Jugendmedienschutz der FSK - Vom Sein zum Sollen?


Dossier / Travail, 2006

18 Pages, Note: 1,7


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung und Grundfragen

2. Eingrenzung und Begriffserklärung

3. Hypothesen der Medienwirkungsforschung
3.1. Positive, entlastende Medienwirkung?
3.2. Negative, Aggressionen fördernde Medienwirkung?
3.3. Individuell spezifische Medienwirkung?
3.4. Keine Medienwirkung?

4. Medienethik und Jugendschutz der FSK – Vom Sein zum Sollen?

5. Jugendmedienschutz und Selbstkontrolle in Europa

6. Jugendmedienschutz – Kontrolle besser als Vertrauen?

7. Zusammenfassung und Ergebnisse

8. Literaturliste

1. Einleitung und Grundfragen

Die Verbreitung gewalthaltiger Medieninhalte in Film und Fernsehen ist eines der brisantesten Themen im Bereich der Medienethik. Allzu oft befasst sich nicht nur die wissenschaftliche Forschung mit diesem Thema. Besonders stark wird das Interesse einer breiten Öffentlichkeit für medienethische Belange sensibilisiert, wenn es zu real ausgeübten Gewaltakten kommt, für die ein bestimmter Medienkonsum der Täter ausschlaggebend sein soll. Bei Versuchen z. B. die Schulmassaker in Erfurt und Littleton zu erklären, kam im öffentlichen Diskurs schnell auch die Vorliebe für Gewaltfilme als mögliche Ursache für das Verhalten der jugendlichen Mörder in Frage. Meist schließt sich daran auch die Forderung nach stärkeren Restriktionen und Kontrollen im Bereich der filmischen Medien.

Die Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft, kurz FSK[1], ist neben der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien(BpjM) und den Landesmedienanstalten (LMA) das wichtigste Prüforgan audiovisueller Medien in der BRD. Ihre Aufgabe ist es, Spielfilme und andere filmische Beiträge auf ihre Jugendtauglichkeit zu prüfen und Richtlinien für eventuelle Altersbeschränkungen zu formulieren. Filmverleiher, Kinobetreiber und die Freiwillige Selbstkontrolle Film(FSF) richten sich nach den FSK-Kennzeichnungen. Dabei verfährt die FSK unter anderem nach folgendem Grundsatz: „Filme und andere Trägermedien, die geeignet sind, die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen oder ihre Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu Persönlichkeit zu beinträchtigen, dürfen nicht zur Vorführung vor oder zur Abgabe an ihre Altersstufe freigegeben werden.“[2] Dieses Freigabeverfahren ist zudem Bestandteil des Jugendschutzgesetzes und besitzt somit Rechtskraft. Unter einer solchen Beeinträchtigung versteht die FSK insbesondere Filme, „welche die Nerven überreizen, übermäßige Belastungen hervorrufen, die Phantasie über Gebühr erregen, die charakterliche, sittliche(einschl. religiöse) oder geistige Erziehung hemmen, stören oder schädigen oder zu falschen und abträglichen Lebenserwartungen verführen.“[3] Was genau unter einer „übermäßigen Belastung“ oder einer zu einer „abträglichen Lebenserwartung“ verführend zu verstehen sei, ist seitens der FSK nicht gesatzt und obliegt somit der Einschätzung des Prüfers, bzw. der Prüfkommission.

Filme[4], die der FSK nicht zur Prüfung vorgelegt werden, dürfen nicht in den Vertrieb und ebenso nicht öffentlich vorgeführt werden.[5] Vorgelegte Filme, so sie nicht bereits von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien indiziert oder beschlagnahmt wurden, können mit verschieden hohen Altersfreigaben gekennzeichnet werden.[6]

Der Gesetzgeber, sowie die FSK gehen davon aus, dass gewalthaltige, wie auch pornographische oder Drogen verherrlichende Darstellungen eine negative Wirkung auf den jugendlichen Rezipienten haben können. Wenngleich auch die FSK differenziert und keine direkte Kausalität zwischen Filmgewalt und Alltagsgewalt, im Sinne einer Imitation des Gesehenen behauptet, so stellt sie dennoch moralische Ansprüche an Filme, die ein breites Publikum erreichen wollen und sollen[7] Dabei verfolgt die FSK als Institution moralische Ziele. Im Fall des Jugendmedienschutzes führen diese zu pragmatischen Entscheidungen, welche das Handeln der Medienindustrie, sowie der Mediennutzer beeinflussen.

Doch woher kommen die ethischen Maßstäbe der FSK und was lässt sich dazu Gegenteiliges anfügen?

Auf welche Erkenntnisse stützt sich der Gesetzgeber, wenn er von negativen Wirkungen z.B. bei Gewaltfilmen ausgeht? Gibt es auch Erkenntnisse anderer Art? Das sind die Grundfragen der vorliegenden Arbeit. Sie führen zu folgenden Thesen:

1) Eine teilweise Verkennung der Medienwirkungstheorien beeinflusst die Spruchpraxis der FSK und führt zu unnötig großen Einschnitten in das Zensurverbot, sowie die Informations- und künstlerische Freiheit.
2) Die starke Verteilung der Durchsetzung ethischer und rechtlicher Grundsätze auf institutionalisierte Medienkontrolle[8], führt zu einer Schwächung der Individualverantwortung und kann in dieser Form kontraproduktiv sein.

Mit Exkursen in die Medienwirkungsforschung, Medienethik, sowie Vergleichen mit ähnlichen Institutionen in EU-Ländern soll dies argumentativ hinterlegt werden.

2. Eingrenzung und Begriffserklärungen

Die Ausführungen beschränken sich, aufgrund des Arbeitsumfangs ausschließlich mit der potentiellen Wirkung fiktiver Gewalt in den Medien. Andere negative Wirkrisiken, wie Pornographie, Drogenmissbrauch oder auch Rassismus werden in diesem Aufsatz nicht explizit thematisiert.

Möchte man die (Aus-)Wirkungen fiktiver, medialer Gewalt in den Massenmedien auf die reale Aggression oder Gewaltbereitschaft von Rezipienten analysieren, so muss man zunächst ein klares Bild haben, was damit gemeint ist und welche Arten von gewalthaltigen Handlungen in Filmen hauptsächlich als gefährdend eingestuft werden.

Zur Begriffsfeld der Wirkung von Massenmedien wird eine Definition verwendet, welche weitgehende Übereinstimmung findet. „Unter der Wirkung von Massenmedien versteht man Änderungen von Verhaltensweisen, Einstellungen und Meinungen und Kenntnissen der Rezipienten, die durch Medieninhalte hervorgerufen werden. Medienwirkung setzt damit einen direkten Medienkontakt der beeinflußten Personen voraus, sie besteht vor allem in der Übernahme von Medieninhalten.“[9]

Mit fiktiver Gewalt ist die Einbettung von Gewalthandlungen in eine fiktionale Dramaturgie gemeint, z.B. in Form von Kino- oder Fernsehfilmen. Die Wahrnehmung und Verarbeitung realer Gewaltdarstellungen in den Medien verläuft andersartig und wird in dieser Arbeit vernachlässigt.

Die, als in der medialen Vermittlung vor allem als gefährlich eingestufte Gewaltform, ist die der personellen, physischen, illegitimen und manifesten Gewalt.[10]Personale Gewalt geht von einer konkreten Person aus, zeigt sich in ihrem Handeln und Verhalten […].[11] Physisch ist Gewalt dann, wenn sie sich als direkte Aggression gegen eine Person äußert und die körperliche Unversehrtheit gefährdet.[12] Als eine weitere Art der Unterteilung von gefährdender Gewalt gilt Illegitimität, also nach den Gedanken Max Webers sämtliche Gewaltausübung, die nicht vom staatlichen Gewaltmonopol ausgeht.[13] Eine klar erkennbare Subjekt-Objekt Beziehung von Gewalthandlungen ist, laut Johan Galtung, Kriterium für manifeste Gewalt. Die Aggression der Aktion wird ausgelebt und ist sichtbar.[14]

Die angenommene Wirkung in der Realität, auf die in dieser Arbeit Bezug genommen wird, bezieht sich ursächlich[15] auf o. g. Kriterien der massenmedialen Gewaltdarstellung. Ob und wenn ja, welche Wirkweisen und Auswirkungen auf den Rezipienten bestehen können, wird im folgenden Kapitel erläutert.

3. Hypothesen der Medienwirkungsforschung

Möchte man die möglichen Wirkungen von Medieninhalten bewerten, so muss man zunächst einen Exkurs in die Erkenntnisse der Medienwirkungsforschung unternehmen.

Die Wirkung von Gewalt ist Gegenstand zahlreicher Studien und Publikationen. Trotz der geschätzten Anzahl von etwa 5000 Veröffentlichungen zu dieser Thematik[16] brachten die Untersuchungen oft sehr differente und invalide Ergebnisse zu Tage.[17] Eine konkret gültige Theorie wurde bisher noch nicht konstruiert. Die folgenden Wirkungsthesen haben nach wie vor hypothetischen Charakter.

Die Ergebnisse der Wirkungsforschung kann man in drei generelle Kategorien unterteilen:

- Das Erleben von medialen Gewaltdarstellungen hat keine, oder nur sehr spezifische Wirkung.
- Das Erleben von medialen Gewaltdarstellungen hat negative, Aggressionen fördernde Wirkung
- Das Erleben von medialen Gewaltdarstellungen hat positive, entlastende Wirkung

Hierbei soll mit letzterer Kategorie begonnen werden.

3.1. Positive, entlastende Medienwirkung?

Katharsis- und Inhibitionsthese

Die These der Katharsis geht auf Aristoteles zurück und wurde von Feshbach und Singer zur Anwendbarkeit auf Medienwirkungen modifiziert. Ihren Anschauungen nach soll das aktive Erleben violenter Medieninhalte eine Reduktion aggressiver Verhaltensdispositionen, durch ein Ausleben der Gewalt in der Phantasie bewirken. Mittlerweile gilt diese These als empirisch widerlegt und wird auch von den Autoren selbst nicht mehr in dieser Form vertreten.[18]

Eine alternative Auslegung der Katharsisthese ist die sog. Inhibitionsthese. Bei ihr wird ebenfalls eine Aggressionsreduktion behauptet. „Die Inhibitionsthese besagt, dass insbesondere realistische Gewaltdarstellungen, in denen die Konsequenzen von Gewalt deutlich gezeigt werden, eher Angst vor einer möglichen Aggressionshandlung in der Realität bewirken.[19]

Zu ähnlichen Ergebnissen kommt Jürgen Grimm bei seiner Untersuchung der Wirkung von Gewaltfilmszenen auf junge Rezipienten.[20] Obwohl die Inhibitionsthese ebenfalls als empirisch nicht bewiesen gilt, findet er ähnliche Befunde der Aggressionsreduktion, bei gleichzeitiger Angstzunahme bei seinen Probanden. Dieser Effekt fand vornehmlich beim Betrachten blutiger, bzw. folgenreicher Gewaltszenen statt, sog. „schmutziger Gewalt“. Der Effekt beim Betrachten von „sauberer Gewalt“, die mit vielen Schnitten und wenig blutigen Szenen versehen war, war geringer.[21] Eine in den USA durchgeführte und ähnlich angelegte Studie brachte fast identische Ergebnisse.[22]

Rechtfertigungs- und Kanalisierungsthese

Ebenso wie die Katharsisthese- und die Inhibitionsthese, gehen diese rezipientenseitigen Erklärungsmuster von einer entlastenden Wirkung auf den Zuschauer, durch das Ansehen gewalthaltiger audiovisueller Medien, aus. In beiden Thesen wird ein vorhandenes Aggressionspotential des Rezipienten angenommen. Die Kanalisierungsthese besagt, dass aggressive Zuschauer beim Betrachten von zumeist fiktiven gewalthaltigen Handlungen gegen Verbrecher (wie z.B. in Krimis, Western, etc) „ihre Aggressionen in sozial akzeptierte Bahnen umzulenken“[23] versuchen. Die aus der Selbstverteidigung oder als Verbrechensbekämpfung dargestellten Gewalthandlungen, werden hierbei als legitim aufgefasst.

Dass aggressive oder gewalttätige Personen violente Medieninhalte rezipieren, um ihr eigenes Verhalten als normal zu betrachten, besagt die sog. Rechtfertigungsthese.[24] So kann zudem die Korrelation zwischen Konsum von Mediengewalt und aggressivem Handeln der Zuschauer erklärt werden - als sich selbst verstärkender Effekt.

Kognitive Dissonanztheorie

Die kommunikationswissenschaftlich häufig aufgeführte Theorie der kognitiven Dissonanz kann ebenso auf Mediengewaltwirkung, bzw. Nicht-Wirkung angewandt werden. Die, von Leon Festinger formulierte Theorie geht davon aus, dass jeder Mensch im Zuge seiner Primärsozialisation Einstellungen, Verhaltens- und Wahrnehmungsmuster (Kognitive Elemente) aufbaut. In der Regel sind diese Kognitionen mit eindeutigen Wertvorstellungen, auch in punkto Gewalt und Aggression belegt. Deshalb werden jene Personen, die in der Summe ihrer kognitiven Elemente eine der Gewalt abgeneigte Einstellung haben bei der Rezeption von Gewaltfilmen eine Dissonanz verspüren. „Die Existenz der Dissonanz wird psychologisch als unangenehm empfunden und motiviert das Individuum dazu, die Dissonanz zu reduzieren.“[25] Eine Abschreckung durch brutale Medieninhalte wird hierbei angenommen. Wenn die Handlungssituationen aber eine große Ähnlichkeit mit der eigenen Umwelt aufweisen, dann sei eine negative Wirkung am wahrscheinlichsten.[26]

[...]


[1] Besteht aus der in der Spitzenorganisation der Filmwirtschaft e.V.(SPIO) zusammengefassten Verbänden.

[2] Siehe § 18 Abs. 1 Grundsätze der FSK GmbH.

[3] Siehe § 18 Abs. 2, Pkt 3 Grundsätze der FSK GmbH.

[4] Dazu zählen auch Kurzfilme, Wahlwerbespots und Dokumentationen.

[5] Siehe § 1 Abs. 2 Grundsätze der FSK GmbH.

[6] Freigegeben: ab 18 Jahren; ab 16 Jahren; ab zwölf Jahren; ab sechs Jahren; ohne Altersbeschränkung.

[7] Vgl. Hönge, F: 2006[1].

[8] Wie der FSK, aber auch der BpjM, der LMA, sowie FSF.

[9] Kepplinger, H., zitiert nach Joußen, W.: 1990 S.93.

[10] Vgl. Merten, K.: 1999 S.32f.

[11] Theunert, H., zitiert nach Merten, K.: 1999 S.22.

[12] Vgl. Merten, K.: 1999 S. 25.

[13] Ebd. S. 26f.

[14] Galtung, J. zitiert nach Merten, K.: 1999 S. 31.

[15] Oder eben nicht, je nach theoretischer Perspektive.

[16] Vgl. Kunczik, M.: 19984 S. IX.

[17] Vgl. z.B. Kunczik, M.: 19984 S. IX; Freedman, J.: 2002 S.203.

[18] Ebd. S. 67.

[19] Kniveton, B.: 1978, zitiert nach Burkart, R.: 20024 S.338.

[20] Das so genannte Arousal-Konzept.

[21] Vgl. Grimm, J.: 1999 S. 717f.

[22] Vgl. Tannenbaum, P.: 1980, zitiert nach Grimm, J.: 1994 S.58f.

[23] Reith, M: 1987, zitiert nach Grimm, J.: 1999 S. 45.

[24] Vgl. Kunczik, M. 19984 S. 115ff.

[25] Bonfadelli, H.: 1998 S. 54.

[26] Vgl. Rogge, J.-U.: 1992 S. 148.

Fin de l'extrait de 18 pages

Résumé des informations

Titre
Jugendmedienschutz der FSK - Vom Sein zum Sollen?
Université
University of Leipzig  (Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaften)
Cours
Grundlagen der Kommunikations- und Medienethik
Note
1,7
Auteur
Année
2006
Pages
18
N° de catalogue
V71569
ISBN (ebook)
9783638632225
ISBN (Livre)
9783640260744
Taille d'un fichier
474 KB
Langue
allemand
Mots clés
Jugendmedienschutz, FSK, Medienethik, Kommunikationsethik, Wirkungsforschung, Rezeptionsforschung
Citation du texte
Konrad Langer (Auteur), 2006, Jugendmedienschutz der FSK - Vom Sein zum Sollen?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/71569

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