Man könnte vermuten, oben stehende Sätze stammen aus längst vergangenen Zeiten. Der Leser könnte sie einem Jesuitenprediger der Renaissance oder eines Antisemiten des 17. Jahrhunderts in den Mund legen. Doch jene Zeilen wurden 1997 vom konservativ katholischen Theologen Robert Prantner unter dem Titel: „Gratwanderung auf einer Einbahnstraße“ in der Zeitschrift „Zur Zeit“ (7/97) veröffentlicht. Die Vorwürfe gegen Juden, die auf der Ritualmordlegende basieren, sind also bis in unsere Tage nicht verstummt.
Prantner beruft sich in seinen Ausführungen auf eine, seit dem Mittelalter kursierende Legende. Grundlage dieser ist ein Ritual aus religiösen Motiven, das in dieser Form wohl niemals stattgefunden hat. Bei einem Ritualmord wird Juden vorgeworfen, um die Osterzeit (jüdisches Pessachfest) Christenknaben zu entführen und schlachten, deren Blut zu trinken oder es zur Zubereitung kultischer Speisen (Mazzoth) zu verwenden.
Grundlage der Ritualmordvorwürfe ist die Unterstellung der Schuld des jüdischen Volkes am Tod Jesus Christus (ca. 4v.Chr.- 33.n.Chr.). In der katholischen Kirche wurde im Mittelalter die Transsubstantiationslehre zum Dogma (formuliert auf dem 4. Laterankonzil 1215 und durch das Konzil von Trient 1643 bekräftigt) 2 . Schon bald kam es zu Wunderberichten rund um die Eucharistie. Man erzählte sich von blutenden Hostien, die sprechen konnten und die Idee, dass nun eben diese Hostien nur der leibhaftige, wunderbar verwandelte Körper Jesu Christi seien, wurde den Juden zum Verhängnis. Denn nun konnte man behaupten, dass Juden nun die Hostie martern, genauso wie einst Jesus Christus. Für die katholische Theologie des Mittelalters war Hostie und Corpus Christi wesensgleich.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Historisches Umfeld der Hauptschauplätze - Eine Skizze
- Oberitalien um 1475 – Renaissance, Handel und Wirtschaft, Kirche und Aberglaube, Juden als Minderheit und die Lage Trients
- Tirol um 1620 – Reformation und Gegenreformation, 30 jähriger Krieg, Handel und Wirtschaft
- Simon von Trient - Ein Ritualmord
- Geschichte des Ritualmordprozesses um Simon von Trient
- Ausbreitung der Ritualmordlegende
- Andreas (Anderl) vom Rinn - Das „Remake“ eines Ritualmordes
- Ein Ritualmord wird „erfunden“
- Die Geschichte des „,Mordes“
- Zusammenhänge, Motive und Vermutungen
- Was verbindet beide Legenden?
- Vermutungen über Motive des „Remake“
- Schlussbetrachtung
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Hausarbeit befasst sich mit zwei bekannten Ritualmordlegenden: Simon von Trient und „Anderl“ vom Rinn. Ziel ist es, die historische Einordnung beider Legenden zu beleuchten, die Verbindungen zwischen ihnen aufzuzeigen und mögliche Motive für die Entstehung der zweiten Legende zu untersuchen. Der Fokus liegt dabei auf der Analyse der historischen Hintergründe, der Verbreitung der Legenden und der Frage nach ihrer Geschichtsgebundenheit.
- Historischer Kontext der Legenden in Oberitalien und Tirol
- Untersuchung der Entstehung und Verbreitung der Ritualmordlegenden
- Analyse der Verbindungen und Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Legenden
- Vermutungen über die Motive für die Entstehung der zweiten Legende
- Bewertung der historischen Bedeutung der Legenden
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung führt in das Thema Ritualmordlegenden ein und verdeutlicht deren Aktualität durch ein Zitat. Sie stellt den historischen Kontext der Legenden vor und erläutert die Bedeutung der Transsubstantiationslehre für die Entstehung von Vorwürfen gegen Juden. Des Weiteren werden die wichtigsten Opfer von Ritualmordlegenden erwähnt, darunter Simon von Trient und „Anderl“ vom Rinn.
Das zweite Kapitel skizziert das historische Umfeld der Hauptschauplätze der Legenden, Oberitalien und Tirol. Es beleuchtet die politischen, wirtschaftlichen und religiösen Verhältnisse in beiden Regionen in den entsprechenden Epochen.
Die Kapitel drei und vier befassen sich mit den Legenden um Simon von Trient und „Anderl“ vom Rinn. Sie beschreiben den Verlauf des Ritualmordprozesses in Trient und die Ausbreitung der Legende. Zudem wird die Entstehung und Verbreitung der Legende um „Anderl“ vom Rinn beleuchtet.
Das fünfte Kapitel widmet sich den Zusammenhängen und möglichen Motiven der beiden Legenden. Es untersucht die Verbindungen zwischen ihnen und spekuliert über die Gründe für die Entstehung der zweiten Legende.
Schlüsselwörter
Ritualmordlegenden, Simon von Trient, „Anderl“ vom Rinn, Oberitalien, Tirol, Renaissance, Reformation, Gegenreformation, Transsubstantiationslehre, Antisemitismus, Geschichte, Religion, Kirche, Juden, Minderheit.
- Quote paper
- Marco Schlunk (Author), 2005, Simon von Trient und Anderl vom Rinn - Zwei Ritualmordlegenden auf dem Weg in die Moderne, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/72063