Das kinematographische Verfahren in Robert Musils Erzählungen


Thesis (M.A.), 2001

87 Pages, Grade: 1,6


Excerpt


Inhalt

Einleitung

1 Robert Musil und die Bedeutung des Kinematographen in seiner Zeit
1.1 Abriss der Entwicklung des Kinematographen
1.2 Robert Musils Verhältnis zur Kinematographie
1.3 Dichtungstheoretische Reflexionen
1.4 Ästhetische Reflexionen über den Film
1.4.1 Gestalttheorie
1.4.2 „Ansätze zu neuer Ästhetik - Bemerkungen über eine Dramaturgie des Films“
1.4.3 Nachbildwirkung

2 Das kinematographische Verfahren in ausgewählten Skizzen aus dem Nachlaß zu Lebzeiten
2.1 Kinematographisches Verfahren - Einordnung und Definition
2.2 Die Skizzen Nachlaß zu Lebzeiten
2.2.1 Triedere (1926)
2.2.1.1 Physiognomie der Dinge
2.2.1.2 Raum
2.2.1.3 Zeit
2.2.2 Die Maus (1918); Das Fliegenpapier (1914)

3 Das kinematographische Verfahren in Drei Frauen am Beispiel der Novelle „Grigia“
3.1 Vorbemerkung
3.2 Funktion der Erzählperspektiven
3.3 Wahrnehmungswelt
3.4 Raum
3.5 Zeit

4. Zusammenfassendes Fazit

Literaturverzeichnis

Einleitung

Die Zielsetzung dieser Untersuchung besteht in der Herausstellung kinematographischer Verfahrensweisen in ausgewählten Texten Robert Musils (1880-1942). Dies setzt zunächst die Klärung der Frage voraus, auf welche Weise Musil dem Kino begegnete und welche Aspekte ihn dazu veranlassten, theoretische Überlegungen über das neue Medium anzustellen, denen er Einlass in sein dichterisches Schaffen gewährte.

Die perzeptionsorientierte Umwälzung entlang des Entwicklungsprozesses der neuen, kulturellen Institution um 1900 ermöglicht eine Wahrnehmung anderer Wirklichkeiten, die sich im visuellen Bewusstsein manifestieren. Das hat zur Folge, dass innerhalb der zeitgenössischen Literatur mit dem ,neuen Sehen‘ Interessengebiete berührt werden, die angesichts des zur Verfügung stehenden Sprachmaterials eine Umgestaltung des gewohnten Sehraumes beinhalten.

Der erste Teil dieser Arbeit gibt Einsicht in die Besonderheiten der mechanischen Errungenschaft des Kinematographen, da die schrittweise Angleichung der Apparatur an das optische Bewegungssehen einerseits und die Verfremdungsmöglichkeiten der aufgenommenen Wirklichkeit andererseits Ausgangspunkte für Musils Infragestellung menschlicher Wahrnehmung darstellen.

Diesem Einblick werden seine dichtungstheoretischen und ästhetikorientierten Überlegungen gegenübergestellt, wobei hier überwiegend auf die beiden Essays „Skizze der Erkenntnis des Dichters“ (1918; 8; 1025) und „Ansätze zu neuer Ästhetik - Bemerkungen über eine Dramaturgie des Films“ (1925; 8; 1137) zur Herausstellung seines Interesses an der Übertragung von Wahrnehmungsdaten zurückgegriffen wird. Musils Auseinandersetzung mit der Gestalttheorie und der experimentellen Psychologie bilden hierbei die Vorbedingung zum Verständnis des ,anderen Zustandes‘, dessen Konzeption seinen filmtheoretischen Erwägungen zugrunde liegt.

Die Kombination von technischen Grundlagen des Kinematographen und erlebnisverarbeitenden Prozessen in der Perzeption bilden Ansatzpunkte, mit denen sich eine ,kinematographische Erzähltechnik‘ in Musils Texten feststellen lässt. Entsprechend wird im zweiten Kapitel das ,kinematographische Erzählen‘ allgemein definiert und auf Musils erzähltechnisches Verfahren übertragen. Die für den Nachlaß zu Lebzeiten von ihm ausgearbeiteten Prosaskizzen „Triedere“, „Die Maus“ und „Das Fliegenpapier“ werden im zweiten Kapitel, die Erzählung „Grigia“ aus dem Novellenband Drei Frauen im dritten Kapitel im Hinblick auf die erarbeiteten Resultate aus dem ersten Teil untersucht. Zur Vermeidung von Wiederholungen geht es in der Untersuchung der Novelle „Grigia“ vor allem darum, Erzähltechniken heraus zu arbeiten, die in den vorhergehenden Prosaskizzen noch nicht zur Sprache kamen. Obgleich sich die Analyse um eine Vollständigkeit bemühte, sollte dieser Gesichtspunkt zugunsten einer besseren Überschaubarkeit berücksichtigt werden

Die Auswahl der Texte erfolgte im Hinblick auf die zeitliche Nähe der jeweiligen Veröffentlichungen zu der Entstehung des für diese Arbeit grundlegenden Essays „Ansätze zu neuer Ästhetik“. Darüber hinaus bieten diese Texte ein breites Spektrum an Möglichkeiten zur Herausstellung kinematographischer Verfahrensweisen.

Die Forschungsliteratur bezüglich der Anwendung kinematographischer Techniken in Musils Werk beschränkt sich auf eine geringe Anzahl von Untersuchungen, die aber wichtige Ausgangspunkte für diese Arbeit bilden. Rußegger bezieht sich anhand eines Querschnitts von Textbeispielen in seinem Buch „Kinema Mundi. Studien zur Theorie des ,Bildes‘ bei Robert Musil“[1] u.a. auf Musils dichterische Aufbereitung seiner Konfrontation mit dem Medium Film. Dabei hebt er hervor, dass in Musils Werk nicht von einer bloßen Adaption filmspezifischer Gestaltungsmittel auszugehen sei. Vielmehr müsse die Frage nach Musils geistiger Auseinandersetzung mit ideologischen Wirklichkeitskonstrukten aufgeworfen werden, die durch das neue Medium thematisiert würden.

Christoph Hoffmann nimmt in seinem Werk „,Der Dichter am Apparat‘: Medientechnik, Experimentalpsychologie und Texte Robert Musils 1899-1942“[2] Musils Wissen über Zusammenhänge von experimenteller Psychologie und Medientechnik zum Anlass, sein dichterisches Schaffen auf einen technischen Kontext als historische Bedingung hin zu befragen. Neben ausführlichen Erläuterungen zeitlicher Entwicklungen innerhalb der experimentellen Psychologie werden ausgewählte ,Textapparate‘ Musils hinsichtlich der Effekte von Medien und Maschinen einer Analyse unterzogen.

Christian Dawidowski bezieht sich in seiner Untersuchung „Die geschwächte Moderne. Robert Musils episches Frühwerk im Spiegel der Epochendebatte“[3] in dem Unterkapitel „Raumzeitliche Entstellung: Die Überlegenheit des Kinos“[4] auf die Frage nach Raum-zeitlichen Wirklichkeitsstrukturen, welche das neue Medium aufwirft. Anhand ausgewählter Texte Musils werden vor allem Verfremdungseffekte in der Verarbeitung von Wahrnehmungsdaten herausgestellt.

In Ewout van der Knaaps Untersuchung „Musils filmischer Blick - Notsignale auf dem Fliegenpapier“[5] wird bezüglich des Prosatextes „Das Fliegenpapier“ besonders Musils Faszination für szientifische Aspekte der Perzeption einerseits und assoziative Zusammenhänge in der Wahrnehmung andererseits herausgestellt.

Zuletzt sei hier Alexander Honolds Beitrag:„Auf dem Fliegenpapier: Robert Musil im Ersten Weltkrieg“[6] genannt. Neben einer Darstellung des historischen Kontextes der Prosaskizzen „Die Maus“, „Das Fliegenpapier“ und „Triedere“ aus dem Nachlaß zu Lebzeiten weist Honold auf filmische Gestaltungsmittel innerhalb dieser Texte hin.

Ein wesentlicher Aspekt dieser Untersuchung besteht darin, von einer Eigenständigkeit der vorliegenden Texte Musils auszugehen. Daher werden Querbezüge zu dem Mann ohne Eigenschaften oder anderen Werken Musils bewusst ausgegrenzt. Es wird hauptsächlich auf oben genannte Essays und auf ausgewählte Tagebucheintragungen zur Erfassung zugrunde liegender Überlegungen Musils zurückgegriffen.

1 Robert Musil und die Bedeutung des Kinematographen in seiner Zeit

Der Filmsehende liest Erzählungen anders.

Aber auch der Erzählungen schreibt, ist seinerseits ein Filmsehender.

Bertolt Brecht

1.1 Abriss der Entwicklung des Kinematographen

Wenn man die Anfänge des Mediums Film bestimmen will, muss zunächst eine Unterscheidung zwischen der medialen Institution Kino mit der besonderen apparativen Anordnung des Kinematographen einerseits, und der Entwicklung der formal-ästhetischen Möglichkeiten des Films andererseits gemacht werden. Das Aufkommen der ersten etablierten Vorführhäuser lässt sich auf das Jahr 1905 datieren.[7] Die Anerkennung des Films als eine eigenständige Kunst hingegen vollzog sich am Anfang des 20. Jahrhunderts in Europa innerhalb eines langen Prozesses, der bis in die zwanziger Jahre hineinreichte.

Die sogenannte Kino-Debatte[8] beschäftigte sich mit der Frage nach möglichen Repräsentationsformen, die auf der einen Seite Authentizität und Objektivität durch die Orientierung an der ‚Natur‘, auf der anderen Seite die Möglichkeit fiktionaler Gestaltung beinhalteten. Diese Unterscheidung lässt sich schon in eine Zeit zurückverfolgen, in der die Brüder Louis und Auguste Lumière die Erfindung des Amerikaners Thomas Edison für sich nutzbar machten. Der ,Kinetoscope‘ ist der Vorläufer des Kinematographen, ursprünglich ein Guckkasten, in dem eine Serie auf Glasplättchen gedruckter Bilder durch eine Kette zusammengehalten wurde und der mit einer Handkurbel von einer Einzelperson zu bedienen war, so dass bewegte Bilder sichtbar wurden. 1895 wurde er durch die Brüder Lumière mit dem Ziel weiterentwickelt, Vorführungen vor einer großen Öffentlichkeit stattfinden zu lassen. Die vorgeführten Filme beschränkten sich auf die abgefilmte Wirklichkeit.

Ab 1896 wurde das in der kinematographischen Technik liegende Illusionspotential von dem Theaterbesitzer und ‚Magier‘ Georges Méliès, der bis 1914 rund 1200 Filme produzierte, beispielsweise durch den Stoptrick oder die Mehrfachbelichtung für die fiktionale Gestaltung weiterentwickelt.

Neben der Kino-Debatte wurde auch in moralischer Hinsicht das neue Medium einer kritischen Beobachtung unterzogen. Erstmals bot sich die Möglichkeit einer ungewohnten Sichtbarmachung menschlicher Körper, was anfangs als skandalös empfunden wurde. In dem Aufsatz „Der Kinematograph vom ethischen und ästhetischen Standpunkt”, von Konrad Lange 1912 verfasst, heißt es: „Und gerade deshalb entbehren diese Films jedes künstlerischen Wertes: Sie sind Natur in photographischer Aufnahme, nur roher und gemeiner als man sie jemals zu sehen bekommt, gleichzeitig in gewisser Hinsicht lügenhaft gefälscht. Es ist mir vollkommen unbegreiflich, wie künstlerisch empfindende Menschen eine Volksunterhaltung, die derartiges bietet, überhaupt ernstnehmen, überhaupt künstlerisch werten können.“[9]

Einerseits wird kritisiert, dass der Film ,nur‘ die Realität abbildet, andererseits wird auf die Verfremdungsmöglichkeiten hingewiesen, die jedoch nicht als künstlerisches Mittel (an)erkannt werden. Diese Kritik basiert vorwiegend auf der damals noch fehlenden Ausdruckssprache für bestimmte formale Aspekte innerhalb des Films.

Im Hinblick auf die Erwartung eines erzählerisch gehaltvollen Kunstwerkes konnte das Kino bis 1920 mit gegebenen formalen Mitteln diesem Anspruch sicherlich nicht Genüge leisten. Das Vernachlässigen von narrativen Momenten und der Verzicht auf die Darstellung einer zeitlichen, örtlichen und kausalen Kontinuität von Handlungsabläufen ließ das kritische Publikum, darunter auch Schriftsteller[10], eine skeptische Haltung gegenüber dem neuen Medium einnehmen.

Um so mehr erkannte man in der Kinematographie ein Mittel wissenschaftlicher Erkenntnis, mit dem in verschiedensten Bereichen der Naturwissenschaften wie beispielsweise in der Geographie, Botanik und Zoologie durch Zeitraffer und Zeitdehnung bedingt visuell erfassbare Vorgänge sichtbar gemacht werden konnten.

Um die Besonderheit der neuen mechanischen Errungenschaft des Kinematographen herauszustellen, ist es an dieser Stelle von Vorteil, einen Blick auf einige historische Eckdaten seiner Entwicklung zu werfen.

Die Erfindung der Photographie im frühen 19. Jahrhundert stellt die Voraussetzung für die Erzeugung bewegter Bilder dar. Die Camera obscura[11] ermöglicht Louis Daguerre 1839 die erste praktische Weiterentwicklung der Photokamera (Daguerreotypie). Zeitgleich wird die Reproduktion der Photographie durch William Henry Fox Talbots System der Negativ-Aufzeichnung und Positiv-Wiedergabe gewährleistet.[12] 1878 gelingt es Eadweard Muybridge, mit einer Vielzahl von hintereinandergeschalteten Photoapparaten eine Folge von Bewegungsmomenten in gleichbleibenden Intervallen ohne Verwischung sichtbar zu machen. „In der Darstellung der Sequenzen von Muybridge wird der Betrachter mit einem Bewegungsablauf konfrontiert, den er in der Realität gar nicht sehen kann. Er sieht die photographische Folge nicht in ihrem perspektivischen Ablauf, sondern betrachtet die Bewegung aus einer gleichzeitigen, durch die Positionen der Kameras bedingten Standortveränderung. Das bewegte Objekt ist bei jeder Aufnahme parallel zur Bildfläche photographiert worden und zwingt den Betrachter bei jedem Bild zum Nachvollzug einer Neueinstellung. Die Folge der zu sehenden Bewegung ist dadurch leicht verzögert.“[13]

Das Bestreben, eine Projektionsapparatur zu entwickeln, welche den Fluss der äusseren Bilder der optischen Wahrnehmung mechanisch approximativ angleicht, hat den Ausbau des Kinematographen zur Folge, der den Filmtransport durch den Fortschaltmechanismus, beim klassischen Projektor bestehend aus Malteserkreuz und Stiftscheibe, ermöglicht. 16-, 18-, oder 24-mal in der Sekunde leistet der Apparat eine Akkordarbeit von Stillstand und Bewegung, um die Illusion eines Ablaufs von Bewegung zu erzeugen. Um 1908 wird den flimmerstarken Projektionen Abhilfe geleistet, indem eine rotierende Scheibe den Lichtausfall des Projektors exakt in der Zeit, in welcher der Film transportiert wird, verdeckt, so dass Serien von ruhenden Bildern zu sehen sind. Das Funktionieren der filmischen Bewegungsillusion ist damit auf der technischen Seite gewährleistet.[14] Zugleich wird die Differenz zwischen dem Blick des Menschen und der technisch erschlossenen Erscheinung der Dinge größer.

Bei gleichzeitiger Angleichung des Kinematographen an die optische Bewegungswahrnehmung findet durch technische Verfremdungsmöglichkeiten wie der Großaufnahme, der Zeitlupe, des Zeitraffers, der Überblendung oder der Möglichkeit des Rückwärtslaufs eine Irritation in der Wahrnehmung statt. Der Film trägt insofern zu einer Veränderung in der konditionierten Perzeption bei, als dass Erscheinungen nun auf eine andere Weise zu speichern und zu verarbeiten sind, als es bisher mit den menschlichen Sinnen möglich war.

Schon Mitte des 19. Jahrhunderts begünstigte, im Zuge der aufkommenden Technisierung, die Infragestellung des Raum-zeitlichen Sehens relative Betrachtungsweisen sowohl auf erkenntnisorientiertem als auch gefühls- und erfahrungsbedingtem Gebiet. Neben der Mechanisierung und Automatisierung der Arbeitswelt hatte nicht nur die Zunahme der Fließbandproduktionen als Folge der Industrialisierung Einfluss auf die Wahrnehmung des Zeitgefühls. Aus der Expansion der Industrie resultierte auch ein rapider Anstieg der Großstädte[15], in welchen die Sinne durch die zunehmende Mobilisierung mit schnell wechselnden Eindrücken konfrontiert wurden, die es zu verarbeiten galt.

Nach Einsteins Relativitätstheorie gelten nun Raum und Zeit nicht mehr als absolute Größen, sondern bilden sich zu relativen Begriffen heran, die statt des Gefühls von Einheit, Rhythmus und Kontinuität Brüche, Risse und Widersprüche in der Perzeption generieren. Die verstörenden technischen Effekte des Kinematographen tun ihr Übriges, um nicht nur bei Philosophen und Psychologen das Interesse auf dem Gebiet der Wahrnehmungsforschung zu erweitern.

Die Verknüpfungsmöglichkeiten der Funktionsweise der bilderzeugenden Apparate mit neurophysiologischen Wahrnehmungsprozessen des Menschen beziehen sich u.a. auch auf die Gegenüberstellung der Perzeption einer scheinbaren Realität auf der Leinwand und der technischen Wirklichkeit, die die perzipierte Illusion als diskontinuierliches Zerlegen und Wiederzusammensetzen von Einzelbildern entlarvt.

Der französische Philosoph Henri Bergson (1859-1941) beschreibt 1907 in seinem Werk „L’évolution créatrice“ den Mechanismus des gewöhnlichen Sehens als eine Art inneren Kinematographen, gemäß der Projektion von Bewegungsillusion kinematographischer Apparaturen. So „nehmen wir gleichsam Momentphotographien der vorüberziehenden Wirklichkeit auf“, die, „künstlich wieder zusammengesetzt“[16] Bewegungsillusion vortäuschen.

Die literarische Moderne wird durch derartige Überlegungen zur grundsätzlichen Infragestellung der Erzählbarkeit von Realität veranlasst. Expressionistische und dadaistische Strömungen in der Literatur greifen den Aspekt der durch den Kinematographen sinnlich erfahrbaren Umkehrung der Bewegung und der subjektiv empfundenen Relativierung der Zeit mittels syntaktischer Umstellungen im Satzgefüge als Äquivalent für die ‚neue‘, optische Wahrnehmung auf. Zunehmend löst sich dabei der sprachliche Anspruch von der Abbildung der äußeren Realität und begibt sich auf die Suche nach Gefühlen und Zwiespälten innerer Wahrnehmungen. Die Subjektivität des Abbildungsprozesses der Realität wird thematisiert und als Gestaltungsmittel begriffen.

1.2 Robert Musils Verhältnis zur Kinematographie

Auch Robert Musil steht der menschlichen Wahrnehmung im Allgemeinen und seiner eigenen im Besonderen mit Skepsis gegenüber. „Eidetiker nennt man Menschen, die von (...) direkt physisch wahrgenommenen Bildern heimgesucht werden, oft spontan, ohne entsprechende reale Reizgrundlage, wie es für die frühe Kindheit typisch ist. Einmal Gesehenes steht mit geradezu photographischer Treue vor ihnen. War Musil ein Eidetiker?”[17] Dass für Robert Musil Bilder eine bedeutende Rolle spielen, geht aus seinem Gesamtwerk hervor und wird in der Literatur über ihn dokumentiert. Insbesondere durch das bewegte Bild erhofft er sich Klärung bestimmter Fragekomplexe, welche die Verarbeitung von Erlebnissen, Eindrücken und Gedanken berühren.

„Sie sehen durch die Dinge durch, Sie sehen sie ‚auseinander‘ Zieht das Auge der Andern die Erscheinungen zu geläufigen Begriffen zusammen, seinem Bedürfnis nach Messbarem folgend, so zerstreut das Ihrige, löst, kraft der gewonnenen Erfahrungen, in Unwägbares, Ungreifbares auf. Bei allen Dingen sehen Sie über die Form hinweg, in die gekleidet sie erscheinen und wittern die geheimnisvollen Vorgänge einer Hinterexistenz.“ (Tb. I; 9)

Musils Bezug zur Medientechnik und das daraus resultierende Interesse an Apparaturen, welche die Erkenntnisse der Sinnesfunktionen erweitern, ist vor allem auf seine Berliner Jahre zurückzuführen, als er an der Wilhelm-Humboldt-Universität ab 1903 neben seinem Studium der Philosophie die Anfänge der Gestaltpsychologie kennen lernt und sich mit den Techniken und Apparaten der experimentellen Psychologie vertraut macht. Neben endlosen Versuchsreihen am Rotationstachystoskop, das über eine kurze Einblendung von Buchstaben das Reaktionsvermögen und die Aufmerksamkeit beim Lesen testet, befasst er sich mit der Erforschung des Zustandekommens des menschlichen Farbensehens. Zu diesem Zweck konstruiert er einen Farbkreisel, der, in Rotation versetzt, die übergangslose Wahrnehmung jeglicher Mischfarbe ermöglicht.[18]

Ziel der experimentellen Psychologie ist es, die Gesetzmäßigkeiten der Psyche unabhängig von physikalischen Bedingungen aus sich selbst heraus zu erklären. So bedingen Form, Präzision und Justierung der verwendeten Apparate in großem Maß die Erfassung psychischer Empfindungen. Das ‚bewaffnete Auge‘ (vgl. 7; 519) stellt für Musil aufgrund der zunehmenden Verunsicherung über Wahrnehmungsdaten eine Möglichkeit der anderen Herangehensweise an die Wirklichkeit dar.

Innerhalb der Gestaltpsychologie tritt im Bereich der optischen Wahrnehmung zu Anfang des Jahrhunderts vor allem die Feststellung in den Vordergrund, dass das gewohnte Sehen mehr beinhalte als die instinktive Reaktion auf äußere Reize der Wirklichkeit. Das Selektieren bestimmter Teile aus dem Gesamtumfeld des Gesichtskreises lässt schon von vornherein weder eine einheitliche Erfassung der Wahrnehmungsmechanismen noch eine Erfassung der Wirklichkeit zu.

Unter Carl Stumpf, der auch im Bereich der Experimental-Psychologie lehrt, schreibt Musil im Fach Philosophie 1908 seine Dissertation „Beitrag zur Beurteilung der Lehren Machs“ (1886) über den Positivisten Ernst Mach (1838-1916), in der er eine erkenntnistheoretische Erklärung seines eigenen Verhältnisses zur Technik sucht.

Der Fortschrittsglaube, der sich durch den Triumph der Technik im Bewusstsein der modernen literarischen Strömungen manifestiert, wird von Musil, trotz seines Ingenieurstudiums (Technische Hochschule Brünn 1898 und Abschluss in Stuttgart 1902) nicht geteilt.

„Alle 10 Jahre gibt es eine neue Jugend. Gibt es aber soviel neue Kunst? Gibt es einen Fortschritt in der Kunst? Ich war gegen die Moderne, als ich jung war, und ich darf daher auch im Alter gegen die Moderne sein.“ (Tb. I; 493)

Die Bestrebungen innerhalb des Expressionismus und Dadaismus nehmen die neuen Medien zum Anlass, auch innerhalb der Erzähltechniken einige experimentelle Umwälzungen vorzunehmen. Das in dieser Zeit diagnostizierte Ausdrucksdefizit, welches sich allgemein in der Skepsis gegenüber Sprachregeln als Repräsentanten universeller Verbindlichkeiten sozialer Gruppen äußert, bewirkt eine äußerst desillusionierte, anti-realistische Haltung innerhalb der Literatur.

Musil kommt es darauf an, „eine dem Entwicklungsstand der Mathematik und der Naturwissenschaften adäquate Schreibweise für literarische Belange zu entwickeln.”[19]

Unter Beibehaltung der Regeln der Grammatik ist Musil Traditionalist, und als solcher steht er der Moderne-Euphorie und dem menschlichen Erkenntniskonzept, das sich ihm als durch künstliche Einheiten starr konstruiert darstellt, misstrauisch gegenüber. Nicht eine anti-realistische Haltung prägt daher seine Schreibintention, vielmehr richtet sie sich gegen festgefügte Denkkategorien, welche der Entwicklung neuer Wahrnehmungsfelder entgegenstehen.

In seinem Essay „Das hilflose Europa oder Reise vom Hundertsten ins Tausendste“ von 1922, in dem grundsätzlich einseitige Betrachtungsweisen historischer Prozesse angefochten werden, heißt es:

„Im Keller dieses Narrenhauses aber hämmert der hephaistische Schaffenswille, Urträume der Menschheit werden verwirklicht wie der Flug, der Siebenmeilenstiefel, das Hindurchblicken durch feste Körper und unerhört viele solcher Phantasien, die in früheren Jahrhunderten seligste Traummagie waren; unsere Zeit schafft diese Wunder, aber sie fühlt sie nicht mehr.“ ( 8; 1075)

Der Mensch stellt sich als zu Übermenschlichem befähigt dar, jedoch nur durch eine ,entmenschlichte‘ Interaktion mit der Umwelt, wodurch der Fortschritt entmystifiziert wird. Der Traum vom Fliegen etwa erfüllt sich faktisch durch die Erfindung von Flugmaschinen, hört jedoch zugleich auf ein Traum zu sein, weil dem Menschen keine Flügel gewachsen sind. Das Ziel ist erreicht, die Sehnsucht aber nicht gestillt. Die ,Entzauberung‘ der Welt, wie sie hier ihren Ausdruck findet, führt bei Musil zu einem komplexen Gedankensystem, das sich auf sein gesamtes Werk thematisch niederschlägt. Sein psychologisches Wissen über Wahrnehmungsgrenzen und medientechnische Möglichkeiten stellen für ihn hier die wichtigen Bezugspunkte dar, durch welche die Homogenität sinnlicher Wahrnehmung durchbrochen werden kann zugunsten einer differenzierten Sichtweise.

So sieht er anfänglich in Film und Kino die Chance, das System von vorgetäuschten Zusammenhängen beispielsweise durch Zeitraffer, Zeitlupe oder Großaufnahme zu entlarven, um die Fragmentiertheit der Welt zu erkennen und um ein neues Daseinsverständnis zu generieren.[20]

1.3 Dichtungstheoretische Reflexionen

„In Musils Tagebuch geht es immer wieder um Filme, Filmschauspieler, Kino-Meldungen usw. Doch keine einzige Notiz auf den mehr als tausend dicht bedruckten Seiten enthält einen Hinweis darauf, dass Musil im Kino tatsächlich gefunden hätte, was er von der Kunst des Films, von der neuen Ästhetik erwartete.“[21] Es ist davon auszugehen, dass Musil weniger an einer immanenten Ästhetik des Films interessiert war.

In welcher Weise der Kinematograph neue Möglichkeiten der Wahrnehmung bot und welchen Einfluss diese Möglichkeiten auf Musils Werk nahmen, kann anhand seines eigenen Anspruchs an sein literarisches Schaffen herausgearbeitet werden.

In dem programmatischen Essay „Skizze der Erkenntnis des Dichters“ von 1918 wirft Musil zwei Fragenkomplexe auf. Zum einen bemüht er sich um eine Definition der Person des Dichters und seiner Aufgabe beziehungsweise Funktionsbestimmung. Zum anderen geht es um die für Musils Werk zentrale Frage nach dem Sinngehalt der beiden von ihm gebildeten Neologismen ratioid und nicht-ratioid sowie um deren gegenseitige Bedingtheit.

Sowohl der Dichter als auch das Gebiet des Nicht-Ratioiden nehmen hier die Funktion einer Ausnahme von der Regel ein.

„Man könnte ihn beschreiben als den Menschen, dem die rettungslose Einsamkeit des Ich in der Welt und zwischen den Menschen am stärksten zu Bewußtsein kommt. Als den Empfindlichen, für den nie Recht gesprochen zu werden vermag. Dessen Gemüt auf die imponderablen Gründe viel mehr reagiert als auf gewichtige.“ (8; 1026)

Diese Definition greift auf die Formulierung Ernst Machs, das Ich sei unrettbar, zurück. Über diesen Physiker und Philosophen, der als einer der Väter des (Neu-)Positivismus gilt, promovierte Musil mit seiner Dissertation „Beitrag zur Beurteilung der Lehren Machs” (1908). Einige Grundthesen des Werkes „Die Analyse der Empfindungen und das Verhältnis des Physischen zum Psychischen“ (1886) von Ernst Mach sollen hier Beachtung finden, zumal Musil sich eingehend mit diesen Themenkomplexen auseinander gesetzt hat.

Mach verneint als erklärter Empirist jegliches Vorherrschen metaphysischer Fragen und damit die Vorstellung von einer Welt der Körper und einer geistigen Welt. Auch die Unterscheidung zwischen Psychischem und Physischem diene dem Menschen lediglich als Orientierung, stelle aber kein endgültiges Erklärungsmuster dar und dürfe deshalb nicht überbewertet werden. Stattdessen führt Mach den Begriff des Elementarkomplexes ein, worunter ein Bündel von Elementen zu verstehen ist, die in funktionaler Abhängigkeit zueinander stehen. Mit Elementen, die es zu erforschen gelte, weil sie einzig und allein wirklich erfassbar seien, meint Mach Empfindungen wie Düfte, Farben, Räume, Zeiten oder Töne. Der funktionalen Abhängigkeit der Elemente lägen keine kausalen Erklärungen zugrunde, vielmehr bildeten diese Elemente das Ich, dessen Grenze unbestimmt und willkürlich verschiebbar sei. Je enger nun diese Grenze gezogen würde, desto mehr würden nach Mach „die metaphysischen Schwierigkeiten”[22] in Erscheinung treten. Erkennt man letztlich an, dass Einheiten wie ,Körper‘ und ,Ich‘ nur der vorläufigen Orientierung dienen, so fällt „Der Gegensatz zwischen Ich und Welt, Empfindung oder Erscheinung und Ding (...) weg, und es handelt sich lediglich um den Zusammenhang der Elemente (...), für welchen eben dieser Gegensatz nur ein teilweise zutreffender unvollständiger Ausdruck war.”[23] Die Überflüssigkeit des klassisch transzendentalphilosophischen Ichs und die Trennung von Subjekt und Objekt als Denknotwendigkeit bringt Ernst Mach auf die Formel: „Das Ich ist unrettbar.“[24]

Musil kritisiert in seiner Dissertation die Thesen Machs mit dem Vorwurf mangelnder Konsistenz und Stringenz in der Argumentation. Dennoch finden sich Ansätze der Thesen häufig in dem Werk Musils wieder, und es sei hier auch angemerkt, dass er die Dissertation auf die Wünsche und Einwände seines Doktorvaters Carl Stumpf, der einen ‚Antimachismus‘ vertrat, ausrichtete.[25]

Musils Definition des Dichters als jemand, der in der Einsamkeit des Ichs unrettbar ist, bedeutet nun eine Anspielung auf die Formulierung Machs, weist aber auch durch das Vorhandensein des Bewusstseins auf ein autonomes Ich als Erkenntnissubjekt hin, welches sich an geistigen und seelischen Werten orientieren kann. Gleichzeitig reagiert dieses Erkenntnissubjekt weniger auf kalkulierbare, als vielmehr auf ‚imponderable‘ Umstände, um über die Grenzen der Wahrnehmung hinauszugelangen. „Die Idee, die seinem Werk zugrunde liegt, ist der Versuch, sich Erfahrungswerten anzunähern, die über das Faktenwissen und das technisch Machbare hinausweisen, um das, was den Menschen jenseits von gültigen Theorien, Maßstäben und Moralvorstellungen ausmache, zu erfassen.”[26] Dies kann nur in der Einsamkeit geschehen, aus der, einem Entfremdungszustand ähnlich, defizitäre soziale und psychische Bindungen resultieren.[27]

„Man versteht das Verhältnis des Dichters zur Welt am besten, wenn man von seinem Gegenteil ausgeht: Das ist der Mensch mit dem festen Punkte a, der rationale Mensch auf ratioidem Gebiet.“ (8; 1026)[28]

Musil bezeichnet das durch die Ratio gekennzeichnete Gebiet als das ratioide, welches „- roh umgrenzt - alles wissenschaftlich Systematisierbare, in Gesetze und Regeln zusammenfassbare, vor allem also die physische Natur“ (8; 1027) umschließt. Das Suffix ,-oid‘ impliziert das Unbestimmte des Begriffes, da es, wörtlich genommen, eine Ähnlichkeit herausstellt und der Begriff sich demnach nicht über eine einzige Vorstellung erklären lässt. Neben der Ratio dominiert der „Begriff des Festen“ und die „nicht in Betracht kommende Abweichung.“(8; 1027)

Eine nicht in Betracht kommende Abweichung innerhalb eines Begriffsystems bedeutet ein konstantes, in sich unveränderliches Gedankengebäude, welches sich aus wissenschaftlich Systematisierbarem, aus Gesetzen und Regeln zusammensetzt. Diese auf den Begriff der Tatsache reduzierbaren Merkmale aber sind im Sinne der „geistige(n) Solidarität der Menschheit“ (8; 1027) konstruiert. Luserke bezeichnet das Satzgefüge „nicht in Betracht kommende Abweichung beherrschtes Gebiet” als einen Paralogismus, da der Zusatz aufgrund des Nichtvorhandenseins vernachlässigbar sei. Da Musil aber ausdrücklich davon spricht, verflüchtige sich „die Paradoxie zur ontologischen Charakterisierung des ratioiden Gebietes”, das somit auch „Irrationales, menschlicher Erkenntnis Entzogenes“[29] beinhalte.

Diese Darstellung erscheint aber unter Miteinbeziehung der Anerkennung, dass die vermeintlich unveränderlichen Tatsachen in einem reziproken Verhältnis zur menschlichen Solidarität stehen, umständlich. Es soll zum besseren Verständnis noch einmal auf Musils späteren Essay „Das hilflose Europa oder Reise vom Hundertsten ins Tausendste“ (8; 1075) verwiesen werden. Dort heißt es:

„Es ist ein sehr aktuelles Gefühl von Zufall mit bei allem, was geschah. (...) aber jeder weiß doch, daß es ebenso gut auch anders hätte kommen können, und daß die Entscheidung oft an einem Haar hing. Es sieht beinahe so aus, als ob das Geschehen gar nicht notwendig wäre, sondern die Notwendigkeit erst nachträglich duldete.“(8; 1077)

Musil stellt in diesem Essay generell das Erfassen historischer Tatsachen in Frage, da sie sich als kontingent darstellen und deren Notwendigkeit scheinbar nur nachträglich festgestellt werden kann. Die vom Menschen als historische Prozesse festgehaltenen Entwicklungen bilden ihrerseits einen Teil menschlicher Solidarität und nehmen somit den Charakter angesammelter Zufallserscheinungen an, die lediglich zu Tatsachen geformt wurden. In dem Essay „Skizze der Erkenntnis des Dichters“ weist Musil darauf hin, dass selbst „die tiefsten Grundlagen der Mathematik“ (8; 1027), die Physik und Astronomie eines klaren Fundamentes entbehren. So inauguriert der Begriff ratioid mit genannten Merkmalen von vornherein eine Relativität, die eine eindeutige Opposition zum Nicht-Ratioiden ausschließt.

„Ich weiß ganz bestimmt, daß eine Straße nichts gerades taghelles ist, sondern daß sie vergleichsweise (ebensogut) etwas Vielverzweigtes, Geheimnis- und Rätselvolles ist (sein kann), mit Fallgruben und unterirdischen Gängen, versteckten Kerkern und vergrabenen Kirchen.“ (Tb. I; 8)

Die Gegenüberstellung der Begriffe ratioid und nicht-ratioid kann als eine Abstraktion verstanden werden, um zu zeigen, wie mit konditionierter Wahrnehmung innerhalb der Erfahrungswelt operiert wird. Musil umgeht durch die Begriffswahl des Ratioiden polares Denken und umgrenzt gleichzeitig das dichterische Erkennen, welches ein eigenständiges, autonomes nicht-ratioides Gebiet beansprucht. Dieses ist durch die Idee gekennzeichnet, was bedeutet, dass der Dichter mit von Sinnen erfassbaren Vorstellungen oder Bildern denkt, nicht mit Bedeutungsträgern. 1931 äußert sich Musil in den Randbemerkungen dazu folgendermaßen:

„Das Wort ist nicht gar so sehr der Träger eines Begriffs, wie man, bestochen davon, daß sich der Begriffsinhalt unter Umständen definieren läßt, gewöhnlich annimmt, sondern es ist, wenn es nicht definitorisch zu einem Fachwort eingeengt wird, bloß das Siegel auf einem lockeren Pack von Vorstellungen.“ (8; 1212)

Die „seelischen Motive“ (8; 1029), die den Vorstellungen des Dichters zugrunde liegen, stellen den „unendlichen und unberechenbaren Aspekt“ innerhalb des nicht-ratioiden Gebietes dar. Das Prinzip des motivierten Lebens opponiert gegen die im täglichen Leben praktizierten notwendigen Reaktionen auf äußere Reizeinflüsse und gegen die Festschreibung vorfindbarer Bedeutungen.

„Denn es entspricht einer grundlegenden erzählerischen Taktik Musils, das, was nicht gesagt wird, hervorzuheben und als das eigentlich Bedeutsame erscheinen zu lassen, und damit das, was (immer bloß zwangsläufig) gesagt wird (wenn überhaupt etwas gesagt werden soll), zu relativieren und transparent zu machen im Hinblick auf seine autologische Struktur.“[30]

[...]


[1] Rußegger, Arno: „Kinema Mundi. Studien zur Theorie des ,Bildes‘ bei Robert Musil“ Wien, Köln, Weimar 1996

[2] „,Der Dichter am Apparat‘: Medientechnik, Experimentalpsychologie und Texte Robert Musils 1899-1942“ München 1997 (Musil-Studien 26)

[3] Dawidowski, Christian: „Die geschwächte Moderne. Robert Musils episches Frühwerk im Spiegel der Epochendebatte“. Hrsg. Martin Bollacher u.a.. Frankfurt a. Main 2000 (Bochumer Schriften zur deutschen Literatur Bd. 54)

[4] ebd. S. 60-76

[5] Knaap, Ewout van der : „Musils filmischer Blick - Notsignale auf dem Fliegenpapier“ In: Poetica 30. 1998. S. 165-178

[6] Honold, Alexander: „Auf dem Fliegenpapier: Robert Musil im Ersten Weltkrieg“. In: Literatur für Leser 20. 1997, S. 224-239

[7] Dabei lagen verschiedene Formen des präsentierten Programms vor: In den ersten Jahren nach 1895 waren die Filmvorführungen Teil eines großen Unterhaltungsprogramms, welches Kleinkunst, Artistik und Kabarett beinhaltete. Neben dem Jahrmarkt-und Wanderkino kombinierte das ,Varieté-Theater‘ die Filmvorführung mit künstlerischen Attraktionen noch bis zum Beginn der Tonfilmzeit ab Ende der zwanziger Jahre. Vgl. dazu: Korte, Helmut; Faulstich, Werner: „Der Film zwischen 1895 und 1924: ein Überblick“. In: „Fischer Filmgeschichte Bd. 1“Hrsg.: ders., Frankfurt a. Main 1994. S. 13-47; hier S. 13/14

[8] Vgl. dazu Kaes, Anton (Hrsg.): „Kino-Debatte - Texte zum Verhältnis von Literatur und Film 1909 - 1929“. Tübingen 1978

[9] Lange, Konrad: „Der Kinematograph vom ethischen und ästhetischen Standpunkt“. In: „Flugschrift zur Ausdruckskultur“ S . 12-50

[10] Die Reaktion Intellektueller auf das neue Medium ist durchaus als ambivalent zu charakterisieren. Während beispielsweise Georg Lukács 1911 im Film zwar eine „neue Schönheit“ sah, die sich nicht in „alte unpassende Kategorien einordnen“ lasse, aber auch nicht den Stellenwert eigentlicher Kunst erreiche, greift Walser von vornherein die Typisierung der handelnden Figuren und die damit einhergehende Trivialität der Einzelschicksale an, die sich meist ins Tragikkomische wenden, um am Ende einen moralischen Abschluss zu finden. Vgl. Georgen, Jeanpaul (Hrsg.): „Walter Ruttmann. Eine Dokumentation. Berlin: Freunde der Deutschen Kinemathek o.J.“ 1989, S. 20 und Walser, Robert: „Kino”. In: „Kein Tag ohne Kino. Schriftsteller über den Stummfilm.“ Hrsg.: Güttinger, Fritz, Frankfurt a. Main 1984, S. 58

[11] Vorläufer der Photokamera. Schon im 13. Jahrhundert in China und Griechenland entwickelt. In dem mit einem kleinen Loch versehenen dunklen Kasten werden durch das gebündelt einfallende Licht Bilder von außen auf die innere Projektionsfläche seitenverkehrt und auf dem Kopf stehend abgebildet. Das Bild gewinnt durch die später am Loch eingesetzten Linsen an Schärfe. Vgl. Monaco, James: „Film verstehen“. Hrsg.: Ludwig Moos. Hamburg 1995. S. 67

[12] ebd. S. 70

[13] Schnelle-Schneyder, Marlene: „Photographie und Wahrnehmung am Beispiel der Bewegungsdarstellung im 19. Jahrhundert“. Marburg 1990, S. 75

[14] vgl. Zielinski, Siegfried: „Zur Entstehung des Films für das Kino im Spannungsverhältnis von Technik und Kultur”. In: „Fischer Filmgeschichte Bd. 1“. a.a.O., S. 58-64

[15] Berlin zählte 1910 bereits über zwei Millionen Einwohner.

[16] Bergson, Henri: „Schöpferische Entwicklung“ 1907/1923. S. 331; zitiert nach: Kittler, Friedrich: „Grammophon, Film, Typewriter“. Berlin 1986. S. 238/239

[17] Corino, Karl: „Robert Musil, Leben und Werk in Bildern und Texten“, Reinbek bei Hamburg 1988, S. 486

[18] vgl. Hoffmann, Christoph: „Der Dichter am Apparat“, a.a.O.. S. 68-76

[19] Bolterauer, Alice: „Rahmen und Riss, Robert Musil und die Moderne“. Wien 2000. S. 35

[20] vgl. Földényi, László F.: „Die Kinoerlebnisse eines «Mannes ohne Erfolg», Robert Musil und der Film“ www.koellerer.de/notizen.html oder Neue Zürcher Zeitung, Literatur und Kunst, Samstag 07.11.1998 Nr. 259

[21] ebd. S. 4

[22] Mach, Ernst: „Die Analyse der Empfindungen und das Verhältnis des Psychischen zum Physischen“. Jena 1922. S. 10

[23] ebd. S. 11

[24] ebd. S. 20

[25] vgl. Luserke, Matthias: „Robert Musil“. Stuttgart 1995. S. 35

[26] Deutsch, Sibylle: „Der Philosoph als Dichter - Robert Musils Theorie des Erzählens“. St. Ingbert 1993. S. 22

[27] Musils intensive Auseinandersetzung mit Depersonalisierungsprozessen bezüglich T.K. Oesterreichs Werk „Die Entfremdung der Wahrnehmungswelt und die Depersonalisation in der Psychasthenie“ (1906/07) während seiner Berliner Studienjahre nahm großen Einfluss auf den 1911 erschienenen Erzählband Vereinigungen. Entfremdungszustände stellen für Musil auch in Drei Frauen, wie gezeigt werden wird, ein zentrales Thema dar.

[28] In der Ausgabe der Gesammelten Werke von Adolf Frisé heißt es fälschlicherweise das „Verständnis des Dichters zur Welt“; die Korrektur erfolgte nach dem Erstdruck; vgl. Luserke, Matthias: „Wirklichkeit und Möglichkeit - Modaltheoretische Untersuchung zum Werk Robert Musils“. Europäische Hochschulschriften Reihe 1; Frankfurt a. Main 1987, S. 55

[29] ebd. S. 59

[30] Rußegger, Arno: „Kinema Mundi - Studien zur Theorie des ,Bildes‘ bei Robert Musil“, a.a.O. S. 65

Excerpt out of 87 pages

Details

Title
Das kinematographische Verfahren in Robert Musils Erzählungen
College
LMU Munich  (Institut der deutschen Philologie)
Grade
1,6
Author
Year
2001
Pages
87
Catalog Number
V6794
ISBN (eBook)
9783638142861
File size
631 KB
Language
German
Keywords
Verfahren, Robert, Musils, Erzählungen
Quote paper
Constanze Meier (Author), 2001, Das kinematographische Verfahren in Robert Musils Erzählungen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/6794

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