Romantikkritik in der frühen Lyrik Heinrich Heines am Beispiel des Gedichtes „Loreley“


Term Paper, 2004

14 Pages, Grade: 1,0


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Inhaltsverzeichnis

1. Einführung und Themenstellung

2. Romantikkritik Heines am Beispiel der „Loreley“
2.1. Die Infragestellung der Dichterrolle
2.2. Die Darstellung der Natur
2.3. Die Figur der Loreley
2.4. Der Schiffer

3. Schluß

4. Anmerkung

5. Literaturverzeichnis

6. Selbständigkeitserklärung

1. Einführung und Themenstellung

Heinrich Heine verfasste seine „Loreley“ 1823. 23 Jahre nachdem Clemens Brentano aus einem leblosen Felsen im Rhein die anmutig singende Schöne erschaffen hatte, gesellte sich Heine zu einer Reihe romantischer Dichter, die Brentanos Motiv immer wieder aufgriffen. Obwohl Heine nicht der Vater der Loreley ist, gelangte seine Umsetzung dieses Sujets zu ungeahnter Bekanntheit. Mit Silchers Vertonung von 1837 fand die Loreley ihren Platz im deutschen Liedgut und drang als Symbol für Heimat und Vaterland so tief ins nationale Bewusstsein der Deutschen ein, dass man seinen jüdischen Autor zur Zeit des Nationalsozialismus nicht mehr aus den Köpfen des Volkes streichen konnte. Laut Kolbe gab es „[k]einen Männergesangsverein, keine Jungfer am Klavier, die an diesem ‚Felsenriffe’ vermeintlicher, ungewollter Nationalsentimentalität vorbeigekommen wäre“.[1] Vollkommen lächerlich muss die von den Nationalsozialisten erdachte Lösung, der Vermerk „Verfasser unbekannt“[2], im Zusammenhang mit Heines berühmtestem Gedicht gewirkt haben.

Als Reaktion auf die beschriebene Beliebtheit des Gedichtes fand Heines frühe Lyrik, insbesondere die „Loreley“, während der Heine-Renaissance in den späten Sechziger Jahren gar keine oder nur eine sehr abwertende Beachtung, es sei denn, der Interpret vermutete darin eine politische Aussage.[3]

Die politische, antisemitische, jüdische oder biographische Rezeption der „Loreley“ soll nicht Inhalt dieser Arbeit sein, wenn gleich all diese Aspekte ihre Berechtigung finden.

Zur Blütezeit der Romantik entstanden, galt die „Loreley“ Heines, der sich selbst als ‚entlaufener Romantiker’ bezeichnete, lange Zeit als Inbegriff der romantischen Dichtkunst schlechthin, sogar als Allegorie der Romantik.[4] Man glaubte das Buch der Lieder, in welchem das Gedicht im Zyklus Heimkehr zu finden ist, frei von jeglicher Romantikkritik, die später so typisch für Heine werden sollte.

Ziel dieser Arbeit ist es, insbesondere die romantikkritisierenden Anzeichen herauszuarbeiten und anhand dieser eine tendenzielle Einordnung in Heines ambivalentes Verhältnis zur Romantik vorzunehmen und der uneingeschränkten romantisch sentimentalen Lesart des Gedichtes, aber auch des Buches der Lieder, zu widersprechen. Die motivische Verbundenheit des Gedichtes zur Romantik, die durch die unglückliche Liebe und die macht der Musik[5] erreicht wird, ist dabei ebenso zu beachten wie die Stilistik.

Die Schwierigkeit der Heine-Interpretation sehe ich in der starken Polarisierung der Erwartungshaltung des Lesers. Wer einmal von seinem Witz aufs Glatteis geführt wurde, vermutet hinter jedem Wort Ironie und in jeder letzten Strophe einen Stimmungsbruch. Eine Stimmung kann man jedoch nur brechen, wenn sie vorhanden ist. Kolb sagt dazu: „ […] wenn jede Erwartung, auch die einer Brechung, eines Witzes oder einer Ironie, in Erfüllung ginge, dann müsste man sich fragen, worin eigentlich die Kunst liegt und mit Adorno die ‚fertige, präparierte Sprache’ kritisieren und die ‚dichterische Technik der Reproduktion’ rügen.“[6] Heines Gedichte lassen sich nicht pauschalisieren. Jedes Gedicht erfordert ein erneutes ‚Sich-darauf-einlassen’, eine unvoreingenommene Lesehaltung.

2. Romantikkritik Heines am Beispiel der „Loreley“

2.1. Die Infragestellung der Dichterrolle

Heine schildert in drei Strophen die eigentliche Geschichte der Loreley. Eine weitere Strophe ist für ihn von Nöten um seine Hauptfigur in die passende mystisch, fast traurig wirkende Landschaft zu versetzen. Eingebettet ist dies alles in eine Rahmenkonstruktion, mit der der Autor das Geschehen als Gegenstand einer fernen Erinnerung charakterisiert.

Heine leitet die erste Strophe mit den Worten „Ich weiß nicht […]“[7] und die letzte Strophe mit „Ich glaube […]“[8] ein. Er inszeniert somit eine Unsicherheit, die er besonders in der ersten Strophe weiter ausbaut. Zu diesem Zweck spricht er in zwei Versen von „ein[em] Märchen aus alten Zeiten“[9], das ihm „nicht aus dem Sinn“ kommt. Er weist den Leser darauf hin, dass die folgende Handlung eine Geschichte ist, die er möglicherweise vor langer Zeit einmal gehört hat und die er aus der Erinnerung nacherzählt. Mit dem Wort „Märchen“[10] deklariert er das Folgende als Fiktion. Lentwojt bemerkt dazu: „Das Wort vom Märchen aus alten Zeiten, mit dem Heinrich Heine seine populäre Loreley-Bearbeitung eingeleitet hatte, wurde ohne weiteres Nachdenken über die von Heine damit verbundene Bedeutung für bare Münze genommen: Loreley wurde mit den Gestalten der Grimmschen Märchen in eine Reihe gestellt […]. So bekam Loreley in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts schließlich einen Platz zwischen Märchenwelt und Nationalmythos.“[11] Zur angesprochenen Bedeutung des Wortes Märchen äußert er sich an dieser Stelle jedoch nicht.

Möglicherweise kann man Heines Worte der ersten Strophe als Bezug auf die ihm vorangegangenen Dichter, die sich schon vor ihm der Loreley gewidmet haben, verstehen. Bezieht man sie speziell auf Brentano, wäre sowohl eine positiv als auch eine negativ bewertende Funktion denkbar. Heine setzt Brentanos Loreley nicht etwa mit einem fast zeitgenössischen Kunstmärchen gleich, sondern, wie bereits von Lentwojt beschrieben, mit einem aus alter Tradition herrührenden Volksmärchen. Man könnte dies im positiven Sinne nun als besondere Anerkennung der dichterischen Leistung Brentanos deuten, im negativ bewertenden Sinn aber auch als Kritik an bloßer Wiederholung von Tradition. In diesem Zusammenhang erscheint es jedoch sinnvoller die Kritik auf Heines Dichterkollegen zu beziehen, die Brentanos Schöpfung aufgriffen und weiter ausbauten. Man könnte ihnen die Nachahmung des erfolgreichen Sujets und dessen Aufarbeitung mit für die Romantik typischen lyrischen Mitteln unterstellen. Heine äußert sich in ähnlicher Art und Weise im ersten Buch der Romantischen Schule[12] bei der Behandlung der romantischen Mittelalterrenaissance. Sirenen, Undinen und Melusinen, die Seefahrern mit ihrem betörenden Gesang den Tod bringen sind um 1800 nichts Neues mehr. Neu allerdings ist die Ansiedlung einer solchen Figur im deutschen Rheingebiet, die dazu einen neuen individuellen Namen trägt.

Ich möchte nun noch einmal auf die Worte „Ich weiß nicht“ und „Ich glaube“ und die damit verbundene Darstellung der Unwissenheit zurückkommen. Das lyrische Ich fungiert in diesem Gedicht als Erzähler, als Dichter. Der schlichte Stil der ersten und letzten Strophe, in denen der Dichter sich zu sich selbst äußert, grenzt sich klar vom sehr viel poetischeren Stil der Mittelstrophen, des eigentlichem Gedichtes ab. Das lyrische Ich als Dichter zu betrachten halte ich deshalb für legitim. Auch in anderen Gedichten des zyklisch angelegten Buches der Lieder entpuppen sich die Hauptfigur oder das lyrische Ich als Poeten. Zu nennen ist hier unter anderem „Prolog“ oder „Das Seegespenst“.[13] Beide Gedichte behandeln dem Loreley-Motiv ähnliche Themen.

[...]


[1] Kolbe, Jürgen: Das hat mit ihrem Singen die Loreley getan: Ein sagenhafter Einfall und einige Folgen. S.204.

[2] Kolb, Jocelyne: Die Lorelei oder die Legende um Heine. S. 53

[3] Kolb: S. 53 f.

[4] Lentwojt, Peter: Die Loreley in ihrer Landschaft. S.203.

[5] Kolb: S. 56

[6] Kolb: S. 58

[7] Heine, Heinrich: Heimkehr II. In. Buch der Lieder: V 1. Alle folgenden Versangaben beziehen sich auf dieses Gedicht.

[8] V 21

[9] V 3

[10] V 4

[11] Lentwojt: S. 203

[12] Heine: Die Romantische Schule, Erstes Buch. S. 14 ff.

[13] Heine: Buch der Lieder. S. 208-211.

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Details

Title
Romantikkritik in der frühen Lyrik Heinrich Heines am Beispiel des Gedichtes „Loreley“
College
Ernst Moritz Arndt University of Greifswald  (Deutsche Philologie)
Course
Interpretation ausgewählter Texte
Grade
1,0
Author
Year
2004
Pages
14
Catalog Number
V72606
ISBN (eBook)
9783638733625
File size
425 KB
Language
German
Notes
Ausszug aus dem Kommentar des Dozenten: "Ab heute werde ich die Lorelei anders lesen. D.h. Ihre Interpretation ist völlig überzeugend - so sehr, dass man sich fragt, wie man das jemals hat anders lesen können! Auch sprachlich eine ganz ausgezeichnete Arbeit. [...]"
Keywords
Romantikkritik, Lyrik, Heinrich, Heines, Beispiel, Gedichtes, Interpretation, Texte
Quote paper
Mandy Schleer (Author), 2004, Romantikkritik in der frühen Lyrik Heinrich Heines am Beispiel des Gedichtes „Loreley“, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/72606

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