Die Figur des Wächters im Tagelied am Beispiel Wolfram von Eschenbachs


Hausarbeit, 2001

13 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


1.Einleitung

Erläuterung der im Mittelalter gängigen Wächterrolle am Beispiel des Tageliedes I „den morgenblic“ von Wolfram von Eschenbach[1]:

1.1. Inhalt des Liedes:

Wie es für Tagelieder üblich ist, umgibt auch dieses Lied das Thema der schmerzlichen Trennung von Mann und Frau nach einer gemeinsam verbrachten Nacht. In der ersten Strophe, welche aus zehn Versen besteht, wird die Frau durch den Gesang des Wächters, der als Mitwisser und Vertrauter des Paares fungiert, geweckt und sich somit schlagartig ihrer Trauer bewußt: „Den morgenblic bî wahtaeres sange erkôs ein vrouwe, [ ... ] dâ von si der vreuden vil verlôs.“. Sie weint und beklagt ihr Schicksal, indem sie den Tag personifiziert und zu ihm spricht: „ôwê tac! [ ... ] nu enmac niht langer hie bî mir bestên mîn vriunt. Den jaget von mir dîn schîn.“. Naht der Tag, so muß ihr Geliebter gehen, darum will sie ihn (den Tag) nicht sehen, obgleich sich alles andere auf der Welt über den Sonnenaufgang freut. Sie zweifelt an ihrer Zukunft „wie sol iz mir ergên!“, da die Trauer um den baldigen Weggang des Geliebten so groß ist. Durch die Aussage „den jaget von mir dîn schîn.“ wirkt die Situation noch dramatischer, als sie ohnehin schon ist.

In der zweiten Strophe, die nur acht Verse zählt, wird der Tag wie ein Ungeheuer[2] dargestellt, vor dem keine Riegel schützen und der das Paar ängstigt „vil slôzen sî besluzzen. Daz half niht;“, was die Liebenden jedoch um so mehr verbindet, da sie sich nun aneinander drängen und gemeinsam weinen. Die Frau betont durch einen kurzen Monolog noch einmal ihre Verbundenheit, indem sie von einem Körper mit zwei Herzen, ewiger Treue und dergleichen spricht „Zwei herze und ein lîp hân wir. gar ungescheiden unser triuwe mit ein ander vert.“. Das Wort „Abschied“ ist bis hier noch nicht gefallen, doch ist beiden bewußt, was ihnen bevorsteht. Im Gegensatz zu den ersten beiden Strophen beinhaltet die dritte ausschließlich Trauer und Schmerz, da nun das Liebesspiel beschrieben wird, dem sich das Paar zum Abschied hingibt. Diese Strophe, die neun Verse beinhaltet, beginnt damit, das der Mann Abschied nimmt „Der trûric man nam urloup balde alsus: [ ... ] . Daraufhin geben sich die Beiden, wenngleich auch unter Tränen, das letzte Mal einander hin. Jetzt wird der Tag nicht mehr als Ungeheuer gesehen, da nun der Höhepunkt, ihr Liebesspiel, im Vordergrund steht „ir liehten vel, diu slehten, kômen nâher, swie der tac erschein.“. Natürlich ist die Gefahr der Entdeckung, in der sich das Paar befindet, nicht ganz vergessen. Sie wird zum Ende der Strophe noch mal erwähnt „ir beider liebe doch vil sorgen truoc, [ ... ] .

1.2. Interpretation des Tageliedes:

Dieses Lied Wolframs beinhaltet alle typischen Merkmale, die ein Tagelied ausmachen[3]. Der Mann und die Frau verstoßen durch ihre Liebe gegen die gesellschaftlichen Regeln und Normen, so daß sie nur heimlich beieinander sein dürfen (die tougen minne). Bei den beteiligten Personen handelt es sich um eine Frau, deren Stand nicht weiter erklärt wird, dem Geliebten, einem edlen Mann und somit wahrscheinlich einem Ritter, und dem Wächter, durch den der Ort implizit dargestellt wird, nämlich die Burg. Die Situation findet im Morgengrauen statt, was ausschlaggebend für das Tagelied ist. Die Handlung ist meist gleich: der Weckruf des Wächters, aufgrund des Tagesanbruchs, das Erwachen - hier der Frau -, die Trauer, der Abschied (urloup) und das letzte Liebesspiel.

Es bestehen Gegensätze, wie außen und innen[5], Tag und Nacht, öffentlich und geheim etc.. Der Wächter verkörpert das Außen und den Tag, sowie das Öffentliche. Jürgen Kühnel[4] geht sogar soweit, ihn als das „Über-Ich“ zu bezeichnen, welches nach dem

Realitätsprinzip handelt. Dazu jedoch nachher mehr. In der ersten Strophe bricht der Morgen an und der Tag beginnt. An dieser „Tag-Nacht-Grenze“ befinden sich alle Tagelieder. Der Wächter vermittelt den Liebenden den Tagesanbruch von „außen“ nach

„innen“, somit ist ihre heimliche Liebe nun gestört und die Trauer, zuerst von Seiten der Frau, setzt ein. Scheinbar befanden sich die Liebenden bereits öfter in dieser Situation, da sich die Augen der Dame abermals (aver) mit Tränen füllen. Der Wächter holt somit das Paar in die grausame Wirklichkeit zurück, in die Realität, in der ihre Liebe nicht akzeptiert wird und deshalb verheimlicht werden muß. In der zweiten Strophe ist die Trauer noch größer, da nun der Tag beginnt, was sich natürlich nicht durch vorgeschobene Riegel verhindern läßt. Jetzt spricht die Frau bereits von einem Wiedersehen, da ihr Liebesglück nur dann zerstört wird, wenn er nicht zurückkommt zu ihr, oder sie zu ihm. In der dritten Strophe wird zum ersten Mal der Mann und das Wort Abschied (urloup) erwähnt, wonach es noch einmal zu einem abschließendem Liebesspiel kommt (Das Wort urloup besitzt bei Wolfram eine sehr dominierende Stellung, da es sowohl Abschied und Gewährung bedeutet[6] ). Der Tag wird nun auch nicht mehr als Ungeheuer dargestellt, er begleitet vielmehr diesen Höhepunkt des Liedes: „ir liehten vel, diu slehten, kômen nâher, swie der tac erschein.“. Mit diesem Höhepunkt, nämlich der gegenseitigen Hingabe des Paares, endet das Tagelied.

1.3. Die Wächterrolle im Allgemeinen und in Wolframs Tagelied I

„Den morgenblic“:

Die Rolle des Wächters ist eigentlich darauf beschränkt, den Weckruf zu tätigen, dadurch den Tagesanbruch anzukündigen und die Liebenden zu wecken. Ob seine Rolle realistisch oder eher fiktiv ist, sei erst einmal dahingestellt. Er hat meist Verständnis für das Paar und versucht dieses, besonders den edlen Mann, zu schützen, da er ihm untergeben ist und dessen Ruf wahren will. Die Wächterrolle kann auch die Erzählerrolle beinhalten[7], weil Vieles, wie die Beschreibung der Umgebung und der

[...]


[1] Reclam, Tagelieder des deutschen Mittelalters, Mittelhochdeutsch/Neuhochdeutsch, 1999, S.88 – 104.

[2] Wolfgang Mohr, Wolframs Tagelieder, In: Festschrift Kluck-Hohn-Schneider, Tübingen, 1948, S. 160.

[3] Ulrich Mehler , Techniken der Parodierung, In: Architektura poetica, Festschrift für Johannes Rathofer, Hersg. v. Ulrich Ernst und Bernhard Sowinski, Köln, 1990, S. 253 – 270.

[4] Jürgen Kühnel, Zu den Tageliedern Ulrich von Lichtenstein, In: Jahrbuch der Oswald von Wolkenstein Gesellschaft, Nr. 1, 1980 – 1981, S.104.

[5] Jürgen Kühnel, Das Tagelied, Wolfram von Eschenbach: sîne klâwen, In: Gedichte und Interpretationen, Mittelalter, Hersg. v. Helmut Tervooren, Stuttgart, 1993, S.153.

[6] Eberhard Nellmann, swie der tac erschein, Zu Wolframs erstem Tagelied, In: Festschrift Hugo Moser, Berlin, 1974, S. 118.

[7] Christoph Cormeau, Zur Stellung des Tageliedes im Minnesang, In: Festschrift Walter Haug und Burghart Wachinger, Hersg. v. Johannes Janota , Tübingen, 1992,Bd.2,S.703.

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Details

Titel
Die Figur des Wächters im Tagelied am Beispiel Wolfram von Eschenbachs
Hochschule
Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen
Note
2,0
Autor
Jahr
2001
Seiten
13
Katalognummer
V70241
ISBN (eBook)
9783638615303
ISBN (Buch)
9783640660070
Dateigröße
399 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Figur, Wächters, Tagelied, Beispiel, Wolfram, Eschenbachs
Arbeit zitieren
Yvonne Rollesbroich (Autor:in), 2001, Die Figur des Wächters im Tagelied am Beispiel Wolfram von Eschenbachs, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/70241

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