Der Philosoph als Staatsmann? Vita activa und vita contemplativa im ersten Buch von Thomas Morus' "Utopia"


Magisterarbeit, 2005

120 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Thomas Morus und der englische Humanismus
2.1 Zum Begriff des Humanismus: Schwierigkeiten einer Definition
2.2 Der englische Humanismus im europäischen Kontext
2.3 Thomas Morus: „The king’s good servant, but God’s first”

3 Zur Geistesgeschichte von vita activa und vita contemplativa
3.1 Platon: Die Untrennbarkeit von Theorie und Praxis
3.2 Aristoteles: Das Primat der Kontemplation
3.3 Cicero: Philosophie als Bildungsgut
3.4 Augustinus: Handeln als Notwendigkeit

4 Vita activa und vita contemplativa im ersten Buch von Thomas Morus’ Utopia
4.1 Die Utopie der Neuzeit: Kritik und Gegenbild
4.2 Die Figuren Thomas Morus und Petrus Aegidius
4.3 Die Figur Raphael Hythlodaeus
4.4 Der Dialogue of Counsel als Problematisierung des Konflikts zwischen vita activa und vita contemplativa
4.4.1 Im Dienste des Königs: These und Antithese
4.4.2 Die Morton-Episode: Ein zweifelhaftes Exemplum
4.4.3 Der Philosoph als Staatsmann: Platon versus Platon
4.4.4 Die rhetorische Strategie der Dialogpartner
4.4.5 Die Fremdheit des Philosophen in der Welt
4.4.6 Die Unvereinbarkeit von vita activa und vita contemplativa

5 Schlussfolgerungen

6 Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Das Thema der vorliegenden Arbeit hat eine geistesgeschichtliche Tradition, die sich auf zweieinhalb Jahrtausende beläuft. Die auf den ersten Blick einfach erscheinende antithetische Gegenüberstellung von vita activa und vita contemplativa umfasst eine Vielzahl grundsätzlicher Fragen sowohl ethischer als auch politischer Art. Denn das Begriffspaar, verstanden als qualitative Unterscheidung zwischen einander ausschließenden und sich doch komplementär ergänzenden Lebensentwürfen, beinhaltet weitere begriffliche Dualismen, so etwa die Gegenüberstellung von Einsamkeit und Gesellschaft, von Arbeit und Muße, von Denken und Handeln und von Theorie und Praxis. Insofern bildet der stilisierte Dualismus vita activa / vita contemplativa ein wesentliches Modell zur Erfassung menschlichen Daseins, das ein Thema von zeitloser Relevanz ist. Die Fragen, die sich aus diesem Modell ergeben, benennt Karl Enenkel wie folgt:

Welchen Lebensweg soll der Mensch wählen, welches Tätigkeits- oder Daseinsfeld, welchen „Beruf”; inwieweit hat er sich dem Dienst am Mitmenschen zu widmen, inwieweit soll er an der Gesellschaft teilnehmen, und inwieweit soll er sich von ihr, aus moralisch-spirituellen Gründen, distanzieren? Welchen räumlichen Aufenthaltsort (Stadt:Land) soll das Individuum aufsuchen, und welchen geistigen? Welche Wertponderation fällt der Arbeit zu und welche der freien Zeit? Auf welche Weise kann der Intellektuelle seine Position (seinen „Beruf”) innerhalb des Ganzen der Gesellschaft verteidigen? Welchen Wert besitzt die Bildung, in welchem Grad soll man sich diese zu eigen machen, und wie soll man mit ihr umgehen? Darf man sie z.B. zu Erwerbszwecken verwenden? Welche Rolle fällt der religiösen Komponente in der Lebensgestaltung zu und inwieweit affiziert sie die Wahl zwischen vita activa und vita contemplativa ?[1]

Enenkel bezieht sich hierbei auf Francesco Petrarcas Schrift De vita solitaria (1346–1356), die das erste humanistische Prosatraktat zum Problem vita activa / vita contemplativa darstellt und damit als erstes Werk der Renaissance die Legitimierungsprobleme der humanistischen Lebensweise widerspiegelt.[2] Dabei kann Petrarca (1304–1374) als Vorreiter der neuen „frei schwebenden” Intellektuellen gelten, wie sie in Europa in den kommenden Jahrzehnten vermehrt in Erscheinung treten sollten.

Thomas Morus (1478–1535) und seine Zeitgenossen stehen zwar nicht mehr unter einem derartigen Legitimierungszwang, denn die humanistische Lebensweise hat sich im Europa des frühen 16. Jahrhunderts etabliert und bildet nicht mehr die Ausnahme. Dennoch verliert die Diskussion um vita activa und vita contemplativa keinesfalls an Relevanz; im Gegenteil, die Beziehung zwischen Theorie und Praxis und die Frage, welcher der beiden der Vorrang zukommt, beschäftigt die Humanisten sehr, und für viele manifestiert sich der Dualismus in der Differenz zwischen humanistischer Theorie und politischer Praxis. Ein Standardthema der humanistischen Literatur bildet dabei die Fragestellung, ob die neue Bildungselite ihre Gelehrsamkeit in den Dienst eines Fürsten stellen sollte. Genau diese Frage behandelt auch Thomas Morus im ersten Buch seiner Utopia (1516). Von besonderem Interesse ist sein Beitrag deshalb, weil es ihm gelingt, das tradierte Problem vita activa / vita contemplativa differenziert und in seiner ganzen Bandbreite zu diskutieren, ohne je in eine gemeinplätzliche Behandlung des Themas zu verfallen. Den Konflikt zwischen politischer Aktion und gelehrter Kontemplation dramatisiert Morus dabei anhand der Morus-Persona und der Figur Raphael Hythlodaeus.

Die in der europäischen Renaissance eifrig geführte Auseinandersetzung mit dem Thema reflektiert zunächst das homozentrische Weltbild der Humanisten. Das binäre Modell entwickelt sich in der Renaissance zu einer exklusiven und von gegenseitigem Unverständnis geprägten Opposition. Dabei wird, an tradierte Denkmuster anknüpfend, die vita contemplativa vielfach als müßig und nutzlos stigmatisiert, während umgekehrt die vita activa als unrein, profan und eitel gebrandmarkt wird.[3] Die wichtigste Quelle der Befürworter einer politischen vita activa stellt Ciceros De officiis dar , und wie im Folgenden aufzuzeigen ist, spielt dieses Werk auch in der Argumentationsstruktur der Morus-Persona eine wichtige Rolle. Andere Humanisten wiederum berufen sich auf Platons Postulat, nach dem die Freiheit von öffentlichen Ämtern unabkömmlich für die Erlangung höchster Glückseligkeit ist.

Ausgehend von der Hypothese, dass Morus im ersten Buch der Utopia den zeitlosen Widerstreit zwischen vita activa und vita contemplativa problematisiert, ergibt sich die zentrale Fragestellung der vorliegenden Arbeit: Zu welchem Schluss gelangt Morus mit seinem Dialogue of Counsel hinsichtlich der Frage, ob und warum Philosophen in den Staatsdienst treten bzw. aus welchen Gründen sie dies unterlassen sollten? Zu welchem Ergebnis kommt Morus in der Behandlung des Problems vita activa / vita contemplativa; welche Lebensform wird als höherwertig dargestellt und mit welcher Begründung erfolgt dies? Von besonderem Interesse ist hierbei auch, welches Bild vom Philosophen mit dem ersten Buch der Utopia vermittelt wird. Dabei wird die These vertreten, dass Morus angesichts der Unvereinbarkeit von Philosophie und Realpolitik die Dialogpartner bewusst keine Einigung erlangen lässt und im Dialogue of Counsel keine endgültige Stellung bezieht, sondern vielmehr ein Dilemma konstatiert.

Um die oben skizzierte Relevanz und Tragweite des Themas aus humanistischer Sicht aufzuzeigen, muss jedoch zunächst eine begriffliche Klärung erfolgen (Kapitel 2.1), damit in einem nächsten Schritt die Besonderheiten des englischen Humanismus untersucht werden können (Kapitel 2.2). Dabei wird sich zeigen, dass die Diskussion des Themas vita activa / vita contemplativa immer auch ein Indiz für ein im Wandel begriffenes Verhältnis zwischen Macht und Geist darstellt. In Kapitel 2.3 wird untersucht, inwiefern der Konflikt zwischen Aktion und Kontemplation für Morus’ eigene Lebenswelt bedeutsam war; schließlich hatte er mehr als nur ein akademisches Interesse an dem im Dialogue of Counsel behandelten Problem. Da es sich bei dem Thema dieser Arbeit um ein ideengeschichtlich voraussetzungsvolles Thema handelt, erscheint es angebracht, in Kapitel 3 zunächst einen Überblick über die Geistesgeschichte des dualistischen Modells zu liefern. Mit Platon (Kapitel 3.1) und Aristoteles (Kapitel 3.2) werden die antiken Quellen des Modells aufgezeigt, wobei gerade Platon bei der Analyse des ersten Buches der Utopia zentrale Bedeutung erlangt. Schon Platon zeigt das ambivalente Verhältnis des Philosophen zur Politik auf. Aber erst mit Aristoteles’ Unterscheidung zwischen bios theoretikos und bios praktikos beginnt die – bis heute anhaltende – wertende Gegenüberstellung von Geistes- und Tatmensch. In der römischen Republik findet dann ein Paradigmenwechsel statt; das kontemplative Lebensmodell des Philosophen verliert seine Daseinsberechtigung fast gänzlich. Inwieweit Cicero dieser Entwicklung gegensteuert, zeigt Kapitel 3.3 dieser Arbeit. Mit Augustinus schließlich (Kapitel 3.4) wird ein kurzer Blick auf einen Theoretiker geworfen, der die Übernahme des antiken Denkmodells in die christliche Ethik markiert. Dabei wird deutlich, dass die Gegenüberstellung von vita activa und vita contemplativa dem christlichen Weltverständnis de facto zuwiderläuft. Mit Platon, Aristoteles, Cicero und Augustinus sind zugleich auch die wichtigsten Quellen der Renaissance-Humanisten benannt.[4]

Vor diesem geistesgeschichtlichen Hintergrund wird in Kapitel 4 untersucht, welche Haltung Thomas Morus hinsichtlich des tradierten Widerstreits der beiden konkurrierenden Lebensentwürfe einnimmt. Bevor jedoch die Dialogpartner und ihre jeweilige Argumentationsstruktur untersucht werden, wird in Kapitel 4.1 ein kurzer Blick auf das von Morus begründete literarische Subgenre der Utopie geworfen. Hierbei zeigt sich, dass die neuzeitliche Utopie ein intellektualistisches Konstrukt ist, das den verborgenen Wunsch des Theoretikers nach einer aktiven Wirklichkeitsgestaltung reflektiert. In Kapitel 4.2 werden die semifiktionalen Dialogpartner Morus und Aegidius untersucht; Kapitel 4.3 beleuchtet mit Raphael Hythlodaeus die zentrale Figur der Utopia. Dabei wird deutlich, dass Raphael vom Autor als idealtypischer Philosoph angelegt ist, der als solcher die ursprünglichste Form der vita contemplativa repräsentiert. Auch zeigt sich, dass die Figuren bereits die Grundzüge des sich erst zur Mitte des 16. Jahrhunderts vollständig entfaltenden Gentleman-Ideals aufweisen. Da der Gentleman sich durch eine weltläufige und lebenspraktische Grundhaltung auszeichnet, ergibt sich ein starker Kontrast zwischen den Dialogpartnern, der eine wirkungsvolle Inszenierung des Konflikts zwischen vita activa und vita contemplativa ermöglicht. In Kapitel 4.4. wird schließlich untersucht, inwieweit Morus im Dialogue of Counsel eine Bewertung der konkurrierenden Lebensmodelle vornimmt. Hier wird die These vertreten, dass Morus eine ambivalente Haltung zur diskutierten Frage der politischen Beratung hat und dass er sich einer verbindlichen Aussage bewusst enthält. Damit attestiert Morus im Dialogue of Counsel zugleich die Fremdheit des Philosophen in der Welt, die schon Platon im Gorgias und im Theaitetos behandelt.

Die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Thema vita activa / vita contemplativa hat eine lange Tradition. Die Hauptarbeit wurde dabei von den Altphilologen, Historikern und Theologen geleistet; entsprechend ist auch die Mehrzahl der Beiträge auf die griechisch-römische Antike und auf die Kirchen-väter bezogen. In der Anglistik liegen bislang keine grundlegenden Arbeiten zum Thema vor. Ein Grund dafür mag darin liegen, dass in der literaturwissenschaftlichen Forschung vielfach einzelne inhaltliche bzw. formale Aspekte eines Werkes untersucht werden, geistes- und kulturgeschichtliche Analysen jedoch eher die Ausnahme bilden. Speziell zur humanistischen Sichtweise fehlt es, auch in den anderen Fakultäten, an Untersuchungen.[5] Dies mag verwundern, denn wie bereits angedeutet wurde, handelt es sich bei dem Dualismus vita activa / vita contemplativa um einen literarischen bzw. moralistischen Topos, der für die Renaissance-Humanisten von großem Interesse war, weil er mit ihrer gesellschaftlichen Selbstverortung verknüpft war. Tiefer gehende Studien zu einzelnen Autoren bleiben dennoch die Ausnahme.[6] In Brian Vickers’ chronologisch geordneter Aufsatzkompilation Arbeit, Muße, Meditation[7] werden einzelne Phasen der geistesgeschichtlichen Entwicklung des Themas nachgezeichnet, tiefer gehende Untersuchungen können jedoch auch dort aufgrund des enormen zeitlichen Rahmens nicht geleistet werden. Eine umfassende Arbeit zum Thema vita activa / vita contemplativa bzw. zum Theorie-Praxis-Problem liefert Nicholas Lobkovicz mit seinem Standardwerk Theory and Practice.[8] In jüngerer Zeit ist zudem Wolfgang Vogls Aktion und Kontemplation in der Antike[9] zu nennen, das jedoch trotz der recht ausführlichen Behandlung des Themas hauptsächlich Origenes untersucht.

Für das Erkenntnisinteresse dieser Arbeit von Bedeutung ist der 1978 erschienene Aufsatz von Jack H. Hexter, Thomas More and the Problem of Counsel[10], in dem die Utopia erstmalig hinsichtlich des Problems der politischen Beratung untersucht wird. Dabei liegt der Fokus des Essays auf der Erkenntnis, dass Morus mit seinem Dialog ein moralisches Dilemma konstatiert; auf das Spannungsverhältnis zwischen den beiden dem Konflikt zugrunde liegenden Lebensmodellen wird jedoch nicht eingegangen.

Quentin Skinner deutet in dem Aufsatz Sir Thomas More’s Utopia and the Language of Renaissance Humanism[11] den Dialogue of Counsel zwar als Gegenüberstellung zweier konkurrierender Lebensauffassungen, kommt aber zu wesentlich anderen Schlüssen als die vorliegende Arbeit. Zudem analysiert er den Dialog primär unter rhetorischen Gesichtspunkten und geht auf den Konflikt zwischen vita activa und vita contemplativa nur am Rande ein.

Die Sekundärliteratur zu Thomas Morus’ Utopia ist nahezu unüberschaubar geworden, was nicht zuletzt daran liegt, dass die Utopia ein Schlüsselwerk sowohl der Literaturgeschichte Englands als auch der politischen Ideengeschichte ist. Jedoch ist festzustellen, dass das erste Buch von der Forschung vergleichsweise wenig beachtet worden ist. Die Beobachtung Russell Ames’, „the ‘Utopian’ second part seems to dominate the mind whenever Utopia is mentioned”[12], hat insofern – auch in Bezug auf die Sekundärliteratur – immer noch ihre Gültigkeit. Romuald Lakowski geht in seiner Dissertation[13] von 1993 davon aus, dass nicht mehr als zehn Prozent der Literatur sich ganz oder vorwiegend mit dem ersten Buch befasst. Insbesondere das hier zur Untersuchung an-stehende Thema, also die Behandlung des Problems vita activa / vita contemplativa bei Thomas Morus, wurde bislang noch nicht umfassend untersucht. Der Grund für die anhaltende Vernachlässigung des ersten Buches mag darin liegen, dass es vielfach nur als narrativer Rahmen und nicht immer in seinem Eigenwert als literarisches und philosophisches Werk gesehen wurde.

Für die vorliegende Arbeit wurde die von Jack H. Hexter und Edward Surtz besorgte kritische Ausgabe von 1965 benutzt, die auf der Baseler Edition von März 1518 basiert und bei Yale University Press als vierter Band der Complete Works of St. Thomas More erschien.[14] Die Yale-Ausgabe bildet nach wie vor die Standardausgabe der Utopia-Forschung, zugunsten einer besseren Lesbarkeit wird jedoch nicht der lateinische Originaltext zitiert, sondern die englische Übersetzung von Hexter und Surtz.

2 Thomas Morus und der englische Humanismus

2.1 Zum Begriff des Humanismus: Schwierigkeiten einer Definition

Mit dem Begriff des Humanismus wird auf eine Geisteshaltung oder geistige Bewegung verwiesen, die die Epoche der europäischen Renaissance kennzeichnet. Während es sich bei dem Begriff „Humanismus” um eine Prägung des 19. Jahrhunderts handelt, wird die Bezeichnung „Humanist” bereits im Italien des 14. Jahrhunderts verwendet, und zwar als Bezeichnung für die akademischen Lehrer, die den Stellenwert der Rhetorik und Grammatik im universitären Curriculum erhöhten.

Obwohl der Humanismus das Denken der europäischen Intellektuellen des 15. und 16. Jahrhunderts nachhaltig prägte, fällt es noch immer schwer, eine tragfähige Definition dessen zu liefern, was Humanismus im Einzelnen beinhaltet, weist er doch in verschiedenen Phasen und verschiedenen Regionen unterschiedliche Ausprägungen auf. Eine übergreifende normative Ausrichtung kann aus heutiger Sicht nicht festgestellt werden. Jonathan Woolfson beschreibt die Problematik folgendermaßen:

Whilst areas of disagreement continue to exist, the dominant historiographical consensus now rarely considers Renaissance humanists to have espoused […] a particular moral, philosophical or religious message: the classical world as it came to be available to the Renaissance was simply too capacious and wide-ranging for that [...]. Humanism as a whole, then, was an educational and rhetorical programme, a vision about learning and what learning should be, a method for intellectual and scholarly exploration and discovery, a powerful and immensely flexible vehicle for the expression of many things, all of this predicated on a partially recoverable ancient world.[15]

Über regionale und zeitliche Grenzen hinweg lässt sich als Gemeinsamkeit vor allem ein gewisser Kulturoptimismus ausmachen, der sich in der Grundannahme manifestiert, dass sich der Mensch, mit dem richtigen Bildungsprogramm versehen, zu etwas Gutem formen lasse. Dabei werden „Sprache und Sprachlichkeit [...] als wesentliche Kennzeichen des Menschen sowie als Konstitutiva des Denkens und Weltbezugs thematisiert.”[16] Inhaltlich zeichnet sich der Renaissance-Humanismus – neben dem neuen Blick auf den Menschen als vernunftbegabtes und gestaltendes Wesen – durch den Rekurs auf die Literatur und Philosophie der klassischen Antike aus. So besteht die humanistische Betätigung im Sammeln, Übersetzen, Herausgeben, Kommentieren und Weiterentwickeln griechischer und römischer Texte und Ideen. An die Stelle der mittelalterlich-scholastischen Konvention der an Logik orientierten Kommentare setzten die Humanisten die antiken Texte selbst. Die unter dem Begriff des new learning zusammengefasste Methodik beinhaltete zudem „neue” rhetorische Literaturformen wie den Dialog, den Brief oder die essayistische Abhandlung.[17]

Die Humanisten der frühen Neuzeit trugen durch ihre Übersetzungen wesentlich zur Ausbildung der nationalen Sprachen und Literaturen bei. Paul Johnson spricht diesbezüglich vom

zentralen Paradox der Renaissance: So war ihr Anliegen die Wiederentdeckung und das Verstehen der alten griechischen und lateinischen Texte sowie das Schreiben eines eleganten Latein. Gleichzeitig ging es aber auch um das Reifen, das Ordnen und das Verwenden der Volkssprachen [...].[18]

Als Begründer und geistiger Mittelpunkt des Humanismus wird häufig Francesco Petrarca genannt. Ihm ging es primär um die Wiederentdeckung der antiken Autoren, vor allem Ciceros, und wenn er auch nicht als erster dafür eintrat, so doch auf entschiedene und nachhaltige Weise. Schon ein bis zwei Generationen später empfand man, dass mit ihm ein neues Zeitalter begonnen hatte, das direkt an die Antike anknüpfte.[19] Italien, insbesondere Florenz, Padua und Bologna, war das Zentrum der humanistischen Bildung. Mit einiger Ver-zögerung entfaltete sich der Geist des Humanismus in weiteren Staaten Europas. Gelehrte aus ganz Europa reisten nach Italien, um sich dort unterrichten und inspirieren zu lassen. Als zentrale Figur des Humanismus nördlich der Alpen gilt Erasmus von Rotterdam (1469–1536), den mit Thomas Morus eine lebenslange Freundschaft verband.

Durch die neuen Möglichkeiten des seriellen Buchdrucks entstand eine intellektuelle Streitkultur, in der Diskussionen über theologische, ethische und politische Fragen erstmals über den engen Kreis der Gelehrten hinaus öffent-liche Beachtung fanden. Dennoch blieb der Renaissance-Humanismus im Kern eine elitäre Bewegung. So schreibt Douglas Bush in seiner grundlegenden Monographie über den englischen Humanismus: „Humanism has a bond of union with scholasticism, for both originated in anti-democratic and anti-heretical impulse.”[20] Die auf Petrarca zurückgehende und noch heute verbreitete Wahrnehmung der frühen Neuzeit als eine Zeit des Erwachens aus den be-drückenden dark ages ist deshalb zu hinterfragen. Bereits 1939 kritisierte Bush die Inszenierung einer Polarität von Mittelalter und Renaissance: „[But] the more serious fault of serious historians has been the drawing of picturesque contrasts between the religiosity of the Middle Ages and the paganism of the Renaissance.”[21] Dass diese Gegenüberstellung stark überzeichnet ist, zeigt sich am Beispiel Englands, denn gerade dort präsentierte sich der Humanismus als eine Synthese aus griechisch-römischer Ethik und katholischer Glaubenslehre. Zudem entwickelte sich das humanistische new learning parallel zur mittelalter-lichen Scholastik und innerhalb der traditionellen Institutionen, also der Universitäten und kirchlichen Institutionen. Thomas Morus’ Utopia (1516) wird generell als das beste Beispiel für den christlichen Humanismus englischer Prägung empfunden.

2.2 Der englische Humanismus im europäischen Kontext

Der Lebensweg des Thomas Morus (1478–1535) vollzog sich vor dem Hintergrund einer sich konsolidierenden Tudor-Monarchie. Als Morus sieben Jahre alt war, starb Richard III., den er später in seinem biographischen Werk The History of King Richard the Thirde als Verkörperung eines grausamen Tyrannen darstellte.[22] Die darauf folgende Thronbesteigung Henry Tudors (1491–1547) markierte das Ende der Rosenkriege und begründete die Herrschaft des Hauses Tudor. Als Henry VII. nach 24-jähriger Regierungszeit starb, wurde sein zweitältester Sohn 1509 als Henry VIII. zum neuen König gekrönt.

Mit ihm gelangte ein theologisch und humanistisch gebildeter Thronfolger an die Macht. Als er knapp achtzehnjährig den englischen Thron bestieg, wurde er von den Humanisten als einer der ihren bejubelt.[23] Zu Beginn seiner Regentschaft stellte die gebildete Öffentlichkeit hohe Erwartungen an ihn. So rühmte ihn John Fisher, Kanzler der Universität Cambridge, als den „Retter der Bildung in England”, und noch 1517 schrieb Erasmus an Heinrich VIII.: „Scarcely a day passes in which you do not devote some portion of your time to reading books, enjoying the society of those philosophers of old who flatter least of all men.”[24] In seiner 1998 erschienenen Monographie über Thomas Morus schreibt Peter Ackroyd:

Not much older than the century itself, Henry might be considered to be the king for a new age of restored piety and scholarship. There seemed every reason to believe he would patronise the new learning and, more importantly, maintain the peace and stability in which such learning could flourish. It is hard to think of any other century, or reign, in England which opened with such hopes.[25]

Heinrich VIII. wurde als Befreier des englischen Volkes aus der Unter-drückung gefeiert. Auch Thomas Morus teilte die Hoffnungen, die seine Zeit-genossen in den neuen König setzten, wie der Anfang seines fast 200 Zeilen umfassenden coronation poem veranschaulicht:

If ever there was a day, England, if ever there was a time for you to give thanks to those above, this is that happy day, one to be marked with a pure white stone and put in your calendar. This day is the limit of our slavery, the beginning of our freedom, the end of sadness, the source of joy, for this day consecrates a young man who is the everlasting glory of our time and makes him your king – a king who is worthy not merely to govern a single people but singly to rule the whole world – such a king as will wipe the tears from every eye and put joy in the place of our long distress. Every heart smiles to see its cares dispelled, as the day shines bright when clouds are scattered. Now the people, freed, run before their king with bright faces. Their joy is almost beyond their own comprehension. They rejoice, they exult, they leap for joy and celebrate their having such a king. „The King” is all that any mouth can say.[26]

Und so war Heinrich VIII. in der Tat anfänglich ein entschiedener Förderer des Humanismus und des mit diesem einhergehenden gesellschaftlichen Wandels.[27] In seiner Bildungsgeschichte des europäischen Humanismus schreibt Günther Böhme, der „etwas rührend anmutende Glaube der Humanisten, der tatsächlich hochgebildete Heinrich VIII. könnte so etwas wie eine humanistische Renaissance und einen Humanistenhof nach florentinischem Muster in England einbürgern”, sei „utopisch, doch offensichtlich nicht ganz grundlos” gewesen.[28]

Im Laufe seiner fast vierzigjährigen Herrschaft entsprach Heinrich VIII. dem humanistischen Ideal des „Gelehrten an der Macht” jedoch immer weniger. Er wurde bekannt für seine Eifersucht und seinen Jähzorn, und schon der geringste Verdacht der Untreue reichte ihm aus, um ein Todesurteil auszusprechen und vollstrecken zu lassen.[29] Mit seinen Kriegen gegen Frankreich und Schottland orientierte er sich schon bald nach Beginn seiner Regentschaft nicht mehr am humanistischen Ideal des Pazifismus,[30] so dass die großen Hoffnungen der Humanisten rasch enttäuscht wurden:

It is not coincidental that, at this time, the men who espoused learning and piety condemned war as the greatest of all social evils; Colet and Warham delivered sermons in praise of the pleasures of peace, while Erasmus’s lamentations could also be heard in Moriae encomium [ Praise of Folly ]. But the twenty-one-year-old king was more enamoured of conquest than of learning; in the space of two or three years, he had disappointed the extravagant hopes that the humanists had placed in him.[31]

Gleichwohl bildeten die ersten Regierungsjahre Heinrichs die Blütezeit des englischen Humanismus. Der Beginn des Renaissance-Humanismus in England wird oft auf das Jahr 1490 datiert. In diesem Jahr hielt der Kleriker William Grocyn (1449–1519), von einem dreijährigen Aufenthalt in Italien zurückgekehrt, erstmals öffentliche Vorlesungen über die griechische Sprache und Literatur an der Universität Oxford.[32] Zu seinen Schülern zählten Thomas Morus, John Colet (1467–1519) und später auch Erasmus. 1499 reiste Erasmus auf Einladung Colets nach Oxford und schrieb wenig später an einen Freund: „It is marvellous to see what an extensive and rich crop of ancient learning is springing up here in England [...].”[33]

Zu dem Personenkreis, auf den Erasmus sich mit dieser Aussage bezog, zählten neben William Grocyn auch John Colet, der durch seine Neuinterpre-tation der Korinther-Briefe Berühmtheit erlangte. Zusammen mit Thomas Linacre (1460–1524), angesehen unter anderem wegen seiner lateinischen Grammatiken, und William Lily (1468–1522), der die St. Paul’s School zu einer der einflussreichsten humanistischen Lehrstätten Englands machte,[34] waren dies die zentralen Figuren für die Herausbildung des Humanismus in England.[35] Zu diesem Gelehrtenkreis, der sich Ende des 15. Jahrhunderts in London bildete, zählte bald auch Thomas Morus. Peter Ackroyd bemerkt dazu:

Two salient characteristics of his friends are […] relevant; they all took religious orders and all had spent some years in Italy or Greece as part of their scholarly training. So Thomas More was the exception among them; he was much younger, a student of the law and a layman apparently dedicated to a lay career.[36]

Neben ihrer religiösen Grundhaltung zeichneten sich die englischen Humanisten durch ihren dezidiert pädagogischen Anspruch aus. Charakteristisch für den Tudor Humanism, wie ihn Morus und sein Kreis repräsentierten, war eine pragmatische Grundhaltung. Mehr noch als beim kontinentaleuropäischen Humanismus stand hier die praktische Anwendung des antiken Wissens im Mittelpunkt; ging es in England doch vor allem darum, die geistigen Errungenschaften der Antike für die zeitgenössische Gesellschaft nutzbar zu machen. Auch Douglas Bush betont die utilitaristische Ausrichtung Morus’ und seiner Zeitgenossen, wenn er schreibt:

The broad aim of Tudor humanism was training in virtue and good letters; the practical aim was training for the active Christian life, especially public life. Erasmus and More and their followers did not investigate the coinage or the grammar of the ancients, they sought to make the rational wisdom of antiquity supplement the teaching of Christ. The Praise of Folly and Utopia, The Governour and The Scholemaster remain living books. All the English humanists, like the majority of continental ones, regarded classical learning as a means, not an end, and their energies were given to education. They wished to produce citizens and statesmen, not scholars [...]. From More to Milton the writings of English humanists were chiefly on public affairs, education, and religion [...]. Classical scholars pure and simple have always been rare accidents in England.[37]

Der Glaube stand diesem Vorhaben keinesfalls im Wege – die Ethik der Antike wurde von Thomas Morus und seinen humanistischen Mitstreitern vielmehr als gleichberechtigte Ergänzung zur christlichen Lehre verstanden. Die von Morus und seinem Kreis vollzogene Verbindung von Katholizismus und griechisch-römischer Ethik war insofern außergewöhnlich als die Mehrheit der Katholiken an der mittelalterlichen Scholastik festhielt und sich dem new learning nur wenig aufgeschlossen zeigte.[38]

Dass die humanistische Bildung im Europa des fünfzehnten und sechzehnten Jahrhunderts derart florierte, lag nicht zuletzt auch am Wohlwollen der Fürsten,[39] wobei die Beziehungen zwischen Fürsten und Intellektuellen jedoch reziprok waren, denn „die Humanisten bedurften ebenso der Patronage durch die Herrscher, wie die Herrscher den Rat der Humanisten benötigten, wie Erasmus und Budé in zwei Abhandlungen über die Fürstenerziehung ausführten.”[40]

Heinrich VIII., wie zuvor schon sein Vater, war sich der Vorteile bewusst, gebildete Männer in Lohn und Brot zu stellen, die in ihren Werken die Tudor-Dynastie feierten und, wenn nötig, die königliche Position in außenpolitischen Angelegenheiten mündlich oder schriftlich darlegten. Für diese Aufgaben boten sich die in Rhetorik sorgfältig geschulten Humanisten in besonderer Weise an. Zu den humanistischen Gelehrten, die sich am Hof des jungen Heinrich bewegten, zählten John Colet, Thomas Linacre, William Lily, Cuthbert Tunstall, Richard Pace und, ab 1517, Thomas Morus. Überhaupt waren die englischen Humanisten eher am Hof als an den Universitäten anzutreffen, worauf unter anderem auch Erasmus hinwies.[41]

Der Gedanke, dass ein Herrscher nur mit Hilfe guter Beratung seine Aufgaben und Pflichten erfüllen könne, lässt sich bis in die Antike zurückverfolgen. Dem platonischen Ideal des Philosophenkönigs folgend, sahen die Humanisten, allen voran Erasmus, die Notwendigkeit, die zum Regieren bestimmten Mitglieder der Gesellschaft durch eine Synthese aus christlicher Ethik und klassischer Gelehrsamkeit moralisch zu verbessern. „Statt selbst Könige zu werden, werden die Philosophen Lehrer und Ratgeber von Königen und hoffen, so durch ihren Einfluß indirekt das zu erreichen, was Platon unmittelbar erreichen wollte.”[42] In seiner Biographie über Morus schreibt Richard Marius:

Both More and Erasmus believed that a good education disciplined life and led to virtue. Humanist reform aimed at spreading education to rulers of both the church and the secular government in hopes that the good effects of sound learning would trickle down to the rest of the society and purify the whole. It was an authoritarian concept, suitable for an authoritarian age: make the people at the top good, and they will force or cajole or inspire others to be good, too.[43]

Die englischen Humanisten übernahmen die erasmischen Ideen weitgehend und passten sie dem englischen Kontext an, was in ihren Bemühungen resultierte, einen konkreten Bildungsplan für die Jugend auszuarbeiten. Auch wurde auf Betreiben der Humanisten Bildung zunehmend zu einer zentralen Voraus-setzung für Amtsinhaber und Thronanwärter. Demnach musste der Fürst zum guten Herrscher erst erzogen werden, und die Erziehung der Fürsten oblag den Humanisten – so arbeitete beispielsweise Thomas Linacre als Lateinlehrer der jungen Mary Tudor und John Skelton (1460?–1529), poeta laureatus der Universität Oxford, als Erzieher des späteren Heinrich VIII.

Vor diesem Hintergrund wird verständlich, dass die antike Tradition der Fürstenspiegel in der frühen Neuzeit neue Relevanz erlangte. Im Fürstenspiegel (speculum principis), dessen literarische Form vielgestaltig ist, werden Grundsätze und Regeln für die Erziehung und das tugendhafte Verhalten angehender Herrscher niedergelegt. Vielfach wird neben dem Idealbild eines Herrschers auch das Bild einer idealen Staatsverfassung gezeichnet. Mit seiner Utopia knüpfte auch Morus an diese literarische Tradition an.

In den Fürstenspiegeln des frühen 16. Jahrhunderts manifestiert sich der humanistische Grundgedanke, dass „eine Umgestaltung der Gesellschaft und der staatlichen Verwaltung eine Erziehung derer verlangte, die dafür Verantwortung zu tragen haben.”[44] Dabei können besonders die Fürstenspiegel der Renaissance als

eine mehr oder weniger subtile Strategie der Intellektuellen begriffen werden, vermittels derer sie auf die Herrscher Einfluß zu gewinnen suchen, worin sie mit den Juristen und Beratern des Beamtenstaates, den Adligen der Hofgesellschaft und nicht zuletzt mit den Theologen, die als Beichtväter der Fürsten fungierten, konkurrierten.[45]

Am Ende seiner Blütezeit bringt der englische Humanismus ein spezifisch englisches Phänomen hervor, nämlich die Gestalt des Gentleman „in der unverwechselbaren Mischung von Weltläufigkeit und Bildung, von Distanz zur Umwelt und Wirklichkeitssinn, diese speziell englische Prägung des ‘Hofmannes’ durch die Mitwirkung in öffentlichen Geschäften und den kühlen Abstand im Individu-ellen.”[46] Paradigmatisch für dieses neue englische Selbstverständnis und Selbstbewusstsein wird Thomas Elyots Traktat The Boke Named the Governour (1531). Im Boke findet die entschiedene Wendung vom schieren Buchgelehrten zu der Bildung weltoffener Herren”[47] ihren Ausdruck. Elyot trägt damit maß-geblich zur Herausbildung des Gentleman-Ideals bei. Die Lebensform des Gentleman ist „das Produkt eines Humanismus, der lebenspraktisch wird und die Gelehrsamkeit der Universitäten nicht mehr zum Selbstzweck werden läßt.”[48] Obwohl zu Morus’ Lebzeiten nur eine kleine Elite überhaupt an der humanistischen Bewegung beteiligt war, wurde humanistisches Gedankengut auf diese Weise „zu einem wirkungskräftigen Bestandteil im gesellschaftlichen Denken der Tudorzeit”[49], was in künstlerischer Hinsicht jedoch erst im elisabethanischen Zeitalter voll zum Tragen kommen sollte.[50]

Insgesamt bleibt festzuhalten, dass sich der englische Humanismus vor allem durch seinen utilitaristischen Ansatz und seinen christlichen Impetus auszeichnet. Dabei waren die englischen Humanisten vergleichsweise wenig radikal in ihren Ideen, wie bereits Bush herausstellt:

„Nearly all the Englishmen who went to Italy to study or had connections with Italian humanists were churchmen, and the increasing strength of the classical revival did not fundamentally alter their religious habits of life and thought [...]. Whatever neo-paganism flourished in Italy, these men did not seek it or acquire it.”[51]

Diese Beobachtung gilt insbesondere auch für Thomas Morus, der sein Leben lang gleichermaßen überzeugter Humanist und überzeugter Katholik war. Es ist Dietmar Herz darin zuzustimmen, dass das Denken Thomas Morus’ „ohne Kenntnis seiner Biographie kaum zu erschließen” ist.[52] Zwar müssen literarische Werke grundsätzlich für sich selbst stehen; der biographische Hintergrund darf für die Deutung eines Werkes zunächst keine Rolle spielen. Eine Ausnahme von dieser Regel kann jedoch für Utopia gelten, denn bei Morus sind Leben und Werk eng miteinander verknüpft.

2.3 Thomas Morus: „The king’s good servant, but God’s first”

„An acquaintance with More’s life and an understanding of his stance in controversy is not something extraneous to an intelligent reading of Utopia: it is essential to its correct interpretation.”[53] Bezogen auf den Dialogue of Counsel des ersten Buches der Utopia offenbart sich diese Erkenntnis darin, dass Thomas Morus hier ein ihn unmittelbar bedrängendes Problem literarisch umsetzte: die Frage, ob ein humanistischer Gelehrter als Berater an einen Fürstenhof gehen sollte. Diese Frage stellte sich für Morus konkret etwa ab 1515, als ein Eintreten in den königlichen Dienst aufgrund seiner erfolgreichen öffentlichen Laufbahn zunehmend wahrscheinlich wurde. Morus war aber nicht der einzige, dem sich diese Frage stellte. Denn wie bereits deutlich wurde, traten im Europa des frühen 16. Jahrhunderts viele Humanisten in den Dienst eines Fürsten – einerseits, weil den Humanisten an einer grundlegenden Erneuerung der Politik und Gesellschaft gelegen war, andererseits aber auch aus der schlichten Notwendigkeit, ihren Lebensunterhalt und ihre studia humanitas zu finanzieren. Kurzum, die Macht hatte eine ungemein attraktive Wirkung auf den Geist.

Obwohl Morus selbst kein Buchgelehrter wie etwa Erasmus war, benennt er doch deutlich den der Renaissance inhärenten Grundkonflikt zwischen Humanismus und Realpolitik, zwischen Theorie und Praxis, wenn er 1516 an Erasmus schreibt: „I feel as though I had lost one-half of myself in Pace, and the other half in you.”[54] Hier spielt Morus auf die beiden gegensätzlichen Ausprägungen humanistischen Daseins an, die er auch in seiner Person erkennt: einerseits die Lebensform des königlichen Sekretärs Richard Pace (ca. 1482–1536), andererseits die des ungebundenen scholar Erasmus. Aber auch in anderer Hinsicht tritt der Konflikt zwischen vita activa und vita contemplativa in Morus’ Biographie hervor, denn er kann sich lange Zeit nicht zwischen der priesterlichen und der weltlichen Daseinsform entscheiden.[55]

Thomas Morus wuchs in einer wohlhabenden und einflussreichen Londoner Juristenfamilie auf. Er besuchte die renommierte St Anthony’s Grammar School und übte sich schon früh in Rhetorik, war es doch fester Bestandteil des Lehrplans, dass die Schüler vorgegebene Themen sowohl mündlich als auch schriftlich kontrovers diskutierten.[56] Im Alter von zwölf Jahren wurde er als Page in den Haushalt von John Morton, dem Erzbischof von Canterbury und Lordkanzler von England, geschickt.[57] Im Herbst 1492 verschaffte Kardinal Morton ihm ein Stipendium für das Canterbury College der Universität Oxford. Das College wurde von Benediktinern geleitet und galt allgemein als eine gute Vorbereitung für eine kirchliche Laufbahn.[58] Morus war vierzehn Jahre alt, seinerzeit ein normales Eintrittsalter für die Universität. Warum er Oxford nach nur zwei Jahren des Studiums verließ, bleibt unklar: „[...] it has been suggested that he was the unfortunate object of his father’s ambition; according to this theory John More insisted upon his son following a legal career like his own, thereby foresaking the academic delights of the college library and the dangerous ‘new learning’”.[59] Ob er nun aus eigenem Willen oder auf Wunsch John Mores wechselte, sei dahingestellt, jedenfalls betrat Morus 1494 das angesehene Londoner New Inn und studierte Rechtswissenschaften, wie einst sein Vater.

Von 1499 bis 1503, während seiner praktischen juristischen Ausbildung, lebte Morus als Gast in einem Kloster der Kartäuser nahe London.[60] Richard Marius geht in seiner Biographie davon aus, dass Morus in den Jahren zwischen 1501 und 1505 von einer Krise heimgesucht wurde, die Marius unter dem Titel „Priesthood or Marriage” subsumiert.[61] Es gilt als sehr wahrscheinlich, dass Morus seinerzeit ein Leben als Mönch in Betracht zog und sich bei den Kartäusern im Lebenswandel des Mönches übte. In seinem Lyfe of Sir Thomas Moore, Knighte berichtet Morus’ Schwiegersohn und erster Biograph William Roper: „[More] gave himself to prayer and devotion in the Charterhouse of London, religiously living there, without vow, about four years [...].”[62] Erasmus schreibt diesbezüglich: „And all the time he applied his whole mind to the pursuit of piety, with vigils and fasts and prayer and similar exercises preparing himself for the priesthood.”[63] Vieles deutet also darauf hin, dass Morus während dieser Zeit die kontemplative Lebensweise des Priesters für sich in Betracht zog, „and nor did anything stand in the way of his devoting himself to this kind of life, except that he could not shake off the desire to get married.”[64] Richard J. Schoeck konstatiert die „schizophrenic nature” dieser Lebensphase:

Yet it is remarkable that More possessed the energy to continue his life of the law together with the spiritual living of the Charterhouse. But as if that were not enough, – the energy and schizophrenic nature of those years – More also worked hard at Latin studies […] and he deepened his Greek studies under the direction of his friend Linacre. He was moving further and more deeply into the textual community of the humanists.[65]

Erst 1505 entschied Morus sich gegen das klösterliche Dasein und für ein bürgerliches Leben; er heiratete Jane Colt und ließ sich als Anwalt in London nieder. Gleichwohl wurde das asketische Leben des Kartäuser-Ordens für Morus zu einem Modell, an dem er sich in seinem weiteren Leben orientierte und das sich auch in der Utopia widerspiegelt. Auch Dietmar Herz erkennt in der Utopia den Versuch,

ein Morus beschäftigendes Grundproblem wenn nicht zu lösen, so doch zu diskutieren: den Widerspruch zwischen einem Leben der Kontemplation und der (notwendigen) Vorbereitung auf die nach dem Tode zu erwartende wahre Existenz auf der einen Seite und dem aktiven politischen Leben im Dienst eines Fürsten und um der Wohlfahrt der Mitmenschen willen auf der anderen Seite [...]. Das Buch ist Teil einer langen Diskussion um die Stellung des gläubigen Christen in der Welt.[66]

Morus’ vita contemplativa ist also nicht primär die des Gelehrten, sondern vielmehr die des Priesters. In seiner lebenslangen Affinität zur mönchisch-asketischen Lebensform gleicht er seinem Vorbild Giovanni Pico della Mirandola (1463–1494). Zu diesem Aspekt schreibt Jack H.Hexter:

Rejecting the slack rein with which the Church guided the lives of worldlings, many laymen imposed on themselves a stern control and discipline. Such were Pico and More – Pico who scourged himself, giving “alms of his own body”, who sold his principality and gave most of the proceeds to the poor, and who held earthly things in contempt; More, who, as a chancellor of England wore a hair shirt. Both were strongly drawn to what the Roman Church held to be the highest calling for men disposed as they were – the monastic life.[67]

[...]


[1] Francesco Petrarca, De vita solitaria, Buch I: Kritische Textausgabe und ideengeschichtlicher Kommentar (Leiden u.a. 1990). Siehe Einleitung von Karl Enenkel, Seite XIX.

[2] Karl Enenkel, „Die humanistische vita activa/vita contemplativa/Diskussion: Francesco Petrarcas De vita solitaria”, in: Rhoda Schnur (Hg.): Acta Conventus Neo-Latini Hafniensis (Binghamton 1994), S. 249-257, hier S. 249. – Petrarca stellt dabei die unglückliche, gehetzte vita aulica des Höflings der in sich ruhenden und glücklichen vita solitaria des Gelehrten gegenüber. De vita solitaria galt für die europäischen Gelehrten des 14. bis 16. Jahrhunderts als unumgängliche Lektüre, vgl. hierzu Einleitung von Karl Enenkel zu De vita solitaria, S. XVII.

[3] Vgl. Brian Vickers, Arbeit, Muße, Meditation: Betrachtungen zur Vita activa und Vita contemplativa (Zürich 1985), S. 6.

[4] Bezüglich der gesamten Geistesgeschichte des Begriffspaares, die an dieser Stelle nicht aufgearbeitet werden kann, ist anzumerken, dass nicht zufällig die meisten Autoren die kontemplative Lebensweise höher bewerten, da sie schlichtweg pro domo sprechen.

[5] Hinsichtlich des englischen Humanismus sei auf C.A.L. Jarrott verwiesen, The English Humanists’ Use of Cicero’s ‘De officiis’ in their Evaluation of the Active and the Contemplative Life (Stanford 1954). Zu nennen ist auch Brian Vickers' Aufsatz „Public and Private Life in Seventeenth-Century England: The Mackenzie-Evelyn Debate”, in: ders., Arbeit, Muße, Meditation (Zürich 1985), der im Kern jedoch ein spezialisiertes Interesse verfolgt. Einen Überblick liefert Paul Oskar Kristeller mit seinem Aufsatz „The Active and the Contemplative Life in Renaissance Humanism”, beschränkt sich hierbei allerdings auf die italienische Renaissance. Vgl. Paul Oskar Kristeller, „The Active and the Contemplative Life in Renaissance Humanism”, in: Brian Vickers (Hg.): Arbeit, Muße, Meditation.

[6] Die humanistische Debatte um vita activa et contemplativa erreicht in England mit Thomas Starkeys A Dialogue between Reginald Pole & Thomas Lupset (1536) einen weiteren Höhepunkt. Aber auch hierzu fehlt es immer noch an grundlegenden Untersuchungen. Zu nennen ist lediglich Thomas Mayers Thomas Starkey and the Commonweal: Humanist Politics and Religion in the Reign of Henry VIII (Cambridge 1989). Zur – wesentlich besser erforschten – italienischen Renaissance sei auf die relativ knappe, aber sehr präzise Untersuchung Karl Enenkels verwiesen (siehe Fußnote 2). An umfassenden Studien zu nennen ist Ursula Rombach, Vita activa und Vita contemplativa bei Cristoforo Landino (Stuttgart 1991) sowie, aus kunstgeschichtlicher Perspektive, Florian Matzner, Vita activa et Vita contemplativa: Formen und Funktionen eines antiken Denkmodells in der Staatsikonographie der italienischen Renaissance (Frankfurt a. M. 1994).

[7] Brian Vickers (Hg.): Arbeit, Muße, Meditation (Zürich 1985).

[8] Nicholas Lobkovicz, Theory and Practice: History of a Concept from Aristotle to Marx (Notre Dame 1967). Zur Begrifflichkeit siehe auch Hannah Arendt, Vita activa oder Vom tätigen Leben (München 2002), S. 22-27.

[9] Wolfgang Vogl: Aktion und Kontemplation in der Antike: Die geschichtliche Entwicklung der praktischen und theoretischen Lebensauffassung bis Origenes (Frankfurt a. M. u.a. 2002).

[10] Jack H. Hexter, „Thomas More and the Problem of Counsel”, in: Michael J. Moore (Hg.): Quincentennial Essays on St. Thomas More (Albany 1978), S. 55-66.

[11] Quentin Skinner, „Sir Thomas More’s Utopia and the Language of Renaissance Humanism”, in: Anthony Pagden (Hg.): The Languages of Political Theory in Early-Modern Europe, S. 123-157.

[12] Russell Ames, Citizen Thomas More and his Utopia (Princeton 1949), S. 4.

[13] Vgl. Romuald Ian Lakowski, The Dialogue in Book I of Utopia, http://www.shu.ac.uk/ emls/iemls/work/chapters/lakowski.html, S. 9, Abruf am 12.10.2005. Tatsächlich kann Lakowski als der erste gelten, der den Dialog des ersten Buches einer detaillierten Analyse unterzieht.

[14] Thomas Morus, The Complete Works of St. Thomas More, Band 4: Utopia, J.H. Hexter und Edward Surtz (Hg.) (Yale 1965).

[15] Jonathan Woolfson, Reassessing Tudor Humanism (New York u.a. 2002), S. 2f.

[16] Herfried Münkler und Marina Münkler, Lexikon der Renaissance (München 2000), Eintrag „Humanismus/Humanisten”, S. 153-171, hier S. 153.

[17] „Den nicht zu leugnenden Verlust an theoretischer Systematik und Stringenz sahen die Humanisten mehr als wettgemacht durch eine den Menschen zur Zustimmung und zum rechten Handeln bewegende Eloquenz”, siehe: Hans Fenske et al. (Hg.), Geschichte der politischen Ideen (Frankfurt a. M. 2004), S. 168.

[18] Paul Johnson, Die Renaissance (Berlin 2002), S. 35.

[19] Eckhard Kessler, Das Problem des frühen Humanismus: Seine philosophische Bedeutung bei Coluccio Salutati (München 1968), S. 12-13.

[20] Douglas Bush, The Renaissance and English Humanism (Toronto 1939), S. 24 – Ähnlich verweist auch Ralph Keen auf den elitären Charakter der Bewegung: „The Renaissance return to classical antiquity was a movement away from particular vernacular cultures; it was an attempt to create an international elite community, intellectually independent of the more mundane world in which its participants existed.” Siehe Ralph Keen, „Humanism and the Reformation in Controversy”, in: Uwe Baumann und Hermann Boventer (Hg.): Europa: Wiege des Humanismus und der Reformation (Frankfurt a.M. 1997), S. 11-28, hier S. 13.

[21] Bush, The Renaissance and English Humanism, S. 28.

[22] Shakespeares Darstellung Richards III. im gleichnamigen Königsdrama basiert weitgehend auf Morus’ Darstellung. Morus hat somit maßgeblich dazu beigetragen, dass Richard von der Nachwelt als Inbegriff des skrupellosen Tyrannen wahrgenommen wurde.

[23] Vgl. Münkler, Lexikon der Renaissance, Eintrag „Heinrich VIII.”, S. 144-147, hier S. 144.

[24] Erasmus, „Letter No. 657”, in: Collected Works of Erasmus, Band 5: The Correspondence of Erasmus – Letters 594 to 841, 1517 to 1518 (Toronto u.a. 1979), S. 109.

[25] Peter Ackroyd, The Life of Thomas More (London 1999), S. 127. – Verständlich wird diese Erwartungshaltung, wenn man sich vergegenwärtigt, wie unzufrieden das englische Volk zuletzt mit Heinrich VII. war. In seiner Biographie Heinrichs VIII. schreibt Jasper Ridley über dessen Vorgänger: „Heinrich VII. wurde immer unbeliebter [...]. Heinrichs Regierung wurde gegen Ende noch straffer. Die Bevölkerung klagte bitter über die hohen Steuern. Noch unbeliebter war die Angewohnheit Heinrichs und seiner Minister, wohlhabende Untertanen eines Vergehens zu beschuldigen und ihnen dann als Sicherheitsleistung oder Bürgschaft für ihr gutes Benehmen einen hohen Geldbetrag abzuverlangen.“ Siehe Jasper Ridley, Heinrich VIII.: Eine Biographie (Zürich 1990), S. 33.

[26] Thomas Morus, „Latin Poem Nr. 19”, in: The Complete Works of St. Thomas More, Band 3, Teil 2: Latin Poems, S. 100-111, hier S. 101. Morus' Krönungsgedicht unterscheidet sich insofern von den konventionellen Elogen als er darin deutliche Kritik am verstorbenen Heinrich VII. äußert. Dass Morus Heinrich VIII. als Heilsbringer darstellt, erklärt sich auch dadurch, dass Heinrich VII. ihm keine große Wertschätzung entgegengebracht hatte – im Gegenteil: „For some reason, the circle of younger humanist scholars including More, Linacre, Erasmus, Ammonio, and Colet had been distinctly ‘out’ during Henry VII’s reign.” Siehe Alistair Fox, Politics and Literature in the Reigns of Henry VII and Henry VIII (Oxford 1989), S. 18 – Zur Situation der humanistischen Bildungselite schreibt Morus in Zeile 104ff.: „He now gives to good men the honors of public offices which used to be sold to evil men. By a happy reversal of circumstances, learned men now have the prerogatives which ignoramuses carried off in the past.”

[27] Günther Böhme, Bildungsgeschichte des europäischen Humanismus (Darmstadt 1986), S. 182.

[28] Böhme, Bildungsgeschichte, S. 182 – Über Heinrichs geistigen Fähigkeiten befindet Lacey Baldwin Smith: „Henry may have gone the whole way in his emotional commitments, but intellectually he rarely got more than half-way. In spite of his expertise, his extraordinary mastery of detail and his encyclopedic memory, he was not an intellectual. His mind was quick and its filing system neat and efficient, but compilation and cataloguing were largely substitutes for thinking.” Siehe Lacey Baldwin Smith, Henry VIII: The Mask of Royalty (London 1971), S. 93.

[29] Vgl. Münkler, Lexikon der Renaissance, Eintrag „Heinrich VIII.”, S. 144.

[30] Jedoch hat Uwe Baumann gezeigt, dass die englischen Humanisten zwar pazifistisch eingestellt waren, aber viele von ihnen durchaus der klassisch-römischen Vorstellung des bellum iustum anhingen, die bspw. auch in Mores Utopia zum Tragen kommt. Von einer klaren Dichotomie von humanistischer Theorie und politischer Praxis kann hier also nicht die Rede sein. Vgl. Uwe Baumann, „Krieg und Frieden in der humanistischen Theorie und der politischen Praxis der frühen Tudorzeit”, in: ders. et al. (Hg.): Europa: Wiege des Humanismus und der Reformation, S. 49-81.

[31] Ackroyd, The Life of Thomas More, S. 154.

[32] Vgl. Hans Ulrich Seeber (Hg.): Englische Literaturgeschichte (Stuttgart u.a. 1993), S. 63.

[33] Erasmus, „Letter No. 118/To Robert Fisher”, in: Collected Works of Erasmus, Band 1: The Correspondence of Erasmus – Letters 1 to 141, 1484 to 1500 (Toronto u.a. 1974), S. 235f., hier S. 236.

[34] Vgl. Charles G. Nauert, Humanism and the Culture of Renaissance Europe (Cambridge 1995), S. 116.

[35] Zu einer weiteren zentralen Figur des englischen Humanismus wurde später Thomas Elyot (1490–1546), der mit seinem Boke Named the Governour (1531) Maßstäbe für die Erziehung an den englischen public schools setzte.

[36] Ackroyd, The Life of Thomas More, S. 69.

[37] Bush, The Renaissance, S. 78f. – Die Tatsache, dass Morus seinen Töchtern die gleiche klassische Bildung angedeihen ließ wie seinem Sohn, machte ihn zu einem der progressivsten Bildungsreformer seiner Zeit. Seine Überzeugung, dass Bildung kein Selbstzweck ist und ihre eigentliche Vollendung erst in der Lebenspraxis findet, äußert Morus in einem etwa 1518 verfassten Brief an William Gonell, den Tutor seiner Kinder: „Among all the benefits that learning bestows on men, there is none more excellent than this, that by the study of books we are taught in that very study to seek not praise, but utility. Such has been the teaching of the most learned men, especially of philosophers, who are the guides of human life [...].” Siehe www.thomasmorestudies.org, Abruf am 12.10.2005. Für den lateinischen Originaltext siehe Thomas Morus, „To William Gonell”, in: The Correspondence of Sir Thomas More (Freeport, New York 1970), S. 120-123.

[38] Vgl. Bush, The Renaissance, S. 83.

[39] Sei es aus Eitelkeit oder Interesse: Nicht nur in Italien konkurrierten die Fürstenhöfe in der Förderung von Künstlern und Intellektuellen.

[40] Peter Burke: Die europäische Renaissance: Zentren und Peripherien, S. 115. Zu dem unter der Regentschaft Heinrichs VIII. fest installierten System des Mäzenatentums schreibt Alistair Fox: „Patronage, because of the very way it was procured and bestowed, had a profound influence on early Tudor writing. Patrons were not primarily altruistic in their motivation: they expected certain services in return; the conventionality of much early Tudor literature can be explained in terms of the functions writers had to perform. Needing to consolidate and legitimize his new dynasty, Henry VII mounted a major campaign to amplify the magnificence of his rule by using artists and men of letters.” Siehe Alistair Fox, Politics and Literature in the Reigns of Henry VII and Henry VIII (Oxford 1989), S. 17.

[41] Vgl. etwa Erasmus, „Letter No. 999/To Ulrich von Hutten”, in: Collected Works of Erasmus, Band 7: The Correspondence of Erasmus – Letters 993 to 1121, 1519 to 1520 (Toronto 1987), S. 15-25, hier S. 24.

[42] Fritz Caspari, Humanismus und Gesellschaftsordnung (Bern 1988), S. 69.

[43] Richard Marius, Thomas More: A Biography (New York 1985), S. 235.

[44] Böhme, Bildungsgeschichte, S. 182.

[45] Münkler, Lexikon der Renaissance, Eintrag „Fürstenspiegel”, S. 129-131, hier S. 130.

[46] Böhme, Bildungsgeschichte, S. 180.

[47] Böhme, ebd., S. 92.

[48] Böhme, ebd. – Dabei vertrat Elyot jedoch im Gegensatz zu den bürgerlich orientierten Humanisten um Morus einen „dezidiert pro-aristokratische[n] Standpunkt”, wie Gerd Dose gezeigt hat. Elyot ist demnach „der erste englische Humanist, der das Gemeinwesen ganz entschieden aus der Position einer Klasse, der Gentry betrachtet und ein ausschließlich von den Interessen der Gentry bestimmtes neues Adligenideal zu begründen sucht.” Siehe Gerd Dose, Adel und Gemeinwesen (Frankfurt a. M. 1977), S. 191f.

[49] Caspari, Humanismus und Gesellschaftsordung, S. 13.

[50] Während der Regierungszeit Heinrichs VIII. wurden diesbezüglich die Grundlagen für das elisabethanische Zeitalter gelegt, in dem „humanistische Bildung praktisch zur Voraussetzung für politschen und gesellschaftlichen Aufstieg geworden [war] und [...] ein Grundbestandteil der erstaunlichen literarischen Schöpferkraft der Zeit [war]”. Siehe Caspari, Humanismus und Gesellschaftsordnung, S. 22f.

[51] Bush, The Renaissance, S. 70.

[52] Dietmar Herz, Thomas Morus: Eine Einführung (Hamburg 1999), S. 10.

[53] Anthony Kenny, „Thomas More”, in: Thomas Keith (Hg.), Renaissance Thinkers (Oxford u.a. 1993), S. 210.

[54] Erasmus, „Letter No. 388/From Thomas More”, in: The Correspondence of Erasmus, Band 3 (Toronto u.a. 1976), S. 229-237, hier S. 230.

[55] Stephen Greenblatt bemerkt hierzu: „There is always, it seems, a ‘real’ self – humanistic scholar or monk – buried or neglected, and More’s nature is such that one suspects that, had he pursued wholeheartedly one of these other identities, he would have continued to feel the same way.” Siehe Stephen Greenblatt, Renaissance Self-Fashioning: From More to Shakespeare (Chicago u.a. 1980), S. 32.

[56] Ackroyd, The Life of Thomas More, S. 22f.

[57] Seit mehreren Jahrhunderten war es in England üblich, Kinder höherer Geburt zur weiteren Erziehung in einen angesehenen Haushalt zu schicken; im Spätmittelalter war dies bereits zu einer fest verankerten Konvention geworden.

[58] Herz, Thomas Morus zur Einführung, S. 17.

[59] Ackroyd, The Life of Thomas More, S. 35. – Es war seinerzeit nicht unüblich, einige Semester zu studieren und ohne Abschluss die Universität zu verlassen.

[60] Der Kartäuser-Orden wurde seit seiner Gründung im 11. Jahrhundert nicht reformiert, er galt als besonders asketisch und streng. Die Ordensregel verband das eremitische Ideal mit dem klösterlichen Gemeinschaftsideal.

[61] Vgl. dazu Marius, Thomas More: A Biography, Kapitel 3 „Priesthood or Marriage”, S. 34-43.

[62] William Roper, The Life of Sir Thomas More, c. 1556, www.thomasmorestudies.org/ downloads/Roper.pdf, S. 3, Abruf am 12.10.2005.

[63] Erasmus, „Letter No. 999/To Ulrich von Hutten”, S. 21.

[64] Erasmus, „Letter No. 999/To Ulrich von Hutten”, S. 21.

[65] Richard J. Schoeck, „Thomas More and the Printing Press”, in: Baumann u.a. (Hg.): Europa: Wiege des Humanismus und der Reformation, S. 211-228, hier S. 218.

[66] Herz, Thomas Morus zur Einführung, S. 41.

[67] Thomas Morus, The Complete Works of St.Thomas More, Band 4, siehe Einleitung von Jack H. Hexter, S. XCVIII.

Ende der Leseprobe aus 120 Seiten

Details

Titel
Der Philosoph als Staatsmann? Vita activa und vita contemplativa im ersten Buch von Thomas Morus' "Utopia"
Hochschule
Universität Hamburg  (Institut für Anglistik)
Note
1,0
Autor
Jahr
2005
Seiten
120
Katalognummer
V70271
ISBN (eBook)
9783638615372
Dateigröße
844 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Philosoph, Staatsmann, Vita, Buch, Thomas, Morus, Utopia
Arbeit zitieren
Ingrun Wenge (Autor:in), 2005, Der Philosoph als Staatsmann? Vita activa und vita contemplativa im ersten Buch von Thomas Morus' "Utopia", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/70271

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Der Philosoph als Staatsmann? Vita activa und vita contemplativa im ersten Buch von Thomas Morus' "Utopia"



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden