des Flaneurs
4.4.1. Definition des Begriffes Flaneur
4.4.2. Petit dictionnaire critique et anecdotique des enseignes de Paris par un batteur de pavé
4.4.3. Théorie de la démarche

5. Fazit

6. Bibliographie

1. Einleitung

In der folgenden Arbeit werde ich sowohl auf die balzacschen Entwürfe einer Stadtsemiotik als auch auf die Stadtsemiotik im eigentlichen Sinne und der unzertrennbar zu ihr gehörenden Begrifflichkeiten eingehen. Nach der Vorstellung des Autors Karlheinz Stierle, der der Mythos von Paris verfasst hat, werde ich auf die Person des Honoré de Balzac eingehen. Im Folgenden erläutere ich den literarischen Weg Balzacs von seinen feuilletonistischen Arbeiten des von ihm revolutionierten Tableau de Paris

(Kompositionselement in Erzähltexten, das sich durch breitere personenreiche Schilderung, bewegte Dialoge, Symbolhaltigkeit sowie durch (teils ironisierte) Neigung zu Pathos und Pose auszeichnet)[1]

mit seinen anfänglichen „Codes“, „Physiologies“ und Théories, hin zur Comédie humaine, seinem unvollendeten Hauptwerk, das ohne den Weg unmöglich gewesen wäre. Letzteres gilt letztendlich in der Literaturwissenschaft als ein Meilenstein auf dem Weg zur Entdeckung der Lesbarkeit der Stadt[2]. Schließlich beende ich mit einem die Ergebnisse meiner Arbeit zusammenfassenden Fazit.

Anzumerken sei außerdem, dass es Stierle im vorliegenden Buch gelingt, die jeweiligen Stadtdiskurse, Stadtbewusstseins und Ansichtsweisen der jeweiligen Epochen von der Aufklärung bis in die Moderne und deren Autoren nahezu vollständig zu erörtern.

2. Die Stadtsemiotik; eine Annäherung

2.1. Definition des Begriffes Semiotik

„Semiotik (griechisch sema: Zeichen) ist die Wissenschaft von den Zeichen. Gegenstand der Semiotik sind Strukturen und Abläufe von Zeichen- und Verstehensprozessen (Semiosen). Dabei wird der Begriff des Zeichens auch auf außersprachliche Bereiche der Kommunikation ausgedehnt.“[3]

Eine der Grundlagen der Semiotik ist die von Ferdinand de Saussure[4] im Rahmen seiner Linguistik entworfene Idee einer Semiologie, worunter er eine Wissenschaft verstand,

„welche das Leben der Zeichen im Rahmen des sozialen Lebens untersucht”.

De Saussures Auffassung prägte vor allem den französischen Strukturalismus aber auch die spätere Diskussion um die stadtsemiotische Dimension der balzacschen Werke. So untersuchte Roland Barthes[5] anhand des linguistischen Modells der Semiotik die „Sprache” der Mode (eines der Hauptthemen in Balzacs Werken) und den „Diskurs” der Großstadt, der selbstverständlich auch Balzacs semiotischen Werken als Grundlage dient (siehe Der Stadtdiskurs).

Bei Umberto Eco[6] ist das Verstehen und die Interpretation der Semiotik (Semiose) dem Leser überlassen offen: Es genügt, dass etwas als signifikanter Bedeutungsträger erkannt wird: Dem Interpreten bleibt es – unabhängig von der ursprünglichen Intention – überlassen, ihn in diesem oder jenem Sinn zu deuten. Auch Roland Barthes spricht in seinen späten Texten vom „Spiel der Signifikanten” und löst sich damit vom sozialen Ansatz de Saussures.

Im weitesten Sinn wurde die Semiotik 1979 definiert:

„Die Semiotik untersucht als Wissenschaft von den Zeichenprozessen [und Deutungsprozessen] alle Arten von Kommunikation und Informationsaustausch zwischen Menschen […]“.

2.2. Die Lesbarkeit der Stadt als Bestandteil der Stadtsemiotik

Gemäß Bogdan Bogdanović, einem bedeutenden serbischen Dichter der Moderne, hat jede Stadt eine Persönlichkeit, die umso größer ist, je bedeutender die Stadt ist. Darüber hinaus sieht er Stadt als Kulturform, als Buchform an:

„Aus vielen oftmals wiederholten Gründen müssten sich Städte lesen lassen und weise sein wie weise Bücher.“[7]

Das, was durch das Lesen der Stadt, also auch durch das Lesen der jeweiligen Stadtromane, erkannt werden kann, ist die einzigartige Persönlichkeit einer Stadt oder ihre Identität. Der Gedanke von der Lesbarkeit der Stadt findet sich selbstverständlich auch bei der Behandlung der balzacschen Werke Stierles wieder.[8] Zwar ist bei Lesbarkeit der Stadt nicht zwingend das Lesen literarischer Texte gemeint, denn lesen lassen sich auch, oder gemäß Kevin Lynch[9] vielmehr die materiellen Zeichen im städtischen Raum. Aber Autoren literarischer Texte sind häufig bedeutende „Leser der Stadt“ und können die Stadt auch für andere lesbar machen. Es wird also das Bild einer Stadt erst durch den Lektüreprozess konstruiert. Gemäß Karlheinz Stierle haben seit jeher nur Schriftsteller die Erfahrung der Stadt vermitteln können:

„Sie sind es in der Tat, die erst in ihren Stadt-Texten die Stadt zum Raum der Lesbarkeit machen, während die institutionelle Wissenschaft vor der Erfahrung und dem Bewusstsein der großen Stadt weitgehend stumm blieb.“[10]

Für das Verstehen der Stadt reicht es nicht aus, die Zeichen zu erkennen. Erst wenn sie in einen Zusammenhang gebracht und präsentiert werden, können sie die Stadt begreiflich machen, denn

„die komplexe Stadterfahrung setzt Darstellung voraus.“[11]

Die balzacschen Werke sind allesamt solche Darstellungen von Stadterfahrung, also Darstellungen aller Elemente einer Stadt.

2.3. Der Stadtdiskurs

Karlheinz Stierle beschreibt den Stadtdiskurs als einen

„Ort des zirkulierenden ‚wilden Wissens‘, das sich seine Ausdrucksformen sucht.“[12]

Genau diesen Ausdruck findet der Stadtdiskurs in der jeweiligen Stadtliteratur. Das in ihr niedergeschriebene Wissen der Stadt mit ihren Elementen ist, wie bereits beschrieben, Grundlage der Semiotik, da erst ein Diskurs eine Literatur hervorbringt, die sich dann wiederum als semiotisch bezeichnen lassen kann. Wild aber ist dieses Wissen deshalb, weil es keinen eigenen institutionellen Ort hat, sondern Informationen aus einer Vielzahl unterschiedlicher Bereiche und Diskurse zusammenführt. Gerade weil das Wissen über die Stadt aus derartig unterschiedlichen Spezialdiskursen stammt und dementsprechend vielfältig ist, verlangt der Stadtdiskurs nach einer Entwicklung von Darstellungsformen, die in der Lage sind, diese Vielfalt in einem gemeinsamen Diskurs zu integrieren. Erst solche, verschiedene Spezialdiskurse integrierende Darstellungsformen werden der komplexen urbanen Erfahrung gerecht und können eine Vermittlung des Stadtbewusstseins möglich machen:

[...]


[1] Cornelia Fischer, Le Tableau, 2005 Encarta Microsoft

[2] Karlheinz Stierle, Der Mythos von Paris, München 1993, S.339, 25

[3] Grundlage für die folgenden Ausführungen sind, soweit nicht anders angegeben: Thomas Köster, Die Semiotik, erschienen in Microsoft Encarta Enzyclopedie 2005

[4] Mongin Ferdinand de Saussure (1857-1913), Schweizer Sprachwissenschaftler, der wichtigste Wegbereiter der modernen Sprachwissenschaft und der strukturalistischen Linguistik, entnommen aus: Robert Laffont et al, Dictionnaire encyclopédique de la littérature française, Paris 1999

[5] Roland Barthes (1915-1980), französischer Literaturkritiker, Soziologe und Philosoph. Er war einer der Hauptvertreter des Strukturalismus und der Semiotik in Frankreich, entnommen aus: Robert Laffont et al, Dictionnaire encyclopédique de la littérature française, Paris 1999

[6] Umberto Eco (*1932), italienischer Kunstphilosoph und Schriftsteller. Er begründete die kulturelle Semiotik, entnommen aus: Eco, Umberto, erschienen in Microsoft Encarta Enzyclopedie 2005

[7] Bogdan Bogdanovic, Stadt und Tod, Klagenfurt 1993, S. 50

[8] Karlheinz Stierle, Der Mythos von Paris, München 1993, S.15-24

[9] Lynch unternimmt in seinem Buch „The image of the City“ den Versuch, die Stadt in den Begriffen des wahrnehmenden Bewusstseins zu denken. Es geht ihm darum, eine Lesbarkeit der Stadt durch diskontinuierliche Einheiten (Wege, Zäune, Viertel, Knoten, gesellschaftliche Bezugspunkte wie Symbole und Wahrzeichen), welche den städtischen Raum ausmachen, zu begründen; nachzulesen im Aufsatz von Prof. Dr. Jürgen Newig: Städtische Wahrzeichen und territoriale Symbole – Raumzeitliche Manifestation der Identitätsbedürfnisse von Gruppen, Kiel 2005.

[10] Karlheinz Stierle, Der Mythos von Paris, München 1993, S.33

[11] Karlheinz Stierle, Der Mythos von Paris, München 1993, S.46

[12] Karlheinz Stierle, Der Mythos von Paris, München 1993, S.49

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Balzacs Entwürfe einer Stadtsemiotik
Hochschule
Christian-Albrechts-Universität Kiel  (Romanisches Seminar)
Veranstaltung
Hauptseminar: Villes de papier, poésie des villes
Note
2,0
Autor
Jahr
2006
Seiten
17
Katalognummer
V67741
ISBN (eBook)
9783638604901
ISBN (Buch)
9783640259052
Dateigröße
549 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Balzacs, Entwürfe, Stadtsemiotik, Hauptseminar, Villes, Comédie Humaine, Baudelaire, Flaneur, Louis Sébastian Mercier
Arbeit zitieren
Bastian Naumann (Autor:in), 2006, Balzacs Entwürfe einer Stadtsemiotik , München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/67741

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