Die Studie setzt sich mit Aspekten sowjet-russischer Kinder- und Jugendliteratur zum Kriegsthema zwischen 1960 und 1985 auseinander.
Die sowjetische Kinder- und Jugendliteratur zum Kriegsthema hat immer wieder Pendelschläge zwischen den zwei Polen »Affirmation« und »Zeitkritik« gemacht. Ausgewählte Texte Anatolij Aleksins (Signal‘ščiki i gornisti), Boris Vasil'evs (A zori zdes’ tichie), Vladislav Krapivins (Ten' karavelly), Vasilij Aksenovs (Zavtraki sorok tret'ego goda), Bulat Okudžavas (Front prichodit k nam) und Boris Balters (Do svidanija, mal'čiki) dokumentieren ein gewachsenes Gefühl für die psychischen Auswirkungen des Krieges auf diejenigen, die ihn überlebt haben. Dies hat weitreichende Folgen für die künstlerisch-ästhetische Perspektive auf das Erfahrene, wie alle untersuchten Texte übereinstimmend zeigen.
Die kritischeren Autoren vermeiden Heldenpathos weitgehend - je kleiner der Wirklichkeitsausschnitt, desto geringer ist auch die Neigung zur «großen» ideologischen Perspektive. Valuative Verweise werden in den Texten mit eher affirmativem Akzent überwiegend durch Wertexposition vermittelt, was die Anklänge dieser Texte an die triviale Literatur begründet. Die Texte mit zeitkritischer Komponente neigen eher zur Wertimplikation, zur Andeutung, die vom Rezipienten bei ihrer Entschlüsselung eine gewisse Ergänzungsleistung verlangt. Okudžava verschlüsselt seine Autorenposition zusätzlich durch Motive aus dem für das Kriegsthema ungewöhnlichen Genre des Zaubermärchens. Die eher affirmativen Texte Aleksins und der in die Analyse miteinbezogene erste russische Afghanistan-Roman Aleksandr Prochanovs Derevo v centre Kabula lassen sich über die Fixpunkte ihrer axiologischen Wertungssysteme auf eine verwandte künstlerisch-ideologische Grundhaltung zurückzuführen. Die Predigt unversöhnlichen Hasses bis hin zur Dehumanisierung bleibt überwiegend den affirmativen Texten vorbehalten.
Dehumanisierungstendenzen nach dem Muster »ljudi > zveri > fašisty« finden sich auch bei Vasil’ev, dessen Text aufgrund seines sozialphilosophischen Gehalts eine Zwischenstellung einnimmt.
Ein Ausblick, wie sich die russische Kinder- und Jugendliteratur in der Zukunft entwickeln könnte, rundet die Studie ab. Die Darstellung der unschönen Seiten der sozialistischen Wirklichkeit wird traditionelle Erzählmuster in Frage stellen - vielleicht werden sich aber auch die überkommenen Muster aus ihrer langen Tradition heraus dem Thema gegenüber als resistent erweisen?
Inhaltsverzeichnis
- VORWORT
- METHODOLOGISCH-THEORETISCHER TEIL
- Der semantisch-axiologische Zugang zum Thema:
- Denotation und Konnotation
- Wie läuft der semantische Vorgang einer »Wertzuordnung« ab, wie wird ein semantisches Merkmal mit »Wert«< besetzt?
- Der >>positive Held«<: Wie soll sich der Rezipient konkret mit sozrealistischen Wertpositionen identifizieren?
- Der Personenaufbau sozialistisch-realistischer Prosawerke; weiterführende Fragestellungen
- Čto takoe detskaja literatura: Die (sowjet-)russische Kinder- und Jugendliteratur
- Traditionelle Begriffsbestimmungen von Kinderliteratur
- Der funktionsanalytische Zugang zum Thema: Die sozialpädagogische Bedeutung von Kinder- und Jugendliteratur In der Gesellschaft der früheren UdSSR
- Der poetologische Zugang zum Thema Kinder- und Jugendliteratur: Eine Gegenstandsbeschreibung aus rezeptionsästhetischer Sicht
- Kriegsthematik, Jugendliteratur und »Jeansprosa«
- Der literar-ideologische Zugang zum Thema: Der sozialistische Realismus und sein Einfluss auf die (sowjet-)russische Literatur
- Der sozialistische Realismus als Stilformation
- Sozialistischer Realismus als schöpferische Methode
- Die Parteilichkeit (partijnost')
- Die Volkstümlichkeit (narodnost')
- Das Typische (tipičnost')
- Die Dekanonisierungsphase des sozialistischen Realismus
- Die Präsentation des Kriegsthemas in der sowjetrussischen Literatur:
- Oboronnaja literatura
- >>Tauwetter<< und »Neue Welle<<<\li>
- Kriegsliteratur In der Ära Gorbačev
- Die wichtigsten Rahmendaten zur sowjetischen Geschichte nach Stalin und ihrem Echo in der sowjetrussischen Literatur
- TEXTANALYTISCHER TEIL
- Vasilij P. Aksenov: Zavtraki sorok tret'ego goda (1962)
- Vasilij Pavlovič Aksenov: Kurzcharakteristik:
- Rekonstruktion der Fabel von Zavtraki sorok tret'ego goda nach den Hauptereignissen
- Vaslij Aksenov und das Kriegsthema In der Jeansprosa
- Boris I. Balter: Do svidanija, mal‘čiki! (1963)
- Boris Isaakovič Balter: Kurzcharakteristik
- Rekonstruktion der Fabel von Do svidanija, mal'čiki! nach den Hauptereignissen
- Das System der handelnden Figuren und deren axiologische Distribution
- Die Zeitschichten der Erzählung
- Kriterien der Jugendliteratur
- Bulat S. Okudžava: Front prichodit k nam (1967)
- Bulat Šalvovič Okudžava: Kurzcharakteristik
- Rekonstruktion der Fabel von Front prichodit k nam nach den Hauptereignissen
- Die Interpretatorische Bedeutung der Gedichtpassagen
- Die Kriegsdarstellung bei Okudžava
- Das System der handelnden Personen oder: Märchenhaftigkeit von Abenteuergeschichten - Aktualisierung von Märchenverfahren?
- Sprachlich-poetologische Merkmale, die Front prichodit k nam als kindliterarischen Text ausweisen
- Boris Vasil'ev: A zori zdes' tichie (1969)
- Boris L'vovič Vasil'ev: Kurzcharakteristik
- Rekonstruktion der Fabel von A zori zdes' tichie nach den Hauptereignissen
- Das System der handelnden Figuren: Das Bild der Frau Im Krieg
- Tötenmüssen und Getötetwerden
- Kriterien der Jugendliteratur
- Vladislav Krapivin: Ten' karavelly (1973)
- Vladislav Petrovič Krapivin: Kurzcharakteristik
- Rekonstruktion der Fabel von Ten' karavelly nach den Hauptereignissen
- Exkurs: Vladiks und Pavliks phantastischer Kampf gegen den deutschen Piraten Bobbin Mapp
- Die Bedeutung des Krieges für die Sujetfügung und Wertedidaktik in Krapivins Ten' karavelly
- Anatolij Aleksin: Signal‘ščiki i gornisti, (späte 70er Jahre)
- Anatolij Grigorevič Aleksin: Kurzcharakteristik
- Rekonstruktion der Fabel von Signal'ščiki i gornisti nach den Hauptereignissen
- Das Schema der handelnden Figuren und die von Ihnen verkörperten Wertpositionen
- Vorgaben der sozrealistischen Literaturkonzeption
- Rezeptionspsychologische Bemerkungen
- Aleksandr Prochanov: Derevo v centre Kabula (1982)
- Aleksandr Andreevič Prochanov: Kurzcharakteristik
- Kurzer Abriss der Geschichte und Vorgeschichte der sowjetischen Invasion in Afghanistan
- Rekonstruktion der Fabel von Derevo v centre Kabula nach den Hauptereignissen
- Prochanovs Derevo v centre Kabula als neo-sozrealistischer Roman: narrative Kriterien
- Die Rezeption des ersten sowjetischen Afghanistan-Romans als Jugendliteratur
- Einige Anmerkungen zu Prochanovs Supermachtromantik
- RESÜMEE DER WERKANALYSEN UND AUSBLICK
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Magisterarbeit beschäftigt sich mit der sowjetrussischen Kinder- und Jugendliteratur zum Kriegsthema seit den sechziger Jahren. Im Mittelpunkt steht die Frage, wie die Kriegswirklichkeit in diesen Texten dargestellt wird und welche Funktionen diese Literatur in der damaligen Gesellschaft einnahm.
- Der Einfluss des sozialistischen Realismus auf die sowjetrussische Literatur und seine Dekanonisierungsphase
- Die Darstellung des Krieges in der sowjetrussischen Literatur: Die Entwicklung von der "Oboronnaja literatura" zur "Jeansprosa"
- Die Bedeutung der "Wertvermittlung" in der sowjetrussischen Kinder- und Jugendliteratur zum Kriegsthema
- Die Rezeption der sowjetrussischen Kinder- und Jugendliteratur zum Kriegsthema durch die Kinder und Jugendlichen der damaligen Zeit
Zusammenfassung der Kapitel
Der erste Teil der Arbeit befasst sich mit den methodologischen und theoretischen Grundlagen der Untersuchung. Es wird eine kritische Analyse verschiedener Ansätze zur Analyse von Kinder- und Jugendliteratur vorgestellt, insbesondere im Kontext des sozialistischen Realismus. Der Fokus liegt auf der semantisch-axiologischen Analyse von Texten, der funktionsanalytischen Betrachtung von Kinderliteratur in der Gesellschaft sowie der rezeptionsästhetischen Perspektive.
Im zweiten Teil der Arbeit werden verschiedene Werke der sowjetrussischen Kinder- und Jugendliteratur zum Kriegsthema analysiert. Die Auswahl der Werke deckt verschiedene Genres und Epochen ab, vom "Tauwetter" der 60er Jahre bis hin zur Literatur der 80er Jahre. Anhand der Analysen werden die in Teil 1 dargestellten theoretischen Ansätze auf konkrete Texte angewandt und die Veränderungen in der Darstellung des Kriegsthemas über die Zeit hinweg aufgezeigt.
Schlüsselwörter
Sowjetrussische Kinder- und Jugendliteratur, Kriegsthema, sozialistischer Realismus, "Jeansprosa", Wertvermittlung, "Tauwetter", Afghanistan, Rezeption, Textanalyse, "Oboronnaja literatura", semantischaxiologische Analyse, funktionsanalytischer Zugang, rezeptionsästhetische Sicht.
- Citation du texte
- M.A. Stefan Lutz (Auteur), 1992, Sowjetische Kinder- und Jugendliteratur zum Kriegsthema seit den sechziger Jahren - Paradigmenwechsel und Perspektivenverschiebungen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/69777