Kriemhilds Träume im Nibelungenlied


Dossier / Travail de Séminaire, 2006

26 Pages, Note: 2,0


Extrait


Inhaltsangabe

1. Einleitung

2. Allgemeines zu Träumen
2.1. Theorie
2.2. Allgemeine literarische Bezugsquellen

3. Kriemhilds Träume
3.1. Der Falkentraum
3.1.1. Siegfried als Falke
3.1.2. Darstellung Kriemhilds durch den Traum
3.1.3. Gunther und Hagen als Adler
3.2. Der Ebertraum
3.3. Der Bergetraum

4. Schluss

Quellenangabe

Hilfsmittel:

1. Einleitung

Dreimal träumt Kriemhild im Nibelungenlied den Tod ihres Mannes. Zuerst krallen zwei Adler ihren Falken, dann wird Siegfried von zwei Ebern über eine Wiese gejagt und zuletzt begraben zwei stürzende Berge ihn unter sich.

Diese Arbeit will sich zunächst allgemein mit Träumen beschäftigen, welche Theorien der Traumdeutung es gibt und welche Funktionen Träume in der Literatur haben. Nach einem Einblick in beispielhafte Verwendungen von Träumen in verschiedenen Werken, will ich mich genauer mit den Träumen Kriemhilds befassen. Dazu soll eine Entschlüsselung der Traumsymbole erfolgen, die es ermöglicht, die Hauptpersonen und das Geschehen zu charakterisieren und zu deuten. Ziel der Arbeit soll also sein, die Träume Kriemhilds erschöpfend zu interpretieren und somit für ein besseres Verständnis der Figuren und der Handlung fruchtbar zu machen. Weil die späteren Träume – der Eber- und der Bergetraum – im Wesentlichen eine Dopplung des ersten Traumes sind und ihm als Unterstützung dienen, wird das Hauptaugenmerk auf dem Falkentraum liegen.

Da die Träume und ihre grundsätzliche Bedeutung im Geschehen bekannt sind, werde ich im allgemeinen Teil bereits Vorgriffe machen können und Verbindungen zum Nibelungenlied herstellen.

2. Allgemeines zu Träumen

2.1. Theorie

Bevor ich mich der genauen Analyse der Träume Kriemhilds widme, möchte ich vorweg einige Bemerkungen zu Traumtheorien und Funktion von Träumen in der Literatur sagen. Dabei werde ich vorweggreifend auch auf das Nibelungenlied eingehen und die jeweiligen Aussagen auf die Kriemhildträume anwenden.

Von dem spätantiken Schriftsteller Ambrosius Theodosius Macrobius aus dem 4./5. Jahrhundert ist eine Traumklassifikation überliefert, welche die Träume in fünf Arten unterteilt.[1] So unterscheidet er in somnium, visio, oraculum, insomnium und visum. Die beiden letzten – insomnium als durch Ängste und Wünsche ausgelöster Traum und visum als wirrer Albtraum – haben keine wahrsagerischen Kräfte. Die ersten drei jedoch haben mantische Fähigkeiten, somnium als rätselhafter, verschlüsselter Traum, visio als ein Traumbild, welches dann tatsächlich so eintritt und oraculum als ein bewusst gesuchter Tempelschlaf. Innerhalb dieser Kategorien würde Kriemhilds Traum einem somnium gleichkommen, da sie sowohl verschlüsselt, als auch wahrsagerisch träumt. Des weiteren muss nach Macrobius dieser rätselhafte Traum dechiffriert werden. Diese Entschlüsselung solle nicht eine andere Person übernehmen, sondern möglichst der Träumer selbst, der aus seiner Erfahrung heraus deuten soll: „Welche figura was bedeutet, non a nobis exponendum est, cum hoc unus quisque ex usu quid sit agnoscat [...]“[2]. Jedoch wird auch konstatiert, dass im Falle einer Deutungsunfähigkeit des Träumenden, die Möglichkeit von „Stellungnahmen Beteiligter in Zuraten und Warnen“[3] nahe liegen. So wird beim ersten Traum Kriemhilds die Deutung an Ute und den Stellung nehmenden Verfasser übertragen. Bei den späteren Träumen hingegen erkennt Kriemhild selbst, dass sie eine Warnung darstellen.

Der Kirchenvater Augustinus stimmt weitgehend mit Macrobius überein. Hinzu kommt jedoch die Aufteilung der Träume in beruhigende und beunruhigende.[4] Während bei den visa tranquilla – den beruhigenden Traumbildern – die Affekte ausgeschaltet sind, werden die visa pertubata durch eben diese Affekte regiert. Der „rationale Seelenteil schläft“[5], sodass verwirrende und beängstigende Traumbilder überhaupt erst entstehen können. In der antiken Überlieferung finden sich verschiedene Benennungen der Affekte. Während Platon nur vier Affektkategorien anführt, nämlich Lust, Leid, Begierde und Furcht, charakterisiert Aristoteles elf Affekte, die sich durch unterschiedliche Mischungen von Lust und Unlust ergeben, und sich im Wesentlichen auch den Hauptkategorien Platons zuordnen lassen.

Beschränkt man sich also auf die oben genannten Affekte, so lässt sich Kriemhilds zweifellos beunruhigender Falkentraum gut aus ihnen herleiten. Dass Furcht und Leid sich im Traumgeschehen widerspiegeln, ist nicht schwer zu erkennen, Kriemhild findet sich in einer wegen ihrer Brutalität furchteinflößenden Situation, in der ihr Falke von zwei Adlern gekrallt wird. Leid ist gekennzeichnet durch den Verlust des Adlers. In dem Traum lassen sich aber auch die Affekte Lust und Begierde erkennen, die nicht ausnahmslos körperlich verstanden werden sollten. Wie ich später noch genauer erwähnen werde, stellt der Traum auch Kriemhilds Sehnsucht nach einem Partner und der Minne allgemein dar.

Was sind nun die Funktionen von Träumen in der Literatur und speziell im Nibelungenlied? Nach Speckenbach können die Traumepisoden verschiedene Aufgaben übernehmen.[6]

Zunächst haben sie die Funktion zur Förderung der Handlung. Im Nibelungenlied setzt das Epos mit dem Falkentraum ein, er führt zum Gespräch Kriemhilds mit ihrer Mutter, welches unter anderem die Information gibt, dass Kriemhild im minnefähigen Alter ist. Ute äußert, dass eine Frau nur durch „mannes minne“[7] vollkommenes Glück erlangen kann und man sich der Liebe deshalb nicht verschließen sollte. Dadurch wird der Anstoß gegeben, im weiteren Verlauf eine Brautwerbung um Kriemhild zu zeichnen, wie es der Verfasser dann ja auch vornimmt.

Die später folgenden Träume veranlassen Kriemhild, das Gespräch mit Siegfried zu suchen, und ihn zu warnen. Dass dieser die Warnung ausschlägt, führt zum lange zuvor angedeuteten Mord, welcher dann wiederum das gesamte Rachegeschehen des zweiten Hauptteils des Nibelungenlieds in Gang setzt.

Als zweite Funktion ist die „Schaffung von Stimmung durch die ‚Bildsprache’ des jeweiligen Traumes“[8] zu nennen. Alle drei Träume Kriemhilds verwirklichen dies recht eindrucksvoll. Gleich zu Beginn des Nibelungenlieds wird der Grundtenor des Epos gekennzeichnet. Die einmal aufgebrachte düstere Stimmung wird dann das Werk über durch ständige Kommentare des Verfassers beibehalten. Während der Falkentraum zunächst hauptsächlich Kriemhilds Leid schildert, spiegeln die späteren Träume die Brutalität und die Ohnmacht gegenüber des Geschehens wieder. Die grausame Vorstellung, dass vom Blut die „bluomen rôt“ werden, und die Übermacht der Berge, welche die Stärke der Gegner repräsentieren, lassen eine negative Stimmung entstehen.

Des weiteren dienen Träume in der Literatur als epische Vorausdeutungen, dass also die Handlung in ihnen schon vorweggenommen wird. Da dies im Nibelungenlied so offensichtlich ist, bedarf es eigentlich keiner weiteren Erläuterung: alle drei Träume Kriemhild sagen den Mord an Siegfried voraus. Der Falkentraum, beziehungsweise die nachträgliche Stellungnahme des Verfassers dazu, antizipiert zusätzlich noch den Untergang der Burgunden als Folge des Mordes.

Träume können überdies auseinanderliegende Punkte der Handlung miteinander verbinden. Hier spielt vor allem der Falkentraum eine Rolle, der durch die Deutung des Schreibers im Nachhinein und der vorhergehenden Bemerkung si stúrben sît jáemerlîche von zweier edelen frouwen nît.[9]

einen Bezug zwischen mehreren Punkten herstellt. Die Liebe Kriemhilds zu ihrem Mann führt sie letztlich dazu, einen Streit mit Brunhild zu führen, um ihn gegen den Vorwurf, er sei nur Gefolgsmann Gunthers, zu verteidigen. Gerade dieser Streit führt dazu, dass Hagen Siegfried mordet, um seine Herrin Brunhild zu rächen, die von Kriemhild im Verlauf der Auseinandersetzungen als Kebse geschimpft wurde. Der Mord an ihrem Mann führt Kriemhild wiederum dazu, einen grausamen Vergeltungszug zu führen. Die Falkentraumepisode verbindet also minne, Königinnen-Streit, Mord an Siegried und den Untergang der Burgunden.

Als letzte Funktion der Träume in der Literatur nennt Speckenbach, dass durch die allegorische Darstellung eine gewisse Durchsichtigkeit entsteht. In Bezug auf das Nibelungenlied könnte man hier anführen, dass die jeweilige Traumsymbolik die einzelnen Charaktere näher beleuchtet, da die Merkmale der auftauchenden Tiere auf die jeweiligen Personen übertragen werden können. Dazu wird weiter unten ausführlicher Stellung genommen.

2.2. Allgemeine literarische Bezugsquellen

Die literarische Verarbeitung des Themas Traum ist recht vielfältig, sodass das Nibelungenlied mit Kriemhilds Träumen kein singuläres Phänomen ist.

Als sehr frühe Quelle für das Traummotiv lässt sich der antike Geschichtsschreiber Herodot nennen. In dessen Historien finden sich Episoden, in denen Träume eine wichtige Rolle spielen. So schreibt Herodot in seinem ersten Buch der Geschichte, dass der Herrscher Astyages träumt, „aus der Scham [...] seiner Tochter sei ein Weinstock gewachsen, und dieser Weinstock reiche über ganz Asien hin.“[10] Die Deutung seiner Magier, dass der Sohn seiner Tochter einst statt Astyages dessen Thron besteigen wird, bewahrheitet sich. Hier lassen sich Entsprechungen zu Kriemhilds Träumen sehen: Es ist ein symbolischer Traum, dessen Deutung sich später bestätigt. Des weiteren wird auch hier mehrfach geträumt.

Nun ist es allerdings in diesem Fall schwer nachzuweisen, ob tatsächlich eine Abhängigkeit besteht, da ungewiss ist, ob der Verfasser des Nibelungenliedes Herodots Historien tatsächlich kannte. Weil diese erst im 15. Jahrhundert ins lateinische übersetzt wurden, kommt nur die griechische Fassung des Werkes in Frage. Da der Schreiber des Nibelungenliedes unter Umständen geistlicher und schulgebildet war, mag er vielleicht des Griechischen mächtig gewesen sein.[11] Jedoch sind das bloß Vermutungen, die sich nicht belegen lassen. Zumindest ist dadurch gezeigt, dass das Motiv des symbolischen Traums, der gedeutet werden muss und für die weitere Handlung von Belang ist, schon eine lange Tradition in der Literaturgeschichte hat.

[...]


[1] Vgl. Haag 2003, S. 28.

[2] Haag 2003, S. 49.

[3] Ebd., S. 50.

[4] Ebd., S. 51f.

[5] Ebd., S. 52.

[6] Haag 2003, S. 31.

[7] Nibelungenlied 1996, 16,3.

[8] Haag 2003, S. 31.

[9] Nibelungenlied 1996, 6,4.

[10] Herodot 1980, S. 48.

[11] Nibelungenlied 1996, S. VIII.

Fin de l'extrait de 26 pages

Résumé des informations

Titre
Kriemhilds Träume im Nibelungenlied
Université
Dresden Technical University  (Fakultät Sprach- und Literaturwissenschaften Institut für Germanistik)
Cours
HS Nibelungenlied
Note
2,0
Auteur
Année
2006
Pages
26
N° de catalogue
V68084
ISBN (ebook)
9783638608695
Taille d'un fichier
466 KB
Langue
allemand
Annotations
Bemerkungen zur Hausarbeit seitens der Professorin: Ich habe tw. Behauptungen aufgestellt, die ich wissenschaftlich nicht belegen kann (zb. eine literarische Abhängigkeit von bestimmten Bibeltexten) - diese Thesen sollten besser als Vermutungen formuliert werden.
Mots clés
Kriemhilds, Träume, Nibelungenlied
Citation du texte
Caroline Dorn (Auteur), 2006, Kriemhilds Träume im Nibelungenlied, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/68084

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