Seit Kaspar Hauser am 26. Mai 1828 auf dem Nürnberger Unschlittplatz erschien, ist das Interesse an seiner Person ungebrochen. Bis in unsere Tage hinein beschäftigt der Fall des rätselhaften Findlings Mediziner, Psychologen, Pädagogen, Juristen, Kriminologen und Vertreter zahlreicher anderer Disziplinen. Die „über tausend bibliographische[n] Nachweise,“ die Peitler und Ley bereits 1927 zu Kaspar Hauser veröffentlichten, haben sich inzwischen auf ein Vielfaches erhöht. Die anhaltende Faszinationskraft des Nürnberger Findlings äußert sich auch in der regen literarischen Produktion zur Hauser-Geschichte, die bereits zu dessen Lebzeiten mit einigen Gedichten einsetzte und sich bis heute gattungsübergreifend fortsetzt. In der deutschsprachigen Literatur haben Georg Trakls GedichtKaspar Hauser Lied(1913), Jakob Wassermanns RomanCaspar Hauser oder Die Trägheit des Herzens(1907) und Peter Handkes DramaKaspar(1968) besondere Bekanntheit erlangt. Im Bereich der Literaturwissenschaft dagegen läßt sich, abgesehen von zwei Dissertationen zu Beginn des 20. Jahrhunderts, die sich beide um einen Überblick über die Kaspar-Hauser-Literatur bemühen, eine kontinuierliche Beschäftigung mit dieser Thematik erst seit den 1960er Jahren feststellen. Der folgende Forschungsüberblick soll einige grundlegende Tendenzen in der literaturwissenschaftlichen Betrachtung des Kaspar-Hauser-Stoffes aufzeigen und erhebt somit - dies sei an dieser Stelle ausdrücklich betont - keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit. Daher sind die vorgestellten Beiträge auch bewußt nicht chronologisch geordnet, sondern nach thematischen Gesichtspunkten zusammengefaßt. Zu nennen sind zunächst zwei Publikationen jüngeren Datums, denen es in erster Linie um die Vermittlung eines umfassenden Überblicks über die literarische Kaspar-Hauser-Produktion geht. Die 1992 von Struve herausgegebene Anthologie bietet nach einer knappen Darstellung der historischen Ereignisse neben mehr als 90 chronologisch angeordneten Texten und Textauszügen auch Bildmaterial aus der Stoffgeschichte. Um den Zugang zu den einzelnen Textbeispielen zu erleichtern, hat der Autor ihnen jeweils eine kurze Einleitung vorangestellt. Insgesamt dokumentiere die Anthologie „ausgehend von der Historie des Nürnberger Findlings“ die „Verwandlung einer historischen Gestalt in eine literarische und schließlich in eine Gestalt von geradezu mythischen Proportionen.“
Inhaltsverzeichnis
- I. Einleitung
- II. Zum historischen Kaspar-Hauser-Fall
- 1. Die erste Zeit in der „neuen Welt“
- 2. Bei Daumer
- 3. Zwischenstationen (Familie Biberbach und Freiherr von Tucher)
- 4. Bei Meyer
- III. Zur Geschichte der Pädagogik
- 1. Entstehung und Hauptmerkmale der traditionellen Pädagogik
- 2. Krise der Pädagogik in den 1960er Jahren und Hauptmerkmale der antiautoritären Erziehung
- IV. Zu Peter Handkes Kaspar
- 1. Vorüberlegung
- 2. Entwicklung und Erziehung der Figur
- 2.1. Kaspars Anfangszustand
- 2.2. Die gezielte Verunsicherung des Subjekts
- 2.3. Kaspars Anpassung an die bestehende Ordnung
- 2.4. Das Scheitern der Integration
- 3. Fazit
- V. Zu Werner Herzogs Jeder für sich und Gott gegen alle
- 1. Verhältnis zum historischen Fall
- 2. Entwicklung und Erziehung der Figur
- 2.1. Kaspars Anfangszustand
- 2.2. Verschiedene Modelle im Umgang mit Kaspar
- 2.2.1. Der „Vater“
- 2.2.2. Kaspars Konfrontation mit der Gesellschaft
- 2.2.3. Familie Hiltel
- 2.2.4. Bei Daumer
- 2.3. Fazit
- VI. Zu Jürg Amanns Ach, diese Wege sind sehr dunkel
- 1. Allgemeines
- 2. Verschiedene Erfahrungs- und Entwicklungsmomente der Figur
- 3. Fazit
- VII. Zusammenfassende Wertung
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht die Darstellung der Kaspar-Hauser-Thematik und die damit verbundene Kritik an der Pädagogik in drei Werken: Peter Handkes Kaspar (1968), Werner Herzogs Film Jeder für sich und Gott gegen alle (1974) und Jürg Amanns Roman Ach, diese Wege sind sehr dunkel (1985). Ziel ist es, die jeweiligen Interpretationen des historischen Falls zu analysieren und deren pädagogische Implikationen herauszuarbeiten.
- Die literarische Rezeption des Kaspar-Hauser-Falls
- Die Kritik an traditionellen Erziehungsmodellen
- Die Darstellung von Identität und Sozialisation
- Der Einfluss der historischen und gesellschaftlichen Umstände
- Die unterschiedlichen Perspektiven der drei Autoren
Zusammenfassung der Kapitel
I. Einleitung: Die Einleitung führt in die Thematik der anhaltenden Faszination um den Kaspar-Hauser-Fall ein und skizziert die breite interdisziplinäre Auseinandersetzung mit diesem rätselhaften Fall. Sie betont die rege literarische Produktion, die sich mit dem Stoff beschäftigt, und verweist auf die zunehmende literaturwissenschaftliche Beschäftigung mit dem Thema seit den 1960er Jahren. Die Arbeit selbst wird als thematischer Forschungsüberblick vorgestellt, der keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt.
II. Zum historischen Kaspar-Hauser-Fall: Dieses Kapitel bietet einen Überblick über den historischen Kaspar-Hauser-Fall, beginnend mit seinem Erscheinen in Nürnberg bis hin zu seinen verschiedenen Aufenthalten bei verschiedenen Personen. Es beleuchtet die verschiedenen Phasen seines Lebens und die verschiedenen Versuche, ihn zu erziehen und zu sozialisieren, die letztlich scheitern. Der Fokus liegt auf den Schlüsselereignissen und den Personen, die ihn umgeben haben, um den Kontext für die literarischen Interpretationen zu schaffen. Die Beschreibung der verschiedenen Stationen seines Lebens dient als Grundlage für das Verständnis der unterschiedlichen Interpretationen in den folgenden Kapiteln.
III. Zur Geschichte der Pädagogik: Dieses Kapitel beleuchtet die Entwicklung der Pädagogik, speziell die traditionelle Pädagogik und ihre Krise in den 1960er Jahren, die durch die antiautoritäre Erziehung geprägt war. Es wird der Kontext geschaffen, in dem die literarischen Darstellungen der Erziehung Kaspars eingeordnet werden können. Es werden die wichtigen Unterschiede und die zeitgeschichtlichen Entwicklungen in der Pädagogik betrachtet, die als Hintergrund für die literarischen Auseinandersetzungen wichtig sind.
IV. Zu Peter Handkes Kaspar: Handkes Kaspar wird hier analysiert, wobei der Fokus auf der Entwicklung und Erziehung der Figur liegt. Die gezielte Verunsicherung des Subjekts und sein Scheitern bei der Integration in die Gesellschaft werden im Detail untersucht. Die Zusammenfassung beleuchtet Handkes Interpretation des historischen Falls und dessen Kritik an traditionellen Erziehungsmethoden sowie die Darstellung von Kaspars Entwicklung und seinem Kampf um Identität. Die Analyse geht auf die Schlüsselmomente des Dramas ein und deutet die Bedeutung der sprachlichen Gestaltung und deren Einfluss auf die Interpretation von Kaspars Erfahrung.
V. Zu Werner Herzogs Jeder für sich und Gott gegen alle: Herzogs Film wird in diesem Kapitel analysiert, wobei das Verhältnis zum historischen Fall und die verschiedenen Modelle im Umgang mit Kaspar im Mittelpunkt stehen. Die Zusammenfassung beschreibt die unterschiedlichen Ansätze in der Erziehung und Sozialisation, die Kaspar im Film begegnet und analysiert deren Erfolg und Scheitern. Besonders wird die Rolle der verschiedenen Bezugspersonen, wie z.B. „Der Vater“, die Familie Hiltel und Daumer, und die gesellschaftliche Konfrontation Kaspars beleuchtet und die Auswirkungen dieser Interaktionen auf seine Entwicklung dargestellt.
VI. Zu Jürg Amanns Ach, diese Wege sind sehr dunkel: Dieses Kapitel untersucht Amanns Roman und konzentriert sich auf die verschiedenen Erfahrungs- und Entwicklungsmomente der Figur Kaspar Hauser. Die Zusammenfassung erläutert die Perspektive Amanns auf den Fall und wie dieser die Themen Identität, Isolation und den Umgang mit der Gesellschaft behandelt. Die Analyse betrachtet die Bedeutung der verschiedenen Ereignisse im Leben Kaspars und deren Einfluss auf seine Entwicklung und sein Selbstverständnis.
Schlüsselwörter
Kaspar Hauser, Pädagogik, antiautoritäre Erziehung, Identität, Sozialisation, Literatur, Film, Handke, Herzog, Amann, Findling, Erziehungskritik, gesellschaftliche Integration.
Häufig gestellte Fragen (FAQ) zu: Analyse der Kaspar Hauser Thematik in drei Werken
Was ist der Gegenstand dieser Arbeit?
Diese Arbeit analysiert die Darstellung der Kaspar-Hauser-Thematik und die damit verbundene Kritik an der Pädagogik in drei Werken: Peter Handkes Kaspar (1968), Werner Herzogs Film Jeder für sich und Gott gegen alle (1974) und Jürg Amanns Roman Ach, diese Wege sind sehr dunkel (1985). Das Ziel ist die Analyse der jeweiligen Interpretationen des historischen Falls und deren pädagogischer Implikationen.
Welche Themen werden behandelt?
Die Arbeit behandelt die literarische Rezeption des Kaspar-Hauser-Falls, die Kritik an traditionellen Erziehungsmodellen, die Darstellung von Identität und Sozialisation, den Einfluss der historischen und gesellschaftlichen Umstände und die unterschiedlichen Perspektiven der drei Autoren.
Wie ist die Arbeit strukturiert?
Die Arbeit gliedert sich in sieben Kapitel: Einleitung, der historische Kaspar-Hauser-Fall, die Geschichte der Pädagogik, die Analyse von Handkes Kaspar, die Analyse von Herzogs Film Jeder für sich und Gott gegen alle, die Analyse von Amanns Roman Ach, diese Wege sind sehr dunkel und eine zusammenfassende Wertung. Jedes Kapitel bietet eine Zusammenfassung und konzentriert sich auf spezifische Aspekte der Thematik.
Was wird im Kapitel zum historischen Kaspar Hauser Fall behandelt?
Dieses Kapitel bietet einen Überblick über den historischen Kaspar-Hauser-Fall von seinem Erscheinen in Nürnberg bis zu seinen verschiedenen Aufenthalten. Es beleuchtet die verschiedenen Phasen seines Lebens und die gescheiterten Versuche, ihn zu erziehen und zu sozialisieren. Der Fokus liegt auf Schlüsselereignissen und den Personen, die ihn umgeben haben.
Was wird in der pädagogischen Betrachtung behandelt?
Dieses Kapitel beleuchtet die Entwicklung der Pädagogik, insbesondere die traditionelle Pädagogik und ihre Krise in den 1960er Jahren mit der antiautoritären Erziehung. Es schafft den Kontext für die literarischen Darstellungen der Erziehung Kaspars und betrachtet die Unterschiede und zeitgeschichtlichen Entwicklungen in der Pädagogik.
Wie werden Handkes *Kaspar*, Herzogs Film und Amanns Roman analysiert?
Die Analysen konzentrieren sich auf die Entwicklung und Erziehung der Figur Kaspar Hauser in jedem Werk. Bei Handke wird die gezielte Verunsicherung des Subjekts und sein Scheitern der Integration untersucht. Bei Herzog werden die verschiedenen Modelle im Umgang mit Kaspar und deren Erfolg/Scheitern beleuchtet. Bei Amann werden die verschiedenen Erfahrungs- und Entwicklungsmomente Kaspars untersucht.
Welche Schlüsselwörter beschreiben die Arbeit?
Schlüsselwörter sind: Kaspar Hauser, Pädagogik, antiautoritäre Erziehung, Identität, Sozialisation, Literatur, Film, Handke, Herzog, Amann, Findling, Erziehungskritik, gesellschaftliche Integration.
- Quote paper
- Dipl.-Sozialarbeiterin // Magister Artium Katharina Siebert (Author), 2002, Kaspar Hauser-Thematik und Krise der Pädagogik bei Peter Handke (1968), Werner Herzog (1974) und Jürg Amann (1985), Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/67984