Karl Popper geht im Kapitel 24 seines Buches „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde“ davon aus, dass der traditionelle Konflikt zwischen Wissenschaft und Religion überwunden sei. Die Frage der Wahl zwischen Wissen und Glauben stelle sich somit nicht mehr, sondern es gäbe lediglich noch eine Wahl zwischen zwei Glaubensarten. Zum einen den kritischen Rationalismus mit dem Glauben an die Vernunft und zum anderen den Irrationalismus mit dem Glauben an mystische, d.h. rational nicht erklärbare Fähigkeiten und an Gefühle. Warum es sich bei der Wahl zwischen diesen beiden Glaubensarten für Popper um eine moralische Frage handelt, soll im ersten Teil der Arbeit verdeutlicht werden.
Die Frage der Möglichkeit der Synthese von Vernunft und Glaube in einer von wissenschaftlichen Erkenntnissen geprägten Welt ist für Popper in der bisherigen Weise nicht mehr relevant, da für ihn auch der Entscheidung für Vernunft und Wissenschaft ein Glaube zu Grunde liegt. Um den Glauben kommen wir nach Popper nicht herum, so dass sich nun die Frage erhebt, welche Art von Glaube der moralisch richtige ist. Popper bekennt sich zu einem Glauben an die menschliche Vernunft als Grundlage für die Einheit der Menschheit und als Garant für Frieden und Gleichheit aller Menschen. Diesen Glauben an die Vernunft sieht Popper durch historische Prophezeiungen und irrationalistische Auffassungen angegriffen. Daraus entwickelt Popper die These, der Konflikt zwischen dem Rationalismus und dem Irrationalismus sei der wichtigste intellektuelle und moralische Konflikt unserer Zeit.
Der Position Poppers wird im zweiten Teil der Arbeit die Auffassung Papst Johannes Pauls II gegenüber gestellt, der nach Popper als ein typischer Vertreter des Irrationalismus angesehen werden kann. Eine Zwischenposition wird William James mit seinem Essay „The will to believe“ einnehmen, da er sich zwar wie Papst Johannes Paul II auf andere Erkenntnisformen neben der Vernunft beruft, aber eine Wahrheitsauffassung vertritt, die der Poppers vergleichbar ist.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
Irrationalismus versus Rationalismus
Konsequenzen der Wahl der Glaubensart
Zwei Erkenntnisvermögen: Glaube und Vernunft
Die Suche nach der Wahrheit – ein unlösbares Rätsel?
Eine Rechtfertigung des Glaubens
Der Glaube – eine echte Option
Empiristischer und absolutistischer Wahrheitsbegriff
Die religiöse Hypothese
Existentielle Entscheidungen
Religion als Kontingenzbewältigung
Schluss
Literaturverzeichnis
Einleitung
Karl Popper geht im Kapitel 24 seines Buches „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde“[1] davon aus, dass der traditionelle Konflikt zwischen Wissenschaft und Religion überwunden sei. Die Frage der Wahl zwischen Wissen und Glauben stelle sich somit nicht mehr, sondern es gäbe lediglich noch eine Wahl zwischen zwei Glaubensarten. Zum einen den kritischen Rationalismus mit dem Glauben an die Vernunft und zum anderen den Irrationalismus mit dem Glauben an mystische, d.h. rational nicht erklärbare Fähigkeiten und an Gefühle. Warum es sich bei der Wahl zwischen diesen beiden Glaubensarten für Popper um eine moralische Frage handelt, soll im ersten Teil der Arbeit verdeutlicht werden.
Die Frage der Möglichkeit der Synthese von Vernunft und Glaube in einer von wissenschaftlichen Erkenntnissen geprägten Welt ist für Popper in der bisherigen Weise nicht mehr relevant, da für ihn selbst der Entscheidung für Vernunft und Wissenschaft ein Glaube zu Grunde liegt. Um den Glauben kommen wir nach Popper nicht herum, so dass sich nun die Frage erhebt, welche Art von Glauben der moralisch richtige ist. Popper bekennt sich zu einem Glauben an die menschliche Vernunft als Grundlage für die Einheit der Menschheit und als Garant für Frieden und Gleichheit aller Menschen. Diesen Glauben an die Vernunft sieht Popper durch historische Prophezeiungen und irrationalistische Auffassungen angegriffen. Daraus entwickelt Popper die These, der Konflikt zwischen dem Rationalismus und dem Irrationalismus sei der wichtigste intellektuelle und moralische Konflikt unserer Zeit.[2]
Der Position Poppers wird im zweiten Teil der Arbeit die Auffassung Papst Johannes Pauls II gegenüber gestellt, der nach Popper als ein typischer Vertreter des Irrationalismus angesehen werden kann. Eine Zwischenposition wird William James mit seinem Essay „The will to believe“[3] einnehmen, da er sich zwar wie Papst Johannes Paul II auf andere Erkenntnisformen neben der Vernunft beruft, aber eine Wahrheitsauffassung vertritt, die der Poppers vergleichbar ist.
Irrationalismus versus Rationalismus
Die Begriffe Vernunft und Rationalität werden von Popper synonym verwandt, sie schließen nicht nur rein intellektuelle Tätigkeiten ein, sondern auch Beobachtungen und Experimente, diese stehen damit also nicht im Gegensatz zum Empirismus sondern zum Irrationalismus. Rationalismus ist nach Popper eine Einstellung, „die bereit ist, kritische Argumente zur Kenntnis zu nehmen und von der Erfahrung zu lernen. Er ist im Grunde eine Einstellung, die zugibt, dass ich mich irren kann, dass du recht haben kannst und dass wir zusammen vielleicht der Wahrheit auf die Spur kommen werden.“[4] Die rationalistische Einstellung entspricht der Einstellung der Vernunft und ist damit der wissenschaftlichen Einstellung ähnlich. Denn auch im wissenschaftlichen Diskurs versucht man, sich durch Austausch von Argumenten und beobachtendes Experimentieren der Wirklichkeit anzunähern, wohlwissend, dass jedes folgende Experiment eine einmal gefundene Theorie sowohl bestätigen als auch widerlegen kann.
Einen unkritischen Rationalismus schließt Popper allerdings als logisch unhaltbar aus und tritt für einen selbstkritischen Rationalismus ein, da das Prinzip des Rationalismus, „jede Annahme zu verwerfen, die sich weder durch ein Argument noch durch die Erfahrung stützen lässt“[5] einen Widerspruch enthält: die damit gesetzte Prämisse ist selbst nicht mehr argumentativ zu begründen, dies wird aber in der Prämisse gefordert. Da wir mit unserer Sprache und unserem Denken immer schon dem Vernunftprinzip verpflichtet sind, also immer schon eine rationalistische Einstellung eingenommen haben, um überhaupt argumentieren zu können, ist eine Letztbegründung des Vernunftprinzips nicht möglich. Somit liegt der Entscheidung für das Vernunftprinzip und damit dem Rationalismus selbst weder ein rationales Argument noch eine begründbare Wahrheit zu Grunde, sondern diese ist nach Popper eine Annahme, ein Glaube an die Vernunft, analog dem Glaubensbekenntnis der Religionen. Mit der Entscheidung für den Rationalismus ist also zugleich ein Schritt in Richtung des Irrationalismus verbunden, da man statt auf die argumentierende Vernunft auf einen Glauben zurückgreifen muss, und genau dieser Tatsache ist sich der kritische Rationalismus im Unterschied zu einem umfassenden und unkritischen Rationalismus bewusst.
Dem Rationalismus stellt Popper den Irrationalismus gegenüber, den er in totalitären oder dogmatischen Ideologien verkörpert sieht. Diese Auffassungen stehen dem kritischen Rationalismus insofern gegenüber, als dass sie mit absoluten Wissens- und Wahrheitsansprüchen operieren und somit konträr zu der Annahme stehen, alles Wissen sei Vermutungswissen und grundsätzlich falsifizierbar. Der Irrationalismus gibt zwar zu, dass wir mit der argumentativen Vernunft Wissen von den Dingen erlangen, räumt aber ein, der Mensch sei der Hauptsache nach nicht rational, sondern von Gefühlen und Leidenschaften bestimmt. Hier wird statt an klares Denken und an Erfahrungen zu appellieren - an Gefühle und Leidenschaften appelliert.[6]
Zwar wird auch der Irrationalismus Vernunft und klares Denken nicht vollständig verwerfen, doch ist er ihnen nicht verpflichtet. Damit gründet der Irrationalismus sich auf Argumentationsweisen, die auf Begründung, intersubjektive Nachvollziehbarkeit oder wissenschaftliche Nachprüfbarkeit verzichten.
Konsequenzen der Wahl der Glaubensart
Da sich die Entscheidung für oder gegen den Rationalismus wie oben dargestellt nicht rational begründen lässt, ist unsere Wahl offen, wir können uns frei für den Rationalismus oder den Irrationalismus entscheiden. Dennoch ist es für Popper nicht völlig beliebig, welche Einstellung wir wählen, da mit dieser Entscheidung zugleich eine moralische Entscheidung verbunden ist, es sich also nicht nur um eine private Geschmackssache handelt. „Denn die Frage, ob wir eine mehr oder weniger radikale Form des Irrationalismus akzeptieren oder ob wir jenes minimale Zugeständnis an den Irrationalismus akzeptieren, das ich den ´kritischen Rationalismus´ genannt habe, diese Frage wird unsere ganze Einstellung zu anderen Menschen und zu den Problemen des sozialen Lebens zutiefst beeinflussen.“ [7] Damit wir uns nicht blind entscheiden müssen, kann uns nur die Analyse der Folgen, die aus den Alternativen wahrscheinlich hervorgehen, behilflich sein.[8]
Da der Rationalismus mit dem Glauben an die Vernunft eine Grundlage hat, die die Einheit der Menschheit postuliert, fördert die Entscheidung für die Vernunft und den Rationalismus zugleich eine Einstellung, die die Gleichheit aller Menschen anerkennt. Der Mensch lebt immer schon in sozialen Kontexten und kommuniziert durch die auf Begriffe gegründete Sprache mit anderen Menschen. Da wir die Vernunft damit dem Erkennen, Sprechen und Handeln mit anderen Menschen verdanken, können wir sie auch nie in soweit übertreffen, dass sich ein Anspruch auf Autorität ableiten ließe.[9] Glaube an die Vernunft schließt nach Popper jegliches Autoritätsprinzip und den damit verbundenen Anspruch auf alleiniges Wissen und absolute Wahrheit aus. Vielmehr ist ein Glaube an die Vernunft auch mit einem Glauben an die Vernunft der anderen verbunden, mit deren Argumenten und Kritik es sich auseinander zu setzen gilt, um sich so der Wahrheit anzunähern. Diese Auffassung Poppers ist eine Einstellung, die zugibt, dass: „.i ch mich irren kann, dass du recht haben kannst und dass wir zusammen vielleicht der Wahrheit auf die Spur kommen werden“[10]. Übertragen auf die Gesellschaft ist damit die Forderung verbunden, Institutionen zu schaffen, die die Voraussetzungen für Kritik, freies Denken und argumentative Auseinandersetzungen schaffen.
Ganz anders der Irrationalismus, da sich dieser gerade nicht auf Argumente, sondern auf Gefühle und Leidenschaften beruft. Weil man jedoch nicht allen Menschen gegenüber gleiche Gefühle empfinden kann, fördert diese Einstellung eine irrationale Teilung der Menschen in Nahestehende und Fernstehende, in Fremde und Mitbürger, Gläubige und Ungläubige etc., durch die politische Gleichberechtigung praktisch unmöglich wird. Der Irrationalist schätzt die Vernunft gering, für ihn ist die den Menschen adäquate Erkenntnis über den Weg der Vernunft nicht zugänglich, sondern erst Gefühle, Leidenschaften, Rausch und Intuition - also mystische Erfahrungen - ermöglichen den Zugang zur Wahrheit des Lebens. Daraus resultiert die Auffassung, dass gerade Menschen mit diesen besonderen mystischen Fähigkeiten prädestiniert sind, Führungsaufgaben in der Gesellschaft zu übernehmen. Die aus einer solchen Einstellung resultierende Gefahr liegt auf der Hand, sie spielt der Auffassung der Ungleichheit der Menschen in die Hand und macht durch den damit verbundenen Dogmatismus auch Gewalt und Kriege rechtfertigbar.[11]
Die oben dargestellten Folgen der beiden zur Wahl stehenden Alternativen haben Popper dazu geführt, den Irrationalismus zu verwerfen und konsequent für einen kritischen Rationalismus einzutreten.
[...]
[1] Karl Popper, Die offene Gesellschaft und ihre Feinde, Band II Falsche Propheten Hegel, Marx und die Folgen, 7. Auflage
[2] Popper S. 262
[3] William James, The will to believe (1896) S. 1-31, in: The will to believe, London 1931
[4] Popper S. 263
[5] Popper S. 269
[6] Zwar gibt es auch religiöse Erfahrungen, wie Wunder, Offenbarungen und Erscheinungen, doch sind diese nicht intersubjektiv nachprüfbar und wiederholbar, und haben somit im rationalen Diskurs keinen Platz.
[7] Popper S. 271
[8] Ein konsequenter Irrationalist könnte sich allerdings von Poppers Folgenanalyse unbeeindruckt zeigen und einwenden, dass diese Betrachtung ja bereits vom dem Standpunkt aus - nämlich dem der Vernunft - vorgenommen würde, für den sich ja erst in einem zweiten Schritt entschieden werden soll.
[9] Hier ist ein Zusammenhang zwischen Individualismus und Rationalismus zu sehen, jedes Individuum muss seine eigene Vernunft gebrauchen, man kann nicht von kollektiver Vernunft sprechen, denn der Begriff der Autonomie ist an den Vernunftgebrauch des Einzelnen gebunden.
[10] Popper S. 263
[11] Wird durch diese Folgenanalyse nicht gerade verdeutlicht, dass es sehr wohl rationale Argumente gibt, sich für den kritischen Rationalismus zu entscheiden und wird insofern nicht zugleich die Behauptung Poppers, es handle sich letztlich um eine, auf einem irrationalen Glauben beruhende Entscheidung wieder relativiert?
- Arbeit zitieren
- Agnes Uken (Autor:in), 2001, Eine Glaubensfrage: Die Entscheidung zwischen Rationalismus und Irrationalismus, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/68272
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