Religiöser Fundamentalismus als Ideologie der Entschleunigung?


Exposé Écrit pour un Séminaire / Cours, 2006

22 Pages, Note: 1,0


Extrait


Gliederung zur Proseminararbeit

Religiöser Fundamentalismus als Ideologie der Entschleunigung?

1. Einleitung

2. Beschleunigung
2.1 Definition der Kategorien sozialer Beschleunigung
2.2 Die Veränderung des Zeit-Raum-Regimes als Veränderung des Erfahrungsraum von Kontingenz
2.3 Kontingenz und die Typen der Kontingenzkompensation

3 Verzahnung und Schnittpunkte der Theorien: Ideologische Beharrung und die Ideologie des religiösen Fundamentalismus
3.1 Die Kategorie der Beharrung als Ideologie
3.2 Das Krisenbewusstsein des religiösen Fundamentalismus
3.3 Der gesetzesethische Monismus als prinzipielles Entschleunigungstheorem
3.3.1 Die Institution der Familie als patriarchalischer Fundamentalismus
3.3.2 Die organische Sozialethik des Fundamentalismus als religiöses Integrationsmodell zur Entschleunigung der Transformation der Berufswelt
3.3.3 Der politisierte Messianismus zur Kontingenzbewältigung eines beschleunigten Zeit-Raum-Regimes
3.4 Die Anerkennung technischer Beschleunigung im religiösen Fundamentalismus

4. Schlussbetrachtung

Literaturverzeichnis im Anhang

Was also ist die Zeit? Wenn mich niemand fragt, weiß ich es. Wenn ich es jemanden erklären will, der fragt, weiß ich es nicht.“[1]

1. Einleitung

Die vorliegende Arbeit widmet sich den theoretischen Zusammenhängen zwischen der theoretischen Kategorie der Beschleunigung und der Phänomenologie des religiösen Fundamentalismus.

Die Idee zu dieser Arbeit entstand aus der Erkenntnis, dass verschiedenste theoretische Erklärungsvarianten des Phänomens des religiösen Fundamentalismus auf den Begriff der Moderne und die Modernisierungstheorie rekurrieren. Hartmut Rosa führte den Begriff der Beschleunigung in die sozialwissenschaftliche Theoriebildung ein und versucht damit, die Moderne über die Veränderung ihrer Zeitstrukturen zu erklären. Die Übertragung, bzw. die Verzahnung der Theorie der sozialen Beschleunigung mit einer Theorie des religiösen Fundamentalismus erwies sich als kompliziert. Auch deswegen, weil die Theoriebildung Hartmut Rosas noch am Anfang steht und an vielen Stellen auf empirische Überprüfung wartet. Darüber hinaus ist die Kategorie der Zeit in den Sozialwissenschaftlichen generell noch am Anfang der Operationalisierungsphase und eine Theorie der „Zeit-Soziologie“ gar weit von einer Systematisierung und robusten Hypothesenbildung entfernt.[2]

Meine ursprüngliche Idee, nämlich die Verwendung der Kategorie Zeit in der Theoriebildung zur Analyse des religiösen Fundamentalismus zu untersuchen, erwies sich im Rahmen dieser Arbeit als nicht konzipierbar. Allerdings trug die Arbeit daran und ihre Verwerfung andere Früchte. Diese Arbeit verwendet zu den Themenbereichen zwei Referenzwissenschatler: Hartmut Rosa und Martin Riesebrodt. Martin Riesebrodt analysierte in soziologisch-komparativer Methode die Amerikanischen Protestanten (1910-28) und die iranischen Schiiten (1961-79)[3]. Dabei ist es ihm gelungen, ein Grundmuster der fundamentalistischen Ideologie beider Fälle zu erarbeiten, das er in seinem späteren Werk „Die Rückkehr der Religionen“[4] ebenfalls verwendet.

Auch wenn ich meine Arbeit mit dem Prädikat essayistisch versehe, da es auf diesem Gebiet keinerlei Forschungsergebnisse gibt und eine Proseminararbeit sich eigentlich nicht mit der Produktion noch zu verifizierender Hypothesen beschäftigen sollte, stelle ich mir innerhalb dieser Arbeit folgende Fragestellung: Läßt sich die Ideologie des religiösen Fundamentalismus mit den Kategorien der Beschleunigung beschreiben?

Diese generelle Fragestellung reflektiert gleichsam das Ziel dieser Arbeit, nämlich den Versuch, zaghafte und erste Anhaltspunkte dafür zu liefern, dass sich die theoretischen Kategorien der Beschleunigung auf die Theorie des religiösen Fundamentalismus anwenden lassen. Trotz dieses Postulats aus Verlegenheit, werde ich eine Arbeitsthese liefern: Der gesetzesethische Monismus, der patriarchalische Moralismus, die organische Sozialethik und der Messianismus als Elemente der Ideologie des religiösen Fundamentalismus fungieren als soziale Entschleunigungstheoreme zur Kontingenzkompensation eines beschleunigten sozialen Wandels.

Nun stellt sich unbedingt die Frage nach der Operationalisierung dieser These. Die zu erklärende Variable stellen die Theoreme der fundamentalistischen Ideologie dar. Die erklärenden Variablen sind die sozialen Entschleunigungstheoreme zur Kontingenzbewältigung und der beschleunigte soziale Wandel. Es handelt sich bei dieser Arbeit um eine rein theoretische Arbeit, deshalb ist die Operationalisierung der Variablen anhand von Indikatoren obsolet, nachdem hier ihre Kausaltität vorgestellt wurde. Im Folgenden werden im ersten Abschnitt (Punkt 2) ausführlich die Kategorien der Beschleunigung erörtert. Der zweite Teil (Punkt 3) widmet sich der Verzahnung beider Theorien, wobei die Ideologie des religiösen Fundamentalismus als soziale Entschleunigungsideologie diskutiert wird. In der Schlussbetrachtung (Punkt 4) wird die Arbeitsthese aufgegriffen und anhand der Ergebnisse erörtert. Da es sich bei dieser Arbeit um einen theoretischen Diskurs handelt, wird die Arbeitsthese weder gestärkt, noch verworfen. Dieser Methode liegt auch zugrunde, dass mit einer zentralen Prämisse gearbeitet worden ist, die im Punkt 3.1 zu finden ist.

2. Beschleunigung

Dieser Abschnitt führt die theoretische Kategorie der Beschleunigung nach Hartmut Rosa ein. Dabei wird weniger auf die theoretische Genealogie eingegangen, sondern vielmehr nach der Konstitutivität der Kategorie an sich gefragt.

3.5 Definition des Begriffs Beschleunigung

Der Begriff der Beschleunigung ist in seiner semantischen Dimension als eine dynamisch-prozeduale Kategorie zu verstehen. Der Begriff kennzeichnet sich durch zwei zentrale Merkmale: Einerseits ist der Begriff als zeitkonkret zu verstehen, da er sich innerhalb eines zeitlichen Referenzrahmen definiert und andererseits als dynamisch, da er auf einer Bewegung innerhalb des zeitkronkretisierenden Zeitrahmen basiert:

„Beschleunigung läßt sich zunächst und gemäß der physikalischen Grundbedeutung definieren als eine Mengenzunahme pro Zeiteinheit. Als Menge können dabei etwa der zurückgelegte Weg, die Anzahl der kommunizierten Zeichen, die produzierte Ware, die gezeugten Kinder etc. pro Zeiteinheit fungieren.“ (Hervorhebung in Original)[5]

Die Zeiteinheit ist hier als das zeitkonkrete Merkmal zu verstehen, wohingegen die Mengenzunahme als das eigentliche Merkmal der Bewegung zu identifizieren ist. Bemerkenswert erscheint weiterhin, dass der Begriff der Beschleunigung nur in der Erkenntnis der reziproken Bedingung beider Merkmale zueinander in seinem eigentlichen dynamischen Potential zu verstehen ist.

Nach Rosa sei die Mengenzunahme nicht mit dem Konzept des ökonomischen Wachstums identisch. Eine faktische Mengenzunahme pro Zeiteinheit folgere weder logisch noch kausal eine Zunahme der Gesamtmenge, da z. B. eine schnellere Produktion nicht zwangsläufig eine höhere Produktion bedinge.[6] Trotzdem sei in der modernen Gesellschaft einer kapitalistischen Produktionsweise „[...] das „Schneller“ konstitutiv mit einem „Mehr“ verknüpft [...]“[7], was u. a. dazu führe, dass die technische Beschleunigung zwar die Möglichkeit zu Zeitgewinnen in Form von z. B. Freizeit oder des „Nichts-Tuns“ bereitstellen würde, jener Zeitgewinn durch den Imperativ der kapitalistischen Produktionsweise der Produktionssteigerung und des ökonomischen Wachstums konterkariert würde. Dieser Vorgang ließe sich nicht aus der Logik des kapitalistischen Wirtschaftens ableiten, sondern könne nur über weitere Erklärungsaspekte erleuchtet werden. So fragt Rosa z. B. nach kulturellen Determinanten. Mit Rekurs auf u. a. Max Weber (Gebot der protestantischen Ethik der Vermeidung von Zeitverschwendung) bezeichnet Rosa die Beschleunigung gar als das „Grundprinzip der Kultur der Neuzeit“[8]. Das Eindringen des Prinzips der Beschleunigung in das Grundprinzip der Kultur würde durch die Verzahnung des ideengeschichtlichen und philosophischen Postulats des „guten Lebens“[9] mit der Beschleunigung erzeugt: die Endlichkeit des menschlichen Daseins evoziere, dass innerhalb der individuellen Lebensspanne schnell stmöglich eine Erfüllung des Daseins im „guten Leben“ erreicht werden müsse. Dies führe u. a. zu einer Steigerung des Lebenstempo.[10]

Durch diese Ergänzung des Begriffs der Beschleunigung verlässt Rosa die rein deskriptive Ebene der Operativität des Begriffs, der zuvor (siehe oben) als eine Nominaldefinition eingeführt wurde. Mit der ursprünglichen Konzeption des Begriffs ist eine Beschreibung von Vorgängen möglich, die allein auf die materielle Ebene bezogen ist, bzw. quantitative Messungen zu lässt. Mit der Erweiterung des Begriffs durch kulturelle und philosophische Elemente wird eine Begriffsebene eröffnet, die sowohl eine normative Bewertung zulässt (wird das „gute Leben“ durch die Beschleunigung gefördert oder nicht), als auch die Frage nach der Normativität innerhalb von Beschleunigungsprozessen und den Auswirkungen auf das handelnde Subjekt und dessen Identitätsmustern. So verharrt Rosa nicht ausschließlich auf der Begriffsebene einer technischen Beschleunigung, die die Zusammenhänge zwischen Beschleunigung und technologischer Entwicklung beschreibt, sondern stellt weitere Kategorien auf, die u. a. nach der Beschleunigung des sozialen Wandels fragen.

2.1 Definition der Kategorien sozialer Beschleunigung

Hartmut Rosa differenziert die Kategorie der Beschleunigung durch drei Typen: die technische Beschleunigung, die Beschleunigung des sozialen Wandels und die Beschleunigung des Lebenstempo.

Die technische Beschleunigung, die Rosa als „[...] intentionale, technische und vor allem technologische (d. h. maschinelle) Beschleunigung zielgerichteter Vorgänge (Hervorhebung in Original) [...]“[11] definiert, sieht er nur teilweise als Bedingung für die Beschleunigung des sozialen Wandels. Neben der „[...] Steigerung der durchschnittlichen (Hervorhebung in Original) Fortbewegungsgeschwindigkeiten [...]“[12], der Steigerung der Geschwindigkeit in der „[...] rascheren Herstellung von Gütern [...]“[13] und den Möglichkeiten der technischen Beschleunigungsapparate wie z. B. des computergestützten Internets, die zu einer Veränderung der Zeit –und Ortswahrnehmung führen und „[...] viele Prozesse und Ereignisse gleichsam „ortlos“ geworden sind [...]“[14], sei die Beschleunigung des sozialen Wandels primär mit der „Steigerung des Tempos“[15] zu erklären, die durch die technische Beschleunigung hervorgerufen werde. Dabei wird die Steigerung des Tempos dahingehend definiert, dass sich die Zeitrate der Veränderung erhöht, also die Zeitspanne, in der sich technische Veränderungen in soziale Veränderungen vollziehen, sich verkürzt und sich darüber hinaus „[...] die Veränderungsraten selbst (...) beschleunigen [...]“[16]. Durch diese Steigerung des Tempos verändern sich die „[...] Praxisformen und Handlungsorientierungen einerseits und Assoziationsstrukturen und Beziehungsmuster andererseits [...]“[17]. Unter diesem Postulat der selbstbeschleunigenden Veränderungsraten definiert Rosa die soziale Beschleunigung wie folgt:

[...]


[1] Augustinus zitiert nach Levine (2002): 56

[2] Rosa (2005)

[3] Riesebrodt (1990)

[4] Riesebrodt (2001)

[5] Rosa (1999): 390

[6] Rosa (1999): 391

[7] ebenda

[8] Rosa (1999): 395

[9] Rosa vezichtet leider auf eine Definition und verweist somit auf den gernerellen philosophischen Diskurs.

[10] Rosa (2005): 124

[11] Rosa (2005): 124

[12] Rosa (2005): 125

[13] Rosa (2005): 127

[14] Rosa (2002): 273

[15] Rosa (2002): 273

[16] Rosa (2005): 129

[17] ebenda

Fin de l'extrait de 22 pages

Résumé des informations

Titre
Religiöser Fundamentalismus als Ideologie der Entschleunigung?
Université
Free University of Berlin  (Otto - Suhr - Institut für Politikwissenschaft)
Cours
PS Theorien des Fundamentalismus
Note
1,0
Auteur
Année
2006
Pages
22
N° de catalogue
V67771
ISBN (ebook)
9783638722612
ISBN (Livre)
9783656798781
Taille d'un fichier
413 KB
Langue
allemand
Mots clés
Religiöser, Fundamentalismus, Ideologie, Entschleunigung, Theorien, Fundamentalismus
Citation du texte
Damian Ghamlouche (Auteur), 2006, Religiöser Fundamentalismus als Ideologie der Entschleunigung?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/67771

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