Der Kaukasus bei Tolstoj: „DER GEFANGENE IM KAUKASUS“ und „HADŽI MURAT“ im Vergleich


Dossier / Travail, 2007

19 Pages, Note: 1,3


Extrait


GLIEDERUNG

1. Einleitung

2. Rückblick: Die „Erfindung“ des Kaukasus bei Puškin
2. 1. Exkurs: historischer Abriss der russisch – kaukasischen Beziehungen
2. 2. Die Erfindung des Kaukasus in der Romantik: A. S. Puškins „ Kavakzkij Plennik. Povest’.

3. Der Kaukasus bei Tolstoj: „Der Gefangene im Kaukasus“ und „Hadži Murat“ im Vergleich
3. 1. Das Frühwerk: „Der Gefangene im Kaukasus“
3. 1. 1. Vorbemerkung
3. 1. 2. „ Kavkazkij Plennik
3. 2. Das Spätwerk: „ Hadži Murat
3. 2. 1. Vorbemerkung
3. 2. 2. „ Hadži Murat

4. Vergleich und Schlussbemerkung

5. Literaturangaben

1. EINLEITUNG

Das 19. Jahrhundert war für Russland das Jahrhundert der kolonialen Expansion, also der Entdeckung und Unterwerfung fremder Völker. Als besonders prägend erwies sich innerhalb dieses Prozesses die fortwährende – auch literarische - Auseinandersetzung mit den vielen Völkern des Kaukasus. Der „Kaukasus – Diskurs“ der russischen Literatur des 19. Jahrhunderts bestand vornehmlich aus zwei diskursiven Tendenzen: während beide von Konzepten wie „Wildheit“ und „martialisch“ ausgingen, divergierte jedoch ihre Werthaltung gegenüber den kaukasischen Völkern. Zum einen wurden diese als „Bestien“ angesehen, zum anderen aber – etwas vorteilhafter - als jene edelmütigen Krieger, als die sie A. S. Puškin den russischen Leser zum ersten Mal nahe gebracht hatte.[1] Die Begeisterung, die der Kaukasus (und der Krieg!) anfänglich erweckt hatte, flachte jedoch mehr und mehr ab, Kritik an der russischen Kriegführung wie Zweifel an der Eroberung überhaupt machten sich breit.[2] Der Staat musste versuchen, seine Eroberungszüge als sinnvoll darzustellen, unterstützte daher den Aufbau eines Mythos vom Siege der Zivilisation über die „asiatischen Barbaren“. Es schien, als ob der Diskurs vom kaukasischen Blutdurst über jenen der edlen und freien Krieger gewinnen könnte.

In genau dieser Zeit schreibt der Zivilisationskritiker Tolstoj zwei Werke über den Kaukasus: „ Kavkazkij Plennik “ (1872) und „ Hadži Murat “ (posthum erschienen 1912). Diese Arbeit will nun der Frage nachgehen, welches Bild des Kaukasus bei Tolstoj entworfen wird, welche Unterschiede zwischen den beiden Werken bestehen – seine erste kaukasische Erzählung, Kazaki, kann aus Platzgründen leider nicht in die Analyse miteinbezogen werden – und an Hand welcher Motive und Themen dieses Bild entworfen wird.

Die Arbeit gliedert sich in zwei Teile, von denen der Erste einem historischen und literarischen Rückblick gewidmet ist, der Zweite dann die beiden Werke eingehender analysiert. Hier wird jeweils durch eine Vorbemerkung geklärt werden, in welcher Schaffensperiode die Erzählung entstand und sodann werden Themen und Motive der Erzählungen sowie deren etwaige Abänderungen herausgearbeitet.

2. RÜCKBLICK: DIE „ERFINDUNG“ DES KAUKASUS BEI PUŠKIN

2. 1. Exkurs: Historischer Abriss der russisch – kaukasischen Beziehungen

Seit dem Mittelalter bestanden zwischen Russland und dem Kaukasus Beziehungen: diese vertieften sich und wurden konfliktreicher, als Russland, nachdem es die Kontrolle über die Steppen im Norden des Schwarzen und des Kaspischen Meeres erlangt hatte, begann, weiter nach Süden, in den Kaukasus selbst zu expandieren. Im 18. Jahrhundert traten erstmals Adelige aus Transkaukasien, das unter iranischer und ottomanischer Herrschaft stand, in russische Dienste und die Region wurde langsam, im Kontext von Kriegen gegen die beiden Großmächte und unter der Mitwirkung einheimischer Führungsschichten, erobert. Die einheimischen Eliten, d. h. der georgische und armenische Adel sowie die muslimischen Beys, wurden erhalten, ebenso wie die lokale Kultur.[3] Komplizierter gestaltete sich hingegen die Annexion der kaukasischen Bergregion mit ihrer Vielfalt an Ethnien, Sprachen, Sitten und Gebräuchen, die für Russland nicht nur eine Frage des Prestiges, sondern vor allem von strategischer Bedeutung war (Landverbindung nach Transkaukasien über die georgische Heerstrasse). Während der gesamten ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gelang es nicht, die Region zu pazifizieren: vor allem für die Niederschlagung des Aufstandes unter dem Imam Šamil, die sich in einen 25 Jahre währenden Ausrottungskrieg gegen die Bergvölker ausweitete, zahlte Russland einen hohen Preis. Doch auch mit der Gefangennahme Šamils im Jahre 1859 kam der Kaukasus nicht zur Ruhe: bis 1864 kämpften die Tscherkessen des Westkaukasus und während des russisch – türkischen Krieges von 1877 / 78 erhoben sich Tschetschenen und Dagestaner erneut.[4] Der Kaukasus wurde in Kolonialkriegen erobert und mit der „massenhaften Vernichtung und Vertreibung der Tscherkessen erreichte die russische Gewaltpolitik einen traurigen Höhepunkt“[5]. Von diesem Moment an erlangte die Besiedlung der Randgebiete und Vorgebirge durch ostslawische Bauern wachsende Bedeutung, welche, da sie die wirtschaftlichen Grundlagen der einheimischen Viehzüchter drastisch verschlechterte, zu schweren lokalen Konflikten führte. Hierzu kam die geistige Distanz zwischen christlichen Slawen und muslimischen Bergbewohnern, sowie das steigende Überlegenheitsgefühl der Russen gegenüber jenen, die sie als „Asiaten“ bezeichneten: so schreibt Kappeler, dass das „Bewusstsein der Rückständigkeit Russlands gegenüber Westeuropa […] aber andererseits der «mission civilisatrice» Russlands in Asien eine kompensatorische Aufgabe [gab]“[6]. Dass diese nur auf Kosten der lokalen Kultur von statten gehen konnte und somit das Konfliktpotential auf lange Dauer noch erhöhte, versteht sich von selbst.

2. 2. Die Erfindung des Kaukasus in der Romantik: A. S. Puškins „ Kavkazkij Plennik “

Die Begegnung mit der kaukasischen Kultur führte zu einer intensiven Auseinandersetzung der russischen Literaten mit dem Grenzland: im Kontakt mit diesem „Anderen“, der weder der westlichen Kultur, noch den russischen Bauern (die Aleksandr Griboedov noch 1926 als einen „anderen Stamm“ bezeichnete[7] ) entsprach, ergab sich für die russische Elite eine neue und hochinteressante Möglichkeit, ein nationales Selbstbewusstsein zu entwickeln. In den 20er Jahren des 19. Jahrhunderts begann eine Problematisierung der russischen kulturellen und poetisch – poetologischen Identität, die sich bis in die Diskussion um das Wesen des Romantischen, das man als prädestiniert russisch im Gegensatz zur aus Frankreich stammenden klassizistischen Tradition verstand, hineinzog.[8] Frank schreibt hierzu, der Kaukasus fungiere „kultursemiotisch gesehen […] in dieser Zeit als Peripherie und Grenze, an der Eigenes und Fremdes miteinander konfrontiert waren, als Ort der Ausgrenzung, der Aneignung und der Überlagerung. Ästhetisch und poetologisch gesehen wurde der Kaukasus (neben Petersburg) zu einem zentralen Objekt und zur Projektionsfläche ästhetischer Parameter der russischen Romantik.“[9]

[...]


[1] Siehe S. Layton: S. Layton: Nineteenth – Century Russian Mythologies of Caucasian Savagery, in: D. R. Brower, E. J. Lazzerini (Hg.): Russia’s Orient. Imperial Borderlands and Peoples , 1700-1917, Bloomington / Indianapolis 1997, S. 82.

[2] Ebd. , S. 94.

[3] 1728 waren weite Teile des späteren Aserbajdžan unter russischer Herrschaft, 1800/01 kam Ostgeorgien zum Zarenreich, zwischen 1803 und 1811 dann die westgeorgischen Fürstentümer. Die Khanate im Norden Azerbajdžans wurden zwischen 1804 und 1813 inkorporiert (der Süden blieb persisch), wozu 1828 noch die Gebiete Eriwan und Nachitschewan dazukamen. Dem Ganzen fügten sich viel später, 1879, die Gebiete Kars und Batumi hinzu; siehe hierzu A. Kappeler: Russland als Vielvölkerreich. Entstehung, Geschichte, Zerfall, München 2001, S. 141-149. Es bleibt aber zu bemerken, dass das Verhältnis zwischen Verwaltung und lokalen Eliten nicht immer ohne Spannungen war, teilweise auch traditionelle Gesellschaftsstrukturen zerstörte und dass ihre Inkorporation in den russischen Adel nur langsam von statten ging; siehe hierzu A. Kappeler: Russland als Vielvölkerreich, S. 142-149, 174, sowie J. Baberowski: Der Feind ist überall. Stalinismus im Kaukasus, München 2003, S. 28ff.

[4] Siehe A. Kappeler: Russland als Vielvölkerreich, S. 149-155; A. L. Jersild: From Savagery to Citizenship: Caucasian Moutaineers and Muslims in the Russian Empire, S. 103, in: D. R. Brower / E. J. Lazzerini (Hg.): Russia’s Orient, S. 101-114.

[5] Vgl. A. Kappeler: Russland als Vielvölkerreich, S. 174.

[6] Ebd, S. 176.

[7] Vgl. S. Layton: Nineteenth – Century Russian Mythologies of Caucasian Savagery, S. 81.

[8] Siehe hierzu S. Frank: Gefangen in der russischen Kultur: Zur Spezifik der Aneignung des Kaukasus in der russischen Literatur, in: Die Welt der Slaven, XX, 1998, S. 64ff.

[9] Ebd., S. 61.

Fin de l'extrait de 19 pages

Résumé des informations

Titre
Der Kaukasus bei Tolstoj: „DER GEFANGENE IM KAUKASUS“ und „HADŽI MURAT“ im Vergleich
Université
Humboldt-University of Berlin  (Institut für Slawistik)
Cours
Der Kaukasus-Mythos in der russischen Literatur
Note
1,3
Auteur
Année
2007
Pages
19
N° de catalogue
V71627
ISBN (ebook)
9783638815321
ISBN (Livre)
9783638825528
Taille d'un fichier
502 KB
Langue
allemand
Mots clés
Kaukasus, Tolstoj, GEFANGENE, KAUKASUS“, MURAT“, Vergleich, Kaukasus-Mythos, Literatur
Citation du texte
Anne Krier (Auteur), 2007, Der Kaukasus bei Tolstoj: „DER GEFANGENE IM KAUKASUS“ und „HADŽI MURAT“ im Vergleich, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/71627

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