Jüdischer Widerstand im Nationalsozialismus


Examination Thesis, 2006

101 Pages, Grade: 2,7


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

I Einleitung

II Jüdischer Widerstand im Nationalsozialismus
1 Historischer Bezug: Die jüdische Minderheit in der nationalsozialistischen Gesellschaft
2 Zur Begriffsdefinition Widerstand
2.1 Definition des Begriffs Widerstand
2.2 Jüdischer Widerstand
3 Formen des jüdischen Widerstandes
3.1 Verweigerung
3.1.1 Flucht und jüdische Fluchthilfe
3.1.2 Verstecken im Untergrund
3.1.3 Selbstmord
3.2 Organisierter Widerstand
3.2.1 Parteien und Verbände
3.2.2 Herbert-Baum-Gruppe
3.2.3 Juden im Spanischen Bürgerkrieg
3.2.4 Im Exil
3.3 Abwehr
3.3.1 Proteste und Protestschreiben, Flugblätter und Parolen
3.3.2 Aufstand im Warschauer Ghetto
3.3.3 Widerstand in Konzentrations- und anderen nationalsozialistischen Lagern
3.3.4 Juden in der Partisanenbewegung

III Fazit

IV Literatur

V Anhang

I Einleitung

Noch 60 Jahre nach Kriegsende erscheinen die Zahlen, die objektiv die Bilanzen und Konsequenzen des nationalsozialistischem Regimes ausdrücken sollen, unglaublich: Etwa sechs Millionen Juden starben in Konzentrationslagern und Gefängnissen oder wurden auf offener Straße von den Nationalsozialisten hingerichtet.

In den Nachkriegsjahren kamen viele Details über den ‚Führer’ Adolf Hitler, sein Regime und dessen brutale Handlungen ans Licht. Dazu haben vor allem die so genannten „Nürnberger Prozesse“ beigetragen, die von 1945 bis 1949 vor dem Internationalen Gerichtshof bzw. dem amerikanischen Militärgericht stattfanden und über die Straftaten der nationalsozialistischen Verbrecher Urteile fällten.[1]

Großes Interesse an diesen Prozessen zeigten neben der deutschen Bevölkerung auch Menschen aus anderen Teilen der Welt. Das Phänomen ist damit zu erklären, dass viele Juden, die den Holocaust überlebten, in das Ausland, vor allem in die Vereinigten Staaten von Amerika, emigrierten.

Viele Grausamkeiten der Verfolgung, die durch Zeugnisse der Überlebenden, publik wurden, warfen eine Menge Fragen auf. Wie konnte es zu solchen Grausamkeiten kommen? Wieso haben nur wenige der Opfer versucht, das nationalsozialistische Regime daran zu hindern? Warum ist kaum etwas darüber bekannt, weshalb die Juden nicht effektiver gegen ihre Verfolger vorgegangen sind und warum ihre Handlungen nicht mehr Effizienz zeigten?

Der Nationalsozialismus schädigte den internationalen Ruf Deutschlands nachhaltig und fügte dem Land unwiderrufbaren Schaden zu. Historiker begannen sich mit dem Widerstand gegen das Regime zu beschäftigen. Die Beschäftigung mit Widerstand sollte neben der Aufklärung nicht zuletzt einer harmonischen Selbstwahrnehmung dienen, die nicht nur eine passive und machtlose Haltung gegen das Regime widerspiegelt. Beschäftigung mit dem Widerstand sowie die Tatsache, dass überhaupt Widerstand geleistet wurde, tragen demnach zu einer Art gesellschaftlichen Resozialisierung Deutschlands und seiner Bürger bei. Ein Beispiel für deutschen Widerstand ist das Attentat vom 20. Juli 1944, das Oberst von Stauffenberg mit einer Bombe auf Hitler verüben wollte. Obwohl das Attentat misslang, wurde es von Historikern und Journalisten als Zeichen für den deutschen Widerstand gerühmt.

Die Forschung beschäftigte sich in den letzten 60 Jahren intensiv mit dem Thema des deutschen Widerstands. Dennoch bleibt offen, warum sich nur wenige Juden gegen die unmenschliche Behandlung und Verfolgung gewehrt haben. Je größer die zeitliche Differenz zu den Gräueltaten des Dritten Reichs ist, desto mehr nimmt auch das Interesse an dieser Fragestellung zu. Erst seit neuerer Zeit beschäftigen sich Wissenschaftler daher auch vermehrt mit dem jüdischen Widerstand.

Für meine Examensarbeit wählte ich das Thema „Jüdischer Widerstand im Nationalsozialismus“, da ich mir der Wissenslücken über diese Art des Widerstands bewusst war. Daher werde ich als Kernfragen zwei Themenbereiche behandeln: Hat es jüdischen Widerstand gegeben? Wenn ja, in welcher Form und in welchem Ausmaß trat er auf?

Die Arbeit baut auf dem gegenwärtigen Stand der Forschung auf, den ich im Folgenden kurz wiedergeben möchte.

In den Nachkriegsjahren war die Frage nach der Verhaltensweise der Juden zunächst lange ein Tabuthema. Dieses Bild änderte sich Anfang der 60er Jahre. Antisemitismus und Judenverfolgung rückten in das Blickfeld der Öffentlichkeit und Forschung, da in dieser Zeit die Prozesse, in denen die Mörder der Juden zur Rechenschaft gezogen wurden, geführt wurden.[2] Das Interesse an der Judenverfolgung wuchs nur langsam:

„Es bedurfte offensichtlich erst der Ausstrahlung der amerikanischen Fernsehserie ‚Holocaust’, um Januar 1979 die Verfolgung und Vernichtung der Juden zum ‚Thema der Nation’ zu erheben und emotionale Reaktionen freizusetzen[...].“[3]

Jahrelang beschäftigten sich fast ausschließlich Juden mit den Themen Judenverfolgung und Antisemitismus. Diese lebten zum größten Teil im Ausland und publizierten in vielen Sprachen. Überall auf der Welt bauten jüdische Autoren Forschungs- und Publikationszentren auf.

„In den ersten Nachkriegsjahren war die Rückschau von den Erfahrungen der Leidenszeit bestimmt, im Mittelpunkt standen Dokumentationen und Beschreibung des Verfolgungs- und Vernichtungsprozesses.“[4]

Den Blick auf den Abwehrkampf deutscher Juden lenkte als erster Arnold Paucker, der ebenfalls Jude ist.

Trotz intensiver Forschung über den jüdischen Widerstand gibt es noch viele Lücken in diesem Themenbereich – eben da die Forschung noch in den Anfängen steckt. Kwiet und Eschwege vertraten 1986 die Meinung, dass eine umfassende Untersuchung über den Widerstand deutscher Juden bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht vorlag.[5]

Seit Ende der 40er Jahre wurde die Erforschung des Widerstands im Nationalsozialismus kontinuierlich erweitert. Zur Verbesserung des Forschungsstandes haben sozialwissenschaftliche Methoden

„und die Ausweitung des Quellenbegriffs im Zuge der Erschließung mündlicher Überlieferungen und Erinnerungsarbeit und sowie die Auswertung bis dahin unzugänglicher Quellenbestände in der früheren DDR und in Osteuropa“[6] beigetragen. Obwohl seit der Wiedervereinigung Deutschlands wesentlich mehr Quellen ausgewertet wurden, sind noch nicht alle, die für die Forschung benötigt werden, zugänglich. Es kann davon ausgegangen werden, dass eine vollständige Bestandsaufnahme niemals erreicht werden kann, da sich viele Probleme ergeben:

„Die Materialien sind unüberschaubar; sie beziehen sich auf nahezu alle Lebens-, Handlungs- und Wissensbereiche. Die Quellen sind verstreut; sie werden in in- und ausländischen Archiven und Forschungsinstitutionen, in Bibliotheken und Gerichten, in Tresoren oder an sonstigen Orten aufbewahrt. Die Dokumente sind fragmentarisch; sie wurden versteckt, vernichtet oder requiriert.“[7]

Die Forschung arbeitet stetig an der Erfassung weiterer Quellen, wie beispielsweise den Akten der Gestapo.

In den 50er Jahren erschien ein Werk des Amerikaners Raul Hilberg über Aspekte des Holocausts. In seiner Nachbetrachtung fällt er scharfe Urteile und zieht Schlüsse über die Geschichte der Juden insbesondere im Holocaust. Hilberg sieht die jüdische Tradition als Grund für die Resignation, die Unterwürfigkeit der Juden und die Hoffnung, durch göttliche Vorsehung gerettet zu werden.[8] Die Schuld für dieses Verhalten sieht Hilberg in den Judenräten. Die Judenräte wurden von den Nationalsozialisten eingerichtet und waren mit jüdischen Mitgliedern besetzt worden. Sie sollten der Selbstverwaltung, hauptsächlich in Ghettos, dienen. Die „eindimensionale und einfache Erklärung wurde weithin beachtet und allgemein übernommen.“[9]

Obwohl seit Ende der 40er Jahre an der Widerstandsthematik gearbeitet wird, wurden erst in den 70er Jahren differenzierte Forschungsansätze entwickelt. Eine Erklärung dafür findet sich in der Annahme, dass der zeitliche Abstand zu dem Zweiten Weltkrieg eine weniger emotionale Sicht auf das Thema Holocaust begünstigte.

Wie bereits zuvor angedeutet, verfolgt diese Examensarbeit verschiedene Ziele und Fragestellungen:

Zum einen soll die Vielfältigkeit des jüdischen Widerstandes dokumentiert und belegt werden und zum anderen sollen besondere Aspekte des jüdischen Widerstandes herausgestellt werden.

Zudem soll untersucht werden, in welchen Phasen des NS-Regimes Widerstand geleistet wurde und welche Möglichkeiten zum Widerstand es für die Minderheit der Juden überhaupt gab. Eine logische Weiterführung dieses Gedankengangs ist die Frage, welche Mittel zum – friedlichem oder bewaffneten Kampf - zur Verfügung standen. Außerdem soll untersucht werden, ob es auch auf der regionalen Ebene im Ruhrgebiet jüdischen Widerstand gab. Jeder Widerstandskämpfer hatte den Sturz der NS-Diktatur zum Ziel. In der Arbeit soll aber zudem untersucht werden, welche Unterziele die einzelnen Protagonisten des jüdischen Widerstands verfolgten.

Für meine Arbeit wird jüdischer Widerstand nicht nur auf Deutschland begrenzt, sondern als europäisches Phänomen gesehen.

Um diesen und weiteren Fragen nachzugehen, werde ich in der vorliegenden Arbeit wie folgt vorgehen.

Zuerst soll geklärt werden, welche Schwierigkeiten sich für die jüdische Minderheit in der nationalsozialistischen Gesellschaft ergaben. In diesem Zusammenhang soll ebenfalls geklärt werden, wie Hitlers Antisemitismus in der vorangegangenen und aktuellen Forschung begründet wird.

Im Anschluss daran, soll eine allgemeine Definition von Widerstand gegeben werden. Außerdem soll geklärt werden, welche Eigenschaften dem Begriff in Bezug auf den Nationalsozialismus zugeordnet werden. Zudem soll in Unterpunkt 2.2 ein allgemeiner Überblick über den jüdischen Widerstand und dessen Formen gegeben werden, um ein Fundament für die nächsten Unterpunkte zu schaffen.

Der Focus der Arbeit soll auf den drei Formen des jüdischen Widerstands liegen.

Als erste Form wird in Unterpunkt 3. die Verweigerung behandelt. Auch Verweigerung wird nach der aktuellen Definition, wenn auch umstritten, als Widerstandshandlung angesehen und deshalb auch in dieser Arbeit Thema sein. Viele Juden flohen, um nicht länger den nationalsozialistischen Gesetzen ausgeliefert zu sein. Die Flucht und jüdische Hilfe zur Flucht, soll in 3.1.1 behandelt werden. Viele Juden flohen nicht nur über die Landesgrenzen, sondern auch ins Innere des Landes: in den Untergrund. Die Schwierigkeiten, die sich für die Versteckten im Untergrund stellten, sollen in 3.1.2 behandelt werden. Anschließend wird der Selbstmord als eine Form von Widerstand thematisiert.

Der organisierte Widerstand wird als zweite Form des jüdischen Widerstands dargestellt. Viele Juden waren schon vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Jahre 1933 in Parteien tätig. Sehr schnell verbot die NSDAP alle Parteien. Trotz des Verbotes, bot sich Juden die Möglichkeit, Widerstand in nun illegalen Parteien wie der SPD und KPD aufzubauen. Wie organisierter Widerstand in der Sozialdemokratischen Partei, Sozialistischen Gruppen und der Kommunistischen Partei ablief, soll in 3.2.1 behandelt werden.

Als Parteivorstände ins Exil gingen, und parteiliche Gruppen zunehmend zerschlagen wurden, bot die Herbert-Baum-Gruppe eine Art Auffanglager. Hier konnten Mitglieder ihrer politischen Gesinnung nachgehen. Die Geschichte dieser Gruppe und ihrer Widerstandsaktionen sollen in 3.2.2 geschildert werden.

Etwa 7800 Juden fanden noch eine andere Möglichkeit gegen den Faschismus zu kämpfen: Sie meldeten sich als Freiwillige für den Spanischen Bürgerkrieg. Welche Aufgaben Juden übernommen haben, soll im Anschluss diskutiert werden.

Nicht wenige Juden agierten vom Exil aus gegen das NS-Regime. Als Beispiel hierfür wird Thomas Mann angeführt. Seine Widerstandshandlungen gegen das NS-Regime werden in 3.2.3 dargestellt.

Die dritte Form des jüdischen Widerstands, die besprochen werden soll, ist die Abwehr.

In Unterpunkt 3.3.1 werden zunächst offene, häufig spontane Proteste und Protestschreiben beschrieben. Danach soll, im selben Unterpunkt die Herstellung und Verbreitung von illegalen Flugblättern und Parolen behandelt werden. In diesem Zusammenhang werden auch einige Beispiele aufgezeigt.

Der Aufstand im Warschauer Ghetto ist einzigartig in der Geschichte der nationalsozialistischen Ghettos. Zwar gab es noch einen Aufstand im Ghetto Wilna, jedoch war dieser nicht von großer Bedeutung, da er schnell niedergeschlagen wurde. Im Warschauer Ghetto hingegen verteidigten sich die Ghetto-Bewohner fast einen Monat lang gegen eine Übermacht, um sich vor Deportationen zu schützen. Die Bedingungen im Warschauer Ghetto sowie alltägliche Widerstandshandlungen und die Vorbereitungen auf den Aufstand sollen in Unterpunkt 3.3.2 geschildert werden. Hierbei steht insbesondere der erste Kampftag im Mittelpunkt des Interesses.

In Konzentrationslagern und anderen nationalsozialistischen Lagern war es bedeutend schwieriger Widerstand zu leisten als beispielsweise im Warschauer Ghetto. Die Gründe dafür sollen in Unterpunkt 3.3.3 besprochen werden. Zudem wird erörtert, welche Möglichkeiten es für die Juden gab, trotz schwierigster Bedingungen Widerstand zu leisten. Die Revolte im Lager Auschwitz soll ein Beispiel dafür geben, wie vereinte Widerstandshandlungen aussehen konnten.

Juden, die beispielsweise aus Ghettos oder Konzentrationslagern geflohen waren, wurden häufig in Partisanengruppen aufgenommen. Welche unterschiedlichen Gruppierungen es auf polnischer und sowjetischer Seite gab, wird im letzten Unterpunkt ermittelt.

In diesem Zusammenhang finden auch Juden Erwähnung, die in alliierte Armeen eintraten, um gegen die Nationalsozialisten zu kämpfen. Da dieses Thema jedoch den Rahmen der Arbeit überschreiten würde, wird es nur grob umrissen.

II Jüdischer Widerstand im Nationalsozialismus

1 Historischer Bezug: Die jüdische Minderheit in der nationalsozialistischen Gesellschaft

Für die jüdische Bevölkerung begann spätestens 1933 ein langer Leidensweg, als die Herrschaft in Deutschland von den Nationalsozialisten übernommen wurde. Dieser fand seinen Anfang durch Diskriminierung und Isolation und erreichte seinen traurigen Höhepunkt durch völlige Entrechtung und Vernichtung der Juden.

„Diskriminierung und Verfolgung von Juden hatte es in der Antike wie im Mittelalter gegeben[...]. Daß der nationalsozialistische Antisemitismus darüber hinauszielte, war vor 1933 erkennbar – doch kaum, in welch furchtbarer Weise er sich am Ende von allem Dagewesenen unterscheiden sollte.“[10]

Die nationalsozialistische Diktatur steigerte ihre anfängliche Hasspropaganda und ihre Ausgrenzungspolitik und ließ diese im organisierten Massenmord gipfeln.

Im Folgenden soll anhand von damaligen Gesetzen und Erlassen sowie historischen Ereignissen skizziert werden, welche Wende sich im Leben der Juden mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten vollzog. Auf diese Weise sollen die schweren Lebensbedingungen und Umstände aufgezeigt werden, mit denen sich der jüdische Widerstand konfrontiert sah.

Zunächst wird aber geschildert, wie die aktuelle und frühere Forschung Hitlers Antisemitismus begründet und wann sie den Zeitpunkt für Hitlers Judenhass setzt.

Als Hitler 1933 die Macht übernahm, war er bereits bekennender Antisemit. Es stellt sich nun die Frage, woher dieser tief greifende Hass gegen die Juden rührt.

Die Forschung ging lange Zeit davon aus, dass Hitler schon in Wien Antisemit geworden war. Eine Begründung wurde in Hitlers Mein Kampf gefunden, da es dort auf diese Weise von ihm selbst dargestellt wurde. Die Forschung ging davon aus, dass der jüdische Arzt Eduard Bloch einen Beitrag zur Einstellung Hitlers gegenüber den Juden, geleistet haben soll. Dr. Bloch stand der Familie Hitlers beim tödlichen Herzinfarkt des Vaters und beim Krebstod der Mutter bei. Da Hitler sehr an seiner Mutter hing, vermutete die Forschung, dass bei Hitler hier die allererste Antipathie gegen Juden entstand. Zu jener Zeit lebte Hitler noch in Wien.

Brigitte Hamann[11], jedoch beschreibt, dass Hitler in der Zeit, in der er in Wien lebte, noch kein Antisemit war. Obwohl Hitler zwar selbst in Mein Kampf schildert, dass er schon in Wien zum Antisemitismus gekommen war, zweifelt Hamann dieses an. Sie glaubt, dass er das Bild von sich erst im Nachhinein konstruiert hat:

„H. schafft sich in MEIN KAMPF eine angeblich organisch gewachsene antisemitische Karriere, die die für ihn politisch brauchbaren antisemitischen Feindbilder in die Schlüsselszenen setzt. MEIN KAMPF ist so auch als die Entwicklungsgeschichte eines germanischen Führers zu lesen, der immer recht hat und in seiner Jugend schon den rechten Weg fand.“[12]

In Linz, wo Hitler die Realschule besuchte, kam er mit seinen jüdischen Mitschülern gut zurecht. Zudem besuchte er häufig das Linzer Stadttheater. Seine Lieblingsschauspieler in diesem Theater waren hauptsächlich Juden.

In Wien, wo Hitler später in einem Männerwohnheim wohnte, hatte er sogar viele jüdische Freunde. Dort schenkte ihm sein bester Freund Neumann, ein Glaubensjude, einen Rock, da er nichts anzuziehen hatte. Außerdem borgte Neumann Hitler Geld.[13] Auch der jüdische Schlosser Simon Robinson half Hitler mit Geld aus.

Hamann vermutet, dass Hitler Juden als ‚etwas Besseres’ empfand und deshalb so gute Kontakte zu ihnen hatte.[14]

Deshalb kann das Fazit gezogen werden, dass Hitler in Wien noch nicht zum Antisemiten geworden ist. Diese Entwicklung ordnet Hamann späteren Jahren zu. Im Jahre 1913 siedelt Hitler von Wien nach München um.

„Als H. 1919 als Politiker in München in die Öffentlichkeit trat, operierte er jedenfalls bereits mit aggressiven antisemitischen Parolen. So muß dieser große Bruch in die Weltkriegsjahre, vor allem aber in die Umbruchszeit 1918/1919, zu verlegen sein, also mit jener Zeit zusammenfallen, in der sich H. entschloß, Politiker zu werden.“[15]

Auch seine einstigen jüdischen Wiener Männerheimkollegen sowie ehemalige Linzer Schulkollegen, waren ab 1919 erstaunt über Hitlers politische Karriere. Niemand von ihnen hätte es für möglich gehalten, dass sich ihr ehemaliger Freund und Bekannter, der sich immer gut mit Juden verstand, daran arbeitete, ein führender deutscher Antisemit zu werden.[16]

Eine Vermutung Hamanns ist, dass Hitler sich zum Antisemitismus wendete, weil dies eine wirksame Parole eines Volksredners war. Mit diesen Reden stieß er auf breiten Boden.[17]

Zum Zeitpunkt der Machtergreifung durch die NSDAP und die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933, lebten etwa 503.000 Personen jüdischen Glaubens in Deutschland. Ein Großteil der Juden, etwa 160.000, war in Berlin beheimatet. Bei etwa 56.000 dieser in Deutschland lebenden Juden, handelte es sich um polnische Staatsbürger.[18] Viele dieser Juden waren überdurchschnittlich hoch in sozial angesehenen Berufen, wie Ärzte und Rechtsanwälte, angesiedelt.

Bereits drei Monate nach der Machtergreifung, am 1. April 1933, kam es zu der ersten antijüdischen Aktion. Der Leiter des neu gegründeten Propagandaministeriums, Joseph Goebbels, organisierte mit Hilfe von Julius Streicher[19] einen Boykott jüdischer Geschäfte. Die deutsche Bevölkerung wurde einerseits zum Boykott jüdischer Geschäfte aufgerufen und andererseits von der SA, der Sturmabteilung und Propaganda- und Kampftruppe der NSDAP, und SS-Truppen, der 1925 zum Schutze Hitlers gegründeten Schutzstaffel, daran gehindert weiterhin jüdische Geschäfte zu betreten.

Am 7.April folgte ein weiterer Schlag gegen das jüdische Volk: Das Gesetz zur ‚Wiederherstellung des Berufsbeamtentums’ wurde erlassen, wodurch die meisten jüdischen Beamten entlassen wurden. „Lediglich für verdiente jüdische Frontsoldaten setzte sich Reichspräsident Hindenburg ein – sie durften bleiben.“[20]

Am 26. April 1933 wurde die Geheime Staatspolizei, die Gestapo, gegründet. Ihre Aufgabe bestand darin, alle Handlungen, die politische Verbrechen im Sinne der Nationalsozialisten waren, aufzudecken.[21] Dies waren beispielsweise Handlungen, die das nationalsozialistische Regime als Vergehen oder sogar Verbrechen definierte. Daraufhin folgten sowohl Zulassungsverweigerungen für jüdische Rechtsanwälte oder Ärzte, als auch Zulassungsbeschränkungen für jüdische Hochschüler. Letzteren Beschluss erließen die Nationalsozialisten unter dem Vorwand, dass die Gefahr einer Überfüllung von Universitäten bestünde.

Auf dem Reichsparteitag der NSDAP am 15. September 1935 wurden in einer Sondersitzung die antisemitischen ‚Nürnberger Gesetze’ verabschiedet und von Hermann Göring verkündet. Diese Gesetze beinhalten zum einen das ‚Reichsbürgergesetz’ und zum anderen das Gesetz zum ‚Schutze der deutschen Ehre’. Durch das erst genannte Gesetz wurde eine Unterscheidung zwischen deutschen Reichsbürgern oder artverwandten Blutes und Staatsbürgern, den Juden, getroffen. Volles politisches Recht erhielten die deutschen Reichsbürger und die Personen artverwandten Blutes, wohingegen Juden nun nur noch politisch rechtlose ‚Staatsangehörige’ waren. Das zweite Gesetz „verbot Eheschließungen zwischen Juden und Nichtjuden“[22] sowie außereheliche Beziehungen zwischen Juden und Nichtjuden. Diese Beziehungen oder ‚Mischehen’ wurden von den Nationalsozialisten als ‚Rassenschande’ bezeichnet.

In diesem Zusammenhang wurde auch die Bestimmung vorgenommen, wer im Sinne des ‚Reichsbürgergesetzes’ als Jude galt. Ab diesem Zeitpunkt, wurde zwischen Ariern, Volljuden sowie Mischlingen des 1. und 2. Grades unterschieden. „Als ‚Volljude’ galt, wer von mindestens drei jüdischen Großeltern abstammt; ‚Mischlinge’ mit zwei jüdischen Großeltern gelten als Juden.“[23]

Weitere Schritte zur gezielten Diskriminierung der Juden waren die Aberkennung des Wahlrechts, der Ausschluss der Juden aus öffentlichen Ämtern sowie ein Berufsverbot für jüdische Notare und Ärzte.

Für die Olympischen Spiele, die im August 1936 in Deutschland stattfanden, wurden antisemitische Schilder vorübergehend entfernt, da die internationale Aufmerksamkeit auf Deutschland gerichtet war.[24] Von insgesamt 2000 antijüdischen Maßnahmen kamen aufgrund der internationalen Aufmerksamkeit nur ca. 150 zustande.[25]

Durch Heydrich, dem Chef der Sicherheitspolizei, wurde am 12. Juni 1937 ein geheimer Beschluss erlassen. Der Beschluss besagte, dass ’Rassenschänder’[26] nach Abbüßung ihrer Gefängnisstrafe in ein Konzentrationslager überführt werden sollen.[27]

Seit der Jahreswende 1937/1938 wurden nach und nach weitere Verordnungen erlassen, mit dem Ziel, die Juden aus der Wirtschaft zu verdrängen. So mussten beispielsweise fortan jüdisches Gewerbe und Betriebe angemeldet und darüber hinaus als solche gekennzeichnet werden.[28]

Am 15. Juni 1938 fand die so genannte ‚Asozialen Aktion’ statt in deren Zuge alle vorbestraften Juden verhaftet wurden. Hierzu zählten selbst diejenigen, die nur wegen eines Verkehrdelikts belangt wurden.

Ab dem 5. Oktober 1938 wurden alle Reisepässe der Juden mit einem ‚J’ gekennzeichnet, um ihre Ausreise schwierig zu gestalten. Einige Tage später am 28. Oktober, wurden 17.000 Juden, die eine polnische Staatsangehörigkeit besaßen, von Deutschland über die Grenze nach Polen getrieben. Auf die fehlende Logik der Nationalsozialisten soll hier aufmerksam gemacht werden. Zum einen, sollte es den Juden erschwert werden, das Land zu verlassen, zum anderen wurden sie über die Landesgrenze vertrieben.

Bei diesem Ereignis zeigte sich erstmals ein Fall jüdischen Aufbegehrens, der historisch belegt ist: Zu den Vertriebenen gehörten auch die Eltern des 17-jährigen Herschel Grynszpan. Um auf dieses Unrecht aufmerksam zu machen und dagegen zu protestieren, erschoss er ein Mitglied der deutschen Botschaft in Paris.[29] Sein Lebensweg lässt sich noch einige Jahre verfolgen. Es ist jedoch nicht bekannt, ob er die nationalsozialistische Herrschaft überlebt hat.

Dieses Ereignis nahm sich die NS-Führung zum Anlass, ihrer Judenpolitik ein neues Ziel zu setzen. Die Folge davon war ein mehr als dreitägiges staatliches Pogrom. Ein Pogrom ist eine mit Plünderung und Mord verbundene Judenverfolgung, die durch staatliche Stellen angeleitet wurde.[30] In diesem Fall wurde es von Joseph Goebbels organisiert und ging als ‚Reichskristallnacht’ in die Geschichte ein. Hierbei wurden Synagogen angezündet und etwa 7000 jüdische Geschäfte demoliert. Ferner wurden jüdische Friedhöfe und Wohnungen zerstört und verwüstet. Dabei kamen 91 Menschen ums Leben und zahlreiche weitere wurden verletzt. Zudem wurden etwa 30.000 Juden in Konzentrationslager deportiert.

Am 12. November 1938 traf Göring die Verordnung, dass die Juden eine ‚Sühneleistung’ für die bei der ‚Reichskristallnacht’ entstandenen Schäden erbringen sollten. Die Höhe der Zahlungen wurde auf 1,2 Millionen Reichsmark festgelegt.

Zudem wurden Juden nun endgültig aus der Wirtschaft ausgeschlossen. Außerdem duften jüdische Kinder nicht mehr am allgemeinen Schulunterricht teilnehmen und sämtlicher Schmuck der Juden musste dem Regime abgeliefert werden.[31]

Die Verfolgung der Juden spitzte sich bis Kriegsbeginn drastisch zu. Am 30. Januar 1939 prophezeit Hitler vor dem Reichstag, dass im Falle eines Krieges die jüdische Rasse in Europa vernichtet werden sollte.

Mit dem Überfall auf Polen am 1. September 1939 wird in der Geschichte der Beginn des 2. Weltkriegs gekennzeichnet. In diesem Zeitraum wurden alle ehemaligen KZ-Häftlinge erneut verhaftet. Bereits drei Wochen nach Beginn des Krieges organisierten die SS und die Wehrmacht zahlreiche Pogrome in Polen. Mitte Oktober, fanden daraufhin die ersten Deportationen von Juden aus Österreich und Mähren nach Polen statt. Am 10. bis 12. Februar 1940 kam es zu den ersten Deportationen in Deutschland in die polnische Stadt Lublin.

Das erste Ghetto wurde am 30. April in Lodz errichtet und nur wenige Monate später, am 16. Oktober, wurde der Befehl zur Gründung und Errichtung des Warschauer Ghettos gegeben. Ab Mitte November wurden die Ghettos hermetisch abgeriegelt, um die Juden zu isolieren.

Die Judendeportationen aus Baden, der Pfalz und dem Saargebiet begannen am 22. Oktober 1940. Bei dieser mit ‚Bürckel’ bezeichneten Aktion, wurden die Juden nach Südfrankreich deportiert, von dort aus sie zwei Jahre später nach Auschwitz deportiert wurden, um sie zu vernichten.[32]

Von Februar bis April 1941 wurden 72.000 Juden ins Warschauer Ghetto deportiert Ab dem 7. März wurden deutsche Juden zur Zwangsarbeit eingesetzt. Am 22. Juni überfiel Deutschland die Sowjetunion. Dieses Datum ist Anlass für eine erneute Verhaftungswelle, die sich über ganz Deutschland erstreckte. Zudem begannen Judenmassaker in Rumänien. Ende Juni und Anfang Juli kam es zu Pogromen in Kowno, Litauen, bei denen 3800 Menschen ermordet wurden, sowie in Lemberg, bei denen 7000 Opfer zu beklagen waren. Heydrich wurde am 31. Juli 1941 von Göring dazu beauftragt, die europäischen Juden zu ‚evakuieren’.[33] Dies war der Beginn der von den Nationalsozialisten geplanten ‚Endlösung’ der Judenfrage. Bei der ‚Endlösung’ handelt es sich um den nationalsozialistischen Plan, alle europäischen Juden auf bestimmte Territorien zu konzentrieren und sie anschließend auszurotten.[34]

Am 1. September wurde der ‚Judenstern’ im Deutschen Reich eingeführt. Der gelbe Stern musste an gut sichtbarer Stelle der Kleidung angebracht werden und war Pflicht für jeden Jude ab dem 6. Lebensjahr. Auf diese Weise waren Juden auch äußerlich für jeden unverwechselbar zu erkennen.

Kurz nach diesem Erlass fanden erste Vergasungsversuche im Konzentrationslager Auschwitz statt, was die ‚Endlösung’ einläutete.

Ab Oktober 1941 war es Juden verboten, Deutschland zu verlassen.

Von September bis Dezember fanden außerdem Massaker in Kiew, Odessa, Rowno, Riga und Wilna statt. Insgesamt wurden dabei weit über 100.000 Juden getötet.[35]

Durch den Einsatz von Gaswagen wurden im Dezember im Vernichtungslager Kulmhof/Chelmo die ersten Juden getötet. Die Abgase wurden hierbei ins Wageninnere geleitet und die Menschen erstickten langsam nach Fahrtbeginn.[36]

Am 20. Januar 1942 fand die ‚Wannsee – Konferenz’ in Berlin statt. Auf dieser Konferenz wurden Maßnahmen zur Endlösung der Judenfrage diskutiert. Daraufhin wurden Juden aus ganz Europa in neu errichtete Lager, die sich in Treblinka, Sobibor und Belzec befanden, deportiert. Im Juli fanden die ersten Massenvergasungen in Auschwitz statt.

Einige Ghettos wurden aufgelöst, beispielsweise ein Ghetto in Krakau, und die Insassen wurden ab März 1943 in Vernichtungslager deportiert. In diesem Zusammenhang steht auch der bekannte Aufstand des Warschauer Ghettos, der vom 19. April bis 16. Mai stattfand. Die Ghetto-Bewohner in Warschau leisteten bewaffneten Widerstand, nachdem bereits 300.000 von insgesamt 360.000 Insassen nach Treblinka verschleppt worden waren. Sie konnten diesen Widerstand über einen Monat leisten, bevor er blutig niedergeschlagen wurde.[37]

In den Vernichtungslagern starben bis zum Ende des 2. Weltkrieges tausende europäische Juden. Die durch Zwangsarbeit, miserable hygienische Bedingungen und chronische Unterernährung völlig geschwächten und entrechteten Menschen, hatten keine Chance, diesen systematischen Massentötungen zu entfliehen.

Durch das Vordringen der Alliierten wurden ab Januar 1945 immer mehr Konzentrationslager befreit. Am 27. Januar 1945 wurde beispielsweise Auschwitz von sowjetischen Truppen befreit. Die Truppen fanden noch etwa 5000 kranke und halb verhungerte Lagerinsassen vor. Das Lager Bergen-Belsen wurde am 15. April 1945 von britischen Truppen befreit. Etwa 14.000 Häftlinge starben noch danach an Unterernährung, obwohl sie Nahrung von den Alliierten erhielten.[38]

2 Zur Begriffsdefinition Widerstand

Eine nähere Betrachtung des Begriffs Widerstand erweist sich im Kontext der Arbeit als Notwendigkeit und unumgänglich, da so die Problematik einer einheitlichen „Definitionsfindung“ diskutiert werden kann.

In diesem Rahmen soll ein komplexer Überblick über die unterschiedlichen Formen, die Widerstand annehmen kann, geschaffen werden. Im Anschluss daran wird der Begriff Widerstand im Zusammenhang mit dem Nationalsozialismus erläutert. Eine spezielle Art des Widerstands, nämlich der jüdische Widerstand, wird anschließend dargestellt. An dieser Stelle wird einerseits ein erster allgemeiner Überblick und andererseits ein Verweis auf die unterschiedlichen Formen des jüdischen Widerstand gegeben.

2.1 Definition des Begriffs Widerstand

Die Definition von Widerstand im Allgemeinen und insbesondere im NS-Staat, ist umstritten und nicht einheitlich festzumachen. In der Regel bezeichnet der Begriff Widerstand eine Reaktion einzelner Menschen oder Gruppen auf Verfassungsbruch, Menschenrechtsverletzungen oder Machtmissbrauch.

„Deshalb erscheint Widerstand immer dann als geboten oder gerechtfertigt, wenn Grundsätze des modernen Naturrechts oder Grundprinzipien einer demokratischen, freiheitlichen rechtsstaatlichen Ordnung gegen Übergriffe verteidigt werden sollen.“[39]

Selten ist zu beobachten, dass breite Teile einer Bevölkerung Widerstand leisten. Oftmals wird Widerstand geleistet, um eine gegebene menschenwürdige Ordnung zu erhalten. Das Verhalten von Widerständlern zeichnet sich häufig durch Vorbehalte aus und richtet sich in vielen Fällen gegen eine bestehende Regierung und deren politische Konventionen. Die Anerkennung des Staates hängt einerseits von seinen Gesetzen ab, anderseits ist es der Staat selbst, der die Notwendigkeit widerständischen Verhaltens hervorruft. In jedem Fall ist Widerstand, in welcher Form er auch auftritt, ein abweichendes Verhalten von Gewohnheiten oder Sitten eines Staates.[40] Widerstand kann in unterschiedlichen Formen vorliegen, welche Peter Steinbach und Johannes Tuchel in ihrer Definition von Widerstand, bezogen auf den NS-Staat zusammenfassend darlegen:

„[...] vom passiven Widerstand und der Verweigerung über die innere Emigration, den ideologischen Gegensatz und die bewusste Nonkonformität zum Protest, zur offenen Ablehnung und schließlich zur Konspiration, die sich sowohl auf die gedankliche Vorbereitung der Neuordnung nach dem Ende des NS-Staates konzentrieren konnte als auch versuchen mußte, aktiv den Umsturz des Regimes vorzubereiten und durchzuführen.“[41]

Widerstand beruft sich auf das Widerstandsrecht, das besagt, dass Widerstand gegenüber Unrecht legitim ist. Dem Widerstandsrecht liegt ein religiöses, humanitäres höheres ‚Recht’ zugrunde. Dieses Recht bildet den Gegensatz zu einer Revolution. Kennzeichnend für eine Revolution ist es, durch gewaltsames Verhalten eine Änderung des vorherrschenden gesellschaftlichen oder politischen Systems herbeirufen zu wollen. Das Widerstandsrecht hingegen zielt auf die Erhaltung der bestehenden Ordnung oder ihrer Widerherstellung.[42] Das Widerstandsrecht fand sowohl Eingang in die demokratische Verfassung des 18. und 19. Jahrhunderts, als auch in die Formulierung der Menschenrechte:

„in denen der Bürger zur Wahrung der demokratischen Ordnung gegenüber der Staatsgewalt zum Widerstand nicht nur berechtigt, sondern sogar verpflichtet ist.“[43]

Es ist zu erkennen, dass seit dem Nationalsozialismus, in Deutschland und in vielen Teilen der Welt, Menschen dazu neigen, eine Verbindung zwischen dem Begriff Widerstand und jedem Verhalten, sei es aktiv oder passiv, das sich gegen das NS-Regime und seine Ideologien richtete, herzustellen. Mit jeder Widerstandshaltung war ein hohes persönliches Risiko – oft sogar der Tod - geknüpft.[44]

Im Zusammenhang mit dem Nationalsozialismus findet die Bezeichnung Widerstand seine Verwendung als Oberbegriff für verschiedene Haltungen oder Aktivitäten gegen die nationalsozialistische Diktatur. Dazu werden nicht nur Handlungen gezählt wie das Attentat auf Hitler vom 20. Juli 1944, sondern auch Handlungen, die nichts Entscheidendes bewirken konnten, wie z.B., dass Menschen sich nicht durch Lockung oder Zwang vom NS-Regime vereinnahmen ließen.[45] Anzumerken ist, dass eine Unterscheidung zwischen den Arten verschiedener Handlungen getroffen werden muss: Auf der einen Seite sind es „kritische[...] bis abweisende[...] Haltungen der Verweigerung und Selbstbehauptung“[46], auf der anderen Seite ist es die gezielte Handlung zur Veränderung der Verhältnisse.

Widerstand äußert sich in den verschiedensten Formen. Somit gab es auch verschiedene Unterformen kritischer und gegnerischer Einstellungen zum NS-Regime:

„Verweigerung (als persönliche Abwehr von Herrschaftsanspruch und Selbstbehauptung von Gruppen), Opposition (als Haltung grundsätzlicher Gegnerschaft) und Widerstand als bewußtes Handeln.“[47]

Die genannten Unterformen des Widerstands und die damit verbundenen Handlungen bauten aufeinander auf und lassen eine Steigerung in ihrer Wirkung erkennen. Daher müssen graduelle Unterschiede in der Bewertung von Widerstand aufgezeigt werden. Die Verweigerung gegen das NS-Regime ist somit eine erste Ebene von Widerstand und nicht gleichbedeutend mit Opposition. Unter Verweigerung der persönlichen Akzeptanz fallen beispielsweise Aktionen wie die Verteilung von Flugblättern oder dem militärischen Widerstand von Partisanenarmeen. Wie bereits erwähnt, war solch ein Einsatz oft mit der Gefährdung des eigenen Lebens verbunden. Diesem Risiko setzte sich jeder aus, der beispielsweise Flugblätter verteilte, mit Regimegegnern im Ausland als Kurier in Kontakt trat oder einer Gruppe angehörte, die den Sturz der Diktatur plante.[48]

Im Widerstand gegen die Nationalsozialisten sind unterschiedliche Widerstandsgruppen zu nennen: z.B. konservative Gruppen in der Wehrmacht, kommunistische und sozialistische Gruppen und Partisanen. Neben der Unterscheidung der eben genannten Gruppen, muss zudem zwischen dem Widerstand der Kirchen und Studenten sowie dem des Adels und Bürgertums, um einige weitere zu nennen, differenziert werden.

Denn die angeführten sozialen Trägergruppen des Widerstands verfolgten alle das gleiche Ziel, nämlich den Sturz des NS-Regimes. Hierbei wählten sie aber unterschiedliche Vorgehensweisen.

„Den Widerstandsaktivitäten standen Gestapo, Gendarmerie und Polizei, Einsatzgruppen und schließlich die Wehrmacht, alle schwer bewaffnet, als offensichtliche Gegner gegenüber.“[49]

Die Aktivisten solcher Gruppen wurden mehr und mehr von den Nationalsozialisten eingeschüchtert. Hierzu trug nicht nur das ungeheure Aufgebot an Polizei bei, sondern auch Isolation, die durch Maßnahmen des NS-Regimes gegen Widerstandskämpfer, bedingt wurde.

Die Geschichte der Definition Widerstand ist ebenso uneinheitlich wie die Definition selbst.

[...]


[1] Vgl. ‚Nürnberger Prozesse’ Schülerduden. Die Geschichte, hg v. den Fachredaktionen des Bibliographischen Instituts, Dudenverlag Mannheim/Wien/Zürich, 1988, S. 299f.

[2] Vgl. Kwiet, Konrad/ Eschwege, Helmut: Selbstbehauptung und Widerstand, Deutsche Juden im Kampf um Existenz und Menschenwürde 1933-1945, Hamburg 1986, S. 12.

[3] Ebd., S. 13.

[4] Ebd., S. 15.

[5] Vgl. ebd., S. 16.

[6] Steinbach, Peter, Tuchel, Johannes (Hrsg.): Widerstand gegen die nationalsozialistische Diktatur 1933 – 1945, Bonn 2004, S. 10.

[7] Kwiet/Eschwege: Selbstbehauptung und Widerstand, S. 20f.

[8] Vgl. Gutman, Israel: Jüdischer Widerstand – Eine historische Bewertung. In: Arno Lustiger, Zum Kampf auf Leben und Tod! Das Buch von Widerstand der Juden 1933 – 1945, S. 26 – 35, S. 29.

[9] Ebd., S. 29.

[10] Vgl. Frei, Norbert: Die Juden im NS-Staat. In: Das Dritte Reich im Überblick. Chronik, Ereignisse, Zusammenhänge, hg. v. Martin Broszat und Norbert Frei in Verbindung mit Wolfgang Benz u.a., München 1989, S. 124 – 136, S. 125.

[11] Vgl. Hamann, Brigitte: Hitlers Wien. Lehrjahre eines Diktators, München 2004.

[12] Ebd., S. 497.

[13] Vgl. ebd., S. 499.

[14] Vgl. ebd., S. 500.

[15] Ebd., S. 502.

[16] Vgl. ebd., S. 575.

[17] Vgl. ebd., S. 502.

[18] Frei, Norbert: Die Juden im NS-Staat. In: Das Dritte Reich im Überblick, S. 124.

[19] Julius Streicher war der Leiter des ‚Zentralkomitees zur Abwehr der jüdischen Greul- und Boykotthetze’.

[20] Frei, Norbert: Die Juden im NS-Staat. In: Das Dritte Reich im Überblick, S. 127.

[21] Vgl. ‚Gestapo’ Schülerduden. Die Geschichte, S. 167.

[22] Frei, Norbert: Die Juden im NS-Staat, S. 128.

[23] Broszat, Martin/ Frei, Norbert: Das Dritte Reich im Überblick. Chronik, Ereignisse, Zusammenhänge, München 1989, S. 233.

[24] Vgl. Schoenberner, Gerhard: Der gelbe Stern, Die Judenverfolgung in Europa 1933 – 1945, Frankfurt a. M. 1994, S. 296.

[25] Vgl. Frei, Norbert: Die Juden im NS-Staat. In: Das Dritte Reich im Überblick, S. 129.

[26] Als Rassenschänder, wurden die Menschen von den Nationalsozialisten bezeichnet, die als Arier eine Beziehung mit einem Juden eingingen.

[27] Vgl. Schoenberner, Gerhard: Der gelbe Stern, S. 296.

[28] Vgl. ebd., S. 296f.

[29] Vgl. ebd., S. 297.

[30] Vgl. ‚Pogrom’ Schülerduden. Die Geschichte, S.329.

[31] Vgl. Frei, Norbert: Die Juden im NS-Staat, S. 130.

[32] Vgl. Schoenberner, Gerhard: Der gelbe Stern, S. 298.

[33] Vgl. ebd., S. 299.

[34] Vgl. ‚Endlösung’ Schülerduden. Die Geschichte, S. 125.

[35] Vgl. Schoenberner, Gerhard: Der gelbe Stern, S. 299.

[36] Vgl. Frei, Norbert: Die Juden im NS-Staat, S. 133.

[37] Vgl. Schoenberner, Gerhard: Der gelbe Stern, S. 302.

[38] Vgl. Broszat, Martin/ Frei, Norbert: Das Dritte Reich im Überblick, S. 287f.

[39] ‚Widerstandsbegriff’ Lexikon des Widerstands 1933-1945, hg. v. Steinbach, Peter/Tuchel, Johannes, 2. überarbeitete Auflage, München 1998, S. 240f.

[40] Vgl. ebd., ‚Widerstandsbegriff’ Lexikon des Widerstands, Steinbach/Tuchel, S. 241.

[41] Ebd., ‚Widerstandsbegriff’ Lexikon des Widerstands, Steinbach/Tuchel, S. 241.

[42] Vgl. ‚Widerstandsrecht’ Schülerduden. Die Geschichte, S. 441.

[43] Ebd., S. 441.

[44] Vgl. ‚Widerstandsbegriff’ Lexikon des Widerstands, Steinbach/Tuchel, S. 241.

[45] Vgl. Benz, Wolfgang: Widerstand: zur Definition eines schwierigen Begriffs. In: Informationen zur politischen Bildung (243), Deutscher Widerstand 1933 – 1945, Bonn 1994, S. 8.

[46] Ebd., S. 8.

[47] Ebd., S. 8.

[48] Vgl. ebd., S. 8.

[49] Teichmann, Sepp: Jüdischer Widerstand oder Widerstand von Juden, Zur Geschichte und Rezeption von Widerstand, http://zeitung.gedenkdienst.at/index.php?id=289 (19.7.2005), S.1.

Excerpt out of 101 pages

Details

Title
Jüdischer Widerstand im Nationalsozialismus
College
University of Duisburg-Essen
Grade
2,7
Author
Year
2006
Pages
101
Catalog Number
V70324
ISBN (eBook)
9783638615587
ISBN (Book)
9783668319516
File size
772 KB
Language
German
Keywords
Jüdischer, Widerstand, Nationalsozialismus
Quote paper
Janine Diedrich (Author), 2006, Jüdischer Widerstand im Nationalsozialismus, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/70324

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