Thüring von Ringoltingen (* um 1415, † 1483) von Bern schrieb nach einer französischen Vorlage von Couldrette (1401) im Jahr 1456 die Erzählung „Melusine“, die später als Volksbuch weite Verbreitung fand.
In ihr wird von der schönen Meerfee Melusine berichtet, die eine Ehe mit dem Grafen Reymund eingeht, um sich zu beseelen und von ihrer Naturhaftigkeit zu erlösen. Melusine erweist sich als Bauherrin und gebiert ihrem Mann zehn Söhne, von denen die ersten acht einen Makel im Gesicht tragen. Bei der Eheschließung hatte sich Melusine allerdings ausbedungen, dass sie jeden Samstag ungestört bleiben müsse. Entgegen dieser Abmachung überrascht sie Reymund im Bad, als sie wieder ihre Doppelgestalt angenommen hatte: vom Bauchnabel herab trägt sie einen langen beschuppten Wurmschwanz. Doch die Eskalation dieses Tabubruchs kann aufgehalten werden, solange Reymund für sich bewahrt, was er gesehen hat. Als jedoch sein Sohn Goffroy seinen eigenen Bruder Freymund tötet veröffentlicht Reymund Melusines Geheimnis. Melusine, ihrer Natur entlarvt, muss entschwinden. Erst im späteren Verlauf der Erzählung wird bekannt, dass Melusine einst mit ihren Schwestern Meliora und Palentine Rache an ihrem Vater Helmas übte, der wiederum das von seiner Frau Persine ausgesprochene Tabu verletzte und sie im Kindsbett besuchte. Als Strafe belegte Persine ihre Töchter jeweils mit einem Fluch.
In der uns vorliegenden Erzählung spielt die Geschichte Melusines und Reymunds allerdings eine eher untergeordnete Rolle. Der Roman ist primär eine genealogisch zentrierte Familiengeschichte, die vier Generationen umspannt und fast die gesamte damals bekannte Welt zum Handlungsort hat.
Ungeklärt bleiben die Fragen: Ist der Tabubruch schicksalhaft oder zwangsläufig? Ist der Fluch Melusines unentrinnbar? Wer ist Schuld an der letztendlichen Erfüllung der Prophezeiung: Reymund, der sich nicht an sein Versprechen hält? Oder Melusine, wegen der er dieses Versprechen überhaupt eingehen muss? Oder ist es Goffroy, dessen Brudermord Auslöser des Tabubruchs ist? Oder ist es Persine, die Urheberin des Fluches? Wird der Fluch physisch in Form von entstellten Körpermerkmalen an die Söhne Melusines weitervererbt? Oder gibt es eine Chance auf Erlösung?
Der Versuch diese Fragen zu beantworten und in der Verwandtschaftsbeziehung und Erzählstruktur zu analysieren soll Inhalt dieser Hausarbeit sein.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Hauptteil
- Verwandtschaftsbeziehungen im Mittelalter
- Verwandtschaftsbeziehungen anhand des Stammbaumes
- Die innerfamiliäre Gewaltproblematik
- Die Mahrtenehe
- Schicksal oder Zufall
- Die Erzählstruktur
- Abschließende Betrachtung
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Hausarbeit befasst sich mit Thüring von Ringoltingens Erzählung "Melusine", die im Jahr 1456 nach einer französischen Vorlage entstanden ist. Im Zentrum der Analyse stehen die Verwandtschaftsbeziehungen und die Erzählstruktur des Romans. Ziel ist es, die im Text dargestellten Familienbeziehungen zu untersuchen, die Rolle der Gewalt und die Struktur der Mahrtenehe zu beleuchten.
- Verwandtschaftsbeziehungen im Mittelalter
- Innerfamiliäre Gewalt als strukturierendes Element des Romans
- Die Mahrtenehe als mythischer Erzählkern
- Die Frage nach Schicksal und Zufall im Kontext der Handlung
- Analyse der Erzählstruktur mit Blick auf die Rolle der Figuren und die erzählerischen Strategien
Zusammenfassung der Kapitel
- Einleitung: Die Einleitung stellt den Kontext der Erzählung "Melusine" vor, geht auf die Entstehung und den Inhalt des Textes ein und stellt die Forschungsfragen der Hausarbeit dar.
- Verwandtschaftsbeziehungen im Mittelalter: Dieser Abschnitt untersucht die Rolle der Frau im mittelalterlichen Verständnis von Verwandtschaft und stellt Melusine als Gegenentwurf zu dieser Vorstellung dar.
- Verwandtschaftsbeziehungen anhand des Stammbaumes: Anhand des Stammbaumes der Familie werden Zusammenhänge und Auffälligkeiten hinsichtlich Melusines und Reymunds Genealogie beleuchtet.
- Die innerfamiliäre Gewaltproblematik: Der Abschnitt analysiert die Gewalt im Roman, unterscheidet zwischen konstruktiver und destruktiver Gewalt und untersucht die Rolle der Figuren im Kontext der Gewaltproblematik.
- Die Mahrtenehe: Dieser Abschnitt erläutert die Struktur der Mahrtenehe und deren Bedeutung für die Handlung des Romans. Die Aspekte der Mahrtenehe werden in Bezug zu den innerfamiliären Gewalttaten gesetzt.
- Schicksal oder Zufall: Dieser Abschnitt diskutiert die Rolle von Schicksal und Zufall in der Erzählung. Die Handlungsmotive Melusines und die Frage nach ihrer Erlösung werden im Kontext des mittelalterlichen Weltbildes und der Mahrtenehe betrachtet.
- Die Erzählstruktur: Der Abschnitt analysiert die Erzählstruktur des Romans. Die Rolle der Figuren, die Erzählperspektive und die erzählerischen Strategien werden im Hinblick auf die Konstruktion der Handlung und die Gestaltung des Spannungsbogens untersucht.
Schlüsselwörter
Die zentralen Schlüsselwörter und Fokusthemen des Romans "Melusine" sind: Verwandtschaftsbeziehungen, innerfamiliäre Gewalt, Mahrtenehe, Schicksal und Zufall, Erzählstruktur, mittelalterliches Weltbild, Dekonstruktion, Literaturexperiment.
- Quote paper
- Silvia Asser (Author), 2005, Zu: Thüring von Ringoltingens "Melusine" - Verwandtschaftsbeziehung und Erzählstruktur, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/72495