In offizieller Lesart gehört Kolumbien zu den ältesten Demokratien Lateinamerikas. Sozialrevolutionäre Umwälzungen oder Militärherrschaft – so charakteristisch für viele Nachbarstaaten – blieben Ausnahmeerscheinungen. Obwohl das Land fast immer von verfassungsmäßig zustande gekommenen Regierungen geleitet wurde, ist es seit über 60 Jahren Schauplatz blutiger innerer Kämpfe. In Bezug auf seine Gesellschaft ist daher häufig von Gewalt als historisch-kultureller Konstante die Rede. In auffälliger Weise sind die vorhandenen Gewaltstrukturen mit der Genese des politischen Systems verwoben. In keinem anderen Land der Region ist es den beiden Traditionsparteien der Liberalen und Konservativen so dauerhaft gelungen, die Macht unter sich aufzuteilen und alternative Kräfte vom politischen Prozess auszuschließen. Die alteingesessenen Eliten schufen ein System, das zwar die Integration bestimmter sozialer Gruppen begünstigte. Akteure mit sozialreformerischen oder -revolutionären Ideen sahen sich jedoch geradezu herausgefordert, mit Gewalt Einfluss zu nehmen.
Im Folgenden will ich der Frage nachgehen, wie es den politischen Eliten des südamerikanischen Landes gelungen ist, das gesamte 20. Jahrhundert hindurch soziale Reformen effektiv zu verhindern. Im Kern der Argumentation wird dabei die Rolle des Staates stehen. Welche Aufgaben hat ein moderner Staat in Bezug auf das Wohlergehen des Großteils der Bevölkerung zu erfüllen? Gab es Akteure, die sich für eine veränderte Rolle des Staates einsetzten? Wenn ja, wie sollte dieser „neue“ Staat beschaffen sein? Warum gilt Kolumbien bis heute als schwacher Staat mit einem hohen Grad an sozialer Ungleichheit?
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Starker Staat / schwacher Staat - eine Begriffsbestimmung
- Armut und soziale Exklusion in der Gegenwart
- Die Soziale Frage im 20. Jahrhundert: zur Rolle der politischen Eliten
- López Pumarejo, Reformer oder Revolutionär?
- País político - país nacional: Gaitáns anti-oligarchischer Diskurs als Bedrohung
- Rojas Pinilla: Herausforderung durch das Militär
- Zusammenfassung
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit analysiert die Rolle der politischen Eliten im 20. Jahrhundert in Kolumbien und untersucht, wie sie soziale Reformen effektiv verhindern konnten. Die Argumentation konzentriert sich auf die Rolle des Staates und seine Aufgaben in Bezug auf das Wohlergehen der Bevölkerung. Die Arbeit stellt die Frage, ob es Akteure gab, die sich für eine veränderte Rolle des Staates einsetzten und, falls ja, wie dieser „neue“ Staat beschaffen sein sollte.
- Die Rolle des Staates in Kolumbien im 20. Jahrhundert
- Soziale Reformen und deren Verhinderung durch die politischen Eliten
- Die Entwicklung der Armut und der sozialen Exklusion
- Die Bedeutung von Gewaltstrukturen in der kolumbianischen Gesellschaft
- Die politische Kultur und die Stärke des Staates in Kolumbien
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung stellt die Ausgangssituation Kolumbiens im 20. Jahrhundert dar, charakterisiert das Land als eine Demokratie mit starken inneren Konflikten und beleuchtet die Rolle der politischen Eliten in der Verhinderung sozialer Reformen. Kapitel 2 erläutert die Begriffe „starker Staat“ und „schwacher Staat“ und definiert die Aufgaben eines modernen Staates. Kapitel 3 bietet einen Überblick über die Armut und soziale Exklusion in der Gegenwart Kolumbiens und dient als Vergleichsrahmen für die historische Analyse. Die Kapitel 4.1 bis 4.3 untersuchen die Strategien und Handlungen von drei wichtigen politischen Akteuren – López Pumarejo, Jorge Eliécer Gaitán und Gustavo Rojas Pinilla – und analysieren, wie sie soziale Veränderungen beeinflussten und warum ihre Bemühungen scheiterten.
Schlüsselwörter
Kolumbien, soziale Ungleichheit, politische Eliten, Staatsrolle, soziale Reformen, Armut, soziale Exklusion, Gewalt, state failure, politische Kultur, López Pumarejo, Gaitán, Rojas Pinilla
- Arbeit zitieren
- Sven Schuster (Autor:in), 2007, Die Soziale Frage in Kolumbien im 20. Jahrhundert - Zur Rolle der politischen Eliten, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/72661