Gilles Deleuzes Ende der achtziger Jahre erschienen Bücher über das Kino stellen einen besonderen Punkt in seinem Werk dar. Nach zahlreichen Abhandlungen zur Philosophiegeschichte und seinen gemeinsamen Arbeiten mit Félix Guattari, beschäftigt er sich in dieser Zeit in besonderem Maße mit philosophischen Betrachtungen über Kunst: Neben den Kinobüchern veröffentlicht Deleuze auch eine Abhandlung zur Malerei von Francis Bacon.
Ziel seiner Beschäftigung mit dem Kino ist es nach eigener Aussage, eine Klassifizierung der Bilder und Zeichen des Kinos vorzunehmen, ähnlich Peirces Arbeiten im Bereich der Semiotik. Seine Kinobücher sind jedoch weit davon entfernt, eine trockene Systematik darzulegen und reflektieren neben unorthodoxen Ansätzen zur Kinotheorie auch Deleuzes ganz persönliche Reise durch die Filmgeschichte.
Neben dem erwähnten Bezug auf Pierces Zeichentheorie dienen Deleuze noch andere Theorien als Grundlage für dieses Werk. Eine besondere Stellung nimmt hierbei Henri Bergsons Werk Materie und Gedächtnis ein. Die vier Bergson-Kommentare dienen sozusagen als Rahmen von Deleuzes Untersuchungen. Gleichzeitig bildet der von Deleuze in Anlehnung an den Bildbegriff Bergsons geprägte Terminus des Bewegungsbildes die Grundlage für seine Betrachtungen.
Die vorliegende Abhandlung analysiert diese Grundlagen. Das Hauptinteresse gilt dabei dem Modell des Wahren, welches nach Deleuze durch das Bewegungsbild im klassischen Kino erzeugt wird und Thema des ersten Bandes ist. Dieses System der Wahrscheinlichkeit wird im zweiten Buch durch das Zeitbild und der daraus resultierenden Veränderung in der Darstellung und Wahrnehmung der Realität des Kinobildes verdrängt. Im modernen Kino verschwimmen die Grenzen zwischen Realem und Virtuellem sowie zwischen wahr und falsch immer mehr, bis sie letztendlich ganz aufgehoben werden.
An diesem Punkt spielt im zweiten Teil neben Bergson noch ein weiterer Philosoph eine entscheidende Rolle: Friedrich Nietzsche. Ihn nennt Deleuze als einen Denker, der in der Philosophie eine vergleichbare Zäsur darstellt wie die Bilder des modernen Kinos, und zwar mit einer ähnliche Fragestellung, nämlich nach einem Jenseits von wahr und falsch, von Realität und Imagination.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Forschungsschwerpunkte und Ziele der Arbeit
- Zum Inhalt der Kinobücher
- Aktion, Perzeption, Affekt: Das Bewegungs-Bild
- Vision, Traum, Halluzination: Das Zeit-Bild
- Bergson und seine Rezeption bei Deleuze
- Vom „,Modell des Wahren als Totalisierung\" zum ,,Werden als eine Macht des Falschen\"\
- Die Bewegung als Grundlage der Kommensurabilität
- Erinnerung und Halluzination
- Die Schöpfung der Wahrheit und die Kritik des Urteilssystems
- Die fälschende Erzählung und das Fabulieren
- Glauben statt Wissen
- Von der Frage „Was ist Kino?\" zu „Was ist Philosophie\" - Schlüsse und Denkansätze
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Arbeit untersucht die philosophischen Voraussetzungen von Gilles Deleuzes Werk über das Kino, insbesondere im Hinblick auf die Werke von Henri Bergson und Friedrich Nietzsche. Das Ziel ist es, die Entwicklung von Deleuzes Kinotheorie von den Konzepten des klassischen Kinos hin zu den neuen Denkweisen des modernen Kinos zu analysieren.
- Analyse von Deleuzes Kinotheorie im Kontext der Werke von Henri Bergson und Friedrich Nietzsche
- Untersuchung des Begriffs des Bewegungs-Bildes und seine Bedeutung für das klassische Kino
- Exploration der Transformation des Wahrheitsbegriffs im modernen Kino
- Die Rolle des Zeit-Bildes in Deleuzes Kinotheorie
- Verknüpfung philosophischer Theorien mit den Entwicklungen der Filmgeschichte
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung stellt die beiden Kinobücher von Gilles Deleuze vor und erklärt den Hintergrund seiner Beschäftigung mit der Kinematographie. Des Weiteren werden die Ziele und Schwerpunkte der Arbeit erläutert.
Das zweite Kapitel befasst sich mit Deleuzes philosophischen Grundlagen, insbesondere mit der Bedeutung des Werkes von Henri Bergson für die Analyse des Bewegungs-Bildes. Die Rolle von Bergsons Werk Materie und Gedächtnis für Deleuzes Kinotheorie wird untersucht.
Das dritte Kapitel gibt einen Überblick über Deleuzes Werk zum Kino und hebt die für die Arbeit relevanten Thesen und Abschnitte hervor.
Das vierte Kapitel behandelt das Konzept des Bewegungs-Bildes in Deleuzes erster Kinobüchern. Die wichtigsten Thesen von Bergson, die Deleuze zur Analyse des klassischen Kinos heranzieht, werden vorgestellt.
Schlüsselwörter
Die Arbeit fokussiert auf die folgenden Schlüsselwörter: Gilles Deleuze, Kinotheorie, Henri Bergson, Friedrich Nietzsche, Bewegungs-Bild, Zeit-Bild, klassisches Kino, modernes Kino, Wahrheit, Realität, Imagination, Philosophie.
- Arbeit zitieren
- Sylvie Magerstädt (Autor:in), 2002, Philosophische Voraussetzungen von Deleuzes Arbeit über das Kino, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/70452