Das Klavier als Instrument weiblicher Erziehung

Versuch über die „schwarze“ Klavierpädagogik des 19. Jahrhunderts


Hausarbeit (Hauptseminar), 2007

29 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhalt

1. Einführung
Generelle Einleitung
Aspekte, Aufbau und Ziel der Hausarbeit
„Gesegnete Häuslichkeit“
Die Rolle der Frau im 19. Jahrhundert
Die Kunst des harmlosen Parlierens
Was müssen Biedermeier-Mädchen lernen?

2. Hauptteil
Das Klavier als Instrument weiblicher Erziehung
Kann man Kunst dressieren?
Das Klavier als Kunst-Killer
Kritik am Klavierunterricht als Massenphänomen
Das Klavier als Träume-Generator
Wie bürgerliche Mädchen aus dem Alltag fliehen
Das Klavier als Status-Objekt
Zu Gast im Salon
Das Klavier als Kuppler
Eheschließung auf Tastendruck

3. Schlussbetrachtung
Vom Ende der Erziehung
Die verheiratete Frau und das Klavier
Vom Ende einer Epoche
Niedergang der Piano-Dressur und neue Weiblichkeit

4. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Generelle Einleitung

Aspekte, Aufbau und Ziel der Hausarbeit

Dass Frauen in aller Regel härter mit überkommenen Rollenklischees zu kämpfen haben als ihre männlichen Mitstreiter, ist sicher kein Geheimnis. Von staubig-atavistischen Gender-Etiketten wie dem der „Hausfrau und Mutter“, der „Bewahrerin“ und „Arbeiterin des Herzens“ über sprichwörtliche Stereotypen wie der Vorstellung, hinter jedem starken Mann habe wohl stets „eine starke Frau“ zu stehen, bis hin zur literarisch-komödiantischen Koketterie über diametral ausgeprägte weibliche Einpark- und Einfühlungskompetenzen - die polarisierende Verzerrung von Geschlechter-bildern ist uns selbst im aufgeklärten 21. Jahrhundert, trotz „Gender Mainstreaminig“, nicht fremd geworden.

Die vorliegende Hausarbeit unternimmt den Versuch, die Wurzeln des noch heute latent wirksamen Stereotyps der „milden Weiblichkeit“ in der Zeit vom frühen Biedermeier (ab 1915) bis zum Beginn des 20. Jahrhundert auszugraben. Im Zentrum der Betrachtung steht das Titel gebende „Klavier als Instrument weiblicher Erziehung“. Der Begriff „Instrument“ wird dabei durchaus im doppelten Sinn verstanden, nämlich als Werkzeug zur Erzeugung von Musik einerseits (dieser Aspekt soll eine untergeordnete Rolle spielen) und andererseits als Mittel zur subtilen, musikalisch-codierten Vermittlung weiblicher Rollenideale, wie sie die bürgerliche Gesellschaft im 19. Jahrhundert in der ihr eigenen Schärfe und Konsequenz auf die pädagogische Agenda gesetzt hatte.

In der Öffentlichkeit, in Fragen der Politik, der Geschäfte, des Besitzes und in Rechtsfragen kam dem Mann während dieser Zeit eine nahezu uneingeschränkt vormundschaftliche Stellung zu. Diese Rollenverteilung hatte im Wertekanon des frühen Biedermeier ihren Ursprung, der sich wertetheoretisch auf den kantischen Entwurf der Pflichtethik („Kritik der praktischen Vernunft“) beruft. Die Folge: Nie zuvor wurde der Kindererziehung so viel Zeit und Aufmerksamkeit gewidmet wie in den wohlhabenden bürgerlichen Familien des 19. Jahrhunderts. Fleiß und Arbeitsamkeit, Tüchtigkeit und rechtschaffener Lebenswandel wurden - teilweise unter Rückgriff auf aus heutiger Sicht zweifelhafte Methoden - bedingungslos eingeimpft. Und die Rolle des Instruments, an und mit dem jene Tugenden erlernt werden konnten, übernahm in den meisten bürgerlichen Familien das Klavier.

Zur Aufteilung der Arbeit: Nach einer kurzen Bestandsaufnahme zur Rolle der Frau im 19. Jahrhundert („Gesegnete Häuslichkeit“) soll zunächst versucht werden, den innerfamiliären Bedingungen dieser gesamtgesellschaftlichen Situation durch Analyse der bürgerlichern Erziehungsmethoden näher zu kommen („Die Kunst des harmlosen Parlierens“). Im Anschluss konzentriert sich der Hauptteil auf das Klavier - allerdings nicht als Instrument zur Vermittlung ästhetischer Botschaften, sondern vielmehr in seiner Verwendung als (musikalisches) Mittel zum (pädagogischen) Zweck. Dabei sollen neben der Analyse von Motivation, Ablauf und Ziel des Klavierunterrichts junger Mädchen im 19. Jahrhundert auch verwandte Aspekte rund ums Klavier, wie etwa die zeitgenössische Kritik am Klavierunterricht, das Phänomen der Salonmusik und die Rolle des Klaviers im Rahmen der Eheanbahnung, behandelt werden.

Im abschließenden dritten Teil ist dann vom doppelten Ende der „schwarzen“ Klavier-Pädagogik (d. h. der systematischen Installation eines gesellschaftlichen Über-Ichs im Kinde) die Rede. Der Fokus hierbei liegt zunächst auf deren Aussetzen innerhalb individuell-biografischer Kontexte („Die verheiratete Frau und das Klavier“), schließlich auf dem gesellschaftlichen Zusammenbruch des Klaviers als Instrument weiblicher Erziehung, der sich analog zum Niedergang des überkommenen Frauenbildes vollziehen sollte, wie es sich insbesondere in der Epoche des Biedermeier manifestiert hat; oder besser: wie es manifestiert wurde.

„Gesegnete Häuslichkeit“

Die Rolle der Frau im 19. Jahrhundert

„Dem Mann gehört der Kampf und die Arbeit, aber das Weib wische den Schweiß von seiner Stirn und stärke seine Kraft, indem sie [sic] durch ihr Sein und Walten das Haus zu einer Stätte der Harmonie und des Friedens, zu einer idealen Welt bildet.“ (Hermann Jakoby)

Das Haus als „Stätte der Harmonie und des Friedens“ – die knappen Worte des Autors Hermann Jakoby, die die Frau als Zentrum aller emotionalen und reproduktiven Bindungskräfte beschreiben, lassen sich als Kompression eines familiären Idealbildes lesen, das im frühen 19. Jahrhundert weitgehend alternativlos den mikrosozialen Teil der Konformkultur prägte. Zum entscheidenden (Mit-)Begründer dieses Rollenbildes wurde dabei Fürst Metternich, dessen Karlsbader Beschlüsse von 1819 eine starke Einschränkung jeglicher politischer Betätigung zur Folge hatte. Ohne die Karlsbader Beschlüsse wäre die Biedermeierzeit also nicht denkbar[1]: Veröffentlichungen wurden einer strengen Zensur unterzogen, anstößige Musikwerke wurden verboten, Literaten wie Heinrich Heine und Georg Büchner emigrierten, ebenso Karl Marx - damals noch Redakteur der Rheinischen Zeitung in Köln.

Als Folge dieses „Informations-Staus“ waren breite Teile des Bürgertums von politischer Anteilnahme abgeschnitten und zogen sich in die engen Grenzen kleinerer sozialer Einheiten zurück. Ehedem politische Begriffe wie „Humanität“, „Pflichtbewusstsein“ und „Selbstverwirklichung“ wurden umgedeutet und fürs private Umfeld nutz- und lebbar gemacht. Eine gelungene Erziehung innerhalb der Familie, der Wunsch nach einer zufriedenen und funktionierenden Ehe, begleitet und veredelt von größtmöglicher häuslicher Harmonie, rückte schnell an die Spitze der Bedürfnispyramide eines gelungenen bürgerlichen Lebensentwurfs.

So einig man sich allerdings bei der hohen pädagogischen Intensität und Strenge der Erziehung beider Geschlechter war, so unterschiedlich waren die ideologischen Inhalte, die den Knaben und Mädchen auf ihrem Weg zum Erwachsenen begegnen sollten. Die folgende Tabelle stellt einige gegenläufige Momente der Erziehung von Jungen und Mädchen gegenüber.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Die Gegenüberstellung macht deutlich: Während den Knaben „authentische“ Bildung im humanistischen Sinne zu Teil werden sollte, bleiben weibliche Bildungsvorhaben irgendwo zwischen der oberflächlichen Beschäftigung mit Literatur, Kunst und Musik („Parlieren statt Rhetorik“, „Herzenswärme statt Klugheit“) und einer vulgär-wissenschaftlichen Verstümmelung großer Bildungswahrheiten zu Sentenzen für den Hausgebrauch stecken. Ein Beleg dafür, wie stark die bürgerliche Familienstruktur vom Patriarchat geprägt war.

Als Rechtfertigung der männlichen Vormachtstellung wurden angebliche und inzwischen weitgehend falsifizierte Erkenntnisse aus Biologie bzw. Psychologie[2] angeführt, und überkommene Glaubenswahrheiten der Religion wurden mit romantischen Motiven des „ewig Weiblichen“ zu einer Überhöhung der Weiblichkeit (diffuses Gefühlslebens, Mitmenschlichkeit, Harmoniesucht, Herzensgüte) vermengt. Hinter der geradezu militant huldigenden Fassade freilich stand die blanke Angst des Mannes vor gesellschaftlicher Einflussnahme der Frau - schließlich ist festzuhalten, dass selbst die affirmativste Heuristik der Naturwissenschaften zur „Huldigung des Weibes“ fast ausschließlich von männlichen Forschern betrieben wurde. Einen besonders grotesken Versuch, der Beschränkung des weiblichen Wirkungskreises auf die eignen vier Wände durch den Rekurs auf eine angeblich evolutionär bedingte Prädestination im Nachhinein biologistisch zu adeln, unternimmt Greßler im Jahre 1888:

„Die Starrheit und Eckigkeit, die uns in einer normalen Mannesgestalt entgegentritt, sowie die abgerundeten, an die Kreislinie erinnernden Formen des Weibes, haben eine symbolische Bedeutung. Die ins Unendliche verlängerbare Gerade zeigt das Aus-sich-heraus-Streben, der Kreis ist das Sinnbild des In-sich-zurückgekehrt-Seins, und in der Tat ist es dieser Gegensatz, der Exzentrizität und Zentralität, den uns die beiden Geschlechter nicht nur in den äußeren Umrissen ihrer Gestalt, sondern auch in ihrem inneren Leben zeigen.“[3]

Die Kirche indes leistete mit der genuin christlichen Idee der gottgewollten Unterordnung des Weibes unter den Mann ihren transzendenten Beitrag zum irdischen Rollenverständnis des 19. Jahrhunderts. Als zentrales Dokument wurde, wie hier bei Herchenbach, die Bibel herangezogen, wobei zumeist eine alttestamentarisch-maskuline Hermeneutik die Feder zu führen schien:

„Gott schuf das erste Weib nicht aus der Erde wie den ersten Mann, sondern aus der Rippe desselben und so wurde die Eva gleichsam ein Nachkomme des Adam. Das Weib steht aber schon durch die Art seiner Entstehung in einem abhängigen Verhältnisse zum Manne. Damit Gott in seinem durch den Schöpfungsakt dargelegten Absichten nicht missverstanden werde, tut er nach dem Sündenfall noch den ausdrücklichen Ausspruch: Du sollst unter der Gewalt des Mannes sein, und er soll über dich herrschen.“[4]

Abgerundet wurde die „Neubestimmung der Weiblichkeit“[5] durch die psychologische Theorie geschlechtsspezifisch differenter Weltwahrnehmung, die gegen Ende des 19. Jahrhunderts, inspiriert durch die Arbeiten von Renner[6], als willkommener systematischer Beleg durchs akademische Unterholz waberte und in der These gipfelte, die Frau sei naturgemäß „niemals zu objektiven Entscheidungen“ fähig, sondern urteile stets „von Sympathie und Antipathie bestimmt“[7].

Renner zu Folge nimmt allein der Mann die Welt synthetisierend wahr; er denkt in Kategorien, ordnet, klassifiziert, differenziert. Die männliche Wahrnehmung vollzieht sich in Hierarchien, was den Mann zu abstrakten und mithin objektiven Gedanken befähigt. Die weibliche Wahrnehmung dagegen kommt in diesem Modell niemals über den Status der konkreten Empfindung hinaus. Weil ihr die Fähigkeit zu Kategorisierungen fehlt, denkt die Frau additiv statt multiplikativ, assoziativ statt strukturiert. Ihre Wahrnehmung vollzieht sich nicht in Hierarchien, sondern in Ketten - als der planen Aneinanderreihung von Bildern, was sie, weit abseits von objektiven Gedanken, allein zum „konkreten Gefühle“[8] prädestiniere.

Die Wirkung solcher Unternehmungen im Grenzgebiet zwischen ernsthafter Wissenschaft und apologetischer Gesellschaftstheorie ließ nicht lange auf sich warten: Der Mann entwickelte sich zunehmend zum Oberhaupt der Familie, während der Wirkungskreis der Frau auf den Haushalt beschränkt blieb. Und weil dort - zumindest beim wohlhabenden Bürgertum - alle profanen Angelegenheiten des Haushalts an angestelltes Personal (Köchin, Kutscher, Kinderfrau, Amme, Hauslehrer etc.) delegiert waren, verbrachten die Frauen ihre freie Zeit mit Handarbeiten und dem Klavierspiel, welches jede Bürgerstochter zu lernen hatte.

[...]


[1] Ein Indiz dafür liefert die Tatsache, dass außerhalb Deutschlands, Österreichs und Skandinaviens der Begriff Biedermeier gar nicht existiert, da die gesellschaftliche Entwicklung in anderen Ländern teilweise komplett anders verlief.

[2] die sich als akademische Disziplin freilich noch nicht etabliert hatte, weshalb Kenntnisse aus relevanten Gebieten (Theologie, Biologie, Philosophie etc.) zu einer interdisziplinären und oftmals populärwissenschaftlich bzw. interessenpolitisch verzerrten „Wissenschaft vom Geist“ zusammengeführt wurden

[3] Greßler 1888, S. 7/327

[4] Herchenbach 1873, S. 77 f.

[5] Justus 1979, S. 19

[6] Renner 1898

[7] ebd., S. 39

[8] vgl. Mittenzwey, 1909, S. 37

Ende der Leseprobe aus 29 Seiten

Details

Titel
Das Klavier als Instrument weiblicher Erziehung
Untertitel
Versuch über die „schwarze“ Klavierpädagogik des 19. Jahrhunderts
Hochschule
Universität des Saarlandes
Veranstaltung
"Das Klavier" - Eine ikonographische Spurensuche
Note
1,3
Autor
Jahr
2007
Seiten
29
Katalognummer
V73212
ISBN (eBook)
9783638736428
ISBN (Buch)
9783638740876
Dateigröße
505 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Klavier, Instrument, Erziehung, Klavier, Eine, Spurensuche
Arbeit zitieren
Benjamin Baum (Autor:in), 2007, Das Klavier als Instrument weiblicher Erziehung , München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/73212

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