Sprachverfall und Purismus im Polnischen


Term Paper (Advanced seminar), 2006

22 Pages, Grade: 1,0


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Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Theoretische Grundlagen
2.1. Zum Begriff des Sprachverfalls
2.2. Der Begriff des Purismus

3. Die Situation des Polnischen – Verfällt der polnische Standard?

4. Sprachpurismus in Polen

5. Schluß

Literaturverzeichnis

Primärliteratur

Zeitungsartikel

Monographien und Aufsätze

1. Einleitung

In einer sich rasant verändernden Welt, in der sich Umwelt, Technik und Lebensweisen der Menschen stetig und immer schneller wandeln, verändern sich notwendigerweise auch die Sprachen der Menschheit. Die Verbreitung des Englischen als Weltsprache – ein historisch bisher beispielloser Vorgang – die Innovationsdynamik moderner Industriegesellschaften, die immer neue Möglichkeiten und Formen der Kommunikation mit sich bringt und der daraus entstehende, immer enger werdende Kontakt von Menschen unterschiedlicher Sprachgemeinschaften sowie die Ausbreitung von Massenmedien haben zwangsläufig einen Einfluß auf die Art und Weise, wie Menschen kommunizieren, und damit auf die Sprache, die sie verwenden.

Ein solcher Wandel kann positiv oder negativ erlebt werden – oder auf beide Arten zugleich. Vor kurzem erlaubte das neuseeländische Bildungsministerium die Verwendung jener Schriftsprache, wie sie in Mobilfunk-Kurznachrichten (SMS) benutzt wird, für Schulaufsätze. Außer im Fach Englisch können Schüler dort jetzt Shakespeare mit den Worten „2b or nt 2b, thts da qstn“ zitieren, ohne daß dies als Fehler bewertet wird. Eine Welle der Empörung ging durchs Land, der Erlaß schaffte es in die internationalen Nachrichten, und die Kritiker stellten – wieder einmal – den fortwährenden Niedergang der Sprache fest[1].

In ähnlichen Situationen und Zusammenhängen fällt immer wieder der Ausdruck „Sprachverfall“, mit dem ein schleichender Prozeß der Zerstörung einer Sprache beschrieben werden soll. Diesem Prozeß entgegengesetzt sind Bestrebungen, orientiert an einer „reinen“, „guten“ Form der Sprache Veränderungen und fremde Einflüsse auszumerzen – eine als Sprachpurismus bezeichnete Position.

Polen als entwickeltes Industrieland und Mitglied der Europäischen Union ist den erwähnten Einflüssen und Veränderungen ebenso stark ausgesetzt wie etwa Deutschland oder Frankreich, und ebenso findet dort eine öffentliche Diskussion über den Zustand der Sprache statt. Ziel dieser Arbeit ist es, Erkenntnisse über die Situation des polnischen Standards und seines möglichen „Verfalls“ zu erlangen sowie puristische Tendenzen in Polen zu untersuchen.

2. Theoretische Grundlagen

2.1. Zum Begriff des Sprachverfalls

Daß Sprachen sich mit der Zeit wandeln, ist keine neue Beobachtung. Sprachwandel betrifft alle natürlichen Sprachen; resistent dagegen sind nur tote Sprachen[2]. Es gibt einige wenige natürliche Sprachen, die sich auch über Jahrhunderte kaum verändert haben, wie z.B. das Isländische, obwohl auch diese Sprachen einem gewissen Wandel unterworfen sind. Doch in der Regel verändern sich Sprachen selbst über viel kürzere Zeiträume signifikant. Würde ein Schüler beispielsweise heutzutage die von Goethe vor nicht einmal 200 Jahren angewandte Konstruktion „Regen wirkt um desto unangenehmer als...“ in einem Schulaufsatz verwenden, würde dies mit Sicherheit als Ausdrucksfehler bewertet. Doch selbst aus der Mitte des letzten Jahrhunderts lassen sich Beispiele der Alltagssprache geben, die heute vor allem Befremden hervorrufen würden[3].

Trotz der Natürlichkeit des Sprachwandels scheint er in weiten Kreisen der Bevölkerung negativ konnotiert zu sein: „Die typische Form, den Wandel der Sprache zu erleben, scheint darin zu bestehen, ihn als Verfall wahrzunehmen.“[4] Der Begriff des „Sprachverfalls“ entstammt der Sprachkritik. Diese ist im Grunde keine linguistische Disziplin, sondern bezeichnet die (normative) „Beurteilung herrschender Sprachnormen“[5]. Insofern ähnelt die Beziehung zwischen Sprachkritik und Sprachwissenschaft jener zwischen Literaturkritik und Literaturwissenschaft[6].

Die Sprachkritik

Mag der Begriff „Sprachkritik“ auch relativ neu sein, das mit ihm bezeichnete Phänomen ist es keineswegs. Während die Kritik an der Sprache wohl so alt ist wie die Sprache selbst, begann die Entwicklung systematischer sprachkritischer Aktivitäten im 16. Jahrhundert. Die Blüte der Sprachkritik begann im deutschsprachigen Raum Anfang des 18. Jahrhunderts, als sich die Veröffentlichungen von Wörterbüchern und Grammatiken zu häufen begannen, mit Hilfe derer klar definierte Sprachnormen etabliert und durchgesetzt werden sollten. Als Motive wirkten damals vor allem der Kampf gegen die „Überfremdung“ des Deutschen und die Bemühungen um die Schaffung eines einheitlichen deutschen Standards, da es diesen zu jener Zeit noch nicht gab[7]. Die Weiterentwicklung der Sprachkritik wurde im 19. Jahrhundert außerdem dadurch unterstützt, daß eine sprachkritische Teildisziplin in der sich etablierenden Sprachwissenschaft nicht existierte. Man interessierte sich hier „mehr für Einzelelemente wie Buchstaben, Laute, Silben [...] und für Mikrosyntagmen [...], weniger für Syntax, Kontextbedingungen, Phraseologie, Stilistik. Diese historische und atomistische Auffassung beherrschte im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert die gesamte Forschungsarbeit“.[8] Im 20. Jahrhundert widmete sich die Sprachkritik zunehmend der Presse bzw. den sich entwickelnden Massenmedien.

Sprachkritik ist ein relativ umfassender Begriff; er kann Kritik am einzelsprachlichen System (langue) ebenso bezeichnen wie Stilkritik (parole) und sich sowohl auf die Syntax als auch auf die Semantik oder die Pragmatik beziehen[9]. Das Spektrum thematischer Anwendungsgebiete umfaßt sowohl ideologiekritische Sprachkritik, Kritik an Sprachnormen, journalistische Stilkritik und Sprachkritik im Sinne von Sprachpflege[10] als auch die Kritik der Sprachformen von Verwaltung und Institutionen[11]. Die Erscheinungsformen von Sprachkritik und die Kriterien für sprachkritische Betrachtungen sind sehr vielfältig. Grundsätzlich handelt es sich jedoch immer um einen normativen Ansatz.

Dies ist auch die zentrale Schwierigkeit des Konzeptes. Denn um eine normative Bewertung durchführen und die Diagnose eines „falschen“ oder „schlechten“ Sprachgebrauchs erstellen zu können, bedarf des der Definition eines „richtigen“ und „guten“ Sprachgebrauchs als normativen Referenzpunkt. Dieser ist allerdings immer von den jeweils individuellen Weltbildern, Werten und Normen und ästhetischen bzw. stilistischen Vorlieben des Sprachkritikers abhängig. Ein konservativer Sprachkritiker beispielsweise mag die Etablierung neuer Begriffe und Ausdrucksformen kritisieren, weil er eine bestimmte Form, welche die Sprache in der Vergangenheit hatte, als Norm definiert, während ein marxistischer Sprachkritiker einen Wandel – sofern er in eine bestimmte Richtung geht – sogar ausdrücklich begrüßen mag, weil er die Norm des konservativen Sprachkritikers als negativen Referenzpunkt definiert, weil er etwa zur Aufrechterhaltung von Klassenstrukturen beitrage.

Der schwierige Begriff des Sprachverfalls

Was die Art der Diagnosen anbelangt, zu denen die Sprachkritik kommt, so finden sich in der Regel negative Befunde wesentlich häufiger als positive[12]. Zentral in diesem Zusammenhang ist der Begriff des Sprachverfalls. Während dieser Begriff häufig von Wissenschaftlern, Publizisten, Politikern, Schriftstellern, Journalisten und Leserbriefschreibern verwendet wird, fällt seine nicht nur mangelnde, sondern eigentlich praktisch fehlende theoretische Fundierung und Verbindlichkeit auf.

Sicher lassen sich aus dem Gebrauch des Begriffes und der Argumentation seiner Anwender bestimmte Gemeinsamkeiten extrahieren. So wird oftmals nicht nur mangelnde Ästhetik bzw. mangelndes Stilgefühl bei der Wort- und Satzbildung beklagt, auch der Wandel von Wortschatz, Flexionen oder Syntax wird als „Verarmung“ wahrgenommen, da die Sprache durch die Reduktion solcher grammatikalischer Finessen ihre Differenzierungsmöglichkeiten verliere. Auch ist eine kulturpatriotische Komponente erkennbar, welche darin besteht, daß der drohende Verlust kultureller Eigenständigkeit bei zu starker Beeinflussung aus anderen Sprachen beklagt wird[13]. Fiedler argumentiert jedoch ganz richtig, daß dabei Phänomene wie sinnvolle Sprachökonomie oder neue Mittel der Differenzierung (z.B. präpositionale Umschreibung statt Flexion) meistens nicht akzeptiert werden oder aber gar nicht erst zur Kenntnis genommen werden.[14]

[...]


[1] Neusprech in Neuseeland. „Uv got 2 b joking!“, Spiegel Online vom 11.11.2006, http://www.spiegel.de/schulspiegel/ausland/0,1518,447458,00.html, Zugriff vom 14.11.2006.

[2] Glück, Helmut (Hrsg.): Metzler Lexikon Sprachen, Stuttgart und Weimar 2000, S. 675f.

[3] Vgl. Keller, Rudi: Sprachwandel, Tübingen und Basel 2003, S. 18f.

[4] Keller: Sprachwandel, S. 23.

[5] Glück: Metzler Lexikon Sprache, S. 662.

[6] Vgl. Fiedler, Mark: Sprachkritik am öffentlichen Sprachgebrauch seit 1945, Tönning u.a. 2005, S. 7.

[7] Vgl. ebd., S. 14.

[8] Polenz, Peter von: Geschichte der deutschen Sprache, Berlin 1978, S. 116.

[9] Vgl. ebd., S. 7.

[10] Vgl. Lewandowski, Theodor: Linguistisches Wörterbuch, Heidelberg 1990, S. 1029.

[11] Vgl. Glück: Metzler Lexikon Sprache, S. 662.

[12] Vgl. Beutin, Wolfgang: Sprachkritik – Stilkritik. Eine Einführung, Stuttgart 1976, S. 35f.

[13] Vgl. etwa Hensel, Horst: Sprachverfall und kulturelle Selbstaufgabe, Bönen 1999.

[14] Vgl. Fiedler: Sprachkritik, S. 33.

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Details

Title
Sprachverfall und Purismus im Polnischen
College
University of Passau
Course
HS "Existenzformen und Varietäten Slavischer Sprachen", SS 2006
Grade
1,0
Author
Year
2006
Pages
22
Catalog Number
V67786
ISBN (eBook)
9783638605137
ISBN (Book)
9783638672399
File size
555 KB
Language
German
Keywords
Sprachverfall, Purismus, Polnischen, Existenzformen, Varietäten, Slavischer, Sprachen
Quote paper
Thomas Winter (Author), 2006, Sprachverfall und Purismus im Polnischen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/67786

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