Die politikwissenschaftliche Debatte über die Staaten des Nahen und Mittleren Ostens ist geprägt von Beschreibungen der Entwicklungshemmnisse und Forderungen nach „Good Governance“. „Good Governance“ bedeutet, dass staatliche Politik nach dem Leitbild des demokratischen Rechtsstaats organisiert werden muss: Gleiches Recht, Partizipationsmöglichkeit und Schaffung von Wohlfahrt für alle Bevölkerungsgruppen, unabhängig von Geschlecht oder sozialen, ethnischen und religiösen Kategorien. Das offensichtliche Fehlen von „Good Governance“ wird (parallel zu früheren Debatten zwischen Anhängern der Modernisierungs- und der Dependenztheorien) mit internen oder externen Faktoren erklärt. So sind es in der modernisierungstheoretischen Vorstellung die korrupten staatlichen Eliten, die eine Demokratisierung verhindern, um sich weiter zu bereichern. Dies wird von einigen Autoren in Bezug auf Max Weber als (Neo-)Patrimonialismus bezeichnet. Die Strategien zur Aufrechterhaltung des Patrimonialismus (und damit zur Verhinderung von Demokratisierung) werden hier unter Klientelismus zusammengefasst. Klientelismus bezeichnet die Gewährung des Zugangs zu staatlichen Ressourcen gegen politische Unterstützung, bzw. Loyalität. Die dependenztheoretische Perspektive stellt dagegen die Möglichkeiten der politischen Systeme im Nahen und Mittleren Osten zur Demokratisierung im Rahmen des ungleichen Tausches in der kapitalistischen Weltökonomie und der politischen Beeinflussung (bis hin zum Regimewechsel) durch externe Mächte in Frage. Für die Region des Nahen und Mittleren Ostens wird die USA als die zentrale externe Macht bezeichnet.
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Insofern soll hier untersucht werden, ob die Konzepte über Staat und Herrschaft von Ibn Khaldun ähnliche Erscheinungen erklären können, die unter Patrimonialismus und Klientelismus zusammengefasst werden, mit dem Unterschied, dass sie nicht als Defekt, sondern vielmehr als die Funktionsweise von Staatlichkeit angesehen werden. Dazu sollen einige Konzepte Ibn Khalduns selektiv dargestellt und erläutert werden. Selektiv bedeutet hier, dass auf eine umfassende Darstellung der gesamten Theorie und eine genaue Einordnung der hier dargestellten Konzepte in die Gesamttheorie verzichtet wird, nicht zuletzt aufgrund des Textumfangs, der dazu nötig wäre. Danach soll in einem Exkurs der Versuch von Ghassan Salamé dargestellt werden, der mit Bezug auf Ibn Khaldun die Etablierung und Entwicklung der saudischen Herrschaft erklären will.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Zentrale Begriffe und Konzepte Ibn Khalduns
- Was ist „asabiyya“?
- Asabiyya und die Phasen der Herrschaft
- Herrschaft und Hegemonie
- Beziehung der Ökonomie zur Herrschaft
- Exkurs: Ibn Khaldun in Saudi-Arabien
- Etablierung der saudischen Herrschaft
- Politische und gesellschaftliche Entwicklung Saudi-Arabiens
- Stabilisierung staatlicher Macht über die Ökonomie
- Ibn Khaldun in Syrien
- Machtübernahme Assads 1970 oder die zweite Phase der Herrschaft
- Die syrische Fabrik
- Kein Fazit – Einige letzte Worte
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Der Text befasst sich mit der Anwendung der Konzepte von Ibn Khaldun auf die politischen Systeme im Nahen und Mittleren Osten, insbesondere auf Syrien. Die Arbeit untersucht, ob Ibn Khalduns Theorien zur Staatlichkeit und Herrschaft die Phänomene von Patrimonialismus und Klientelismus im Nahen und Mittleren Osten erklären können.
- Die Bedeutung von „asabiyya“ für die Entstehung und Stabilität von Herrschaft
- Die Beziehung zwischen Ökonomie und politischer Macht
- Die Anwendung der Theorien von Ibn Khaldun auf die Entwicklung des saudischen Staats
- Die Analyse der Machtübernahme Assads in Syrien im Licht der Theorien von Ibn Khaldun
- Die Kritik an eurozentrischen Ansätzen in der Politikwissenschaft und die Suche nach alternativen Erklärungen für die politische Entwicklung im Nahen und Mittleren Osten
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung stellt die politische Debatte über die Staaten des Nahen und Mittleren Ostens im Kontext von "Good Governance" und der Kritik an eurozentrischen Ansätzen vor. Das zweite Kapitel erläutert zentrale Konzepte von Ibn Khaldun, insbesondere den Begriff der "asabiyya" und die Phasen der Herrschaft. Der Exkurs befasst sich mit der Anwendung der Theorien von Ibn Khaldun auf die Etablierung und Entwicklung der saudischen Herrschaft. Das vierte Kapitel analysiert die Machtübernahme Assads in Syrien im Lichte der Konzepte von Ibn Khaldun, insbesondere im Kontext der "syrischen Fabrik".
Schlüsselwörter
Die Arbeit befasst sich mit wichtigen Begriffen wie "asabiyya", Patrimonialismus, Klientelismus, "Good Governance", Entwicklungsdiktatur und dem Einfluss von Ibn Khaldun auf die Analyse der politischen Systeme im Nahen und Mittleren Osten. Die zentralen Themen sind die Kritik an eurozentrischen Ansätzen, die Suche nach alternativen Erklärungen für die politische Entwicklung in der Region und die Analyse der Funktionsweise von Herrschaft in verschiedenen Kontexten.
- Citation du texte
- Ismail Küpeli (Auteur), 2006, Ibn Khaldun und das politische System Syriens - Eine Gegenüberstellung, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/70021