Sie waren die Verstoßenen der Sprachwissenschaft. Kaum jemand nahm Notiz von ihnen. Dann kam eine Zeit, da behandelte man sie immerhin wie Waisenkinder, die irgendwo abgestellt wurden. Man wußte, daß es sie gab, aber diejenigen, die sich mit ihnen beschäftigten, waren kauzige Sonderlinge, die einer Marotte nachgingen. (Haarmann 2006: 309)
Cristoforo Colombo entdeckte am 12. Oktober des Jahres 1492 mehr oder weniger unfreiwillig die Insel Guanahaní, die er sodann San Salvador taufte. Er, ein gebürtiger Genuese, und seine spanische Besatzung kamen in Kontakt mit den dort lebenden Menschen, den scheinbaren Einwohnern Indiens, den ′Indianern′. Dies war der Ausgangspunkt für das folgende koloniale Zeitalter, in dem der nach Amerigo Vespucci benannte Kontinent von zahlreichen Seemächten angesteuert, kolonisiert und ausgebeutet wurde.
Diese Geschichte kennt jeder, der Historiker genauso wie der Schüler. Für den Linguisten jedoch würde eine in dieser historischen Situation vermeintlich unbedeutende Komponente dessen zentralen Forschungsansatz darstellen: der Sprachkontakt zwischen Colombo, dessen Besatzung und den Einwohnern Guanahanís.
In der folgenden Kolonialzeit wurden Sklaven zu den besetzten Gebieten Amerikas gebracht, um dort zwangsweise auf Plantagen zu arbeiten. In genau diesen Situationen sind die meisten Sprachsysteme entstanden, die den Sprachkontaktforscher interessieren: die Pidgin- und Kreolsprachen.
Der erste Teil der vorliegenden Arbeit stellt eine zusammenfassende Reflexion über die Geschichte der Pidgins und Kreolsprachen dar, wobei ich auf eine Diskussion über die einzelnen, vorgestellten Hypothesen auf Grund des Platzmangels verzichte – verwiesen sei dafür auf die jeweils verwendete Literatur.
Der zweite Teil stellt eine kritische Auseinandersetzung mit einem von Wissenschaftlern durchgeführten Sprachexperiment dar, bei dem die von Chomsky postulierte Universalgrammatik (UG) nachgewiesen werden sollte. Ausgehend davon wird versucht, mit Hilfe der Neurolinguistik und der Evolutionsgenetik weitere, für die zukünftige Universalien-und Sprachkontaktforschung richtungsweisende Ansätze zu finden.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Pidgins
- Der Terminus – ein globales Phänomen?
- Ein Sprachsystem wird 'geboren'
- Kreol(en)sprachen
- Kreol – ein spanisches oder portugiesisches Derivat?
- Vom Pidgin zum Kreol
- Entstehungstheorien
- Monogenese
- Die Sabir-Theorie
- Die westafrikanische Substrat-Theorie
- Polygenese
- Theorie der Parallelentwicklung
- Universalientheorien
- Chomskys Modell im Spracherwerbsprozess
- Bickertons Language Bioprogram Hypothesis
- Bickertons 'wilde' Kinder
- Fazit
- Die Existenz sprachlicher Universalien
- Ein Sprachexperiment und seine Folgen
- Die Neurolinguistik und das menschliche Sprachvermögen
- Die Evolutionsgenetik und die Exaptationen
- Schlussfolgerungen
- Resümee
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit analysiert die Entstehung und Entwicklung von Pidgin- und Kreolsprachen im Kontext der Sprachkontaktforschung. Der Fokus liegt auf der Untersuchung der Sprachuniversalien und ihrer Relevanz für die Erklärung des Phänomens der Pidgin- und Kreolsprachen.
- Historische Entwicklung und Definition von Pidgin- und Kreolsprachen
- Entstehungstheorien von Pidgin- und Kreolsprachen: Monogenese, Polygenese, Universalientheorien
- Sprachuniversalien im Kontext von Pidgin- und Kreolsprachen
- Die Rolle der Neurolinguistik und Evolutionsgenetik bei der Untersuchung von Sprachuniversalien
- Zusammenfassende Reflexion über die Erkenntnisse der Sprachkontaktforschung
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung beleuchtet die historische Entwicklung von Pidgin- und Kreolsprachen und stellt den Fokus der Arbeit dar: die Untersuchung von Sprachuniversalien im Kontext dieser Sprachsysteme. Das erste Kapitel behandelt die sprachliche und historische Entwicklung von Pidginsprachen und stellt verschiedene Theorien über ihren Ursprung und ihre Verbreitung dar. Kapitel 2 beleuchtet die Entwicklung von Kreolsprachen aus Pidginsprachen, während Kapitel 3 verschiedene Entstehungstheorien für diese Sprachsysteme untersucht, unter anderem die Monogenese, Polygenese und Universalientheorien. Die letzten beiden Kapitel widmen sich der Existenz und dem Nachweis von Sprachuniversalien. Kapitel 4 beschäftigt sich mit einem Sprachexperiment und seinen Folgen, während Kapitel 5 die Rolle der Neurolinguistik und Evolutionsgenetik in der Erforschung von Sprachuniversalien und Sprachkontaktprozessen analysiert.
Schlüsselwörter
Die Arbeit beschäftigt sich mit den folgenden Schlüsselbegriffen und Themen: Pidginsprachen, Kreolsprachen, Sprachkontaktforschung, Sprachuniversalien, Neurolinguistik, Evolutionsgenetik, Sprachexperimente, Universalgrammatik, Sprachentwicklung, Sprachwandel.
- Quote paper
- Rico Moyon (Author), 2007, Reflexion über die Pidgin- und Kreolsprachen - Mit Hilfe der Neurolinguistik und Evolutionsgenetik auf den Spuren der sprachlichen Universalien, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/71551