Der Heldenkult im Nationalsozialismus - ein religiöses Phänomen?


Dossier / Travail de Séminaire, 2002

25 Pages, Note: 2,0


Extrait


Gliederung

1 Einleitung

2 Begriffsklärungen
2.1 Definition des Mythosbegriffs
2.2 Begriffsdefinition von Ritual und Symbol

3 Der Ursprung des nationalsozialistischen Heldenmythos
3.1 9. November 1923 – Der Anfang
3.2 Mythen und ihre Wirkung

4 Sinn und Funktion der Mythen im Dritten Reich
4.1 Die Grundfunktionen
4.2 Die Rolle Goebbels bei der Verbreitung von Mythen

5 Zusammenfassung und Fazit

6 Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Im Rahmen des Hauptseminars „Vergangenheitspolitik in Deutschland“ soll sich diese Seminararbeit mit der Thematik der Heldenmythen im Nationalsozialismus beschäftigen. Zu Beginn werden einige Begriffe, wie Mythos und Ritual, näher erläutert und es wird auf weitere in Bezug dazu stehende Begriffe verwiesen. Im Mittelpunkt dieser Arbeit steht der Aspekt, ob es sich hierbei ausschließlich um ein Phänomen der damaligen Zeit handelt. Da dies gleich zu Beginn ausgeschlossen werden kann, muss nach dem Ursprung der nationalsozialistischen Mythen gefragt werden. Am Fallbeispiel des 9. November 1923 sollen die damit zusammenhängenden wichtigsten Punkte geklärt werden. Hierbei mag die Wahl des Ereignisses vielleicht verwundern, da dieses vor der eigentlichen Machtergreifung der Nationalsozialisten liegt. Aber gerade darin wird bei genauerer Betrachtung die Stärke der Symbolik verdeutlicht, dass erst dieses „Blutopfer“ nötig war, um den „Mythos von der ideologischen Unsterblichkeit“ zu verewigen und die Machtergreifung 1933 zu erreichen.

Des weiteren wird die Wirkung solcher Mythen zu klären sein. Beeinflussten sie die Bevölkerung unterschiedlich? Lässt sich zwischen guten und bösen Mythen unterscheiden? Wie hoch muss ihre emotionale Stärke in Verbindung mit politischen Ereignissen eingeschätzt werden? Welche Mittel werden eingesetzt, um ihre Wirkung vielleicht noch zu verstärken? Des Weiteren sollen Sinn und Funktion der Mythen und ihrer Symbole innerhalb der nationalsozialistischen Ideologie geklärt werden. Welche Aufgaben nahmen sie als Instrumente innerhalb der Artikulation in der politischen und gesellschaftlichen Wirklichkeit des Dritten Reiches ein? Wer war für die Darstellung solcher Heldengeschichten zuständig und wie kam es zu ihrer glaubwürdigen Verbreitung? Eine nicht zu unterschätzende Rolle wird hierbei der spätere Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda, Joseph Goebbels, spielen.

2 Begriffsklärungen

2.1 Definition des Mythosbegriffs

Die wohl zutreffendsten Definitionen des Mythosbegriffes lassen sich in der Ethnologie oder der Soziologie finden. Georges Sorel schrieb über den soziologischen Begriff des Mythos Folgendes: „[...] dabei handle es sich um ‚künstlich, eingebildete Welten’, die für den einzelnen eine ganz andere Bedeutung besitzen mögen und auch wieder verblassen können und die Massen in leidenschaftliche Bewegung geraten lassen.“[1] Diese Auslegung des Begriffs scheint bei näherer Betrachtung auf viele Ereignisse des deutschen Nationalsozialismus im 20. Jahrhundert zuzutreffen, denn Versatzstücke religiöser Mythologien werden benutzt, um totalitäre Machtausübung oder Kriege zu rechtfertigen.[2] Den Mythosbegriff, der mit Bezug auf den Nationalsozialismus verwendet wurde, bezeichnet man auch als „Mythos vom Dritten Reich“ oder „Tausendjährigen Reich“.[3] Bei Klaus Vondung heißt es, dass, um die nationalsozialistischen Mythen von den kosmologisch-religiösen Mythen trennen zu können, diese nationalsozialistischen auch „ideologische Mythen“ genannt werden. Dies soll der symbolische Ausdruck für spekulativ geschaffene Entitäten sein, die keinen Realitätsanspruch verfolgen.[4]

Mythische Geschichten, wie sie zu Propagandazwecken immer wieder benutzt wurden, stellen eine Manipulation der Realität dar, die als Magie begriffen werden kann. Hierbei soll ihre Bedeutung vielmehr als „Verwechslung von gedanklichen Zusammenhängen mit realen“ verstanden werden.[5] Das wohl wichtigste Mittel in den nationalsozialistischen Mythen ist also die Magie, denn mit ihrer Hilfe wird die politische und gesellschaftliche Realität manipuliert. Diese durch die Magie veränderte Realität, die von heroischen Gestalten handelt, die zwar historische Personen sind, deren Leben und Sterben jedoch über die beobachtbaren Folgen hinaus als geschichtsmächtig und sinnvoll interpretiert werden, nennt man Heldenmythen.

2.2 Begriffsdefinition von Ritual und Symbol

Bei Ritualen handelt es sich um Bindungen an eine bestimmte Vergangenheit einer Gruppe, einer Nation oder Glaubensgemeinschaft, die durch den Mythos hergestellt wurde und durch stete, gleichbleibende Wiederholung bekräftigt wird.[6] Durch sie wird die Vergangenheit, im wahrsten Sinne des Wortes, lebendig. Rituale können aber auch dazu dienen, Ereignisse zu rechtfertigen und Entscheidungen zu respektieren. Die wohl größte Wirkung besitzen Rituale in Bezug auf die Gefühle: So vermitteln sie ein Dazugehörigkeitsgefühl und geben durch Sinnvermittlung dem Einzelnen als auch der Gruppe einen emotionalen Halt. Im Ritual nimmt der Einzelne am gemeinsamen Empfinden von Gleichgesinnten oder einer Menschenmasse teil, im Extremfall kann sich aus diesem entstehenden Hochgefühl eine Massenhysterie entwickeln. Gerade auf diesen Prozess trifft die Epoche des Nationalsozialismus in Deutschland zu. Das markanteste Beispiel dieser Zeit stellt wohl die „berühmte Sportpalastrede dar, in deren Verlauf die gläubige Masse Goebbels’ Frage: „Wollt Ihr den totalen Krieg?“ begeistert bejahte, obgleich die grausigen Folgen dieser Entscheidung abzusehen waren.“[7]

Aber erst durch die Abgrenzung nach außen und einer Stabilität im Inneren gewinnen Gruppen ihre eigene, unverwechselbare Identität. Um diesen Vorgang auch für andere äußerlich kenntlich zu machen, werden Symbole eingesetzt. Sie sind codierte Signale, deren Sinn nur der versteht, der den Code entschlüsseln kann.[8] Als Symbole bezeichnet man auch die vom nationalsozialistischen Regime weit verbreiteten Zeichen, wie das Hakenkreuz, Uniformen, ihre Kultbauten und vieles andere mehr. Der nationalsozialistische Heldenkult bestand aus einem gut angelegten Symbolsystem, denn seine Inhalte wurden in symbolischen Geschichten vermittelt, in symbolischen Handlungen bekräftigt und in symbolischen Zeichen verdinglicht.[9] Im Hinblick auf das Erringen oder Behalten politischer Macht ist daher auch der Kampf um Symbole und symbolträchtige Wörter keineswegs sinnlos. Die Anwendung von Mythen, Riten und Symbolen für die Darstellung einer perfekten Propaganda der Nazis wird durch die vorangegangenen Erläuterungen deutlich. Die Symbolik der blutroten Fahnen und Standarten ist dabei ebenso bedeutsam wie das Ritual der Fahnenweihe.

3 Der Ursprung der nationalsozialistischen Heldenmythos

3.1 9. November 1923 – Der Anfang

An dieser Stelle soll der Ursprung der nationalsozialistischen Heldenmythen verdeutlicht werden. Als anschauliches Beispiel dient dazu der „Gedenktag für die Gefallenen der Bewegung“. Diese Feier im Rahmen der goebbelschen Propaganda geht auf das Ereignis des 9. November 1923 zurück, den Putschversuch von Hitler und Ludendorff. An diesem hatten sich nicht nur die NSDAP, sondern auch die militärischen Verbände Reichskriegsflagge und Bund Oberland beteiligt. Er endete mit sechzehn erschossenen Putschisten vor der Feldherrnhalle und im Hof des ehemaligen Kriegsministeriums.[10]

Zu dieser Zeit war der Vorfall ganz bestimmt kein sakrales Ereignis gewesen, aber im Dritten Reich, als der Märtyrerkult mit Totenehrung seinen Höhepunkt erreichte, wurde es durch Hitler und seine Anhänger zu eben diesem gemacht, noch dazu konnte ihm offizielle Geltung verschafft werden. Der Marsch der Putschisten auf die Feldherrenhalle in München verkam zum Mysterium, dessen Bedeutung man Jahr für Jahr in einer liturgischen Feier enthüllte. Man begriff den 9. November als „Heilsereignis“, in dem die Geschichte von Kampf und Sieg der nationalsozialistischen Bewegung umgedeutet wurde und das Ziel die Erstehung des „tausendjährigen“ oder „Dritten Reiches“ bezeichnet.[11] Um den Mythos zu schaffen, weihte man als erstes die sechzehn Erschossenen zu Heroen und Märtyrern, die durch ihren Opfertod den Sieg des Nationalsozialismus ermöglichten und man dichtete ihnen zur Mythisierung einige Motive an. So besaßen alle sechzehn „Blutzeugen“ nationalsozialistische Kardinaltugenden, wie bedingungsloser Gehorsam, absolute Treue und Opferbereitschaft bis in den Tod.[12]

Im Hinblick auf den wahren Ausgang von 1923 konnte es sich die Ideologie des Nationalsozialismus nicht leisten, Versagen einzugestehen. Denn als politische Bewegung durfte es weder Niederlagen geben, noch konnte man eingestehen, dass irgendwelche den Nationalsozialismus betreffenden Ereignisse sinnlos gewesen seien oder sein würden. Deshalb blieb eine historische Umdeutung des gesamten Ereignisses 1923 unumgänglich und so wurde der Misserfolg im Nachhinein in einen Sieg verwandelt.[13] Hier zeigt sich nun die eigentliche mythische Interpretation, denn wenn der 9. November 1923 tatsächlich ein Sieg sein sollte, konnte der Tod der Sechzehn nicht umsonst, sondern allenfalls sinnvoll gewesen sein. Denn die größte und bewundernswerteste Leistung des Helden besteht darin, für die gute Sache, meistens das Gemeinwohl, zu kämpfen und sogar zu opfern. Dieser Heldentod bedeutet innerhalb der Heldenverehrung einen sogenannten Qualitätssprung. Das Leben des Heros kann nun als vollendet gelten und so wird er gottgleich.[14] Genau an dieser Stelle wird deutlich, dass es keine lebenden Helden, sondern nur tote Helden geben kann.

Das hier angesprochene Phänomen, gerade „Heldentode“ oder „Blutopfer“ betreffend, ist für die Mythen des Dritten Reiches sehr typisch. Es wird auch die „Suche nach revolutionärer Unsterblichkeit“ genannt, wobei gerade das Streben nach dieser in den Symbolen des ideologischen Mythos manifest ist.[15] Noch dazu spiegelt dies die Ziele des Nationalsozialismus in seinem ganzen propagandistischen Umfang wieder, denn der ewige Ruhm, welcher dem Held nach seinem Sieg oder Tod winkt und der ein Bestandteil des Mythos ist, dient auch als Anreiz, diesem Leitbild zu folgen. Der Heldentod der Vergangenheit rief demgemäß zur Nachahmung auf, sollte beispielgebend für die zu formende Volksgemeinschaft sein und so galt es, ihm nachzueifern. Hierbei waren Kriegerdenkmale nur eine besonders markante Erscheinungsform des immer präsenten Totenkults und so traten zu den bisher kanonisierten Helden die spezifisch nationalsozialistischen Märtyrer hinzu.[16] Diese Helden des NS-Regimes haben die Gemeinsamkeit, dass sie der nationalsozialistischen Überlieferung nach den „Heldentod“ für Deutschland, die „Bewegung“, den „Führer“ und das „Dritte Reich“ gefallen seien und mit diesem „Opfertod“ den Sieg des Nationalsozialismus bewirkt haben sollen.[17]

[...]


[1] Schulz, Gerhard, Aufstieg des Nationalsozialismus. Krise und Revolution in Deutschland,

Frankfurt am Main 1975, S. 65.

[2] Vgl. Voigt, Rüdiger (Hrsg.), Symbole der Politik, Politik der Symbole, Opladen 1989, S. 10.

[3] Vgl. Bärsch, Claus-Ekkehard, Die politische Religion des Nationalsozialismus. Die religiöse Dimension der NS-Ideologie in den Schriften von Dietrich Eckart, Joseph Goebbels, Alfred Rosenberg und Adolf Hitler, München 1998, S. 73.

[4] Vgl. Vondung, Klaus, Magie und Manipulation. Ideologischer Kult und politische Religion des Nationalsozialismus, Göttingen 1971, S. 162 f.

[5] Ebenda, S. 171.

[6] Vgl. Voigt, Rüdiger, Symbole der Politik, S. 12.

[7] Ebenda, S. 14.

[8] Ebenda.

[9] Vgl. Behrenbeck, Sabine, Der Kult um die toten Helden. Nationalsozialistische Mythen, Riten und Symbole 1923 bis 1945, Vierow bei Greifswald 1996, S. 35.

[10] Vgl. Vondung, Klaus, Magie und Manipulation, S. 161.

[11] Vgl. Dülffer, Jost, Hitler, Nation und Volksgemeinschaft, „in: Die deutsche Nation. Geschichte – Probleme – Perspektiven, Otto Dann, Vierow bei Greifswald 1994, S. 106 f.

[12] Vgl. Vondung, Klaus, Magie und Manipulation, S. 162 f.

[13] Vgl. Vondung, Klaus, Magie und Manipulation, S. 167.

[14] Vgl. Behrenbeck, Sabine, Der Kult um die toten Helden, S. 66 ff.

[15] Vgl. Vondung, Klaus, Magie und Manipulation, (gilt nur für „Suche nach revolutionärer Un- sterblichkeit“), S. 164.

[16] Vgl. Dülffer, Jost , Hitler, Nation und Volksgemeinschaft, S. 105 f.

[17] Vgl. Behrenbeck, Sabine, Der Kult um die toten Helden, S. 71.

Fin de l'extrait de 25 pages

Résumé des informations

Titre
Der Heldenkult im Nationalsozialismus - ein religiöses Phänomen?
Université
Martin Luther University  (Institut für Geschichte)
Cours
Vergangenheitspolitik in Deutschland
Note
2,0
Auteur
Année
2002
Pages
25
N° de catalogue
V69982
ISBN (ebook)
9783638608169
ISBN (Livre)
9783640918164
Taille d'un fichier
437 KB
Langue
allemand
Mots clés
Heldenkult, Nationalsozialismus, Phänomen, Vergangenheitspolitik, Deutschland
Citation du texte
Diplom Politikwissenschaftlerin Nicole Haak (Auteur), 2002, Der Heldenkult im Nationalsozialismus - ein religiöses Phänomen?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/69982

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