Mit der Technik der bricolage im Sinne von Levi Strauss richtet er seinen literarischen Blick auf die kleinen Dinge und Geschehen, welche die Geschichtsschreibung systematisch übersieht. Er versucht, die fehlenden Lücken der Geschichtsschreibung zu füllen und den Leser auf eine eingehende und tiefgründigere Geschichtswahrnehmung zu sensibilisieren. Seine Methode basiert auf einer Rekonstruktion der Fakten und verschreibt sich somit der
dokumentarischen Tradition. Um sich der vergangenen Wahrheit wieder anzunähern und ein Andenken an sie zu stiften, bedarf es jedoch einer weiteren literarischen Technik, von Sebald auch „Korsakowsches Syndrom“ genannt. Mithilfe dieser erweitert der Erinnerungskünstler die realen Fakten (und den Erinnerungsverlust) um eine phantastische Konstruktion aus
Halluzinationen und Träumen, aus Erfindung und fingierter Wirklichkeit, so dass sich die Fantasie als Gefährtin des Gedächtnisses erweist. Seine Texte könnte man also auch als dokumentarisch-fiktional bezeichnen, als Kombination von Rekonstruktion und Konstruktion. Die poetische Konstruktion beinhaltet intertextuelle Referenzen, gelungene Koinzidenzen, unwillkürliche Erinnerungsschübe oder das Wiederauferstehen der Vergangenheit an
durchlässigen Stätten im Sinne der Proustschen ,mémoire involontaire’.Doch wie erinnert sich Sebald und funktioniert Erinnerung in seinem Werk? Welche
Erinnerungsstrukturen benutzt er, um die Vergangenheit heraufzubeschwören und beinahe greifbar zu machen, so dass die Zeitebenen ineinander übergehen und scheinbar parallel existieren? Wie nimmt er die „Buchstaben und Zeichen aus dem Setzkasten der vergessenen Dinge“, die durch verschiedene Impulse heraufbeschworenen Erinnerungsfetzen wahr und wie setzt er sie wieder zusammen? Bevor exemplarisch auf die einzelnen Erinnerungsstrukturen eingegangen wird, ist die Funktion des Sebaldschen Schreibens näher zu beleuchten: Der Erzähler ist während seiner ersten Begegnung mit Austerlitz erstaunt darüber, wie er „seine Gedanken beim Reden verfertigte, wie er sozusagen aus der Zerstreutheit heraus die ausgewogensten Sätze
entwickeln konnte, und wie für ihn die erzählerische Vermittlung seiner Sachkenntnisse die schrittweise Annäherung an eine Art Metaphysik der Geschichte gewesen ist, in der das Erinnerte noch einmal lebendig wurde.“ [...]
Inhaltsverzeichnis
- 1. Poetik der Erinnerung
- 2. Erinnerungsstrukturen
- 2.1 Räume und Orte
- 2.2 Bilder
- 2.2.1 Traumbilder
- 2.2.2 Fotografien
- 2.2.3 Gemälde
- 2.2.4 Film
- 3. Schluss
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht die Erinnerungsstrukturen in der Prosa von W. G. Sebald. Ziel ist es, Sebalds literarisches Programm der Memoria zu ergründen und die von ihm verwendeten Techniken der Erinnerungsherausstellung zu analysieren. Die Arbeit konzentriert sich auf die Prosabände "Die Ausgewanderten", "Schwindel. Gefühle.", "Die Ringe des Saturn" und "Austerlitz".
- Sebalds Poetik der Erinnerung und seine Auseinandersetzung mit dem Verlust der Vergangenheit
- Die Rolle von Räumen, Orten und Bildern in der Rekonstruktion der Vergangenheit
- Die Verwendung von fiktionalen und dokumentarischen Elementen in Sebalds Werk
- Die Funktion des Erzählers und seine Rolle im Prozess des Erinnerns
- Intertextualität als zentrales Erinnerungsmedium bei Sebald
Zusammenfassung der Kapitel
1. Poetik der Erinnerung: Dieses Kapitel führt in die Thematik der Arbeit ein und stellt Sebalds Anliegen dar: der "Selbstentleerung der Welt" entgegenzuwirken und die Geschichten der Vergangenheit festzuhalten. Es wird Sebalds Ansatz der Annäherung an die Vergangenheit durch eine literarische Memoria erläutert, die sowohl seine Prosa als auch seine wissenschaftlichen Essays prägt. Sebalds Fokus auf die Rekonstruktion der Vergangenheit und die Vergegenwärtigung menschlichen Leids wird mit Bezug auf Thomas Browne's Auffassung der Geschichte als zyklischer Prozess vom Aufstieg zum Fall veranschaulicht. Die Bedeutung von Erinnerung und Gedächtnis im Kontext von Sebalds Werk wird durch die Definitionen von Anne Fuchs und Aleida Assmann differenziert.
2. Erinnerungsstrukturen: Dieses Kapitel analysiert die spezifischen Erinnerungsstrukturen, die Sebald in seinen Werken einsetzt. Es beleuchtet die Technik der Bricolage, mit der er die "fehlenden Lücken der Geschichtsschreibung" füllt und den Leser zu einer tieferen Geschichtswahrnehmung sensibilisiert. Weiterhin wird die von Sebald als "Korsakowsches Syndrom" bezeichnete Technik der Kombination von realen Fakten mit fiktionalen Elementen (Halluzinationen, Träume, Erfindungen) erläutert, wodurch die Fantasie als Gefährtin des Gedächtnisses fungiert. Der Text beschreibt Sebalds Werk als eine dokumentarisch-fiktionale Kombination aus Rekonstruktion und Konstruktion. Die Rolle von intertextuellen Referenzen, Erinnerungsschüben und der "mémoire involontaire" im Sinne Prousts wird ebenfalls untersucht.
Schlüsselwörter
W. G. Sebald, Erinnerungsstrukturen, Memoria, Vergangenheitsbewältigung, Holocaust, Dokumentarliteratur, Fiktion, Intertextualität, Räume, Orte, Bilder, Erinnerungsverlust, mémoire involontaire, Bricolage, Kulturelles Gedächtnis, Kommunikatives Gedächtnis.
Häufig gestellte Fragen zu "Erinnerungsstrukturen in der Prosa von W. G. Sebald"
Was ist der Gegenstand dieser Arbeit?
Diese Arbeit untersucht die Erinnerungsstrukturen in der Prosa von W. G. Sebald, insbesondere in seinen Werken "Die Ausgewanderten", "Schwindel. Gefühle.", "Die Ringe des Saturn" und "Austerlitz". Der Fokus liegt auf Sebalds literarischem Programm der Memoria und den von ihm verwendeten Techniken der Erinnerungsherausstellung.
Welche Themen werden behandelt?
Die Arbeit behandelt Sebalds Poetik der Erinnerung und seine Auseinandersetzung mit dem Verlust der Vergangenheit. Weitere Themen sind die Rolle von Räumen, Orten und Bildern in der Rekonstruktion der Vergangenheit, die Verwendung fiktionaler und dokumentarischer Elemente, die Funktion des Erzählers im Prozess des Erinnerns und die Bedeutung der Intertextualität als zentrales Erinnerungsmedium.
Welche Kapitel umfasst die Arbeit?
Die Arbeit besteht aus drei Kapiteln: Kapitel 1 ("Poetik der Erinnerung") führt in die Thematik ein und stellt Sebalds Anliegen dar. Kapitel 2 ("Erinnerungsstrukturen") analysiert die spezifischen Erinnerungsstrukturen in Sebalds Werken, einschließlich der Techniken der Bricolage und der Kombination von realen Fakten mit fiktionalen Elementen. Kapitel 3 ("Schluss") ist im Inhaltsverzeichnis aufgeführt, der Inhalt wird jedoch nicht im Preview zusammengefasst.
Welche Methoden werden angewendet?
Die Arbeit analysiert Sebalds Prosa, indem sie seine Techniken der Erinnerungsherausstellung untersucht. Es werden Konzepte wie Memoria, Bricolage, "Korsakowsches Syndrom" (Kombination von realen Fakten mit fiktionalen Elementen) und "mémoire involontaire" im Sinne Prousts analysiert. Die Arbeit bezieht sich auf theoretische Ansätze von Autoren wie Thomas Browne, Anne Fuchs und Aleida Assmann.
Welche Schlüsselbegriffe sind relevant?
Wichtige Schlüsselbegriffe sind W. G. Sebald, Erinnerungsstrukturen, Memoria, Vergangenheitsbewältigung, Holocaust, Dokumentarliteratur, Fiktion, Intertextualität, Räume, Orte, Bilder, Erinnerungsverlust, mémoire involontaire, Bricolage, Kulturelles Gedächtnis und Kommunikatives Gedächtnis.
Welche Werke von W. G. Sebald werden analysiert?
Die Arbeit konzentriert sich auf die Prosabände "Die Ausgewanderten", "Schwindel. Gefühle.", "Die Ringe des Saturn" und "Austerlitz".
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- Karoline Lazaj (Autor), 2007, Erinnerungsstrukturen in W. G. Sebalds Prosa, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/69264