Roman Ingarden - Das Literarische Kunstwerk


Seminararbeit, 2001

16 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis:

1. Biographisches zu Roman Ingarden

2. Einleitung

3. Das literarische Werk
3.1. Die Schicht der Gegenständlichkeiten
3.2. Die Schicht der schematisierten Ansichten
3.3. Die Rolle der Schicht der schematisierten Ansichten im literarischen Werk
3.4. Die Rolle der Gegenständlichkeiten

4. Kritische Betrachtung der Philosophie Ingardens

Literaturverzeichnis

,,Das Was des Kunstwerks interessiert

die Menschen mehr als das Wie;

jenes können sie einzeln ergreifen,

dieses im Ganzen nicht fassen.“1

1. Biographisches zu Roman Ingarden

Roman Witold Ingarden wurde am 05.02.1889 in Krakau geboren. Nach dem Besuch des Gymnasiums in Lwów von 1903 bis 1911 schrieb er sich im Herbst 1911 an der Universität in Lwów ein und begann sein Studium der Philosophie unter Jan Kazimierz, das allerdings nur ein Semester andauerte. Ende April 1912 zog es ihn nach Göttingen, wo er sich zunächst der Psychologie widmete, gleichzeitig jedoch einen an der Universität angebotenen Lektürekurs bei Edmund Husserl in Anspruch nahm, der ihn schließlich dazu ermutigte, sich in den nächsten sechs Jahren der Philosophie, der Mathematik sowie der Physik zuzuwenden. Ingarden begegnete Husserl das erste Mal am 11.Mai 1912. Wenig später zog er in Betracht, seinen Doktor unter der Führung Husserls zu machen – dieser war einverstanden. Nach dessen Umzug nach Freiburg folgte ihm sein Schüler in die neue Umgebung und es entwickelte sich ein inniges Verhältnis zwischen den beiden. Nach kurzem Aufenthalt in Krakau kehrte Ingarden 1917 nach Freiburg zurück, um seine fertiggestellte Dissertation mit dem Titel ,,Intuition und Intellekt bei Henri Bergson. Darstellung und Versuch einer Kritik“ einzureichen. 1918 ging Ingarden nach Polen, um wenig später in einem Brief an Edmund Husserl Kritik an dessen Idealismus auszudrücken. Während der Arbeit zu seiner Dissertation beschäftigte sich Ingarden über Jahre hinweg mit Überlegungen der Wahrnehmung und damit verbundenen, möglichen Problemen der Ontologie. Seine Habilitationsschrift von 1923 mit dem Titel ,,Essentielle Fragen. Ein Beitrag zum Wesensproblem“, die 1924 im ,, Jahrbuch für Philosophie und phänomenologische Forschung“ veröffentlicht wurde, bringt diese Überlegungen zum Ausdruck. Im Jahre 1927 begann er seine Arbeit an dem Großwerk ,,Das literarische Kunstwerk“, das er 1928 in Paris fertigstellte. Ingarden stand hierbei in regem Kontakt mit Husserl aber auch anderen Phänomenologen wie Kaufmann, Becker und Landgrebe.

2. Einleitung

Roman Ingarden betreibt in seinem 1931 veröffentlichten Werk ,, Das literarische Kunstwerk“ neben einer Ontologie im Sinne der Kunstrezeption sowohl eine rein strukturelle als auch existentiell-ontologische Untersuchung literarischer Werke, um sie darüber hinaus in Bezug auf das Idealismus-Realismus-Problem in Frage zu stellen. Parallelen zu Husserls Phänomenologie lassen sich in verschiedener Weise erkennen. Besonders tritt hier die Idee einer rein intentionalen Gegenständlichkeit hinsichtlich eines Textes bzw. einer Gruppe zusammenhängender Sätze auf. Der Ausgangspunkt, auf den Ingarden seine Überlegungen gründet, geht maßgeblich von der bereits von Edmund Husserl formulierten Frage aus, wie die aus reiner Subjektivität geschaffenen Gegenständlichkeiten, die als ideale Objekte einer idealen ´Welt´ bezeichnet werden könnten, sich in der als real anzusprechenden Kulturwelt in einem zeitlich-räumlich gebundenen Dasein manifestieren. Nach Ingarden sind derartige Gebilde aus dem Bereich der Idealitäten aus der realen Welt auszuschließen. Während Husserl in seinem Werk ,,Formale und transzendentale Logik“ alle bisher angenommenen idealen Gegenstände für intentionale Gegenstände besonderer Art hält, so vertritt Ingarden die Unterscheidung in ideale Begriffe, ideale individuelle Gegenstände, Ideen und Wesenheiten.

Roman Ingarden spricht sich in seinem Werk explizit gegen eine psychologistisch gefärbte Wesensinterpretation literarischer Kunstwerke aus und distanziert sich somit von einer Fülle von Literaturkritikern, die das Zurückführen von Literatur auf ihren Kern mit dem für sie unausweichlichen psychologischen Ursprung der Zusammenhänge und deren Auflösung in Verbindung bringen. Damit schlägt er wiederum eine Brücke zu Edmund Husserl, der fordert, daß jemand, der Phänomenologie betreibt, sich von allen ,,natürlichen Wissenschaften“ frei machen muß und nichts voraussetzen darf, was für jene laut Husserl den Beginn ihrer Untersuchungen prägt: ,,Und wieder liegt darin, daß die reine Philosophie innerhalb der gesamten Erkenntniskritik und der ,,kritischen“ Disziplinen überhaupt von der ganzen in den natürlichen Wissenschaften und in der wissenschaftlich nicht organisierten natürlichen Weisheit und Kunde geleisteten Denkarbeit absehen muß und von ihr keinerlei Gebrauch machen darf.“1 Mit Hilfe seiner im ersten Kapitel genannten Ausgangsprobleme steckt er sich einen thematischen Rahmen, in dem sich die darauffolgenden Untersuchungen bewegen. So ergibt sich zuerst das Problem der Einreihung literarischer Werke in die Kategorien Idealität bzw. Realität und die damit verbundene Frage, ob das vorliegende Werk nicht in zwei Daseinsebenen, sprich einer sowohl für den Autor lediglich im Bewußtsein befindlichen wie auch für den Leser durch die Rezeption erfahrenen Daseinsebene, existiere und somit eine unüberschaubare Anzahl von Exemplaren entstünde. Des weiteren ergibt sich die Schwierigkeit, eine exakte Lokalisierung der Gegenstände eines Werkes zu bestimmen, da die Gegenständlichkeiten im Bewußtsein des Autors, wenn sie als die eigentlichen bestimmt würden, aus der psychischen in die materielle Ebene der uns umgebenden Welt herausgelöst werden müßten.

Ingarden schlägt zur Untersuchung dieser Problematik den bereits von Edmund Husserl verfolgten Weg der Epoché vor, um sich in einer ,,Selbstvergessenheit“ der erwünschten Objektivität der Urteilsbildung zu nähern: ,, „Objektiv“ ist nur das, was für jedes beliebige Erkenntnisobjekt und bei dessen völliger Passivität, sonst aber unter beliebigen subjektiven Bedingungen des Erkennens sich immer als Eigenschaft eines Gegenstandes gibt.“1 Ziel meiner Arbeit soll es nun sein, Grundgedanken von Ingardens Werk ,,Das literarische Kunstwerk“ zu erörtern und diese in objektiven Sinn darzustellen. Ich beschränke mich hierbei auf den Bereich der Gegenständlichkeiten und deren Ansichten.

3. Das literarische Werk

3.1. Die Schicht der Gegenständlichkeiten

Grundlegend ist für Ingarden die Tatsache, daß die dargestellten Gegenständlichkeiten ihrem Gehalt nach rein intentionalen Gegenständlichkeiten entsprächen und deshalb zwischen Gehalt und intentionaler Gegenstandsstruktur unterschieden werden müsse. Die dargestellten Gegenstände liegen seiner Meinung nach nie isoliert vor, sondern bringen immer eine Seinssphäre, einen Hintergrund mit sich, der jedoch nicht aktualisiert entworfen werden muß, sondern als fester Bestandteil mit dem Gegenstand verbunden vorliegt. Der Begriff des ,,Gegenstands“ sei im Sinne der Materialität auf alle gegenständlichen Kategorien, sprich also auch auf Ereignisse, Zustände oder auch personale Akte zu verstehen und zudem nicht einer Objektivität unterworfen, so daß eine subjektive Färbung, wie z.B. ein emotionaler Charakter, durch den Leser nicht ins Gewicht falle. Eine Gefahr sieht Ingarden in der Verschmelzung intentionaler Gegenständlichkeiten mit Realitäten, die häufig bei Gegenständen mit offensichtlichem Realitätscharakter, also jene, die dem Leser in der täglichen Wahrnehmung begegnen, auftrete. Nun sei den Gegenständen ihr Realitätscharakter nicht abzusprechen, eine Unterscheidung von realen Gegenständen, die unabhängig von einem Betrachter existieren, zu vollziehen. Der ,,Vorstellungsraum“ der intentionalen Gegenständlichkeiten sei zwar der realen Raumvorstellung der Realität sehr ähnlich, jedoch nicht wie dieser genau zu begrenzen und einzig und allein vom Autor des Werkes abhängig, der den Raum der Gegenständlichkeiten schaffen könne. Der Gegenstand dieses Vorstellungsraumes, also der Vorstellungsgegenstand sei daher nicht mit dem realen, seinsautonomen Gegenstand gleichzusetzen. Der Erste bilde die Summe der vollzogenen Vorstellungs- bzw. Meinungsakte. Vorstellungsraum, Vorstellungsgegenstand und –erlebnis könnten daher nicht getrennt werden, da die Intentionalität des Vorstellungsaktes immer ein Vorhandensein eines entsprechenden Gegenstandes verlange. Ein Problem stelle weiterhin die Lokalisierung eines Orientierungszentrums der Gegenstandswahrnehmung dar, das als Ausgangspunkt für den Leser diene. So bestehe die Möglichkeit des Orientierungszentrums im Bewußtsein des Dichters selbst und seiner Wahrnehmung mit textimmanentem Charakter, in der Position des auktorialen Erzählers, der als außenstehender Erzähler die Gegenstände zur Schau stelle, in der Verteilung des Orientierungszentrums auf mehrere Personen der textgebundenen Handlung oder in dem besonderen Fall der Verlagerung des Orientierungszentrums in das Bewußtsein eines jeden Zuschauers bei dramatischen Stücken.

Die Zeitform, in der sich die Gegenstände der Handlung befinden, unterscheidet sich für Ingarden sowohl von der ,,objektiven“ Zeit der realen Welt, als auch von der ,,subjektiven“ Zeit eines ,,absoluten Bewußseinssubjekts“. Es handle sich vielmehr um eine zeitliche ,,Ordnung“, in die sich die Gegenstände einbetten ließen, eine Art intersubjektive bzw. subjektive Zeitform, in der die Geschehnisse als aufeinanderfolgende oder zugleichseiende aufträten. Natürlich müsse auch hier zwischen Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft unterschieden werden. Was dargestellt werde, wären Ausfüllungen von in eine Ordnung gebrachter Zeitphasen, jedoch nicht die Zeitphasen an sich. Erst durch deren dargestellte Ausfüllung manifestiere sich der zeitliche Rahmen. Es ergibt sich dadurch aber, so Ingarden, lediglich die Darstellung einiger Ausschnitte und nie die Kontinuität der physikalischen Zeit. Genauso wie die Gegenständlichkeit verweise jedoch auch nie Zeit auf einen mit ihr in Verbindung gebrachten und nur dadurch erfahrbaren Hintergrund; in diesem Fall der Verweis auf Zukunft und Vergangenheit einer Zeitphase. Das Orientierungszentrum der Zeitwahrnehmung sei im Gegensatz zur Gegenständlichkeit zwar genauer zu lokalisieren, die jeweilige Gegenwart der wirklich erlebten Zeit diene hier als Ausgangspunkt, sei aber dadurch einem ständigen Wandel unterworfen. Nun kann es nach Ingarden durchaus vorkommen, daß die dargestellte Zeit in zwei verschiedenen Modifikationen auftritt, zum einen in der geschilderten Abfolge vergangener Ereignisse, zum anderen in der Schilderung aktueller Geschehnisse, die in der ganzen Fülle und ihrem konkreten Verlauf geschildert werden. Treten in der weiter gefaßten Schilderung der Vergangenheit Lücken zwischen den erzählten Zeitphasen auf, so besticht der aktuelle Handlungsverlauf durch hohe Kontinuität.

[...]


1 J.W.Goethe, ,,Betrachtungen im Sinne der Wanderer“

1 E.Husserl, ,,Die Idee der Phänomenologie“, Hamburg 1986

1 R.Ingarden, ,,Das literarische Kunstwerk“, 4.Auflage, Tübingen 1972

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
Roman Ingarden - Das Literarische Kunstwerk
Hochschule
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg  (Philosophisches Seminar)
Veranstaltung
Proseminar: Die Phänomenologie Husserls
Note
1
Autor
Jahr
2001
Seiten
16
Katalognummer
V704
ISBN (eBook)
9783638104623
Dateigröße
398 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die Arbeit bietet einen genauen Einblick in die Philosophie Ingardens, die sämtliche Grundzüge der Phänomenologie beinhaltet, und seine Literaturtheorie.
Schlagworte
Roman, Ingarden, Literarische, Kunstwerk, Proseminar, Phänomenologie, Husserls
Arbeit zitieren
Martin Endres (Autor:in), 2001, Roman Ingarden - Das Literarische Kunstwerk, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/704

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