Der Innere Monolog bei Arthur Schnitzlers Fräulein Else - Psychogramm einer Bewusstseinskrise


Dossier / Travail de Séminaire, 2006

22 Pages, Note: 1,3


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Erzählform
2.1 Der Innere Monolog – Eine allgemeine Definition
2.2 Besonderheiten der Erzählsituation in Fräulein Else

3. Fräulein Else im gesellschaftlich-historischen Kontext

4. Psychogramm einer Bewusstseinskrise
4.1 Traum, Realitätsverlust, Tod
4.2 Nacktheit, Entblößung, Selbstinszenierung
4.3 Elses Entblößung – ein hysterischer Anfall?

5. Schlussbemerkung

6. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Arthur Schnitzler, der wohl zu den maßgeblichsten Autoren der Wiener Moderne und des Fin de siecle zählt, veröffentlicht 1924 in der angesehenen Zeitschrift Die Neue Rundschau seine zweite Novelle, die er konsequent in der Form des Inneren Monologs gestaltet. Fräulein Else, Schnitzlers Erzählung von einer Wiener Advokatentochter, kann im Wien des ausgehenden 19. Jahrhunderts datiert werden. Der sozio-historische Rahmen der Erzählung, der geprägt ist von ökonomischer Unsicherheit und tradierten Wertvorstellungen, dient als Hintergrund und als Auslöser für Elses Bewusstseinskrise. Schnitzler präsentiert sie als Opfer „der moralisch korrupten, repressiven Jahrhundertwendegesellschaft.“[1] Der Arzt Schnitzler, der sich intensiv mit den Pathologien der Seele befasste, hat mit Fräulein Else ein sensibles und einfühlsames Psychogramm einer jungen Frauengeneration entworfen. Dass Schnitzler hierbei durch Freuds Psychoanalyse beeinflusst wurde, kann an vielen Stellen der Erzählung beobachtet werden. Schnitzler hat Else als Repräsentantin einer Gesellschaft eingesetzt, die sich im Umbruch befindet, deren Werte und Traditionen zerbrechen zu drohen und die noch mühsam versuchen die Fassade des bürgerlichen Lebens aufrechtzuerhalten. Zu den Besonderheiten der Monolognovelle zählt sicherlich das narrative Verfahren des Inneren Monologs, welches Schnitzler sehr bewusst gewählt hat, um den Leser „einen tiefen Einblick in das Innenleben der Protagonistin [zu] vermittel[n], in ihre Hoffnungen, Wünsche und Sehnsüchte [. . .].“[2] Die lückenlose Reproduktion von Elses Gedankenwelt ermöglicht es, den Konflikt zwischen ihren eigenen Bedürfnissen und Wünschen einerseits und ihren gesellschaftlichen und familiären Pflichten auf der anderen Seite, real darzustellen. In der folgenden Arbeit möchte ich mich aber nicht nur mit den narrativen Besonderheiten der Erzählung auseinandersetzen, sondern Elses Verhalten unter Berücksichtung des gesellschaftlich-historischen Kontexts und die damit entstehende tiefe, psychologische Dimension der Erzählung, beleuchten.

2. Erzählsituation

2.1 Der innere Monolog – Eine allgemeine Definition

Zunächst gehe ich in diesem Kapitel auf die Erzählmethode des Inneren Monologes ein, in dem Arthur Schnitzler Fräulein Else verfasst hat. Das erste Beispiel eines Inneren Monologs lieferte Edouard Dujardin 1888 mit seiner Erzählung Les Lauriers sont coupés (Der geschnittene Lorbeer) und „markiert [. . .] sowohl in systematischer als auch in historischer Hinsicht insofern einen entscheidenden Einschnitt, als hier jeglicher Erzählrahmen aufgegeben ist und ein Prosatext erstmals aus der Darstellung der Bewußtseinsvorgänge einer Figur besteht.“[3] Später hat Dujardin „die erste theoretische Untersuchung zum Inneren Monolog vorgelegt“[4] und damit den literaturwissenschaftlichen Begriff dieser narrativen Methode eingeführt. Mit Arthur Schnitzler, der sich stark an Dujardins Erzähltechnik orientierte, etablierte sich dann der Begriff ebenfalls im deutschsprachigen Raum. Zu den Extremformen des Inneren Monologs zählt der so genannte Stream of Consciousness (Gedankenstrom), der laut Martinez und Scheffel „seine sprachliche Organisation der freien Assoziation verpflichtet“[5]. Das bekannteste Beispiel für den Bewusstseinsstrom ist das letzte Kapitel von James Joyces Roman Ulysses, der 1922, also etwa zwei Jahre vor Fräulein Else entstanden ist. Beim Stream of Consciousness wird versucht Bewusstseinsabläufe, die vernunftmäßig nicht mehr gelenkt werden können, trotz ihrer Inkohärenz, möglichst glaubwürdig darzustellen

Der Innere Monolog, der als „adäquate Erzähltechnik“[6] zur literarischen Umsetzung des Stream of Conciousness dient, wird in Metzlers Lexikon zur Literatur- und Kulturtheorie als „narratives Verfahren zur möglichst unvermittelten Präsentation direkter Gedankenzitate in einem fiktionalem Text“[7] beschrieben. Im Metzler Literatur Lexikon „ werden insbes. beim i. M. auch Regeln der Grammatikalität und der Kohärenzlogik überschritten, wenn z.B. der teils fragmentarische und chaotisch assoziative Charakter menschlichen Denkens dargestellt wird.“[8] Daher tauchen unvollständige und auch semantisch nicht korrekte Sätze auf, die den Gedankengang eines fiktionalen Individuums nachvollziehen sollen. Der Innere Monolog versucht den Bewusssteinszustand einer Person unmittelbar darzustellen. Nach Martinez ermöglicht erst der zitierte Innere Monolog, „ die Gedanken einer Figur im Präsens und in der direkten Rede der ersten Person darzustellen und damit [. . .] die Präsenz einer vermittelnden narrativen Instanz scheinbar vollkommen auszuschalten.“[9] Dies verdeutlicht, welchen hohen Grad der Mittelbarkeit diese Technik des Erzählens auslöst. Der Leser hat das Gefühl, er könne einen Blick in den Kopf des Charakters werfen und dann völlig in dessen Gedanken eintauchen. Ziel ist es, sich in das Seelenleben des Protagonisten einzuleben und sich so mit diesem zu identifizieren. Außerdem soll der Innere Monolog umfassende, mentale Zusammenhänge im Denken der Charaktere möglichst realistisch darstellen. Da die Bewusstseinsabläufe eines Menschen jedoch nicht geordnet erfolgen, ist auch der Innere Monolog nach keinem Organisationsprinzip geregelt; so werden die Gedankengänge nach freier Assoziation dargestellt. In Fräulein Else wird diese narrative Technik zum bezeichnenden Merkmal, die eine objektive Darstellung der Umwelt nicht mehr zulässt, da jeglicher Erzählerkommentar fehlt. Die fehlende Narrativität führt dazu, „dass die Figuren wider alle psychologische Wahrscheinlichkeit wiederholt ihr eigenes Tun und Handeln kommentieren.“[10] Diese Merkmale des Inneren Monologs sind von großer Bedeutung, geht es um die psychische Verfassung Elses und die Darstellung ihres Verhaltens; denn nur durch die gewählte Erzählform, ist Schnitzler in der Lage, die Bewusstseinskrise der 19jährigen möglichst authentisch und nachvollziehbar darzustellen, da die „Innenperspektive [. . .] die dynamisch aufeinander wirkenden Kräfte aus den Zonen des Bewußten, Unbewußten und Halbbewußten im Zusammenstoß mit den von außen einwirkenden sozialen Kontrollmechanismen durchschaubar“[11] macht.

2.2 Besonderheiten der Erzählform- Der Innere Monolog in der Novelle

Bei genauer Betrachtung fällt es schwer eine genaue definitorische Einordnung von Fräulein Else vorzunehmen, da Schnitzler in der Darstellung des Bewusststeinsstroms eine Eigenart in der Erzähltechnik entwickelt hat. Nicht nur im Kontext der Entstehungszeit nimmt Else eine Sonderstellung ein; auch wenn die Novelle vielfach als „Innere -Monolog -Novelle“ bezeichnet wird, könnte man die Erzählung auch als eine Art Import des Begriffs der Bewusstseinsstromtechnik in den deutschsprachigen Raum betrachten. Doch auch wenn Ähnlichkeiten in der Darstellung zu erkennen sind, so nehmen Elses Gedanken keine derart „assoziativ fließende“ Dimension an wie die, der Molly Bloom, im letzten Kapitel von James Joyces Ulysses, denn Fräulein Else „zeichnet sich vor allem durch eine klare Handlungsführung aus.“[12] Der Innere Monolog wirkt gerade deshalb so authentisch, da er die Konstruiertheit und den illusionäre Beschaffenheit eines Textes vollkommen verdeckt und damit die Überlegenheit des Inneren zum Äußeren verdeutlicht. Da Monolognovellen im Allgemeinen – und somit auch Schnitzlers Spätwerk – „sich ja als Verschriftung, als Protokoll einer nicht geäußerten, vormündlichen ‚Rede’“[13] verstehen, kann es allerdings schnell passieren, dass sie künstlich gestaltet wirken. So würde zum Beispiel eine Handlung wie: „Licht gemacht, - die Lampe über dem Spiegel schalte ich ein.“ (56) oder „Ich muß Licht machen. Kühl wird es. Fenster zu. Vorhang herunter.“ (19) ganz sicher nicht vom Unbewussten, geschweige denn vom Bewusststein ausgeführt. Solch einen trivialen Vorgang formuliert niemand in seinen Gedanken. Auch Gedanken wie: „Nun wende ich mich noch einmal um und winke ihnen zu. Winke und lächle.“ (5) wirken auf den ersten Blick unauthentisch und gestellt, wenn sie verbalisiert werden. Und trotzdem braucht der Text solche Bemerkungen, um die fehlende Erzählinstanz zu ersetzen und um wenigstens ein wenig narrative Struktur in den dramaturgischen Verlauf zu bringen. Man kann also feststellen, dass die Besonderheit des Inneren Monologs in seinem Widerspruch zwischen Authentizität und Künstlichem liegt. Trotz der Beschränkung, die Elses Gedanken teilweise etwas Erzählendes verleiht, „versteht es Schnitzler aber [. . .] sehr genau die Eindrücke darzustellen, die Else von außen empfängt.“[14] Schnitzler, der den Zweck verfolgt, ein plastisches Psychogramm seiner Protagonistin zu schaffen, wählt dazu die adäquate Erzählform. Er setzt Else in das Zentrum seiner Erzählung und somit kann der Leser die Welt mit ihren Augen sehen. Elses innere Stimmung weis ihren Charakter besser darzustellen als ein externer Erzähler es könnte. Ein Beispiel dafür ist die erste Begegnung mit Dorsday, in der man ihre Abneigung ihm gegenüber schon deutlich spüren kann:

,, Vom Tennis, Fräulein Else ?" - ,,Was für ein Scharfblick, Herr von Dorsday." - ,, Spotten sie nicht, Else." - Warum sagt er nicht Fräulein Else?" - Wenn man mit dem Rackett so gut ausschaut, darf man es gewissermaßen auch als Schmuck tragen." - Esel, darauf antworte ich gar nicht. (7)

[...]


[1] Perlmann, Michaela L.. Arthur Schnitzler. Stuttgart/Weimar: Metzler, 1987 (Sammlung Metzler). S.144.

[2] Surowska, Barbara. Die Bewußtseinsstromtechnik im Erzählwerk Arthur Schnitzlers. Warszawa: o.V., 1990. S.194.

[3] Martinez, Matias; Michael Scheffel. Einführung in die Erzähltheorie. München: Beck, 2005.S.61.

[4] Ebd. S. 61

[5] Ebd. S. 62/63

[6] Schweikle, Günther und Irmgard (Hrsg.): Metzler Literatur Lexikon. Stichwörter zur Weltliteratur. J.B. Metzler. Stuttgart 1984.S. 425

[7] Nünning Ansgar (Hrsg.). Grundbegriffe der Kulturtheorie und Kulturwissenschaften. Stuttgart: Metzler, 2005. (Sammlung Metzler). S.288.

[8] Nünning, S.289

[9] Martinez, S.60

[10] Ebd. S.61

[11] Perlmann, S.136

[12] Surowska, S.193

[13] Nuber, Achim. Neue Aspekte zu Arthur Schnitzlers Monolognovellen Leutnant Gustl und Fräulein Else. In: Epochenbegriffe. Grenzen und Möglichkeiten. In: Jahrbuch für Internationale Germanistik. Bern: Lang, 2002. S.428.

[14] Surowska, S.194

Fin de l'extrait de 22 pages

Résumé des informations

Titre
Der Innere Monolog bei Arthur Schnitzlers Fräulein Else - Psychogramm einer Bewusstseinskrise
Université
Johannes Gutenberg University Mainz
Note
1,3
Auteur
Année
2006
Pages
22
N° de catalogue
V68263
ISBN (ebook)
9783638609203
Taille d'un fichier
471 KB
Langue
allemand
Mots clés
Innere, Monolog, Arthur, Schnitzlers, Fräulein, Else, Psychogramm, Bewusstseinskrise
Citation du texte
Sarah Hilsbos (Auteur), 2006, Der Innere Monolog bei Arthur Schnitzlers Fräulein Else - Psychogramm einer Bewusstseinskrise, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/68263

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