"Und alsobald ging Blut und Wasser heraus." Joh 19,31-37 und der Tod Jesu im Johannesevangelium


Quellenexegese, 2007

28 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Zum Text
2.1 Text Joh 19,31-37
2.2 Übersetzung
2.3 Textkritische Anmerkungen

3. Literarkritische Betrachtung
3.1 Stellung im Kontext
3.2 Abgrenzung
3.3 Inhaltliche Gliederung des Textes
3.4 Die Frage der Einheitlichkeit

4. Formgeschichte
4.1 Die Gattung
4.2 Der Sitz im Leben
4.3 Überlieferungs- und Traditionsgeschichte

5. Redaktionsgeschichte

6. Einzelexegese
6.1 Der Todestag Jesu (Joh 19,31)
6.2 Das Crucifragium (Joh 19,31)
6.3 „Jesus aber in der Mitte“ (Joh 19,32f)
6.4 Blut und Wasser (Joh 19,34)
6.5 Der Zeuge (Joh 19,35)
6.6 Die Schrift I: Das Lamm Gottes (Joh 19,36)
6.7 Die Schrift II: Sehet! (Joh 19,37)

7. Weitere Texte zur Deutung des Todes Jesu im Johannesevangelium
7.1 Gott gibt seinen Sohn (Joh 3,16)
7.2 Brot des Lebens (Joh 6,51)
7.3 Der gute Hirte (Joh 10,11.17f)
7.4 Verherrlichung des Menschensohns (12,23f.32f)
7.5 Jesus lässt sein Leben für die Seinen (Joh 15,13)

Literatur

1. Einleitung

Die vorliegende Arbeit untersucht einen Abschnitt der Passionsgeschichte, den nur Jo- hannes überliefert: Die Perikope vom Zerbrechen der Beine der Schächer zu Seiten des Kreuzes Jesu und vom Lanzenstich in die Seite des Gottessohnes (Joh 19,31-37). Aus der Wunde rinnen Blut und Wasser, deren Deutung vielseitig ist. Sie reicht „von der Auffassung, daß die Szene nur die Tatsache des Todes Jesu, vielleicht in Abwehr einer doketischen Irrlehre, feststellen soll, bis zu theologischen Interpretationen, daß aus der Seite Jesu die Kirche, der Strom des Lebens oder die Sakramente von Taufe und Eucha- ristie hervorgegangen sind.“[1] Dabei ist zu beachten, dass die Historizität des Abschnit- tes strittig ist – schon deshalb, weil er den synoptischen Evangelien unbekannt ist. Mög- licherweise handelt es sich um die johanneische Variante des markinischen Hauptman- nes, der unter dem Kreuz Jesum als den Gottessohn bekennt (Mk 15,39). Die Anklänge sind jedoch sehr vage. So kann nicht ausgeschlossen werden, dass „Joh[annes] ein Er- eignis einfach wegen seiner allegorischen Bedeutung konstruierte.“[2]

Die Untersuchung des Textes orientiert sich zunächst an den exegetischen Schritten der Textkritik, Literarkritik, Formgeschichte und der Redaktionsgeschichte (Kap. 2 bis 5). Darauf folgen Einzelanmerkungen, die den Text als Einheit betrachten (Kap. 6). Ab- schließend werden kurz einige weitere Abschnitte des Johannesevangeliums interpre- tiert, die sich mit der Deutung des Todes Jesu auseinandersetzen.

Bei Texten und Worten, die in griechischer Sprache zitiert werden, wird auf Umschrift und Übersetzung (abgesehen von der Übersetzung im Rahmen der Textkritik) verzich- tet. Biblische Bücher werden nach den gängigen Abkürzungen angeführt; soweit nicht anders angegeben, sind deutsche Bibeltexte der Lutherbibel entnommen. EG = Evange- lisches Gesangbuch.

2. Zum Text

2.1 Text Joh 19,31-37

31 a Oi oun Ioudaioi, epei paraskeuh hn[3],

b ina mh meinh epi tou staurou ta swmata en tw sabbatw,

g hn gar megalh h hmera ekeinou tou sabbatou,

d hrwthsan ton Pilaton,

e ina kateagwsin autwn ta skelh

z kai arqwsin.

32 a hlqon oun oi stratiwtai

b kai tou men prwtou kateaxan ta skelh kai tou allou tou sustaurwqentoV autw

33 a epi de ton Ihsoun elqonteV, ws eidon hdh auton teqnhkota,

b ou kateaxan autou ta skelh,

34 a all eiV twn stratiwtwn logch autou thn pleuran enuxen,

b kai exhlqen euquV aima kai udwr.

35 a kai o ewrakwV memarturhken

b kai alhqinh autou estin h marturia

g kai ekeinoV oiden

d oti alhqh legei

e ina kai umeiV pisteu[s]hte.

36 a egeneto gar tauta

b ina h grafh plhrwqh

g ostoun ou suntribhsetai autou.

37 a kai palin etera grafh legei

b oyontai eiV

g on exekenthsan.

2.2 Übersetzung

31 a Die Juden nun, weil es der Rüsttag war[4]

b damit die Leiber nicht am Kreuz hängen blieben am Schabbat –

c es war nämlich der Große Schabbattag, –

d baten sie Pilatus,

e daß sie die Beinknochen brechen[5]

f und ihn abnehmen durften.

32 a Und es kamen die Soldaten

b und brachen die Beinknochen des ersten und des anderen mit ihm Gekreuzigten.

33 a Als sie aber zu Jesus kamen, und sahen, daß er schon tot war,

b brachen sie seine Knochen nicht,

34 a sondern einer von den Soldaten stieß ihm mit seiner Lanze in die Seite,

b und sogleich kam Blut und Wasser heraus.

35 a Und der das gesehen hat, ist Zeuge dafür

b und sein Zeugnis ist wahr;

c und jener weiß,

d daß er die Wahrheit sagt,

e damit auch ihr glaubt.

36 a Es geschah dies nämlich,

b damit die Schrift erfüllt werde:

c „Sie werden ihm keinen Knochen brechen.“[6]

37 a Und noch eine weitere Schriftstelle sagt:

b „Sie werden sehen,

c in wen sie gestochen haben.“

2.3 Textkritische Anmerkungen

Zu folgenden Textstellen sind textkritische Anmerkungen angebracht (ausgenommen kleinere Wortumstellungen)[7]:

Joh 19,31g ekeinou oder ekeinh. Mehrheitstext und Text des 27Nestle-Aland ist die ers- te Lesart, aber immerhin liest Vaticanus die zweite. Mit Bultmann[8] bleibe ich beim Mehrheitstext ou, also „jener Sabbath war ein großer Tag“ statt „jener große Tag war ein Sabbath“, denn es wird der Sabbath ausgezeichnet dadurch, dass der erste Passahtag auf ihn fällt, nicht der Festtag dadurch, dass er auf einen Sabbath fällt.[9]

Joh 19,34a enuxen oder hnoixen. Nur wenige Zeugen haben die zweite Lesart, sie be- ruht auf Aussprachevariation.[10]

Joh 19,35 fehlt vollständig in Einzelhandschriften der Vulgata und in e, „ist aber als ur- sprünglicher Text nicht zweifelhaft. Immerhin zeigt die Auslassung in jenen Hss [Hand- schriften], daß der Text entbehrlich ist.“[11] Eine literarkritische Entscheidung ist hier also gefragt (s. dort).

Joh 19,35e kai fehlt in den Mehrheitstexten, wird aber von Sinaiticus, Vaticanus, Ale- xandrinus und anderen wichtigen Zeugen gebracht. Das „auch“ ist wohl so zu verstehen, dass sich der Zeuge ebenfalls zu den Glaubenden rechnet, nicht nur bloßer Sachzeuge ist.

Joh 19,35e pisteushte oder pisteuhte. Hier sind beide Lesarten verbreitet, die Unter- scheidung von Präsens und Aorist lässt die Aussagerichtung des Verses je unterschied- lich erscheinen. Sinaiticus und Vaticanus haben Präsens. Dem folgen die meisten Text- ausgaben und Kommentare, so auch ich („glaubt“ im Sinne von „im Glauben bleiben“, nicht „zum Glauben kommen“[12]).

3. Literarkritische Betrachtung

3.1 Stellung im Kontext

Der in dieser Arbeit behandelte Abschnitt stellt einen Teil des Abschlusses der johanne- ischen Passionsgeschichte (Joh 18f) dar. Dabei steht sie im Evangelium in einer beson- deren Stellung: Jesus offenbart sich vor der Welt in seiner Macht (Joh 1-12), er offen- bart sich vor den Seinen (Joh 13-17) und wiederum vor der Welt, diesmal in scheinbarer Ohnmacht. „Der Glaube jedoch versteht, daß gerade dies die Enthüllung der Herrlich- keit ist: Das Kreuz ist die Erhöhung.“[13]

Die Passionserzählung selbst hat bei Joh folgenden Aufriss: Jesu Gefangennahme (18,1-11), Verhör vor dem Synhedrium und Verleugnung Petri (18,12-27), Verhör vor Pilatus, Folter und Verurteilung Jesu (18,28-19,16), Kreuzigung und Tod (19,17-30). Darauf folgt unser Abschnitt, der Bericht vom Lanzenstich des römischen Soldaten (19,31-37), dem wiederum nur noch die Erzählung vom Begräbnis Jesu durch Joseph und Nikode- mus (19,38-42) folgt. In gewisser Spannung stehen 19,31 und 19,38, in denen Pilatus je- weils gebeten wird, die Leiber der Gekreuzigten abnehmen zu lassen.[14] Allerdings scheint die Abnahme in 19,31-37 wirklich nicht stattzufinden und ist daher notwendi- gerweise in 19,38 noch berichtet. Vermutlich handelt es sich bei den zwei Abschnitten um Teile unterschiedlicher Tradition, wobei 19,38-42 den synoptischen Parallelen (Mk 15,42-46parr) entspricht.[15] In 20,1 beginnt dann die Ostererzählung des Johannes.

3.2 Abgrenzung

Der Abschnitt lässt sich sehr klar von den umgebenden abgrenzen. Sowohl in 19,30f als auch in 19,37f findet ein Wechsel der handelnden Personen statt. Mit 19,30 ist das Lei- den Jesu beendet: „Es ist vollbracht!“ War Joh 1,29-19,30 Jesus der Mittelpunkt aller Erzählungen, der Handlungsträger und hauptsächlich Sprechende, so ist er in 19,31-20,13 nicht mehr „anwesend“, nur sein Leib ist noch Teil des Geschehens. Dabei han- deln zunächst die Soldaten des Pilatus am Leichnam Jesu und ab 19,38 der heimliche Jünger Joseph von Arimathäa und Nikodemus. 19,31-37 ließe sich durch die gewisse Doppelung mit der folgenden Grablegung (s. Kap. 3.1) sogar völlig aus dem Evangeli- um (schließlich kennen die Synoptiker sie auch nicht) lösen, ohne den Erzählzusam- menhang zu zerstören.

[...]


[1] Schnackenburg, 334.

[2] Barrett, 532.

[3] nach Deutsche Bibelgesellschaft, Novum Testamentum Graece.

[4] nach Wilckens, 299. Die Gliederung folgt exakt dem griechischen Text.

[5] Wilckens unterschlägt autwn („ihre“), entsprechend (und auch der Sache nach) müsste in V. 31f das Objekt im Plural stehen, vgl. z.B. die Übersetzung von Becker (595) oder Schnelle (291).

[6] suntribhsetai besser konjunktivisch: „Ihr sollt ihm kein Bein zerbrechen.“ (Luther) oder „Ihm soll kein Bein zerbrochen werden.“ (Becker, 595, und Thyen, 746).

[7] vgl. den textkritischen Apparat der Deutschen Bibelgesellschaft, Novum Testamentum Graece, zu Joh 19,31.34f.

[8] Bultmann, Joh, 524, Fußnote 3.

[9] vgl. betreffs der Datierung des Todes Jesu die Einzelexegese.

[10] vgl. Schnackenburg, 338, Fußnote 78.

[11] Schnackenburg, 335.

[12] vgl. Schnackenburg, 340, Fußnote 88. Strathmann, 253, lässt dagegen beide Formen inhaltlich gelten.

[13] Conzelmann, 389. Die Einteilung des Joh nach dem Ort der Offenbarung geht auf Bultmann zurück.

[14] vgl. Schnackenburg, 334.

[15] vgl. Strathmann, 253, und Schulz, 239f.

Ende der Leseprobe aus 28 Seiten

Details

Titel
"Und alsobald ging Blut und Wasser heraus." Joh 19,31-37 und der Tod Jesu im Johannesevangelium
Hochschule
Universität Osnabrück  (Evangelische Theologie)
Note
1,0
Autor
Jahr
2007
Seiten
28
Katalognummer
V72685
ISBN (eBook)
9783638719049
ISBN (Buch)
9783638719810
Dateigröße
515 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Exegese der Perikope vom Lanzenstich (Joh 19,31-37) sowie weiterführende Betrachtungen zur Deutung des Todes Jesu im vierten Evangelium
Schlagworte
Blut, Wasser, Jesu, Johannesevangelium
Arbeit zitieren
Christian Deuper (Autor:in), 2007, "Und alsobald ging Blut und Wasser heraus." Joh 19,31-37 und der Tod Jesu im Johannesevangelium, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/72685

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