Erziehungsratgeber gehören heute in die Bücherregale der Eltern, wie Bauklötze zum Kinderzimmer, denn der Druck alles richtig zu machen, der auf den Müttern und Vätern lastet, ist in den letzten Jahren auf belastende Weise gestiegen. Vor allem die Kenntnisse aus der Psychoanalyse oder aus der Entwicklungspsychologie lenkten den Blick auf die Erziehung, die mit dem ersten Tag des Kindes im Elternhaus beginnt und wohl irgendwo nach dem Schulabschluss durch soziale Institutionen und Bildungseinrichtungen abgeschlossen sein sollte. Erziehung ist dabei nicht gleichzusetzen mit Sozialisation, denn sie bezeichnet im Allgemeinen die Einflussnahme der Erwachsenen auf die Entwicklung der Kinder. Erziehungsmaßnahmen begleiten die ganze Kindheit und das Jugendalter und als Erwachsener wird der Mensch dann weiter von staatlichen Gesetzen erzogen. Dabei ist es auffällig, dass jedes Zeitalter, aber auch jede Kultur seine ganz eigene Definition davon liefert, was Erziehung ist, welches Ziel sie verfolgt und mit welchen Mitteln dieses Ziel erreicht werden soll. Selbst innerhalb eines eindeutig geographisch und kulturell abgegrenzten Gebiets sind bestimmte Erziehungsmethoden strittig und nicht von allen akzeptiert. So werden auch Aggressionen von Erwachsenen in Beziehung zum Kind gerne als Erziehungsmaßnahmen getarnt, und das Kind wird als Sündenbock für eigene Probleme missbraucht.
Die Aufgabe dieser Arbeit ist es, die Erziehung als gezielte Einflussnahme der Erwachsenen auf das Leben des Kindes zu hinterfragen. Dabei spielt vor allem das zugrundeliegende Menschenbild eine wesentliche Rolle. Die folgenden Überlegungen sollen untersuchen, inwieweit das Leben der Kinder durch ihr Umfeld, vor allem durch die auftretenden Erziehungsinstanzen, geprägt wird und somit das Recht auf ein gutes Leben vielleicht vom ersten Tag an beschnitten wird.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Das Individuum des Kindes
2.1 Sind Kinder Personen ?
2.2 Von der Eudeimonia des Kindes
2.3 Die Freiheit der kindlichen Person
3. Zu den Erziehungsinstanzen
3.1 Die Pflicht der Erziehenden
3.2 Die Beschränkung der Erziehungsverantwortung
4. Erziehung
4.1 Definitionen und Sichtweisen von Erziehung
4.1.1 Analytische Erziehungsphilosophie Peters
4.1.2 Erziehung bei Schleiermacher
4.1.3 Kants Erziehungsbegriff
4.2 Steht das Ende der Erziehung bevor?
4.3 Erziehungsziele
4.4 Grundzüge der Kontroll- und Autonomiepädagogik
5. Schlussbetrachtung
6. Literaturnachweis
1. Einleitung
Erziehungsratgeber gehören heute in die Bücherregale der Eltern, wie Bauklötze zum Kinderzimmer, denn der Druck alles richtig zu machen, der auf den Müttern und Vätern lastet, ist in den letzten Jahren auf belastende Weise gestiegen. Vor allem die Kenntnisse aus der Psychoanalyse oder aus der Entwicklungspsychologie lenkten den Blick auf die Erziehung, die mit dem ersten Tag des Kindes im Elternhaus beginnt und wohl irgendwo nach dem Schulabschluss durch soziale Institutionen und Bildungseinrichtungen abgeschlossen sein sollte. Erziehung ist dabei nicht gleichzusetzen mit Sozialisation, denn sie bezeichnet im Allgemeinen die Einflussnahme der Erwachsenen auf die Entwicklung der Kinder. Erziehungsmaßnahmen begleiten die ganze Kindheit und das Jugendalter und als Erwachsener wird der Mensch dann weiter von staatlichen Gesetzen erzogen.
Dabei ist es auffällig, dass jedes Zeitalter, aber auch jede Kultur seine ganz eigene Definition davon liefert, was Erziehung ist, welches Ziel sie verfolgt und mit welchen Mitteln dieses Ziel erreicht werden soll. Selbst innerhalb eines eindeutig geographisch und kulturell abgegrenzten Gebiets sind bestimmte Erziehungsmethoden strittig und nicht von allen akzeptiert. So werden auch Aggressionen von Erwachsenen in Beziehung zum Kind gerne als Erziehungsmaßnahmen getarnt, und das Kind wird als Sündenbock für eigene Probleme missbraucht.
Die Aufgabe dieser Arbeit ist es, die Erziehung als gezielte Einflussnahme der Erwachsenen auf das Leben des Kindes zu hinterfragen. Dabei spielt vor allem das zugrundeliegende Menschenbild eine wesentliche Rolle. Die folgenden Überlegungen sollen untersuchen, inwieweit das Leben der Kinder durch ihr Umfeld, vor allem durch die auftretenden Erziehungsinstanzen, geprägt wird und somit das Recht auf ein gutes Leben vielleicht vom ersten Tag an beschnitten wird.
2. Das Individuum des Kindes
2.1 Sind Kinder Personen?
Die Begründung einer Erziehung, die Personen dazu bewegen soll, „dass sie sich bessern oder - noch besser – das Schlechte von vornherein unterlassen oder – am allerbesten – statt dessen gleich das Gute tun“[1] setzt voraus, dass Kinder bereits als Personen betrachtet werden. Der Begriff der Person ist ein grundlegender Moralbegriff, der einen freien Willen ebenso voraussetzt, wie die Fähigkeit Entscheidungen zu treffen, über sein eigenes Tun und seine Motive zu reflektieren und dabei solche Begriffe wie die des Guten und Gerechten anzuwenden. Kinder unterscheiden sich allerdings in einem moralisch bedeutsamen Sinn von Erwachsenen: sie sind nicht zurechnungsfähig, also keine Subjekte der Moral. Vor allem Kleinkinder sind nicht in der Lage ihr Handeln kritisch zu hinterfragen oder die Folgen ihrer Handlungen abzuschätzen und danach die Wahl zwischen unterschiedlichen Handlungsalternativen zu treffen. Trotzdem unterscheiden wir ein Kleinkind zweifellos von einem Tier, das sich ebenfalls lediglich verhalten und nicht bewusst handeln kann. „Personen haben nach der gängigen Definition Rechte und Pflichten, Sachen weder Rechte noch Pflichten, aber es gibt auch Wesen, denen Rechte zukommen, aber keine Pflichten.“[2] Kinder scheinen solche Wesen zu sein. Die menschlichen Grundrechte werden ihnen mit der Geburt zu gesprochen, ebenso verschiedene kulturspezifische Rechte, wie in Deutschland mittlerweile das Recht auf eine gewaltfreie Erziehung. Außer lebenserhaltenden Aufgaben im Sinne der Selbstliebe und des Selbstschutzes sind Neugeborene jedoch frei von jeglichen Pflichten, die von der Gesellschaft oder Einzelnen eingefordert werden könnten. Kant hingegen geht in seinen Überlegungen zum kategorischen Imperativ davon aus, „dass alle Wesen, die Vernunft besitzen, Personen sind, und (...) vernünftige Wesen von ihrer Natur her Zwecke an sich sind.“[3] Danach jedoch sind Kinder nicht direkt als Personen aber immerhin als Wesen, die mit Freiheit begabt sind, zu bezeichnen. Oder um es anders auszudrücken: „Sie sind zur Freiheit und Vernunft hin angelegt, können diese Potentialität aber noch nicht realisieren.“[4] Die Möglichkeit eines vernünftigen Wesens ist allen Menschen also von Geburt an gegeben, muss sich allerdings, unter Umständen durch Erziehung, im Laufe des Lebens entfalten. Diese Vorstellung begründet Kant damit, dass wir den neugeborenen Menschen als vernunftbegabt ansehen müssen, weil es uns ansonsten nicht nachvollziehbar erscheinen würde, wie „in das Naturwesen Kind Vernunft hineinkommt.“[5] Da der Akt der Zeugung ebenso wie das Heranreifen des Kindes im Mutterleib lediglich Naturgesetzen folgt und im Regelfall frei von sonstigen Einflüssen des Menschen ist, muss erklärbar werden wie das Kind nach der Geburt nun plötzlich als eigenständige Person mit dem entsprechenden Recht auf Freiheit anerkannt werden kann. Kants Begründung zufolge kann dies nur geschehen, wenn wir dem Kind schon vom ersten Tag seines Lebens an zugestehen, dass es die Fähigkeit zur Vernunft bereits in sich trägt.
Das Kind deshalb als potentielle Person zu betrachten kann laut Spaemann nicht des Rätsels Lösung sein und ist nicht hinreichend vertretbar. Jeder Mensch ist oder ist nicht Person. „Personsein ist nicht Resultat einer Veränderung des Menschen, sondern beginnt mit dem Leben und endet mit dem Tod.“[6] Kinder sind demnach vom ersten Augenblick an Personen und müssen auch als solche behandelt werden.
In den folgenden Ausführungen möchte ich vom Begriff der kindlichen Person ausgehen, den Kant auf der Basis des Zufriedenheits-Theorems, auf das ich an späterer Stelle eingehen möchte, gebildet hat. „Mit dieser Bezeichnung ist gemeint, dass es sich zu einer Person entwickelt, für die wir zu Beginn stellvertretend handeln müssen.“[7] Mit dieser kommissarischen Einstellung Kindern gegenüber, wird einerseits die Willkür bestimmter Erziehungspraktiken beschnitten, da sie immer im Sinne der zukünftigen Person des Kindes geschehen müssen, und andererseits der begrenzten Verantwortung der Kinder sich selbst und anderen gegenüber Rechnung getragen.
2.2 Von der eudeimonia des Kindes
Dieses Verständnis der kindlichen Person ermöglicht nun die Frage, nach dem Endziel des menschlichen Handelns und Strebens: dem Glücklich- oder Zufrieden-Sein. Außerdem stellt sich davon ausgehend die Frage nach einer Definition des vielzitierten ‚Wohl des Kindes‘.
Im Sinne des hedonistischen Glücksbegriffs geht man davon aus, dass jeder Mensch Anrecht auf und Möglichkeit zu einem minimalem Glück im Sinne der Zufriedenheit hat.[8] Dabei verstehe ich Glück keineswegs als perfekten Zustand, der keine Wünsche mehr offen lässt, sondern als Zustand des Kindes, das mit seinem Leben, seiner Erziehung und seinen Eltern zufrieden sein kann. Der Glücksbegriff ist subjektiv gemeint und bezeichnet den Zustand der Zufriedenheit unabhängig von der Realität, also im reflexiven Sinne, weil er immer eine Beurteilung der Situation einschließt.[9] Ziel und Aufgaben der Erziehung wären also hier ein duales. Zum einen soll das Kind befähigt werden sein Leben als gut und glücklich zu betrachten. Hierbei spielen Bedürfnisse und Ansprüche eine ebenso große Rolle wie Selbstbewusstsein und Eigenliebe. Zum anderen müssen sicher gewisse Rahmenbedingungen und grundlegende Bedürfnisse erfüllt werden, die Voraussetzungen für ein zufriedenes Leben darstellen. (vgl. hierzu die Bedürfnispyramide Maslows)
Der von Aristoteles initiierte eudaimonistische Glücksbegriff hingegen sieht das vollkommene Glück als Zweck des Lebens an sich an und beschreibt den Sinn eines jeden Lebens somit in der Erreichung dieses nicht zu überbietenden Glücks.[10] Die Kindheit muss demnach das Fundament darstellen, von dem die zukünftige Persönlichkeit die bestmöglichen Voraussetzungen vorfindet, das höchste Gut der Menschheit zu erreichen.
Eine weitere Definition des Glücks liefert der Utilitarismus, der im Wesentlichen durch Kant, Bentham oder Hume entwickelt wurde.[11] Die zentrale Aussage besagt, dass das Glück im Sinne des Gemeinwohls maximiert werden muss, um „das grösste Glück der grössten Zahl“[12] zu ermöglichen. Dies steht auch hinter dem Gedanken die Erziehung als ein Instrument der Vollkommnung der Menschheit zu betrachten. Der Mensch wird durch andere in sein Leben eingeführt und ist nur unter den seltensten Bedingungen zu einem eremitischen Lebensstil in der Lage. Deshalb kann kein singulares Glücksstreben eines Einzelnen zum erklärten Erziehungsgegenstand gemacht werden. Eine Betrachtung des Kindes losgelöst von der Gemeinschaft im rousseauschen Sinne, ist meiner Meinung nach ein unzulässiges aber vor allem ergebnisloses Unterfangen. Das Glück des einzelnen lässt sich nur unter Einbeziehung der Gesellschaft, des Umfeldes bestimmen. Die Nützlichkeit von Tugenden entsteht schließlich nicht durch Erziehung, sondern bestimmt das Handeln vor aller Erziehung. Nutzen ist wesentlich das Streben nach Glück, aber Glück an sich ist kluge Lebensführung im Sinne der Gemeinschaft, nicht etwa eine Chiffre für Hedonismus.
Für das Wohl des Kindes ergibt sich, dass man einerseits zwar beim Kind die Subjektivität des Glücks achten muss, weil man nicht bestimmen kann, worin das jeweilige Kind das Glück zu suchen hat, andererseits müssen Kinder ihre Vorstellungen vom guten Leben erst in der Kommunikation mit der Gesellschaft oder der Umwelt entwickeln. In Einklang mit seiner Umwelt soll das Kind nun allerdings moralische Tugenden eher als glücksfordernd erleben, als Handlungen, die anderen Individuen schaden, wie beispielsweise Versklavungsdelikte. Treffend formuliert hat dies James Mill: „The end of education is to render the individual, as much as possible, an instrument of happiness, first to himself, and next to other beings“[13] Übrig geblieben ist also die nicht gerade glücksfördernde Frage, wie man das Kind pädagogisch dazu bringen kann, das zu wollen, was es seiner Pflicht als Person zufolge auch tun soll.
Dies versuchte bereits Dearden zu begründen, denn, „weil nun niemand für andere entscheiden kann, worin diese ihr Glück suchen und finden sollten, auch nicht für Kinder, bleibt dieses den Kindern selbst überlassen.“[14] Um über das persönliche Glück entscheiden zu können, müssen jedoch bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein: „Es müssen (1) wirkliche Alternativen vorliegen (2) die Alternativen müssen bekannt sein und (3) der Urteilende muß über Beurteilungskriterien verfügen. (...) Das Glück des Kindes begründet ein Curriculum, in dem dann der Wert des Wissens dominiert und schafft damit die Voraussetzungen für die Entscheidung, worin jemand sein Glück sucht.“[15]
Zusammenfassend denke ich, dass dem Kind vermittelt werden muss, welche Tätigkeiten, Haltungen und Wissensgebiete wertvoll sind und die Erziehenden zumindest Aussagen dazu machen können, was aller Wahrscheinlichkeit nach zum Glück des Kindes beiträgt und was nicht. Diese Aussagen haben mit Sicherheit nicht den Anspruch auf objektive Gültigkeit, ja sie haben noch nicht einmal den Anspruch auf Übereinstimmung mit der kindlichen Realität oder gar der Realität, der sich das Kind in der Zukunft einmal ausgesetzt sieht und trotzdem kann kein Kind der Welt in einem eudaimonischen Vakuum erzogen werden. Jede Erziehungsinstanz hat die Pflicht sich von einem glücklichen Leben des Kindes eine Vorstellung zu machen und das Kind dementsprechend möglichst nah an dieses heran zu führen.
2.3 Die Freiheit der kindlichen Person
Wer von einem Begriff der kindlichen Person ausgeht, muss sich auch Gedanken über eine individuelle Freiheit des Kindes im Hinblick auf die Überlegenheit der erwachsenen Gesellschaft insbesondere der Erziehenden machen.
Folgt man den Überlegungen Herbarts über eine „transzendentale Freiheit“[16] des kindlichen Individuums, so wird jede Erziehung im Sinne einer Beeinflussung überflüssig und zwecklos. Seine Grundannahme ist eine unveränderliche Spontaneität der kindlichen Freiheit, die sich jeglicher Fremdbestimmung entzieht und damit pädagogische Arbeit per se in Frage stellt.
Kant hingegen begrenzt die Freiheit des Kindes bereits durch seine Definition der potentiellen Person. Danach sind „Kinder mit Freiheit begabte Wesen, die die pragmatische sowie die moralische Selbständigkeit erst erlangen müssen.“[17] Der Wille des Kindes ist kein von Geburt an vorhandener, der allein durch seine Existenz schon bedingungslos gut wäre. Es wird ein neuer Zusammenhang sichtbar, der die Definition des ethischen Freiheitsbegriffs maßgeblich bestimmt. „Freiheit als ethisches Prinzip lebt (...) immer in der Spannung und von der Spannung zwischen Fremdbestimmung und Selbstbestimmung.“[18] Es ist unmöglich den Menschen losgelöst von jeglicher Art von Fremdbestimmung zu betrachten. Jeder ist ständig bestimmt von der Natur des Körpers, von den Trieben des Unterbewusstseins oder von rechtlichen Konventionen.[19] Danach ist Freiheit auch nur in Bezug auf die Gesellschaft und/oder das Umfeld denkbar, und vor allem nicht losgelöst von anderen Personen oder moralisch-sittlichen Werten. Die individuelle Handlungsfreiheit endet dort, wo sie die Freiheit eines anderen begrenzt, ihm schadet oder gar sein Leben gefährdet. Ziel einer Erziehung sollte es also sein, den Edukanden zu einer Implemention der moralischen Werte zu führen. Nur dadurch kann er ein zufriedenes Leben im Sinne der Eudeimonia erreichen. Freiheit soll demnach als „Agieren in einem gesellschaftlichen Rahmen betrachtet“[20] werden, dessen Zwang sich das Kind oder später der Erwachsene unterordnen muss, um glücklich zu werden. Dies rechtfertigt paternialistische Erziehung oder überhaupt das Eingreifen anderer in das Leben des Kindes, die es einschränken oder in eine bestimmte Richtung lenken möchten, sofern dies sittlich-moralischen Zwecken oder dem Gemeinwohl dient. Soweit ist Erziehung allerdings nicht mehr die Vorbereitung auf die Wahl einer bestimmten Lebensform, sondern bereits die unvermeidbare Initiation in die Lebensform der Familie, des Kulturkreises oder der Gesellschaft.[21] Und trotzdem bleibt die Freiheit des Kindes im basalen Sinne erhalten und ist aus dem Begriff des Individuums begründet. So ist pädagogische Bestimmung zwar unvermeidbar und wie oben beschrieben auch durchaus gerechtfertigt; die Freiheit der kindlichen Person, die ihr vermittelten Fähigkeiten und Fertigkeiten individuell zu nutzen, ist jedoch unbedingt.[22] Beweise hierfür lassen sich meiner Ansicht nach bei der Betrachtung von eineiigen Zwillingen finden. Geht man von einem gemeinsamen Sozialisationsweg durch Eltern, Kindergarten und Schule aus, so lassen sich trotz der identischen genetischen Ausstattung zwei individuelle Lebensläufe beschreiben. Die vermittelten Inhalte können auf ganz unterschiedliche Art den eigenen Wünschen und Vorstellungen entsprechend genutzt werden. Ähnlichkeiten sind hier zwar wohl häufiger zu finden, als im Durchschnitt der Gesellschaft, können allerdings die These einer individuellen Persönlichkeit sicher nicht stürzen. Ich möchte noch ein anderes, absichtlich provokantes Beispiel anführen. Es besteht die Möglichkeit der Eltern ihr Kind bereits früh für naturwissenschaftliche Fächer zu interessieren, sie sind auch dazu in der Lage ganz gezielt für die Erweiterung seines physikalischen Wissensdepots zu sorgen, damit gelingt es ihnen mit großer Wahrscheinlichkeit, ihrem Kind einen gewissen Vorsprung gegenüber Gleichaltrigen im Fach Physik zu verschaffen. Ob die zukünftige Person allerdings später einen Nobelpreis für die Entwicklung eines emmissionsfreien Kraftfahrzeugs erhält, eine neue Atombombe erfindet oder seine Kenntnisse sogar gar nicht mehr nutzen möchte und sich nun voll und ganz der Musik widmet, steht meiner Ansicht nach außerhalb der elterlichen und gesellschaftlichen Macht. Der Einfluss der Erziehung auf die kindliche Freiheit ist also in einem komplexen Zusammenhang zu sehen und weder zu verhindern, noch grundsätzlich gerechtfertigt. In allen Fällen ist er von einem virtuosen Charakter geprägt, da den erziehenden Instanzen zum einen die Pflicht obliegt, dem Kind ein gutes Leben zu ermöglichen und es zur Erreichung dieses Zwecks auch bestimmten Zwängen unter zu ordnen. Zum anderen müssen die Eltern auch die fortschreitende Entwicklung des Kindes berücksichtigen, das zu immer mehr Freiheit und Eigenbestimmung strebt und deren es auch befähigt werden soll. „Deshalb sind die Eltern dazu verpflichtet, die Kompetenz des Kindes, sein Glück selbst zu bestimmen und verfolgen zu können, zu fördern und sie da, wo sie schon vorhanden ist, zu respektieren.“[23] In der Praxis stellt sich hier für Eltern und professionelle Pädagogen immer die Aufgabe einer ständigen Reflexion des eigenen Erziehungsverhaltens und der kindlichen Fähigkeiten und Entwicklungsstufen. Hat das Kind bereits eine eigene Moralvorstellung impliziert, die individuell und allgemein akzeptiert und toleriert werden kann, so steht es keiner anderen Person zu, in diese einzugreifen oder diese auf irgendeine Art und Weise zu determinieren. Brennpunkte sehe ich in der Erziehung in Tageseinrichtungen, wo mehrere Kinder des selben Alters jeweils individuell und ohne Vorurteile täglich in ihrer Persönlichkeit betrachtet werden müssen, aber auch in Familien mit mehreren Kindern, wo Eltern oft schnell Rückschlüsse vom einen auf andere Kinder ziehen könnten, ohne dabei das Wesen oder die moralische Entwicklung des Einzelnen eingehend zu beachten.
[...]
[1] Hügli, 1999, S. 121
[2] Fuhr, 1998, S. 176
[3] ebd.
[4] ebd., S. 177
[5] ebd.
[6] Ebd. , S. 188
[7] Ebd. , S. 187
[8] vgl. Löwisch, 1995, S.12f.
[9] vgl. Fuhr, 1999, S. 206
[10] vgl. Löwisch, 1995, S. 11
[11] ebd. , S.12
[12] Oelkers, 1992, S. 54
[13] Mill, 1931, S.1
[14] Dearden, 1975 , S. 108
[15] Fuhr, 1999, S. 224 f.
[16] Hügli, 1999, S. 92
[17] Oelkers, 1992, S. 46
[18] Löwisch, 1995, S. 16
[19] vgl. Löwisch, 1995, S. 16 f.
[20] Oelkers, 1992, S. 49
[21] vgl. Fuhr, 1998, S. 252
[22] vgl.ebd. , S. 256
[23] ebd.
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