Die unterschiedliche Stellung der Frau in der Türkei in der sunnitischen Theologie und im Alevitentum


Dossier / Travail, 2006

18 Pages, Note: 1,0


Extrait


Gliederung

II Die unterschiedliche Stellung der Frau in der Türkei
in der sunnitischen Theologie und im Alevitentum

1.Einleitung Sunniten und Aleviten

2. Die Stellung der Frau in der sunnitischen Theologie
2.1. Das islamische Recht
2.2. Die Gleichheit von Mann und Frau vor Gott
2.3. Die Überlegenheit des Mannes
2.4. Der Koran und das Eherecht
2.4.1. Die Eheschließung und die Scheidung
2.4.2. Die Mehrehe
2.5. Die Frau im gesellschaftlichem Leben
2.5.1. Die Verschleierung
2.5.2. Die Absonderung im Haus
2.5.3. Die Ausbildung und die Berufstätigkeit
2.6. Die Frau im religiösen Leben
2.7. Der Ehrbegriff

3. Die Stellung der Frau in der heutigen Türkei

4. Die Stellung der Frau im Alevitentum
4.1. Die alevitische Theologie
4.2. Die Ehe und die Scheidung
4.3. Die Erziehung und die Bildung
4.4 Die Verschleierung
4.5. Die Frau im religiösen Leben
4.6. Historische Vorbilder
4.7. Der Ehrbegriff

5. Schluss – Die türkische Frau gibt es nicht15

III Literaturverzeichnis

II Die unterschiedliche Stellung der Frau in der Türkei in der sunnitischen Theologie und im Alevitentum

1. Einleitung – Sunniten und Aleviten

Die Stellung der Frau differiert nicht nur von Land zu Land beträchtlich, sondern es gibt sogar innerhalb der Türkei unterschiedlichste Standpunkte. Es ist zu bedenken, dass der Islam trotz einer allumfassenden Ideologie verschiedene kulturelle Traditionen und ethische Elemente umfasst und die islamischen Konfessionen den Koran unterschiedlich auslegen. Diese Arbeit befasst sich mit den beiden größten konfessionellen Gruppe in der Türkei, den Sunniten sowie mit der Glaubensgemeinschaft der Aleviten, die sich in ihrer Theorie und teilweise Praxis extrem unterscheiden.

70-80 % der muslimischen Türken bekennen sich zum sunnitischen Islam, der Rest ist dem Alevitentum zugehörig, wobei unterstrichen werden muss, dass es sich mangels offizieller Statistiken, und aufgrund der Tatsache, dass die Aleviten in ihrer Heimat nicht als eigenständige Religionsgemeinschaft anerkannt werden, hierbei um Schätzungen handelt.[1] Der traditionelle Erbfolgekonflikt zwischen sunnitischem und schiitischem Islam sorgt seit jeher auch für Spannungen zwischen Sunniten und Aleviten in der Türkei. Hierbei ging es um die Frage, wer nach dem Tod des Propheten Mohammed im Jahre 632 n. Chr. die legitime Nachfolge als Oberhaupt aller Muslime antreten sollte. Die späteren Sunniten favorisierten Kandidaten aus dem Kreis der Weggefährten des Propheten, die Schiiten hingegen wollten, dass ein Mitglied der Prophetenfamilie - sein Schwiegersohn und Vetter Ali Ibn Talib das Erbe als Kalif antritt.[2] Das Wort “Shia” bedeutet im Übrigen “Familie”. Der Begriff “Aleviten” leitet sich vom Namen “Ali” ab, womit auch deutlich gemacht werden soll, dass die türkischen Aleviten historisch, wie auch theologisch enge Bindungen zum Schiitentum aufweisen. Das Alevitentum ist jedoch eine anatolische Interpretation der schiitischen Konfession.[3] Sie zeichnet sich durch eine Synthese aus schiitischer Theologie und dem kulturellen und spirituellen Erbe der nomadisch-türkischen Kultur Zentralasiens aus. Der schiitische Geistliche und Gründer des Bektashiordens Haci Bektas Veli verbreitete im 13. Jh. im ländlichen Zentral- und Ostanatolien[4] diese “unorthodoxeste Deutung des Islam”.[5]

Dadurch, dass sich die Sunniten in der Erbfolgestreitigkeit durchgesetzt haben - was nicht ohne Gewalt von statten ging - und seitdem in islamisch dominierten Ländern bis auf wenige Ausnahmen[6] das staatliche Establishment stellen, zeichnen sie sich durch eine konservative und auf Machterhalt ausgerichtete Interpretation des Islam aus. Nicht zuletzt deshalb kam es seit dem Osmanischen Reich immer wieder zu Diskriminierungen und staatlich geduldeten und teilweise organisierten Übergriffen auf die alevitische Bevölkerung.[7] Dies zieht sich bis in die heutige Türkei, wo zuletzt 1993 tausende sunnitische Fanatiker (politisch Konservative der extremistischen Sunniten) ein alevitisches Kulturfestival gestürmt und ein Massaker an zahlreichen mehrheitlich alevitischen Künstlern verübt haben.[8]

Im Fokus dieser Arbeit steht jedoch die Frage welche Rolle der islamischen Frau dem Koran nach zukommt, und welche Unterschiede diesbezüglich zwischen den bereits genannten Glaubensgemeinschaften bestehen.

2. Die Stellung der Frau in der sunnitischen Theologie

2.1. Das islamische Recht

Bevor auf die Situation der Frau im Islam eingegangen werden kann, muss das islamische Recht, in Grundzügen dargestellt werden, da die Rolle der sunnitischen Frau maßgeblich durch dieses geprägt wird.

Im Islam existiert keine Trennung von weltlichem und religiösen Leben. Grundlage für jegliches Handeln der Muslime ist das islamische Gesetz, die Sharia. Diese wird als Offenbarung Gottes verstanden, wobei weder historische Veränderungen noch andere Umweltzustände auf deren Gültigkeit Einfluss nehmen.[9] Ihre beiden Hauptquellen sind der Koran, als direktes Wort Gottes und die sog. Sunna. “Der Korantext […] enthält zwar eine Reihe von Geboten, Verboten und Rechtsvorschriften, […] die aber noch keineswegs eine vollständige Rechtsordnung ergeben.”[10] Der bei weitem umfangreichere Komplex von göttlichen Vorschriften ist für den Muslim im Handeln und Wirken des Propheten exemplifiziert, dessen Lebensweise als idealtypisch angesehen wird. Speziell für die Musliminnen haben dessen Tochter Fatima und die Frauen des Propheten, auch “Mütter der Gläubigen genannt” Vorbildcharakter. So wurde bald nach dem Tod Muhammads auch die Sunna des Propheten, also seine persönliche Praxis in Überlieferungen (Hadithen) niedergelegt.[11] Nicht selten wird bei Rechtsproblemen, die nicht von den offenbarten Regelungen abgedeckt wurden, auf das vorislamische Gewohnheitsrecht zurückgegriffen.

Islamisches Recht ist kein religiöses Recht, vergleichbar dem Kirchenrecht in Deutschland, da es den Anspruch erhebt alle gesellschaftlichen Bereiche voll umfänglich zu regeln. Ähnlich wie im Deutschen Recht bedient man sich gewisser Techniken und rechtswissenschaftlicher Hilfsmittel dieses Recht anzuwenden. Hier wären der Analogieschluss (Quiyas) oder die Auslegung durch Rechtsgelehrte zu nennen.[12]

In den ersten Jahrhunderten der sunnitisch-islamischen Geschichte entwickelten sich mehrere Rechtspositionen, von denen heute vier Rechtsschulen nebeneinander stehen und sich trotz Differenzen gegenseitig anerkennen. Sie werden nach ihren Gründern als die malikitische, hanafitische, schafitische und hanbalitische bezeichnet.[13] Die Rechtsschule, der etwa 90% der Sunniten in der Türkei folgen, soweit dies mit der säkularen Verfassung noch möglich ist, geht auf die nach Abu Hanifa benannte hanafitische Schule zurück.[14]

Im Folgenden soll erörtert werden, welche Rolle der sunnitischen Frau nach der Lehre des Koran und den Hadithen theoretisch zukommt. Geographische und kulturelle Grenzen sollen an dieser Stelle noch keine Rolle spielen, da für den sunnitischen Islam nur die sog. “Umma”, die Gemeinschaft aller gläubigen Muslime[15] Bedeutung hat und somit die folgenden Aussagen auch für die sunnitische Frau in der Türkei dem Grunde nach verbindlich sind.

2.2. Die Gleichheit von Mann und Frau vor Gott

Der Koran hat die Stellung der Frau im Vergleich zur vorarabischen Zeit in vielerlei Hinsicht verbessert, indem er die Gleichheit des Wesens und der Würde in rein menschlicher und moralischer Sicht anerkennt. Erstmals wurden der arabischen Frau einklagbare Rechte zugestanden. So erhält die Frau und nicht ihre Familie das Brautgeld, über das sie auch frei verfügen kann.[16] Außerdem muss der Mann für seine Frau eine Morgengabe (Mahr) entrichten. Weiterhin wird die “Tötung weiblicher Kinder und die Vernachlässigung von Witwen und Weisen”[17] im Koran ausdrücklich abgelehnt.[18]

Der Koran wendet sich an vielen Stellen in gleicher Weise an Männer und Frauen. So heißt es in Sure 33,35-36: “Für die muslimischen Männer und Frauen, Männer und Frauen die gläubig, ergeben, wahrhaftig, geduldig, demütig sind, die Almosen geben, fasten, ihre Scham bewahren und Gottes viel gedenken - für sie hat Gott Vergebung und einen großartigen Lohn bereit.” Der Islam spricht der Frau auch nicht die Seele ab, denn ihr kommt genauso wie dem Mann ein Platz im Paradies zu. (Sure 40,8).[19]

Im Gegensatz zum Alten Testament im Christentum erscheint nicht Eva als die Verführerin Adams und damit als Verursacherin für die Vertreibung aus dem Paradies. Nach der koranischen Sure ist es der Satan, der Mann und Frau verführt. (Sure 2,35-36; Sure 7,19-27)

Die religiösen Pflichten des täglichen Gebets, des Fastenmonats, das Geben von Almosen und die Pilgerfahrt ist für beide Geschlechter verbindlich. Verstöße gegen diese Vorschriften werden mit den gleichen Strafen geahndet. Gemäß dem Koran sind beide Geschlechter gegenüber Gott gleich. Trotzdem hat er beiden unterschiedliche Aufgaben und soziale Stellungen zugewiesen.

2.3. Die Überlegenheit des Mannes

Dennoch ist im Islam, wie auch im Christentum und Judentum, von einer prinzipiellen Überlegenheit des Mannes auszugehen. Dies zeigt sich unter Anderem dadurch, dass Gott auch im Islam als männlich dargestellt wird und auch bedeutende Gestalten der sunnitisch-islamischen Heilsgeschichte Männer sind. Frauen sind niemals mit einer schriftlichen Botschaft von Gott zu den Menschen gesandt worden. Im Koran und in der Sunna sind natürlich die patriarchalischen Strukturen ihrer Entstehungszeit verankert. Die untergeordnete Stellung der Frau wird in folgendem Koranvers sehr deutlich: “Die Männer haben Vollmacht und Verantwortung gegenüber den Frauen, weil Gott die einen gegenüber den anderen bevorzugt hat und weil sie von ihrem Vermögen (für die Frauen) ausgeben. Die rechtschaffenen Frauen sind demütig und ergeben und bewahren das was geheim gehalten werden soll, da Gott es geheim hält. Ermahnt diejenigen, von denen ihr Widerspenstigkeit befürchtet, und entfernt euch von ihnen in den Schlafgemächern und schlagt sie. Wenn sie euch gehorchen, dann wendet nichts weiter gegen sie an…” (Sure 4,34-38) An dieser Stelle wird die Vormacht des Mannes sowohl mit der “Gottesbevorzugung”[20] als auch mit seiner ökonomischen und intellektuellen Überlegenheit begründet. Die angebliche intellektuelle Unterlegenheit gilt auch als Ursache dafür, dass die Zeugenaussage einer Frau nur halb so gewichtig ist wie die eines Mannes.[21] Als weiterer Grund wird die Unerfahrenheit der Frauen mit rechtlichen Angelegenheiten angeführt.[22] Aus der Sure geht ebenso das Recht des Mannes hervor körperliche Züchtigung gegenüber seiner Frau anzuwenden. Allerdings wird darauf hingewiesen, dass die Gewaltanwendung nach Mohammad stets das letzte Mittel zu sein hat und von dem Propheten selbst nur höchst ungern angewendet wurde. Wenn auch unbestritten ist, dass die Frau durch den Koran erstmals Anspruch auf ein Erbe zugesprochen bekam, so steht doch außer Frage, dass sie in erbrechtlichen Fragen gegenüber dem Mann benachteiligt war.[23]

[...]


[1] Vgl. Vorhoff, Karin: „Zwischen Gaube, Nation und neuer Gemeinschaft“, S. 58.

[2] Vgl. dieselbe, S. 64.

[3] Vgl. Steinbach, Udo: “Islam in der Türkei”.

[4] Vgl. Vorhoff, Karin: „Zwischen Gaube, Nation und neuer Gemeinschaft“, S. 58.

[5] Vorhoff, Karin: „Zwischen Gaube, Nation und neuer Gemeinschaft“, S. 59.

[6] Persien (heute Iran), Syrien;

[7] Vgl. Vorhoff, Karin: „Zwischen Gaube, Nation und neuer Gemeinschaft“, S. 72.

[9] Vgl. Ruthven, Malise: „Der Islam“, S. 103.

[10] Halm, Heinz: „Der Islam“, S.74.

[11] Vgl. Lerch, Wolfgang Günter: „Muhammads Erben“, S. 82 f.

[12] Vgl. Walter, Wiebke: „Die Frau im Islam“, S. 24.

[13] Vgl. dieselbe, S. 24.

[14] Vgl. Halm, Heinz: „Der Islam“, S.44f. ; Vgl. Lerch, Wolfgang Günter: „Muhammads Erben“, S. 85.

[15] Vgl. Akashe-Böhme, Farideh: „Die islamische Frau ist anders“, S. 26.

[16] Vgl. Halm, Heinz: „Der Islam“, S. 81.

[17] Ruthven, Malise: „Der Islam“, S. 129.

[18] Vgl. auch Sure 16, Vers 57-59.

[19] Vgl. Sure 9, Vers 72.

[20] Akashe-Böhme, Farideh: „Die islamische Frau ist anders“, S. 32.

[21] Vgl. Schamah, Muhammad: „Die Stellung der Frau im sunnitischen Islam“, S. 60 f.

[22] Vgl. Ruthven, Malise: „Der Islam“, S.129.

[23] Vgl. dieselbe, S.129.

Fin de l'extrait de 18 pages

Résumé des informations

Titre
Die unterschiedliche Stellung der Frau in der Türkei in der sunnitischen Theologie und im Alevitentum
Université
Catholic University Eichstätt-Ingolstadt  (Universität)
Cours
Interkulturelle Kommunikation
Note
1,0
Auteur
Année
2006
Pages
18
N° de catalogue
V73082
ISBN (ebook)
9783638737524
Taille d'un fichier
454 KB
Langue
allemand
Annotations
Die Hausarbeit erörtert zunächst welche Rechten und Pflichten der Frau in der sunnitischen Theologie (Koran und Sharia) theoretisch zukommen. Daraufhin befasst sich ein Abschnitt mit der tatsächlichen Stellung der Frau in der heutigen Türkei. Anschließend wird die Stellung der alevitischen Frau vergleichend gegenübergestellt.
Mots clés
Stellung, Frau, Türkei, Theologie, Alevitentum, Interkulturelle, Kommunikation
Citation du texte
Stefanie Lembacher (Auteur), 2006, Die unterschiedliche Stellung der Frau in der Türkei in der sunnitischen Theologie und im Alevitentum, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/73082

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