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Herrschaftsanalyse von Ibn Khaldun

Title: Herrschaftsanalyse von Ibn Khaldun

Presentation (Elaboration) , 2005 , 4 Pages

Autor:in: Ismail Küpeli (Author)

Politics - Region: Near East, Near Orient
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Summary Excerpt Details

Die Debatte über die Staaten des Nahen und Mittleren Osten ist geprägt von Beschreibungen von Entwicklungshemmnissen und Forderungen nach „Good Governance“. „Good Governance“ bedeutet, dass staatliche Politik nach dem Leitbild des demokratischen Rechtsstaats organisiert werden muss: Gleiches Recht, Partizipationsmöglichkeit und Schaffung von Wohlfahrt für alle Bevölkerungsgruppen, unabhängig von Geschlecht oder sozialen, ethnischen und religiösen Kategorien. Das offensichtliche Fehlen von „Good Governance“ wird (parallel zu früheren Debatten zwischen Anhängern der Modernisierung- und der Dependenztheorien) mit internen oder externen Faktoren erklärt: Korrupte staatliche Eliten, der westliche Einfluss usw. Allerdings bleiben alle diese Erklärungen im Rahmen der westlichen Vorstellungen von Entwicklung und Fortschritt. Die Unzulänglichkeit der Erklärungen wird beim Scheitern der entsprechenden (State-Building-) Maßnahmen deutlich. Hier könnte der Blick auf Ibn Khaldun dabei helfen zu verstehen, ob die staatlichen Strukturen im Nahen und Mittleren Osten nach anderen Mustern funktionieren.

Excerpt


Inhaltsverzeichnis

Was interessiert uns ein arabischer Historiker des 14. Jh.?

Wie entsteht staatliche Macht?

„State Building“ in Saudi-Arabien

Saudi-Arabien heute

Stabilisierung staatliche Macht über die Ökonomie

Fazit

Literatur:

Was interessiert uns ein arabischer Historiker des 14. Jh.?

Die Debatte über die Staaten des Nahen und Mittleren Osten ist geprägt von Beschreibungen von Entwicklungshemmnissen und Forderungen nach „Good Governance“[1]. „Good Governance“[2] bedeutet, dass staatliche Politik nach dem Leitbild des demokratischen Rechtsstaats organisiert werden muss: Gleiches Recht, Partizipationsmöglichkeit und Schaffung von Wohlfahrt für alle Bevölkerungsgruppen, unabhängig von Geschlecht oder sozialen, ethnischen und religiösen Kategorien. Das offensichtliche Fehlen von „Good Governance“ wird (parallel zu früheren Debatten zwischen Anhängern der Modernisierung- und der Dependenztheorien) mit internen oder externen Faktoren erklärt: Korrupte staatliche Eliten, der westliche Einfluss usw.

Allerdings bleiben alle diese Erklärungen im Rahmen der westlichen Vorstellungen von Entwicklung und Fortschritt. Die Unzulänglichkeit der Erklärungen wird beim Scheitern der entsprechenden (State-Building-) Maßnahmen deutlich. Hier könnte der Blick auf Ibn Khaldun dabei helfen zu verstehen, ob die staatlichen Strukturen im Nahen und Mittleren Osten nach anderen Mustern funktionieren.

Wie entsteht staatliche Macht?

Ibn Khaldun erklärt die Entstehung von Macht und Herrschaft über Inter-Gruppen-Prozesse. Die Führung einer Gruppe („ri’asa“) kann ihre Macht ausbauen, indem sie zuerst die interne Kohäsion (Zusammenhalt) der Gruppe stärkt. Die Gruppe wird dabei über „Blutlinien“ / Abstammung („’asabiyya“), definiert, m.a.W. ist die die tribale Gruppe gemeint. Die anderen Gruppen müssen die Überlegenheit der Gruppe anerkennen. Und zuletzt muss die faktische Überlegenheit durch ideologische und kulturelle Hegemonie („iltiham“) in der gesamten Gesellschaft ergänzt werden. Herrschaft kann nur dann dauerhaft sein, wenn sie nicht bloß auf nackter Gewalt, sondern auch auf Akzeptanz durch die Gesellschaft basiert. Das bedeutet wiederum, dass staatliche Herrschaft in eine Krise gerät, wenn die Hegemonie in Frage gestellt wird.

„State Building“ in Saudi-Arabien

Jetzt soll versucht werden, diese Thesen am Beispiel der Entstehung des saudi-arabischen Staates zu verdeutlichen. Hier kommen zwei Machtfaktoren zusammen und bilden eine neue, überlegene Gruppe. Der eine Machtfaktor ist der Wahhabismus. Der Wahhabismus ist eine fundamentalistische Richtung im Islam mit dem Anspruch der wortgetreuen Umsetzung des Korans. Spätere Anpassungen an neue gesellschaftliche Entwicklungen werden abgelehnt. Der Wahhabismus ist die Basis für die Ideologie und Selbstdefinition der neuen Gruppe. Als religiöse Lehre allein hatte der Wahhabismus jedoch nicht die Möglichkeit staatliche Herrschaft zu bilden. Hierzu war die Bindung an eine bereits existierende tribale Gruppe („’asabiyya“) nötig: Die Saud-Familie. Sie bildet den zweiten Machtfaktor. Die neue, ideologisch „gerüstete“ Gruppenidentität ermöglichte es der Saud-Familie, auch andere Gruppen für ihren Herrschaftsanspruch zu gewinnen: So wurden die Beduinen-Stämme zur militärischen Basis der Saudi-Herrschaft. Der Wahhabismus und die Herrschaft der Saud-Familie wurden so im Verbund durchgesetzt.

Saudi-Arabien heute

Entgegen der staatlichen Ideologie war der saudi-arabische Staat weiterhin von tribalen Spaltungen geprägt. Es gelang nicht, die Beduinen-Stämme in die Gesellschaft zu integrieren. Bei der folgenden Zerschlagung der Beduinen-Stämme musste der saudische Staat auf britische Unterstützung zurückgreifen. Dies führte zum einen zu Legitimationsverlust, weil mit westlicher Hilfe eine der wichtigsten Gruppen der saudi-arabischen Gesellschaft bekämpft wurde. Zum anderen hatte die britische Unterstützung zur Folge, dass der saudische Staat seine begrenzte Macht anerkennen und sich im Weltsystem einfügen musste. Eine weitere Expansion war so nicht mehr möglich.

Stabilisierung staatliche Macht über die Ökonomie

Bei Ibn Khaldun ist die Ökonomie (bzw. die wirtschaftlichen Fähigkeiten) eines Staates, abhängig von der politischen und militärischen Stärke. Wenn eine Gruppe ihre Herrschaft aufgebaut hat, verfügt sie über die wirtschaftlichen Kapazitäten, als eine Art „Belohnung“. Kapazität bedeutet nicht etwa die Produktionskapazität o.ä., sondern die Ausgabenkapazität. Die Ausgaben werden nicht für wirtschaftliche Entwicklung benutzt, sondern um Loyalitäten zu kaufen und das Militär zu finanzieren.

Im saudi-arabischen Beispiel bedeutet dies, dass der Staat nicht die Grundlagen für Wirtschaft schafft, sondern lediglich die wirtschaftlichen Ressourcen anzapft. Dies zeigt sich bei der Öl-Förderung, die mit westlicher Technologie von westlichen Unternehmen betrieben wird. Auch die Arbeitskräfte müssen „importiert“ werden. Das Land bleibt so technologisch unterentwickelt und abhängig von einer erschöpflichen Ressource.

Fazit

Bei Ibn Khaldun finden wir ein Erklärungsansatz, um den momentanen Zustand von einigen arabischen Staaten zu verstehen. Entgegen der vorherrschenden Meinung in der Debatte um Entwicklung und „Good Governance“ im Nahen und Mittleren Osten werden hier nicht evtl. „Abweichungen“ vom Ideal (etwa „korrupte Eliten“) als Grund genannt. Es ist vielmehr das politische System selbst, das diesen Zustand produziert, aufgrund seiner inneren Logik von Herrschaftsetablierung.

Literatur:

Salamé, Ghassan (1987): Strong and Weak States, a Qualified Return to the Muqaddimah, in: ders.: The Foundation of the Arab State, London, Croom Helm, S. 205-240

[...]


[1] Vgl. „Aus Politik und Zeitgeschichte“ (37/2003).

Häufig gestellte Fragen

Was ist das Hauptthema dieses Textes?

Der Text analysiert staatliche Macht und Staatsbildung im Nahen und Mittleren Osten, insbesondere Saudi-Arabien, unter Bezugnahme auf die Theorien des arabischen Historikers Ibn Khaldun aus dem 14. Jahrhundert.

Was kritisiert der Text an der aktuellen Debatte über den Nahen Osten?

Der Text kritisiert die vorherrschenden Beschreibungen von Entwicklungshemmnissen und Forderungen nach "Good Governance", die auf westlichen Vorstellungen von Entwicklung und Fortschritt basieren und interne oder externe Faktoren wie Korruption oder westlichen Einfluss hervorheben. Diese Erklärungen greifen zu kurz und führen zu ineffektiven State-Building-Maßnahmen.

Wie erklärt Ibn Khaldun die Entstehung staatlicher Macht?

Ibn Khaldun erklärt die Entstehung von Macht durch Inter-Gruppen-Prozesse. Die Führung einer Gruppe stärkt zuerst die interne Kohäsion ('asabiyya), definiert über "Blutlinien" oder Abstammung, und etabliert dann die Überlegenheit der Gruppe gegenüber anderen. Schließlich muss die faktische Überlegenheit durch ideologische und kulturelle Hegemonie (iltiham) in der gesamten Gesellschaft ergänzt werden. Herrschaft erfordert Akzeptanz und nicht nur Gewalt.

Wie wird Ibn Khalduns Theorie auf Saudi-Arabien angewendet?

Am Beispiel Saudi-Arabiens werden zwei Machtfaktoren kombiniert: der Wahhabismus als fundamentalistische Richtung im Islam und die Saud-Familie als tribale Gruppe ('asabiyya'). Die neue, ideologisch gerüstete Gruppenidentität ermöglichte es der Saud-Familie, andere Gruppen zu gewinnen und ihre Herrschaft im Verbund durchzusetzen.

Welche Herausforderungen gab es bei der Staatsbildung in Saudi-Arabien?

Trotz der staatlichen Ideologie blieb Saudi-Arabien von tribalen Spaltungen geprägt. Die Integration der Beduinen-Stämme gelang nicht, und bei der Zerschlagung dieser Stämme war der saudische Staat auf britische Unterstützung angewiesen, was zu Legitimationsverlusten führte.

Wie stabilisiert Saudi-Arabien seine staatliche Macht über die Ökonomie?

Saudi-Arabien zapft wirtschaftliche Ressourcen an, anstatt die Grundlagen für eine eigene Wirtschaft zu schaffen. Die Ölförderung wird mit westlicher Technologie und ausländischen Arbeitskräften betrieben, was zu technologischer Unterentwicklung und Abhängigkeit von einer erschöpflichen Ressource führt.

Was ist das Fazit des Textes?

Ibn Khaldun bietet einen Erklärungsansatz für den Zustand einiger arabischer Staaten, der nicht auf "Abweichungen" vom Ideal wie Korruption basiert, sondern auf der inneren Logik der Herrschaftsetablierung im politischen System selbst.

Welche Literatur wird im Text erwähnt?

Der Text verweist auf Ghassan Salamé (1987): Strong and Weak States, a Qualified Return to the Muqaddimah, in: ders.: The Foundation of the Arab State, London, Croom Helm, S. 205-240 sowie auf "Aus Politik und Zeitgeschichte" (37/2003) und BMZ: Good Governance in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit, Bonn 2002.

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Details

Title
Herrschaftsanalyse von Ibn Khaldun
College
Ruhr-University of Bochum
Course
Empirische Politikfeldanalyse - Die politischen Systeme des Nahen und Mittleren Ostens im Vergleich
Author
Ismail Küpeli (Author)
Publication Year
2005
Pages
4
Catalog Number
V70023
ISBN (eBook)
9783638614382
ISBN (Book)
9783656843986
Language
German
Tags
Herrschaftsanalyse Khaldun Empirische Politikfeldanalyse Systeme Nahen Mittleren Ostens Vergleich
Product Safety
GRIN Publishing GmbH
Quote paper
Ismail Küpeli (Author), 2005, Herrschaftsanalyse von Ibn Khaldun, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/70023
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