Arbeitsweisen, Methoden und Ziele der aufsuchenden Sozialarbeit dargestellt an sogenannten 'Straßenkindern'


Term Paper (Advanced seminar), 2003

20 Pages, Grade: 2


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Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Die „Straßenkinder“ - Problematik
2.1 Verschiedene Definitionen
2.2 Altersstruktur
2.3 Umfang
2.4 Warum sind sie auf der Straße?
2.5 Lebenssituation
2.6 Psychischer Zustand
2.7 Was hindert sie daran, von der Straße weg zu kommen?

3 Zielsetzung

4 arbeitsweisen
4.1 Grundhaltung gegenüber der Zielgruppe
4.2 Arbeitsprinzipien

5 Methoden und Handlungsebenen
5.1 Streetwork / Straßensozialarbeit
5.1.1 Aufgaben
5.1.2 Interaktionsablauf
5.1.3 Besonderheiten
5.1.4 Organisatorisches
5.2 Der offene Bereich in der Anlaufstelle
5.3 Beratung und Krisenintervention
5.4 Gremienarbeit

6 Schlussbemerkung

1 Einleitung

Aufsuchende (bzw. „mobile“) Sozialarbeit wird häufig noch mit „Streetwork“ gleichgesetzt. Dabei wird übersehen, dass dieser Arbeitsbereich in den letzten 20 Jahren eine Entwicklung durchge­macht hat, und zwar weg von der reinen „Schlepperfunktion“ für Einrichtungen hin zu einem durchdachten, eigenständigen Konzept.

Das Leistungsspektrum aufsuchender Sozialarbeit beinhaltet inzwischen nicht mehr nur Street­work, sondern die meisten Konzepte setzen sich noch aus drei weiteren Bausteinen zusammen: einem offenen Bereich (mit Aufenthaltsräumen, evtl. Dusch- und Kochmöglichkeiten, Waschma­schine etc.) einem Beratungsangebot und Mitwirkung in verschiedenen Gremien.

Der Begriff „Streetwork“ wird in dieser Arbeit nur im engeren Sinn verwendet, bezeichnet also nur die Kontaktform, d.h. die Arbeit „auf der Straße“.

Doch was ist nötig, um qualitativ gute Arbeit zu leisten? Zunächst ist es wichtig, sich näher mit der Ziel­gruppe zu befassen: In welcher Situation befinden sie sich, welche Ansprüche und Wünsche haben sie?

2 Die „Straßenkinder“ - Problematik

Wer bei dem Begriff „Straßenkinder“ hierzulande nur an buntgefärbte Haare, zerfetzte Klamotten und „Haste mal ’ne Mark“ denkt, liegt falsch: Viele gehören nicht der Punker­szene an, sondern hüllen sich möglichst in Markenkleidung und sind auch immer auf dem neuesten Stand, wenn es ums Statussym­bol Handy geht. Sie wollen nicht öffentlich als Wohnungs­lose erkannt und dadurch stigmatisiert und ausgegrenzt werden.

Doch wer sind diese „Straßenkinder“ und warum leben sie so?

2.1 Verschiedene Definitionen

Der Begriff „Straßenkinder“ wird in der Literatur unterschiedlich definiert und größtenteils als Synonym für „TrebegängerInnen“ oder „AusreißerInnen“ verwendet.

Zunächst lässt sich sagen, dass es „die Straßenkinder“ als homogene Gruppe nicht gibt. Es gibt aller­dings einige Gemeinsamkeiten. (Mit „Straße“ sind im folgenden immer öffentliche Plätze, Bahnhöfe, auch Abbruchhäuser etc. gemeint.)

In der neueren Literatur werden meist zwei Gruppen unterschieden, und zwar Kinder und Jugendliche

- auf der Straße: sie haben noch Verbindung zu ihren Familien, schlafen und essen noch öfter zu Hause, verbringen aber die meiste Zeit auf der Straße
- der Straße: sie sind vollständig auf sich selbst gestellt.
Es gibt allerdings noch andere Definitionen:
Nach Hansbauer (1998, S. 33) sind folgende Merkmale Kennzeichen eines „Straßenkindes“:
- weitgehende Abwendung von gesellschaftlich vorgesehenen Sozialisations­instanzen wie Familie / Jugendhilfe-Einrichtungen, Schule und Ausbildung;
- Zuwendung zur "Straße“ als wesentlicher oder auch einziger Sozialisationsinstanz, Treff- und Lebensmittelpunkt;
- ihr Handeln verstößt gegen gesellschaftlich anerkannte und durchgesetzte „Normal­zu­stände“ (z.B. Drogenkonsum / -handel, Prostitution, Betteln...) und
- es handelt sich bei diesen drei Merkmalen um relativ dauerhafte Verhaltensweisen

U. Britten definiert die Straßenszene folgendermaßen:

Es handelt sich um Jugendliche, „die ihren Lebensmittelpunkt auf die Straße verlegt haben“[1]. Diese können noch nach drei verschiedenen Verhaltensmustern unterschieden werden:

- Pendler: sie wohnen (noch) zu Hause, befriedigen dort aber nur Grundbedürfnisse wie schlafen, essen und Hygiene, verbringen die meiste Zeit aber in Cliquen „auf der Straße“ (sie werden auch als Gefährdete bezeichnet)
- Wegläufer: sind von zu Hause ausgerissen, „schlagen sich eine Weile in entsprechenden Milieus durch“, nehmen aber nach einer Weile wieder Kontakt zu Eltern oder mit dem Hilfe­system auf
- (wirkliche) Straßenkinder: sie haben sich längerfristig darauf eingestellt, auf der Straße oder bei Bekannten unterzukommen und haben sich mehr oder weniger darauf eingerich­tet.[2]

Für die aufsuchende Sozialarbeit sind meiner Meinung nach alle drei Gruppen relevant, da die Gefahr des weiteren Abrutschens immer gegeben ist, jedoch ist der unterschiedliche Hilfebedarf zu beachten. So ist es bei Straßenkindern nötig, erst einmal ihr Überleben zu sichern und eine Verschlechterung ihrer Lage zu verhindern (also Essen, Duschen etc. anzubieten), bei Pendlern dagegen wäre das wahrscheinlich eher kontraproduktiv. Hier ist es sinnvoller, die Verbindung zu ihren Eltern zu stabilisieren oder eine andere Wohnmöglichkeit zu vermitteln.

Im Folgenden geht es (hauptsächlich) um die als wirkliche Straßenkinder definierten Jugendli­chen.

2.2 Altersstruktur

Es herrscht weitgehend Konsens darüber, „dass das Gros der ‘Straßen kinder ’ in der Alters­gruppe von 15 Jahren aufwärts zu suchen ist und weit in den Bereich der jungen Erwachse­nen hinein­reicht“[3]. Kinder unter vierzehn Jahren sind in den City- und Bahnhofsszenen eher eine Ausnahme­erscheinung, was auf die Pubertät zurückgeführt wird, die „eine ‘natürliche’ Grenze nach unten“ bilde. Der Begriff „Straßen kinder“ sollte deshalb sinni­gerweise durch „Straßen jugendliche“ ersetzt werden.[4]

Es liegen aber auch Berichte aus den neuen Bundesländern über Gruppen von Acht- bis Fünfzehn­jährigen vor, die kaum oder gar nicht Kontakt zu den Eltern haben und sich weitestgehend ohne Unterstützung durch Erwachsene selbst versorgen müssen. Dies wird darauf zurückgeführt, dass sich die Eltern dieser Kinder auch vor der Wende nicht um ihre Sprösslinge kümmerten, sondern diese tagsüber in staatlichen Einrichtungen untergebracht waren. Nach der Wende hätten sich die Eltern mit den Antragswegen für weitere Betreuung nicht ausgekannt, auch kein Interesse daran gehabt und die Kinder teilweise sogar vor die Tür gesetzt, da die großzügigen finanziellen Zuwen­dungen des Staates für die Elternschaft weggefallen waren.[5]

2.3 Umfang

Über die Zahl der „Straßenkinder“ gibt keine Statistik verlässlich Auskunft. Die Schätzungen klaf­fen weit auseinander: Einige gehen von 5.000 – 7.000 Minderjährigen deutschlandweit aus, andere halten 20.000 für realistisch, manche geben sogar eine Zahl von 100.000 an[6], die ich jedoch für ziemlich übertrieben halte. (Falls damit die Zahl der wirklich wohnungslosen Kids gemeint sein sollte). Wie viele davon Mädchen sind, ist nicht bekannt, allerdings gehen neuere Forschungen nicht mehr nur von einem Anteil von unter 15 Prozent, sondern bis zu 30 Prozent aus.

2.4 Warum sind sie auf der Straße?

Anfang des 20. Jahrhunderts wurde das Phänomen der „jugendlichen Herumtreiber“ pathologisiert und auf den „Wandertrieb bei psychopathischen Kindern“ zurückgeführt.[7]

Heute wird die Ursache in Fachkreisen nicht mehr im Jugendlichen gesucht, sondern eher auf gesell­schaftliche und soziale Bedingungen zurückgeführt.

So hat sich durch gesellschaftlichen Wandel auch die Struktur der Jugendphase verändert: Die Jugend­lichen werden heute früher soziokulturell selbständig (orientieren sich also auch schon viel früher an den Wertesystemen ihrer Peergroup), wobei sie jedoch gleichzeitig ökonomisch weiterhin abhängig von ihren Eltern bleiben. Auch sind ihre Zukunftsaussichten unsicher (Ausbildungsplätze sind Mangelware, die Arbeitslosigkeit ist hoch), was zu einer ver­stärkten Hinwendung zum JETZT führt.[8]

Dies führt meist zu Konflikten.

Doch wie kommen Straßen„karrieren“ zustande?

Gewöhnlich geht einem längerfristigen Abtauchen in der Straßenszene ein erstes Wegbleiben von zu Hause nur für ein oder zwei Nächte voraus. Dabei bleibt der Jugendliche in der näheren, ihm bekann­ten Umgebung. Diese erste Flucht ist als Signal dafür zu werten, das etwas zu Hause nicht stimmt / die Zustände für den Jugendlichen unerträglich sind. Die Reaktion auf dieses erste Ausreißen ist entschei­dend dafür, wie sich die Situation weiterentwickelt.

Was sind das für Gründe, die sie von zu Hause fort und auf die Straße treiben?

Häufig liest man von „Push-“ und „Pull-“ Faktoren.

Als Push-Faktoren werden die Gründe bezeichnet, welche die Jugendlichen von zu Hause (oder einer Jugendhilfeeinrichtung) forttreiben. Das sind meist

- Konflikte mit den Eltern/Erziehern: ausgelöst durch z.B. übertriebene Leistungsanforde­rungen (die Schule betreffend), Kampf um Ausgehzeiten, elterliche Intoleranz gegenüber der Peergroup, Zurückweisen familialer Werte und Regeln durch die Jugendlichen und - nicht zu vernachlässigen - die Pubertät
- Beziehungslosigkeit/-armut: Desinteresse der Eltern/Erzieher, Vernachlässigung, unterkühl­tes Verhältnis, Mangel an einer wirklichen Bezugsperson
- Psychische und physische Misshandlungen bis hin zu sexuellem Missbrauch
- psychische Dauerbelastungen durch Ehekonflikte, Alkoholismus, Trennung der Eltern, ökono­mi­sche Probleme, Sündenbockrolle etc.
- Hinauswurf durch die Eltern/ Erzieher z.B. wegen Regelverletzungen, Drogenbesitz...

Als Pull-Faktor, der die Kids in die Straßen- bzw. gerade in die Bahnhofsszene zieht, wird die Attraktivität der Straße gesehen:

- die Straße als Ort ohne Regeln und mit nur minimaler sozialer Kontrolle
- die Möglichkeit zur Selbsterprobung und Risikoübernahme statt Langeweile;
- weitgehende Anonymität, die das Untertauchen erleichtert;
- die leicht zu findenden Treffpunkte (v.a. Bahnhöfe), an denen Informationen zu bekommen sind, Kontakte hergestellt werden können und die notwendige Infrastruktur (Toiletten etc.) besteht.

Aber auch die subkulturelle Orientierung, z.B. an der Straßenpunkszene, kann bei manchen als Zugkraft gewertet werden.

Doch nicht alle, die einmal weggelaufen sind ( immerhin 0,9 Prozent aller minderjährigen Mädchen und 0,6 Prozent aller Jungen[9] ), landen langfristig auf der Straße. Die meisten brechen den Kon­takt zu ihrer Herkunftsfamilie nicht ab, „der Ausbruch – als Folge von Überforderung und Verunsiche­rung – [kann] durchaus als produktiver Problemlösungsversuch“ und als Kommunikations­ver­such gedeutet werden.[10] Bei fehlendem familiären Zusammenhalt und mangel­haftem sozialen Netz besteht allerdings verstärkt die Gefahr des Abtauchens ins Straßenmilieu.

[...]


[1] U. Britten in: Obdachlos und Psychisch Krank, S. 106

[2] vgl. Britten in: Obdachlos und Psychisch Krank, S. 106

[3] Hansbauer 1998, S. 29

[4] vgl. Hansbauer 1998, S. 30

[5] vgl. H. Zöller in: Handbuch aufsuchende Jugend- & Sozialarbeit, S. 243-255

[6] vgl. Britten, S. 107

[7] vgl. Britten, S. 104

[8] vgl. S. Keppeler in: Straßensozialarbeit, S. 17f

[9] vgl. Binder 1986, S. 85 zit. nach Bodenmüller 1995, S. 16

[10] vgl. Bodenmüller, S. 10

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Details

Title
Arbeitsweisen, Methoden und Ziele der aufsuchenden Sozialarbeit dargestellt an sogenannten 'Straßenkindern'
College
University of Applied Sciences Nuremberg
Course
Schwerpunkt Resozialisierung und Wohnungslosenhilfe
Grade
2
Author
Year
2003
Pages
20
Catalog Number
V68764
ISBN (eBook)
9783638611411
ISBN (Book)
9783656914518
File size
472 KB
Language
German
Notes
Keywords
Arbeitsweisen, Methoden, Ziele, Sozialarbeit, Straßenkindern, Schwerpunkt, Resozialisierung, Wohnungslosenhilfe
Quote paper
Sandra Beckh (Author), 2003, Arbeitsweisen, Methoden und Ziele der aufsuchenden Sozialarbeit dargestellt an sogenannten 'Straßenkindern', Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/68764

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