Zwischen dem 20. November 1945 und dem 1. Oktober 1946 standen 22 der einflussreichsten Persönlichkeiten Nazi-Deutschlands in Nürnberg als Angeklagte vor dem Internationalen Militärgerichtshof. Einer von ihnen war Hans Frank, persönlicher Anwalt Adolf Hitlers, bayerischer Staatsminister für Justiz, Reichsminister ohne Geschäftsbereich und ab 1939 Generalgouverneur des Generalgouvernements in Polen. Auch wenn er nicht zu den zentralen Entscheidungsträgern des Hitlerregimes gehörte, so wurde er als Leiter des Generalgouvernements doch Symbol für die unter der deutschen Herrschaft in Polen verübten Gewaltverbrechen.
Die 1987 von seinem jüngsten Sohn Niklas Frank in Buchform veröffentlichte Abrechnung mit dem verhassten Vater lenkte erstmals die Aufmerksamkeit eines breiteren Publikums auf seine Person. ‚Der Vater′, so der Titel des Buches, gilt noch immer als eine der schonungslosesten Auseinandersetzungen eines "Täterkindes" mit der NS-Vergangenheit der eigenen Familie.
Diese Arbeit widmet sich einer psychologischen Betrachtung der Person Hans Frank im Rahmen des Nürnberger Prozesses. Die Untersuchung stützt sich dabei insbesondere auf die während des Nürnberger Prozesses angefertigten Aufzeichnungen des Gefängnispsychologen Gustave M. Gilbert und des Gerichtspsychiaters Leon Goldensohn. Die Funktion der beiden Amerikaner im Rahmen des Prozesses, ihre Arbeitsweise sowie ihr Verhältnis zu den Angeklagten sind daher ebenso Teil dieser Erörterung.
Die Aufzeichnungen beider Psychologen beschreiben aus unterschiedlicher Perspektive ihre Eindrücke des Mannes, der als "Polenschlächter" in die Geschichte einging. So war Hans Frank der einzige Angeklagte, der sich zunächst vorbehaltlos zu seiner Schuld und Verantwortung bekannte. Doch was bedeuteten Begriffe wie Schuld, Verantwortung oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit für einen Mann wie Hans Frank? Wie reagierte er auf die gegen ihn gerichtete Anklage und wie bewertete er seine Handlungen im Rückblick aus der Gefängniszelle?
Diese Arbeit geht insofern über eine rein rechtshistorische Betrachtungsweise hinaus und nimmt die Persönlichkeit des NS-Kronjuristen, als Angeklagter in einem der größten Prozesse des 20. Jahrhunderts, in Augenschein. Es wird bewusst auf eine ausführliche Beschreibung der Tätigkeiten und Verantwortlichkeiten Hans Franks in seinen verschiedenen Positionen bis 1945 verzichtet. Der Schwerpunkt der Betrachtung liegt auf der Zeit Franks im Nürnberger Gefängnis.
Gliederung
A. Einleitung
B. Hans Franks Werdegang
C. Die amerikanischen Militärpsychologen
I. Gustave M. Gilbert
II. Leon Goldensohn
III. Gemeinsame Aspekte ihrer Arbeit
D. Hans Frank aus psychologischer Sicht
I. Franks Einstellung gegenüber den Psychologen und Mitangeklagten
II. Franks Familie
III. Franks Religiosität und sein Schuldgeständnis
IV. Franks Ansichten über Hitler und den Nationalsozialismus
V. Franks auffälligste Persönlichkeitsmerkmale
E. Schlussbetrachtung
Literaturverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Einleitung
Zwischen dem 20. November 1945 und dem 1. Oktober 1946 standen 22 der einflussreichsten Persönlichkeiten Nazi-Deutschlands in Nürnberg als Angeklagte vor dem Internationalen Militärgerichtshof. Einer von ihnen war Hans Frank, persönlicher Anwalt Adolf Hitlers, bayerischer Staatsminister für Justiz, Reichsminister ohne Geschäftsbereich und ab 1939 Generalgouverneur des Generalgouvernements in Polen. Auch wenn er nicht zu den zentralen Entscheidungsträgern des Hitlerregimes gehörte, so wurde er als Leiter des Generalgouvernements doch Symbol für die unter der deutschen Herrschaft in Polen verübten Gewaltverbrechen.
Die 1987 von seinem jüngsten Sohn Niklas Frank in Buchform veröffentlichte Abrechnung mit dem verhassten Vater lenkte erstmals die Aufmerksamkeit eines breiteren Publikums auf seine Person. ‚Der Vater’, so der Titel des Buches, gilt noch immer als eine der schonungslosesten Auseinandersetzungen eines „Täterkindes“ mit der NS-Vergangenheit der eigenen Familie.
Diese Arbeit will sich einer psychologischen Betrachtung der Person Hans Frank im Rahmen des Nürnberger Prozesses widmen. Die Untersuchung stützt sich dabei insbesondere auf die während des Nürnberger Prozesses angefertigten Aufzeichnungen des Gefängnispsychologen Gustave M. Gilbert und des Gerichtspsychiaters Leon Goldensohn. Die Funktion der beiden Amerikaner im Rahmen des Prozesses, ihre Arbeitsweise sowie ihr Verhältnis zu den Angeklagten sind daher ebenso Teil dieser Erörterung.
Die Aufzeichnungen beider Psychologen beschreiben aus unterschiedlicher Perspektive ihre Eindrücke des Mannes, der als „Polenschlächter“ in die Geschichte einging. So war Hans Frank der einzige Angeklagte, der sich zunächst vorbehaltlos zu seiner Schuld und Verantwortung bekannte. Doch was bedeuteten Begriffe wie Schuld, Verantwortung oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit für einen Mann wie Hans Frank? Wie reagierte er auf die gegen ihn gerichtete Anklage und wie bewertete er seine Handlungen im Rückblick aus der Gefängniszelle?
Diese Arbeit geht insofern über eine rein rechtshistorische Betrachtungsweise hinaus und nimmt die Persönlichkeit des NS-Kronjuristen, als Angeklagter in einem der größten Prozesse des 20. Jahrhunderts, in Augenschein. Es wird bewusst auf eine ausführliche Beschreibung der Tätigkeiten und Verantwortlichkeiten Hans Franks in seinen verschiedenen Positionen bis 1945 verzichtet. Der Schwerpunkt der Betrachtung liegt auf der Zeit Franks im Nürnberger Gefängnis.
Über Hans Frank wurde vergleichsweise wenig Fachliteratur veröffentlicht. Neben Niklas Franks Abrechnung mit dem eigenen Vater sticht unter anderem Christoph Kleßmanns Kurzporträt der Persönlichkeit des Generalgouverneurs in seiner Amtszeit von 1939 bis 1945 hervor. Christian Schudnagies zeichnete in einer Arbeit den karrieristischen Werdegang des NS-Juristen nach. Daneben bestimmt vor allem Hans Frank selbst den Literaturfundus zu seiner Person. Seine umfangreichen Tagebücher aus der Zeit als Generalgouverneur dienten auch als Beweismittel vor dem Internationalen Militärgerichtshof. Hier seien jedoch besonders seine im Nürnberger Gefängnis unter dem Titel ‚Im Angesicht des Galgens’ festgehaltenen Erinnerungen erwähnt. Ausschnitte aus Franks Tagebüchern wurden in mehreren kommentierten Fassungen veröffentlicht.
Auch wenn die Erkenntnisse Gilberts und Goldensohns im Vordergrund stehen, scheint die ergänzende Berücksichtigung dieser Quellen zugunsten der Erfassung der Person Hans Frank für diese Arbeit unerlässlich.
B. Hans Franks Werdegang
Zum Verständnis der nachfolgenden Erörterung soll zunächst ein für die psychologische Betrachtung relevanter Überblick über das Leben des Generalgouverneurs vor seiner Gefangennahme im Mai 1945 gegeben werden.
Am 23. Mai 1900 als Sohn eines Rechtsanwalts in Karlsruhe geboren, studierte Frank Rechts- und Wirtschaftswissenschaften und promovierte 1924 zum Dr. jur.[1] Bereits 1923 schloss er sich erstmals der NSDAP an und beteiligte sich an Hitlers Putschversuch am 9. November in München. Ab 1927 avancierte er durch die unentgeltliche Verteidigung erwerbsloser Parteimitglieder und der persönlichen Vertretung Adolf Hitlers in zahlreichen Prozessen schnell zu einem der führenden Juristen der NSDAP. Mit der Machtübernahme Hitlers 1933 besetzte Frank mehrere höhere Ämter in Partei und Politik, die jedoch kaum politischen Einfluss für ihn bedeuteten. So genoss er als bayerischer Staatsminister der Justiz, Reichsrechtsführer der NSDAP, Präsident der Akademie für Deutsches Recht und Reichsminister ohne Geschäftsbereich zwar gesellschaftliches Ansehen, hatte jedoch keine tatsächliche Machtbefugnis. Dies lag zum Großteil an der Tatsache, dass dem Rechtssystem im Führerstaat Hitlers eine stets geringere Bedeutung beigemessen wurde.
Als bürgerlicher Intellektueller hatte Frank ferner nie direkten Zugang zur NS-Spitze. So sind auch die Motive, die 1939 zur Ernennung Franks zum Generalgouverneur der nicht ins Deutsche Reich eingegliederten polnischen Gebiete führten, unklar. Frank besaß weder Qualifikationen im Verwaltungsbereich noch Kenntnisse der polnischen Sprache, Geschichte oder Kultur.[2] Eigener Aussage zufolge waren Frank die polnischen Verhältnisse und Probleme aufgrund mehrerer Begegnungen mit polnischen Juristen jedoch durchaus vertraut.[3]
Dessen ungeachtet bedeutete die Position des Generalgouverneurs für Frank erstmalig eine politische Machtfunktion. Frank residierte in der altpolnischen Königsburg zu Krakau und pflegte einen großzügigen Lebensstil. Dieser wurde unter anderem durch die sich in der Burg ansammelnden gestohlenen Kunstobjekte aus ganz Polen geprägt.[4]
Bereits kurze Zeit nach Amtsantritt zeichneten sich jedoch Kompetenzstreitigkeiten mit der SS unter Reichsführer Heinrich Himmler und dessen Vertreter im Generalgouvernement Friedrich Wilhelm Krüger ab. Frank, dessen Position durch mehrere Korruptionsaffären zusätzlich geschwächt war,[5] konnte diese nicht zu seinen Gunsten entscheiden.[6]
Im Sommer 1942 hielt Frank an vier deutschen Universitäten Vorträge, in denen er für die Rückkehr zu bestimmten rechtsstaatlichen Grundsätzen plädierte.[7] Hitler ließ ihn daraufhin von allen Ämtern im Reich entbinden und erteilte ihm öffentliches Redeverbot in Deutschland. Franks mehrfache Rücktrittsgesuche vom Posten des Generalgouverneurs wurden jedoch abgelehnt.[8] Frank blieb daher bis zum 17. Januar 1945, kurz vor Einmarsch der Roten Armee, in seinem Amtssitz in Krakau.
Am 4. Mai 1945 wurde er von US-Soldaten in seiner neu errichteten Dienststelle in Neuhaus am Schliersee festgenommen.[9]
Auch wenn sein realer Einfluss geringer war, als der äußere Anschein vermuten ließ, ist Franks Verantwortung und Mitschuld an den unter seiner Herrschaft in Polen begangenen Verbrechen unbestreitbar. Die durchgeführten Gettoisierungen, Deportationen, Enteignungen, Zwangsarbeitsverpflichtungen sowie die Vernichtung ganzer Bevölkerungsgruppen wurden von Frank sowohl ideologisch als auch in der Praxis mitgetragen und vorangetrieben. Dies belegen unter anderem etliche seiner Tagebucheintragungen.[10]
C. Die amerikanischen Militärpsychologen
In diesem Teil der Erörterung soll zunächst auf die beiden Militärpsychologen Gilbert und Goldensohn und ihre Arbeitsweise im Rahmen des Nürnberger Prozesses eingegangen werden.
Der Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess wurde vor dem von vier Nationen (USA, Sowjetunion, Großbritannien und Frankreich) gemeinsam getragenen Internationalen Militärtribunal abgehalten. Die Amerikaner dominierten jedoch maßgeblich die Durchführung. Neben der Tatsache, dass der Prozess im amerikanischen Sektor von Deutschland abgehalten wurde, war hierfür vor allem die Größe des amerikanischen Mitarbeiterstabes ursächlich. Während die sowjetische, französische und britische Anklage jeweils maximal dreißig Mitarbeiter hatte, verfügte der amerikanische Chefankläger Jackson über einen Mitarbeiterstab von rund zweihundert Personen.[11] So ist es nicht verwunderlich, dass auch der überwiegende Teil des medizinisch-psychologischen Personals inklusive des Gefängnispsychologen Gilbert und des Gerichtspsychiaters Goldensohn von den Amerikanern gestellt wurde.
I. Gustave M. Gilbert
Nach Beendigung seines Psychologiestudiums und mit Eintritt der Amerikaner in den Krieg wurde der 1911 in New York geborene Gustave M. Gilbert eingezogen und als Nachrichtenoffizier und Militärpsychologe eingesetzt.[12] Da er fließend deutsch sprach, konnte Gilbert als Übersetzer im Nürnberger Gefängnis einspringen und gelangte daraufhin auch an die Posten des Gefängnispsychologen. Seine Aufgabe bestand in erster Linie darin, die Gefangenen zu beobachten, die Stimmung im Gefängnis zu beurteilen und dem Gefängniskommandanten über seine Erkenntnisse zu berichten. Gilbert war bereits einen Monat vor Prozessbeginn zusammen mit den Angeklagten im Nürnberger Gefängnis eingetroffen. Er nutzte diese Zeit für psychologische Tests und intensive Gespräche mit den 22 Inhaftierten, zu deren Zellen er jederzeit freien Zugang hatte. Im gesamten Verlauf des Prozesses begleitete er die Angeklagten täglich in den Gerichtssaal und besuchte sie abends in ihren Zellen. Gilbert legte dabei Wert auf möglichst zwanglose Unterhaltungen. In Gegenwart der Gefangenen machte er sich daher keinerlei Notizen. Seine Beobachtungen hielt er allabendlich schriftlich fest. Diese Aufzeichnungen dienten als Grundlage seines bereits 1947 erschienenen ‚Nürnberger Tagebuchs’. Chronologisch aufgebaut gibt es sowohl Gilberts tägliche Gespräche mit den Angeklagten als auch die von ihm beobachtete Kommunikation der Gefängnisinsassen untereinander wieder. Dabei spielen vor allem deren Reaktionen auf aktuelle Prozessgeschehnisse eine Rolle.
II. Leon Goldensohn
Leon Goldensohn wurde 1911 ebenfalls in New York geboren und absolvierte nach seinem Medizinstudium eine psychiatrische Ausbildung.[13] Im Januar 1946 ersetzte er den bis dahin in Nürnberg tätigen Gerichtspsychiater Douglas M. Kelley. Seine Aufgabe war jedoch nicht die Behandlung der Gefangenen sondern ihre Beobachtung. Dabei ging es im Gegensatz zur Position Gilberts weniger um die Gewährleistung des geregelten Gefängnis- und Prozessablaufs, sondern vielmehr um für den Prozess relevante Aufschlüsse über die Persönlichkeiten der NS-Größen.
Auch Goldensohn hatte täglichen Zugang zu den Angeklagten. Da er nur wenig deutsch sprach, griff er bei seinen Gesprächen auf einen Dolmetscher zurück. Anders als Gilbert machte er sich während der Gespräche regelmäßig detaillierte Notizen. Sein Kontakt zu den Angeklagten war daher deutlich weniger zwanglos, einige der Gefangenen hielten ihn jedoch für objektiver und professioneller.[14]
[...]
[1] Zum folgenden vgl. Geiss/Jacobmeyer, S. 11 ff.; Schudnagies, S. 17 ff.; Israel Gutman (Hrsg.), Enzyklopädie des Holocausts. Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden, München 1995, Bd. 1, S. 477 ff.
[2] Geiss/Jacobmeyer, S. 12.
[3] Frank, Hans, S. 390 f.
[4] Kleßmann, S. 255; Frank, Niklas, S. 100 f.
[5] Piotrowski, S. 23 ff.; Frank, Niklas, S. 133 ff.
[6] Schudnagies, S. 46 ff., 59 ff.; Kleßmann, S. 246.
[7] Piotrowski, S. 16 ff.; Auszug der Rede vom 20. Juli 1942 in: Frank, Hans, S. 429 ff.
[8] Kleßmann, S. 277 f.; Schudnagies, S. 61 ff.
[9] Schudnagies, S.75 ff.
[10] Ebda., S. 50 ff.; Piotrowski, S. 60 f.
[11] Goldensohn, S. 30.
[12] Zum folgenden Gilbert, S. 9 f.
[13] Zum folgenden Goldensohn, S. 32 f.
[14] Goldensohn, S. 33, 111.
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