Zeitstruktur und Perspektive in Marguerite Duras' L'Amant


Seminararbeit, 2005

13 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Erzählperspektive in L’Amant
2.1 Interne homodiegetische Fokalisierung
2.2 Interne heterodiegetische Fokalisierung

3 Zeitstruktur in L’Amant
3.1 Benennung einiger Zeitebenen
3.1.1 Schreibsituation
3.1.2 Die letzten eineinhalb Jahre in Indochina
3.1.3 Gedanken und Bewertungen
3.1.4 Kindheit des Erzählers
3.1.5 Biographien der Mitmenschen
3.2 Die gestaltende Rolle der Erinnerung in L’Amant

4 Warum gibt es in L’Amant Wechsel in Fokalisierung und Zeitstruktur?

5 Bibliographie

1 Einleitung

Gegenstand dieser Hausarbeit ist die Zeitstruktur und die Perspektive im Roman L’Amant von Marguerite Duras.

In meiner Hausarbeit untersuche ich zunächst die vorherrschenden beiden Erzählperspektiven, zeige auf, nach welchen Kriterien man sie erkennt bzw. unterscheiden kann und welche Wirkung beide sich abwechselnden Erzählperspektiven auf den Leser haben.

Anschließend gehe ich auf die Zeitstruktur in L’Amant ein. Anhand der Benennung einiger wichtiger Zeitebenen und ihrer Bedeutung zeige ich die gestaltende und zentrale Rolle der Erinnerung in L’Amant auf.

Abschließend beleuchte ich die Frage, warum es überhaupt Wechsel in der Erzählperspektive und in der Zeitstruktur gibt und welche Wirkung damit erzielt werden kann.

2 Erzählperspektive in L’Amant

Im Roman L’Amant von Marguerite Duras herrschen zwei unterschiedliche Erzählperspektiven vor. Beide Erzählperspektiven werden willkürlich angewandt. Der Wechsel von einer zur anderen Perspektive wird nicht markiert, er fällt dem Leser im Lesefluss nicht auf. Zur Klassifizierung der Erzählperspektiven habe ich das Fokalisierungsmodell nach Genette angewandt.

2.1 Interne homodiegetische Fokalisierung

Die interne homodiegetische Fokalisierung nach Genette stellt die erste vorherrschende Erzählperspektive in L’Amant dar. Wenn der Erzähler Teil des Geschehens ist, spricht man von einem homodiegetischen Erzähler. Hinweise für einen homodiegetischen Erzähler in L’Amant sind die Personalpronomen „je“, „nous“ oder das unpersönliche „on“.

Beispiele:

« Je ne ferai plus jamais le voyage en car pour indigènes. Dorénavant, j ’aurai une

limousine pour aller au lycée et me ramener à la pension. Je dînerai dans les

endroits les plus élégants de la ville. » (Duras, S.44).

« Les enfants-vieillards de la faim endémique, oui, mais nous, non, nous n’avions pas faim, nous étions des enfants blancs, nous avions honte, nous vendions nos meubles, [...], nous nous permettions ce luxe de ne pas vouloir manger. » (Duras, S.13).

« Quelquefois, c’était à Vinhlong, quand ma mère ètait triste, elle faisait atteler le tilbury et on allait dans la campagne voir la nuit de la saison sèche. » (Duras S.100).

Wenn der Blickwinkel des am Geschehen teilhabenden homodiegetischen Erzählers nicht verlassen wird und der Erzähler nur so viel sagt, wie eine bestimmte Figur, hier der homodiegetische Erzähler selbst in Form von „je“, „nous“ oder „on“, weiß, dann spricht man von einer internen Fokalisierung.[1]

2.2 Interne heterodiegetische Fokalisierung

Die zweite vorherrschende Erzählperspektive in L’Amant ist die interne heterodiegetische Fokalisierung. Ist der Erzähler nicht am Geschehen beteiligt, so spricht man von einem heterodiegetischen Erzähler. Auf Sequenzen mit einem heterodiegetischen Erzähler trifft man im Roman L’Amant im Umfeld des Personalpronomens „elle“ oder bei Bezeichnungen wie „la petite“, „la fille“ oder Ähnlichem.

Beispiele:

« Elle decend, elle court, elle ne se retourne pas sur lui. Dès le portail passé elle

voit que la grande cour de récréation est encore éclairée. Dès qu’ elle débouche du

couloir elle la voit, elle, qui l’attendait, déjà inquiète, droite, sans sourire aucun. »

(Duras, S.86).

« Reste cette petite-là qui grandit et qui, elle, saura peut-être un jour comment on fait venir l’argent dans cette maison. » (Duras S.33).

« Il regarde la jeune fille au feutre d’homme et aux chaussures d’or » (Duras, S.42).

Da auch hier der Blickwinkel des außerhalb des Geschehens stehenden heterodiegetischen Erzählers nicht verlassen wird und der Erzähler auch hier nicht wissensüberlegen ist, spricht man auch hier von einer internen Fokalisierung.[2]

3 Zeitstruktur in L’Amant

Im Roman L’Amant von Marguerite Duras spielt die Erinnerung eine zentrale Rolle. Die Erzählerin nennt Situationen und Begebenheiten aus fast sechs Jahrzehnten ihres Lebens. Diese reichen von Erlebnissen der frühsten Kindheit bis hin zu einem Telefonat, das nur geringe Zeit vor dem Akt des Erinnerns selbst liegt. Jede einzelne dieser Situationen stellt eine eigene Zeitebene dar. Die Zeitebenen folgen aber nicht chronologisch, sondern willkürlich aufeinander. Auch werden sie durch Pro- und Analepsen bzw. durch Einschübe anderer Begebenheiten zerteilt. Hierdurch fällt es dem Leser schwer, einen Zusammenhang zwischen den Zeitebenen herzustellen, aber gleichzeitig wird auch der Eindruck eines spontanen Erinnerungsvorganges beim Leser erzeugt. Dieser Erinnerungsvorgang, der als zentrales Thema des Romans fungiert, bildet die Zeitebene, von der aus alle anderen Zeitebenen konstruiert werden und zu der sie alle wieder zurückblenden. Durch den antichronologischen Aufbau des Romans und mit Hilfe der Pro- und Analepsen wirkt der Roman nicht konstruiert, sondern authentisch, gleich einer spontanen Erinnerung, die einem Zuhörer erzählt wird.

3.1 Benennung einiger Zeitebenen

Hier benenne ich die wichtigsten Zeitebenen im Roman L’Amant von Marguerite Duras. Ich kann im Rahmen dieser Hausarbeit nicht alle Zeitebenen ausdrücklich erwähnen. Weniger wichtige Ebenen habe ich zu Ebenenkomplexen zusammengestellt und Überbegriffen zugeordnet. Ebenfalls stellen die Seitenangaben und Zitate der Zeitebenen nur Beispiele dar, die wichtigen Zeitebenen werden durch Prolepsen, Analepsen und Einschübe immer wieder aufgegriffen und finden hierdurch mehrmalige Erwähnung.

3.1.1 Schreibsituation

Unter dem Überbegriff „Schreibsituation“ habe ich diejenigen Zeitebenen zusammen-gefasst, die sich mit der Gegenwart des Erzählers beschäftigen.

« Je pense souvent à cette image que je suis seule à voir encore et dont je n’ai jamais parlé. Elle est toujours là dans le même silence, émerveillante. C’est entre toutes celle qui me plaît de moi-même, celle où je me reconnais, où je m’enchante » (Duras, S.9).

Von dieser Ebene aus konstruiert sich der gesamte Vorgang des Erinnerns. Quantitativ nimmt diese Zeitebene nicht viel Raum innerhalb des Romans ein, doch spielt sie durch ihren Stellenwert eine wichtige Rolle. Sie ist die Ausgangssituation für den inhaltlichen Aufbau des gesamten Werkes, von der aus auf jede weitere Ebene zugegriffen werden kann.

3.1.2 Die letzten eineinhalb Jahre in Indochina

Das zentrale Thema der Erinnerung sind die letzten eineinhalb Jahre der Erzählerin in Indochina. Dies ist die Zeitspanne zwischen dem Kennenlernen des Mädchens und seines chinesischen Liebhabers auf der Fähre bis zur Abreise des Mädchens und seiner Familie nach Frankreich. Quantitativ hat diese Zeitebene eine große Bedeutung für den Roman. Schon der Name des Romans L’Amant spiegelt inhaltlich diese Zeitebene wider und verweist durch die Namensgebung auf die Wichtigkeit dieser Zeitspanne für das Leben der Erzählerin. Der Liebhaber kommt nur in diesen eineinhalb Jahren vor, mit Ausnahme seines Anrufs bei der Erzählerin viele Jahre später[3].

Aufbauend auf dieser Ebene finden weitere Erinnerungsstränge ihren Ausgang. Wenn sich die Erzählerin beispielsweise an das Familienleben in dieser Zeit erinnert, so finden Analepsen der Kindheit der Erzählerin (siehe 3.1.4) und Prolepsen der Biographien der anderen Familienmitglieder (siehe 3.1.5.) nach dieser Zeitspanne in den 30er Jahren in Indochina Erwähnung. Diese werden zur Erklärung gegenwärtiger Situationen auf dieser Zeitebene durch ihre Wurzeln in der Vergangenheit (Analepsen) und zum Aufzeigen der sich wiederum aus dieser Zeitebene resultierenden Folgen für die Beteiligten und ihr weiteres Leben (Prolepsen) benutzt.

Der Überbegriff „die letzten eineinhalb Jahre in Indochina“ setzt sich vor allem aus den Erinnerungen an das Familienleben mit all seinen positiven und negativen Begleiterscheinungen,

[...]


[1] Klinkert, Thomas, Einführung in die französische Literaturwissenschaft, Berlin (Schmidt) 2002, S.145

[2] ebd.

[3] Duras, Marguerite, L’Amant, Paris (les éditions de minuit) 1984, S. 141f.

Ende der Leseprobe aus 13 Seiten

Details

Titel
Zeitstruktur und Perspektive in Marguerite Duras' L'Amant
Hochschule
Universität Mannheim
Veranstaltung
Proseminar: Erzählen in Film und Literatur (Marguerite Duras)
Note
1,7
Autor
Jahr
2005
Seiten
13
Katalognummer
V71174
ISBN (eBook)
9783638628051
Dateigröße
441 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Zeitstruktur, Perspektive, Marguerite, Duras, Amant, Proseminar, Erzählen, Film, Literatur, Duras)
Arbeit zitieren
Daniel Wimmer (Autor:in), 2005, Zeitstruktur und Perspektive in Marguerite Duras' L'Amant, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/71174

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