Der unbekannte Nachbar - Probleme und Chancen deutsch-polnischer Beziehungen


Trabajo Escrito, 2002

34 Páginas, Calificación: 1,7


Extracto


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung
1.1. Themenrelevanz und Zieldefinition

2. Hauptteil
2.1. Deutsch-polnische Geschichte
2.1.1. Der deutsche „Drang nach Osten“
2.1.2. Gebietsstreitigkeiten und Polonisierung nach dem Ersten Weltkrieg
2.1.3. Umsiedlungen und Terror durch Hitlers Politik
2.1.4. Erneute Zwangspolonisierung unter dem kommunistischen Regime
2.1.5. Politische Annäherung, schlesische Verbände und polnisches Misstrauen
2.2. Resultate aus der gemeinsamen Geschichte
2.2.1. Erfahrung: „kein Interesse“, könne „nichts sagen“ über „die Polen“
2.2.2. Erfahrung: „Ich kann die Polen nicht leiden!“–„Ich hab ja mit denen nix zu tun“
2.2.3. Erfahrung: „keine Gedanken über Polen“ bis Mutter 1999 bettlägerig wurde
2.2.4. Erfahrung:„Warn nich viel anders als ich“, nur einmal ein Mißverständnis
2.2.5. Erfahrung: „Dachte so weit seien sie doch noch nicht!“, „Unterschiede nicht so gravierend!“
2.3. Kontaktförderung zur Lösung von Bezugs- und Voruteilsproblematiken

3. Schlußteil
3.1. Persönliche Bilanz und Zukunftsprognose

4. Anmerkungen

5. Anhanghinweise

6. Quellenverzeichnis:

Anhang
Interview mit meiner polnischen WG-Mitbewohnerin Kornelia K. (geb. 1982)
„Unsere neue Mitbewohnerin kommt aus Polen“
INTERVIEW: Greencard für Pflegekräfte
Riester plant Green Card für Pflegekräfte

1. Einleitung

1.1. Themenrelevanz und Zieldefinition

Zu Polen fällt vielen Deutschen nicht mehr ein als „polnische Wirtschaft“, „die klauen“, sind „rückständig, aber gastfreundlich“ und „trinken viel Wodka“. Häufig fehlt völlig der Bezug zum östlichen Nachbarland, zumindest der gegenwärtige. Doch vor dem Hintergrund der Aufnahme Polens in die EU 2004, erhält die deutsch-polnische Thematik hohe Relevanz: Während heute, zumindest außerhalb der Grenzregionen, ein „Nebeneinanderherleben“ noch möglich ist, wird mit der Grenzöffnung ein Leben miteinander unumgänglich sein. Meinungen und Gefühle beider Seiten über die anstehende Annäherung gehen weit auseinander; Prognosen reichen von vielversprechend bis misstrauisch und angsterfüllt. Persönliche Erfahrungen und Betroffenheit, die vor allem aus regional bedingten Kontakten resultieren, spielen bei der Meinungsbildung eine Rolle, beispielsweise die vorherrschende Angst vor der EU-Aufnahme Polens in der Grenzregion um Frankfurt/Oder[1]. Interessanterweise liegt die Ursache der meisten Urteile weit weniger in gemeinsamen historischen Erfahrungen als aktuellen ökonomischen Anliegen; man betrachte vor allem den Widerstand der polnischen Landwirte oder das Wissen um wirtschaftliche Vorteile für deutsche Unternehmen beim EU-Beitritt Polens. Aber hat die jahrhundertlange, belastete gemeinsame Geschichte keine aktuelle Relevanz mehr oder gar gegenseitiges Desinteresse und Bezuglosigkeit gefördert? Oder besteht bereits auf verschiedenen Ebenen interkultureller Kontakt, ohne daß dieser für Außenstehende offensichtlich ist? Welche organisierten Maßnahmen zur deutsch-polnische Beziehungsförderung existieren, um eine geeignete Basis für das künftige Miteinander zu etablieren? Ziel dieser Arbeit ist die Betrachtung bestehender deutsch-polnischer Kontakte aus verschiedenen Perspektiven, um zu zeigen, dass trotz unterschiedlichster Grundlagen in den Köpfen der Menschen der Umgang miteinander häufig von Toleranz und positiven Resultaten geprägt ist.

Dazu ist zunächst ein politisch-historischer Abriss mit besonderer Betrachtung des deutsch-polnischen Verhältnisses bis heute notwendig. Daraus lassen sich dann Rückschlüsse auf Beziehungsbelastungen und differente Volkscharaktere schließen, die häufig in Stereotypen Ausdruck finden und somit als Basis deutsch-polnischer Kontaktaufnahmen gesehen werden könnten. Anhand von existenten Bezügen soll daraufhin aufgezeigt werden, inwiefern in aktuellen, realen Begegnungen tatsächlich Voreingenommenheiten bestehen und eine Rolle spielen. Zu diesem Zweck werden exemplarisch interkulturelle Kontakte erläutert und analysiert. Mit einem Zukunftsausblick auf deutsch-polnische Annäherungen schließt diese Arbeit.

2. Hauptteil

2.1. Deutsch-polnische Geschichte

Zum Verständnis der noch heute verbreiteten emotionalen Basis des deutschpolnischen Verhältnisses ist eine nach ihren Ursprüngen forschende Betrachtung der Geschichte unerlässlich[2]. Verschiedene Zeitabschnitte gilt es aus nicht selten gegensätzlichen Perspektiven zu durchleuchten.

2.1.1. Der deutsche „Drang nach Osten“

Schon ab dem früheren Mittelalter wurde der deutsche „Drang nach Osten“ durch dezentral organisierte Ausrottungen kleinerer slawischer Stämme ausgedrückt. Zur Stabilisierung der Beziehungen zwischen dem polnischen König- und dem deutschen Kaiserreich wurde um die 12. Jahrhundertwende jedoch eine polnisches Unabhängigkeitsabkommen unterzeichnet (Wirpsza, 1971, 100f.). Im 13. Jahrhundert wurde der Deutsche Orden zur Unterstützung im Kampf gegen die Pruzzen[3] ins zusammengeschlossene polnische Königreich gerufen. Entgegen des Vertrags besetzte er Pommerellen und Danzig. Unter dem Motto deutscher Missions- und Kolonisationsarbeit wurden Deutsche und das Deutschtum angesiedelt. Mitte des 14. Jahrhunderts bereits wurde Schlesien erstmals den Deutschen untergeordnet. Nach mehreren Kriegen im Verlauf des 15. Jahrhunderts verblieb dem Deutschen Orden schließlich nur noch das östliche Preußen mit Königsberg als polnisches Lehen, woraufhin ab dem 16. Jahrhundert erneut Kämpfe um Gebietszusprachen ausgetragen wurden. 1795 erst kam es mit der dritten und damit vollständigen Aufteilung Polens unter Russland, Preußen und Österreich zu einer relativen Konstanz, die bis zum Beginn des ersten Weltkriegs nur noch durch die preußische Absprache der Gewinne durch die dritte Teilung als Resultat des Wiener Kongress 1814/15 verändert wurde.

2.1.2. Gebietsstreitigkeiten und Polonisierung nach dem Ersten Weltkrieg

In Folge der Konfrontation der drei Teilungsmächte im Rahmen des ersten Weltkriegs erhielt die polnische Unabhängigkeitsbewegung Versprechungen dieser, sowie des amerikanischen Präsidenten Wilson, nach Kriegsende die Wiedererrichtung eines unabhängigen polnischen Polens fördern zu wollen. „Ein unabhängiger polnischer Staat soll geschaffen werden, der alle unstreitbar von polnischer Bevölkerung bewohnten Gebiete umfasst“, lautet der bekannteste Teil Wilsons Rede zum Ende des Ersten Weltkriegs (Urban, 1994, 29). Am 11.11.1918 übernahm Pilsudski als vorläufiger Staatschef die vollziehende Gewalt in Warschau, womit Polen, wenn auch noch ohne Staatsform und genaue Grenzfestlegung, selbstständig war. Der Völkerbund sollte Grenzfestlegungen treffen. Mit Tschechien und Russland gab es dabei weniger Probleme. Nach 123 Jahren deutscher Besetzung und Germanisierung, wie dem inzwischen fast ausschließlich deutsch besiedelten Danzig, waren Wilsons Vorstellungen (s.o.), beziehungsweise einem allgemeinen Konsens, jedoch nicht ohne weiteres nachzukommen. Die Warschauer Delegation forderte auch die Angliederung altpolnischer Gebiete West- und Ostpreußens, Schlesiens und Pommerns an Polen, wodurch es in Deutschland zu Massendemonstrationen kam.

Letztendlich erhielt Danzig als Völkerbundprotektorat den Freistaatstatus und in den anderen umstrittenen Gebieten sollte das Volk durch Abstimmung entscheiden. Von polnischer Seite aus wurden einige Aufstände organisiert, um die Gebiete zu kontrollieren und zugesprochen zu bekommen. Auch die französischen Soldaten, sowie polnische katholische Geistliche sympathisierten mit der polnischen Seite, weshalb trotz über neunzigprozentiger Volkszustimmung zur deutschen Zugehörigkeit einiger Kreise deren Anschluss an Polen beschlossen wurde[4]. Auch Oberschlesien wurde versucht durch einen polnischen Aufstand 1920 zu polonisieren, was allerdings scheiterte. Unter anderem durch Bestechungs- und Einschüchterungsversuche für ein Votum für Polen war versucht worden das letztendlich mit 59,4% für Deutschland entschiedene Wahlergebnis zu beeinflussen. Spannungen zwischen der deutschen und der polnischen Minderheit, die bis hin zu gegenseitigen Terroraktionen führten, dürften auch eine ungünstige Vertrauensbasis gegenüber dem anderen Volk gewesen sein. Nach erneuten Kämpfen, von Polen initiiert und Deutschen niedergeschlagen, wurde Oberschlesien schließlich doch geteilt, was mit nicht klar zu trennenden Siedlungsgebieten der beiden Völker eine schwierige und beiderseits unzufriedenstellende Grenzziehung bedeutete:

überwiegend deutsch besiedelte Gebiete wurden Polen zugesprochen. Zwar wurde im Zuge des Versailler Vertrags der Minderheitenschutz innerhalb Polens geregelt, die polnische Verfassung von 1921 legte das Recht jeden Bürgers „auf Beibehaltung seiner Volkszugehörigkeit und Pflege seiner Sprache und nationalen Eigenarten“, sowie ein Gründungsrecht eigener Verbände und Bildungseinrichtungen fest und ein Beschwerderecht beim Völkerbund wurde eingeführt. Trotzdem änderte all das nichts an der „rigiden Polonisierungspolitik“ Warschaus (Urban, 1994, 38+39). Große Ausreisewellen, Ausweisungen von Bevölkerungsgruppen, Umsiedlungen von Deutschen in östlichere Gebiete, die Schließung deutscher Schulen standen an der Tagesordnung. Deutsche Zeitzeugen sprachen von einem „Schreckensregime“, von Massakern an Volksdeutschen wird gemunkelt (Urban, 1994, 40+43). Die Versuche der Deutschen sich in politischen Vertretungen zu organisieren konnten nichts an den misslichen Zuständen ändern. Keineswegs eine Entschuldigung für das konsequente Durchgreifen, aber eine nicht außer Acht zu lassende Tatsache stellt die Ausgangsposition der polnischen Regierung dar, die mit innerparteilichen Schwierigkeiten und häufigen Wechseln als recht instabil bezeichnet werden kann. Vor allem die komplizierte Lage, sich neben der Grenz- und Minderheitenproblematik mit der Vereinheitlichung der durch die aufgehobene Dreiteilung im Lande vorherrschenden unterschiedlichen Rechts-, Verkehrs-, Verwaltungs- und Bildungssysteme, sowie der Bewältigung wirtschaftlicher und sozialer Probleme und der Regierungsinstabilität auseinandersetzen zu müssen, lässt erahnen, unter welchem Konflikt sich die Regierung speziell bei ihren Beschlüssen zum Eindämmen des deutschen Einflusses in Polen befand.

Auch auf deutscher Seite wurde mit der polnischen Minderheit entgegen Festlegungen in der Weimarer Verfassung umgegangen. Vor allem im Ruhrpott und im deutschen Teil Schlesiens lebten viele Polen, die sich in Vereinen organisierten. Genaue Zahlenangaben schwanken, vermutlich aufgrund von Auswanderungen und der unklaren Zuordnung wer alles als Pole bezeichnet werden sollte. Polnische Verbände wurden überwacht und ihre Tätigkeit behindert.

2.1.3. Umsiedlungen und Terror durch Hitlers Politik

Trotz den 1932 bzw. 1934 beschlossenen Nichtangriffspakten der UdSSR und des nationalsozialistischen Deutschlands mit Polen, marschierte Hitler am 1.9.1939 in Polen ein, womit er den Zweiten Weltkrieg auslöste. Zuvor waren durch den „Hitler-Stalin-Pakt“ ein deutsch-sowjetischer Grenz- und Freundschaftsvertrag mit Besetzungs- und Aufteilungsabsprachen der polnischen Gebiete vereinbart worden. Während Hitler also im Westen Polens einfiel und aufgrund der Warschauer Polonisierungspolitik von vielen dort lebenden Volksdeutschen freudigst begrüßt wurde, begann die Rote Armee mit der Eingliederung polnischer Ostgebiete in die weißrussische und ukrainische Sowjetpolitik. Die fünf Millionen polnischen Muttersprachler mussten unter anderem grundlose Verhaftungen und Hinrichtungen, Terrormaßnahmen über sich ergehen lassen. 1940 wurden mehrere hunderttausend Repräsentanten des Polentums deportiert. Vor allem die, von den Russen geleugnete, Ermordung von 12.000 polnischen Offizieren, 4.000 Priestern und Intellektuellen, sowie von über 200.000 Kriegsgefangenen belasteten das polnischsowjetische Verhältnis (Urban, 1994, 63).

Im Westen Polens nahm Hitler eine, sich flächenmäßig fast entsprechende, Aufteilung in „eingegliederte Ostgebiete“, die, mit 87% Polen, 6,5% Deutschen und 6,4% Juden bewohnt, mit dem Reich vereint wurden, und das „Nebenland“, die Mitte Polens, die als Generalgouvernement regiert werden und als deutsche Kolonie fungieren sollte, vor (Bingen, 1998, 30f.). Generell wurde das Polentum, polnische Schulen, die Sprache, Kultur, der katholische Glaube, verboten und rigoros die nationalsozialistische Lebensraumpolitik durchzusetzen versucht. Ziel Hitlers war es, innerhalb von zehn Jahren „völlig deutsch besiedeltes Land“ zu schaffen. Dazu wurden ca. eine Million Polen zur unfreien Fremdarbeit ins Altreich geschickt, zehn bis 20.000 Angehörige der polnischen Führungsschicht, unter ihnen auch viele katholische Geistliche, ermordet und andere Polen, wenn nicht umgesiedelt, so zumindest schutzlos entrechtet. Ungefähr 365.000 Polen wurden aus den „eingegliederten Ostgebieten“ ins „Nebenland“ umgesiedelt und Volksdeutsche aus sowjetischen Gebieten erhielten deren Besitztümer. Über die Erstellung der „Deutschen Volkliste“ wurden die Menschen nach dem Grad möglicher Germanisierung erfasst (Urban, 1994, 22). Nach dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion, 22.6.1941, und der Eroberung polnischer Ostgebiete wurde die Realisierung weiterer Vertreibungs- und Aussiedlungsprogramme vorgenommen.

Neben dem Polentum wurde vor allem auch die Ausrottung der Juden auf den eroberten polnischen Gebieten vorangetrieben. Sie wurden aus den verschiedenen Gebieten zusammengetrieben, entrechtet und, wenn nicht zuvor durch SSEinsatztruppen 1941 ermordet, ins Warschauer Ghetto und/oder in errichtete Konzentrations- und Vernichtungslager verfrachtet. Zu den bekanntesten Lagern auf polnischem Terrain zählen Auschwitz-Birkenau und Treblinka. Im deutsch besetzten Polen wurden etwa vier bis fünf Millionen Juden umgebracht.

Seit Ende 1943 manifestierte sich Widerstand unter der polnischen Landbevölkerung. Auch die Exilarmee und –regierung in London und Paris, sowie die Kommunisten stellten sich gegen Hitlers Politik. Doch bis zur sowjetischen Winteroffensive im Januar 1945, durch die Polen befreit und eine provisorischen polnische Regierung eingesetzt wurde, waren sämtliche Aufstände von der deutschen Besatzung niedergeschlagen worden. Mit Beendigung des Zweiten Weltkriegs und den Friedenskonferenzen begannen wiederum Grenzstreitigkeiten und massive Bevölkerungsverschiebungen und –vertreibungen vor allem auch von deutschen Siedlern, die unter Hitlers Herrschaft auf polnischem Gebiet lebten: „Den Preis für die Vernichtungspolitik der Nationalsozialisten, die von ihnen brutal durchgeführten Vertreibungen, die Mißachtung jeglicher Rechte und die völlige Unterdrückung der Polen, sollten nach dem Krieg vor allem die Ostdeutschen und die Volksdeutschen bezahlen.“ (Urban, 1994, 49). Es folgte, sozusagen als Ausgleich für östliche Gebietsabgaben an die Sowjetunion und der damit verbundenen Vertreibung von 1,5 Millionen Polen, zwischen 1946-49 die zwanghafte Umsiedlung von mindestens 2,3 Millionen deutschstämmigen Menschen in die britische- und die sowjetische Besatzungszone, die größte mit Gewalt erzwungene Völkerwanderung in der jüngeren Geschichte, die zwar Teil der Beschlüsse der Potsdamer Friedenskonferenz, jedoch bereits zuvor im polnischen Alleingang begonnen worden war (Urban, 1994, 50+51). Insgesamt wird von knapp sieben Millionen Flüchtlingen und Vertriebenen aus Pommern, Ostpreußen, Ostbrandenburg und Schlesien ausgegangen, die nicht selten ausgeplündert und/oder gegen Personen gerichteten Brutalitäten ausgesetzt waren, was von Polen weitgehendst verleugnet wurde. Von polnischer Seite wurden die Umsiedlungen als berechtigt angesehen (Urban, 1994, 56-58).

2.1.4. Erneute Zwangspolonisierung unter dem kommunistischen Regime

Nach Beendigung des Zweiten Weltkriegs herrschte die neu gegründete kommunistische Partei PPR über die polnische „Volksdemokratie (1945-1980)“ (Bingen, 1998, 34). Sie manifestierte ihre Macht mit brutalen Ausschaltungen ihrer Opposition, schloss sich, nach willkürlicher, interner Umstrukturierung, mit der sozialistischen PPS zur polnisch vereinigten Arbeiterpartei PZPR zusammen und führte das sowjetische Modell in sämtlichen Ebenen ein. Man kann von einer „Scheindemokratie mit stalinistischer Verfassung“ sprechen. Gegenüber den Minderheiten wurde Repressionspolitik betrieben, Ziel war „die Schaffung einer ‚national homogenen sozialistischen Nation’“ (Urban, 1994, 67). Mit Ermordungen im umfunktionierten Arbeitslager Lamsdorf, in das 8.000 deutschstämmige Personen eingewiesen wurden, begann die Umsetzung. Die in Schlesien stationierten sowjetischen Truppen terrorisierten die Bevölkerung in den wiedergewonnenen Gebieten. Viele zweisprachige Schlesier, die innerlich unsicher über ihre Zugehörigkeit waren, mussten sich zwangsweise für polnisch erklären. Daneben sollte in „Verifizierungs-Verfahren“ die Zugehörigkeit der Zurückgebliebenen zum Polentum unter Beweis gestellt werden. Dazu hatte man sich zu Polen bekennen. Bis 1948 sind 1.017.086 ehemalige deutsche Reichsbürger verifiziert worden, 867.105 davon in Oberschlesien (Urban, 1994, 78). Nicht selten wurden Oberschlesier als Deutsche eingestuft, um sie, damit rechtlich abgesichert, ausrauben zu können.

Andererseits wurden nach 1948 erheblich mehr Menschen als polnisch eingestuft, sogar ehemalige NSDAP-Mitglieder, um möglichst viele Menschen im Land zu halten. Wer jedoch nicht die Option für Polen ergriff, konnte gewaltsam dazu gezwungen werden. Das 1951 in Kraft tretende polnische Staatsbürgergesetz, was später vom deutschen Bundesverfassungsgesetz als rechtlich unwirksam eingestuft wurde, sah die „Repolonisierung“ der Bevölkerung Polens vor (Urban, 1994, 80).

Fünf Jahre später gab der Parteichef der PZPR für Oberschlesien folgendes bekannt: “Wir müssen jene Personen feststellen, die sich öffentlich oder privat des Deutschen bedienen, und wir müssen sie als Deutsche aus der polnischen Gesellschaft eliminieren – das heißt, aus dem Gebiet der Republik entfernen... Man muss auch Personen entlarven, die deutschen Kriegsgefangenen Mitleid bezeugen und ihnen Obhut sowie materielle Hilfe zukommen lassen... Man muss sich mit Zeichen von Sympathie gegenüber Deutschen befassen. Diese Sympathie kommt im Gebrauch der deutschen Sprache zum Ausdruck, im Lesen deutscher Bücher an öffentlichen Plätzen, in der Pflege deutscher Soldatengräber, im Beibehalten deutscher Aufschriften in Privatwohnungen.“ (Urban, 1994, 81+82). Das Zitat spricht für sich, verdeutlicht die betriebene Politik. Es folgten Hausdurchsuchungen, Lauschangriffe, Zerstörungen und letztendlich die Bekanntgabe, das Deutschtum besiegt zu haben. Parallel dazu formierten sich allerdings deutsche Vereine und es kam in den 50er Jahren sogar zeitweilig regional zur Anerkennung der deutschen Minderheit. Mit Beginn der Ära Giereks als PZPR Parteivorsitzender, 1970-1980, entwickelte sich langsam eine offizielle Entspannung der Situation. Aufgrund der deutschen Ostpolitik kam es zu Ausreiseprotokollen und einer Kreditgewährung von 2,3 Millionen Mark, mit der unter anderem die Rentenansprüche der deutschen Bevölkerung Polens finanziert werden sollten. Der allgemeine Kredit von einer Million Mark konnte nicht zurückgezahlt werden. Gespräche über Minderheitenschutz scheiterten. Gierek gab schließlich die nationale Homogenität als seinen Politikerfolg an, den er durch Abschaffung des deutschen Vereinslebens zu wahren suchte.

„Die polnischen Kommunisten haben innerhalb von vier Jahrzehnten das geschafft, was den Preußen in zwei Jahrhunderten nicht gelungen ist: die Oberschlesier zu Deutschen zu machen.“ (Urban, 1994, 17).

Den die gesamte kommunistische Herrschaft über Polen begleitenden ökonomischen Verfall des Landes, der auch die politische Ordnung geschwächt hatte, vermochte auch Gierek nicht abzuwenden. Seit dem Tod Stalins 1953 und dem damit verbundenen Abbau des staatsterroristischen Drucks war zwar von Reformierungen und Liberalisierungen gesprochen worden, doch Giereks „sozialistische Demokratie“ (Bingen, 1998, 71) drückte sich in einer Verstärkung der Parteiherrschaft auf allen Ebenen aus. Die Unzufriedenheit in der Bevölkerung wuchs, Streikbewegungen wurden populär, vor allem das überbetriebliche Streikkomitee unter Walesa, der als Elektriker Mitglied der unabhängigen Gewerkschaftsbewegung Solidarnosc war, erhielt verstärkt Zulauf und Zustimmung. Aus den Versuchen der PZPR eigenständige Gewerkschaften zuzulassen, sowie ihnen ein Streikrecht und Zugang zu Massenmedien einzuräumen, um sich durch Einlenken aus der desolaten Lage herauszuwinden, resultierte letztendlich der Verlust der kommunistischen Legitimation auf die Staatsmacht. Unter Druck aus Moskau und dem Willen die Parteiherrschaft aufrechtzuerhalten, rief die PZPR 1981 das Kriegsrecht über Polen aus. Zur Rechtfertigung wurden Umsturzpläne von Aktivisten, vor allem der Solidarnosc, die daraufhin in den Untergrund treten musste, genannt, sowie die nationale Errettung. Die militärische Herrschaft zog erneut hohe Ausreisewellen nach sich. Beispielsweise mit Hilfe von Mystifizierung der deutsch-polnischen Schlacht im 15 Jahrhundert (vgl. 2.1.1.) wurde konsequent Propaganda gegen Deutschland betrieben, die in der Bevölkerung großen Anklang fand. Gegen Gruppierungen zur Unterstützung des Deutschtums, unter anderem den Deutschen Freundschaftskreis (DFK), ging die Geheimpolizei vor. Vermittlungsversuche von Deutschland aus wurden bis 1986 vollkommen abgelehnt, bis endgültig die kritische ökonomische Situation Polens kaum mehr eine Kooperationsverweigerung zuließ. Allein um die deutschen Facharbeiter zu halten, ohne die die Kohleindustrie gänzlich zusammengebrochen wäre, mussten Minderheitsrechte eingeführt werden. Parallel wurde die Existenz der deutschen Minderheit allerdings weiterhin verleugnet. Mit der erneuten Zuspitzung der Bevölkerungsunzufriedenheit blieb der PZPR 1988 nichts anderes mehr übrig als dem Konzept des „Runden Tisches“ zur parlamentarischen Demokratie zuzustimmen (Bingen, 1998, 59). Die PZPR wurde durch erste freie Wahlen abgesetzt und im Dezember 1990 wurde der Gewerkschaftsvorsitzende Lech Walesa zum ersten frei gewählter Präsidenten.

[...]


[1] http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,180137,00.html.

[2] Verwandte Werke zur deutsch-polnischen Geschichte: Bingen, 1998, S.15-85 + S.206-212 und Urban, 1994.

[3] Baltischer Stamm, der die Gebiete des ehemaligen Ostpreußens bewohnte und ethnisch mit den Litauern und Lettländern verwandt war. Um 1280 durch Kreuzritterorden, statt missioniert, weitgehendst ausgerottet. (Wirpsza, 1971, 259).

[4] Das Resultat des Einmischens katholischer Geistlicher, auch durch zur Wahl Stellungen, war allerdings ein offizielles kirchliches Politikverbot vom Vatikan. (Urban, 1994, 33+34).

Final del extracto de 34 páginas

Detalles

Título
Der unbekannte Nachbar - Probleme und Chancen deutsch-polnischer Beziehungen
Universidad
Technical University of Chemnitz  (Medienkommunikation und Interkulturelle Kommunikation)
Calificación
1,7
Autor
Año
2002
Páginas
34
No. de catálogo
V70710
ISBN (Ebook)
9783638618762
ISBN (Libro)
9783638810500
Tamaño de fichero
610 KB
Idioma
Alemán
Palabras clave
Nachbar, Probleme, Chancen, Beziehungen
Citar trabajo
Fabienne Scheu (Autor), 2002, Der unbekannte Nachbar - Probleme und Chancen deutsch-polnischer Beziehungen, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/70710

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