Vom robusten Körper zu Bulimie und Anorexia: Verändertes Selbst und Körperbilder in Fiji


Term Paper (Advanced seminar), 2005

19 Pages, Grade: 1,6


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Kapitel
1.1. Fiji: allgemeine Fakten
1.3. Das “fijianische Selbst”

Kapitel

Schlußwort

Quellennachweise

Einleitung

Beim gemeinsamen Frühstück an einem reich gedeckten Tisch.

A: Warum ißt du denn nur trockenes Toastbrot?

B: Ich mache eine Diät.

A: Was? Warum das denn?

B: Ich muss abnehmen, ich bin zu dick.

A: Ja, sicher. Wo denn? An deinen Ohrläppchen?

B: lacht

Wieder ernst - Nein, ich muss wirklich abnehmen. Alle sind viel schlanker als ich.

A: Seufzt und erwidert nichts weiter, da dies aus Erfahrung meist nichts nützt.

Dies ist ein Gespräch, wie man es wohl zu tausenden jeden Tag in den westlichen bzw. in den vom Westen beeinflußten Gesellschaften zu hören bekommen kann.

Tatsächlich fand es zwischen mir und einem Mädchen aus Fiji während meines Aufenthaltes in Indonesien statt.[1] Zum damaligen Zeitpunkt wußte ich nicht, wieviel dahintersteckt und daß es vielleicht einmal nicht normal gewesen war, ein fijianisches Mädchen so etwas sagen zu hören. Erst als ich im Sommersemester 2005 den Kurs “Health Transition im Pazifik” besuchte und dabei für das Thema “Vom robusten Körper zu Bulimie und Anorexia: Verändertes Selbst und Körperbilder in Fiji” recherchierte, wurde mir vieles bewußt. Mir fiel diese Unterhaltung wieder ein, und auch weitere, die ich mit ihr geführt hatte. Ich erinnerte mich, wie sie mir zum Beispiel erzählte, daß alle ihre Freundinnen dünner seien, schöneres Haar hätten etc. Sie wollte auch so aussehen. Aber schon im nächsten Moment sagte sie dann etwas wie: “Wenn ich zurück in Fiji bin, werde ich mir meine Haare ganz kurz schneiden lassen, circa auf einen Zentimeter”, als wollte sie ihren Freundinnen mit den schöneren Haaren trotzen. Und waren wir unterwegs und aßen etwas, bestellte sie soviel, daß drei Personen satt geworden wären (sie hatte nach ungefähr vier Tagen ihre Diät aufgegeben, weil sie “Essen einfach liebte”). Darauf angesprochen, erwiderte sie, es sei auf Fiji vollkommen normal, soviel zu essen. Wirklich glauben konnte ich dies damals nicht, aber sie war mein erster “Kontakt” mit Fiji und ich wußte noch nicht viel über ihre Kultur, über die Traditionen Fijis und über die Werte der fijianischen Gesellschaft. Erst ein halbes Jahr später sollte ich dazulernen und sie besser verstehen.

Der Titel dieser Arbeit lautet “Vom robusten Körper zu Bulimie und Anorexia: Verändertes Selbst und Körperbilder in Fiji”. Dies sagt uns, daß in Fiji ein Wandel stattgefunden hat. Die Frage ist nun, warum dieser stattfand? Wie sahen das “fijianische Selbst” und dessen Körperbilder vor diesem Wandel aus und wie haben sie sich bis heute verändert?

Diesen Fragen möchte ich in meiner Arbeit nachgehen. Dabei werde ich zuerst in Kapitel 1 das traditionelle Körperbild und das “fijianische Selbst” vorstellen, um danach in Kapitel 2 zu erläutern, warum und in welche Richtung sich diese entwickelt haben.

Kapitel 1

1.1. Fiji: allgemeine Fakten

Fiji ist eine Inselgruppe im südwestlichen Stillen Ozean, gehört zu Melanesien und bildet zwischen diesem und Polynesien die “geographische und kulturelle Grenze” (Becker 2004: 538). Sie besteht aus über 300 Inseln, von denen rund ein Drittel bewohnt sind. Die wichtigsten davon sind Viti Levu mit der Hauptstadt Suva, Vanua Levu und Taveuni. Auf den ersteren beiden leben 90 % der Bevölkerung. Die Einwohnerzahl beträgt ungefähr 894.000 Einwohner, die sich aus 50,8 % Fiji-Insulanern, 43,7 % Indern und 5,5 % Chinesen und Europäern zusammensetzt.

Traditionell ernähren sich die Fiji-Insulaner von Fisch und anderen Meeresfrüchten sowie von Gemüsen und tropischen Früchten wie zum Beispiel Brotfrucht, Banane, Yamswurzel, Taro und Mango (Bertelsmann Lexikon Band 5 1991: 52).

1.2. Das traditionelle Körperbild Fijis

Körperbilder sind sogenannte Körperideale, die es schon seit “Urzeiten” gibt, die je nach Zeitalter und Kultur ganz verschieden sein können und auch stetigen Veränderungen unterworfen sind.

Um das traditionelle Körperbild Fijis zu erfassen, führte Anne E. Becker in den 1990ern, während ihres Forschungsaufenthaltes auf der Insel Viti Levu, in vier Dörfern mehrere Befragungen durch.

Dabei sollten die Teilnehmenden[2] unter anderem zwölf gezeichnete Figuren (siehe Abbildung 1) bezüglich verschiedener Merkmale (wie z.B. attraktiv/unattraktiv, gut versorgt/schlecht versorgt, glücklich/unglücklich etc.) beurteilen (Becker 1995: 39-40).

Es zeigte sich, daß bei der Frage “attraktiv/unattraktiv” die Figuren D bis G (nicht fettleibig aber füllig) am positivsten beurteilt wurden. Dennoch kann man allein hieraus keineswegs auf das Körperideal der Fiji-Insulaner schliessen. Denn wie sich weiterhin herausstellte, sind für sie andere Attribute viel wichtiger. So wurden füllige Figuren mit dem Merkmal “gut versorgt” in Verbindung gebracht und erfuhren eine hohe Wertschätzung.

Obwohl die Befragten F als attraktivste Körperform bezeichneten, wurden die anderen elf nicht etwa als unattraktiv abgelehnt, sondern durchaus akzeptiert. Auch im Bezug auf ihr eigenes Körpergewicht war das Empfinden der Testpersonen dasselbe. Das heißt, die fijianischen Frauen (Jugendliche und Erwachsene), von normalgewichtig bis fettleibig, waren mit ihrem eigenen Gewicht zufrieden, hatten ein positives Selbstbild und beurteilten sich als attraktiv. Diese positive Einstellung zum eigenen Körper hatten erstaunlicherweise vor allem die fettleibigen Frauen. Nur für 40% war das gewünschte Gewicht um eine Stufe von ihrem tatsächlichen entfernt (Becker 1995: 45). Dennoch zeigten sie sich nicht daran interessiert, als persönliches Ziel ihre Figur nach einem Körperideal zu richten und dafür ihre Ernährung anzupassen.

Es stellt sich damit die Frage, warum ein vergleichsweise hohes Körpergewicht in Fiji wertgeschätzt wird. A.E. Becker fand heraus, daß die fijianische Sprache mit alltäglichen Bemerkungen gegenüber bestimmten Körperformen reichlich versehen ist (Becker 1995: 50), was darauf hindeutet, welch große Bedeutung das Körpergewicht im täglichen Leben der Fiji-Insulaner spielt. Diese Bemerkungen können Komplimente sein wie jubu vina fuer einen gut proportionierten und kaikai (stark) für einen robusten Körper oder Beleidigungen wie kesu levu (“big belly”) fuer einen sehr dicken Körper (Becker 1995: 51). “Beleidigungen” werden jedoch nur gegenüber Personen geäussert, die extrem dünn oder extrem dick sind. So sagt eine Frau: “It’ s only when you are really too big that people make [a] joke of it…and if you are really too thin, people make fun of it: oh, look at that one, she’s so skinny; oh, look at that fat lady, she’s so big.” (Becker 1995: 51). Man sieht, daß die Fiji-Insulaner, Körper, die auch in unserer Gesellschaft als „krankhaft“ gelten, ablehnen. Jedoch ist, anders als bei uns, der ganze Bereich dazwischen, und Übergewicht eingeschlossen, akzeptiert. Mehr noch, dick bzw. “moppelig” zu sein wird in Fiji gleichgesetzt mit Gesundheit. Eine Mutter sagte über ihr Kind: “Even with my daughter, whenever we go somewhere, people say that she is a very healthy kid, because she can really eat, Va can. I don’t care about her figure now, because she is still young. I would agree that being chubby goes along with being well cared for, this happens here in Fiji.” (Sparks 2000). Es stört sie nicht, daß ihre Tochter übergewichtig ist, da sie von ihrer Umwelt nur positive Reaktionen erhält und als Mutter stolz sein kann, daß sie so gut für ihr Kind sorgt. Aber nicht nur darüber gibt die Körperform in Fiji Aufschluß, sondern ebenso, wie fähig eine Person ist, zu arbeiten. Es ist also wichtig kaikai und jubu vina zu sein, um hart arbeiten zu können[3]. Jemand, der zu dick[4] ist und bereits nach kurzer Betätigung erschöpft zurücksinkt, um sich auszuruhen, ist keine Hilfe für seine Familie, geschweige denn für die Gemeinschaft. Dasselbe gilt für Personen, die zu dünn sind. In Fiji ist es jedoch von großer Bedeutung, für die Familie und die Gemeinschaft arbeiten und sorgen zu können.[5] Dementsprechend suchen sich Männer ihre Frauen nach dem Kriterium jubu vina aus und Frauen möchten diesem “Ideal” entsprechen. Wie bereits erwähnt, unternehmen sie aber keine Anstrengungen diesbezüglich und erfahren seitens der Männern keinen Druck. Ein junger Mann meint: “… The girls do not really worry either, except when they grow fat, they begin to bother over it. It is the girls that tell each other that they are growing fat; the boys do not bother over it, …” (Sparks 2000).

Ein besonders hervorstechender Punkt bei dem Diskurs um das “ideale” Körpergewicht junger Frauen in Fiji ist, daß sie keineswegs aus Gründen der Selbstkontrolle bzw. der Kontrolle über den eigenen Körper “dünn” sein wollen (wie wir es aus westlichen Kulturen kennen), sondern hauptsächlich, um Männern zu gefallen. Eine Fiji-Insulanerin beschrieb dies so: “For a Fijian, the reason women think about having the right figure is for women to look good for men. If you’re too fat, no man will want you. If you eat much, you’ll get fat, and no man will be running after you. Even if you have a good face, and nice looking hair, but if you are too fat or too skinny, I think that the men will not go after you.” (Sparks 2000). Und eine andere sagt: “The main reason why girls want to get thin is to look good for the boys, to look slim. You know, guys might not like a fat lady, and me, I do not want a fat man. It’s not good to be too fat, but it is good to “kana levu” (eat a lot), it is good to be in the middle with your weight.” (Sparks 2000). Das Koerperideal liegt in Fiji also “genau in der Mitte”. Zu diesem Körperideal gehört nicht nur die Körperform und das Körpergewicht, sondern auch die äußere Erscheinung an sich. Diese ist traditionell strengen Regeln unterworfen. So tragen Frauen lange Gewänder[6], welche die Beine bedecken und binden ihre Haare am oberen Hinterkopf zu einem Knoten, dem sogenannten “duck’s tail” (Becker 1995: 55). Es ist zwar erlaubt, daß die Frauen auch andere Frisuren ausprobieren, aber es wird nicht geguldet, dass sie Hosen tragen. Ebensowenig sollen sie sich schminken, Parfum auftragen oder im Allgemeinen zu sehr auf ihr Äusseres achten.[7] Denn es wird darauf Wert gelegt, sich nicht durch seine äußere Erscheinung als Individuum abzugrenzen, da der Körper bei den Fiji-Insulanern nicht die eigene Identität, sondern die der Gemeinschaft widerspiegelt[8].

Zusammenfassend ist zu sagen, daß das traditionelle Körperbild Fijis, dem eines robusten, fülligen aber auch kräftigen Körpers entspricht, der weder zu dick noch zu dünn ist. Dennoch werden ebenso Körper akzeptiert, die nicht in dieses Schema passen, also extrem dünn oder sehr fett sind. Diese werden in alltäglichen Kommentaren zwar negativ bewertet, wodurch aber nur die Sorge der Gemeinschaft, betreffend des jeweiligen Mitgliedes, zum Ausdruck gebracht wird.

[...]


[1] Von September bis Dezember 2004 nahm ich am ASEAN and Southwest Pacific Dialogue II in Bandung, Indonesia teil. Aus verschiedenen Ländern des ostpazifischen Raumes kamen Stipendiaten nach Bandung, um in drei Monaten die sundanesiche Kultur, vor allem ihre Musik und ihre Tänze kennenzulernen. Da ich zu diesem Zeitpunkt gerade ein sechsmonatiges Praktikum im Kulturzentrum Bandungs absolvierte, wurde mir angeboten, auch an diesem Programm teilzunehmen, was ich natürlich mit Dankbarkeit tat.

[2] Obwohl Frauen und Männer an den Untersuchungen teilnahmen, wurden bei den Ergebnissen nur die Frauen berücksichtigt (Becker 1995: 40).

[3] Und um hart arbeiten zu können, muss man grosse Mengen an Nahrung zu sich nehmen, so glauben die Fiji-Insulaner.

[4] “Zu dick” auf Fiji bedeutet nach unserem westlichen Verständnis meist übergewichtig (Becker 1995: 56).

[5] Näheres dazu siehe 1.3. Das “ fijianische Selbst”.

[6] Seit der Missionierung vor etwa ungefähr einem Jahrhundert.

[7] Nur bei Frauen, die nach einem Ehemann Ausschau halten, wird das “Zurechtmachen” in einem gewissen Maße gebilligt (Becker 1995: 54).

[8] Näheres dazu 1.3. Das “traditionelle fijianische Selbst”.

Excerpt out of 19 pages

Details

Title
Vom robusten Körper zu Bulimie und Anorexia: Verändertes Selbst und Körperbilder in Fiji
College
University of Heidelberg  (Fakultät fuer Verhaltens- und Empirische Kulturwissenschaften Institut fuer Ethnologie)
Course
“Health Transition” im Pazifik
Grade
1,6
Author
Year
2005
Pages
19
Catalog Number
V71714
ISBN (eBook)
9783638633178
File size
562 KB
Language
German
Keywords
Körper, Bulimie, Anorexia, Verändertes, Selbst, Körperbilder, Fiji, Transition”, Pazifik
Quote paper
Diana Bettig (Author), 2005, Vom robusten Körper zu Bulimie und Anorexia: Verändertes Selbst und Körperbilder in Fiji, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/71714

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