I. Einleitung
Das Lied L. 69,1 (Cormeau 44) gehört zu den am häufigsten bezeugten Texten Walthers von der Vogelweide. Es ist in sechs Handschriften überliefert, wobei ich Handschrift s, die Haager Liederhandschrift, gleich ausklammern möchte, da dort nur die mit dem Vers „Saget mir ieman, waz ist minne“ beginnende Strophe überliefert ist. In den verbleibenden fünf Handschriften werden zweimal je vier Strophen in unterschiedlicher Reihung präsentiert, nämlich in der Kleinen Heidelberger Liederhandschrift (A) und der Großen Heidelberger Liederhandschrift (C), sowie zweimal je fünf Strophen in paralleler Reihung, nämlich in der Würzburger Liederhandschrift (E) und der Weimarer Liederhandschrift (F). Die Handschrift O enthält dieselbe Reihung wie die Handschriften E und F, nur ging hier durch Blattverlust die erste Strophe verloren. Die Editoren des Waltherschen Oeuvres folgten weitgehend Karl Lachmann , der die Strophenfolge nach EFO ohne die dreimal überlieferte Zusatzstrophe wählte, die er für unecht erklärte und nur im Anhang abdruckte. Wilhelm Wackernagel und Max Rieger entschlossen sich für die Reihung nach A, Günther Schweikle folgte C und druckte die Zusatzstrophe gesondert ab, Christoph Cormeau wählte erstmals die fünfstrophige Reihung nach EFO.
In dieser Arbeit werde ich das Lied nach den Fassungen der Handschriften EFO, C und A interpretieren, um herauszufinden, ob und wenn ja, welchen Sinn die einzelnen Versionen ergeben. Am Anfang steht eine Begriffsklärung zur Minnekanzone, auf die ich mich bei den Interpretationen beziehen werde. Jeder Deutung geht aus Gründen der Übersichtlichkeit der Abdruck des Textes voraus. Zum Schluss dieser Arbeit werde ich versuchen, die Frage nach der Ursache der Varianz der Strophenfolgen zu beantworten.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Begriffsklärung
- Die Interpretation der Reihung nach den Handschriften EFO
- Text
- Interpretation
- Erste und zweite Strophe
- Dritte und vierte Strophe
- Fünfte Strophe
- Revocatio
- Zusammenfassung
- Die Interpretation der Reihung nach Handschrift C
- Text
- Interpretation
- Zusammenfassung
- Exkurs: Die Verbindung von L. 69,1 (Cormeau 44) mit L. 70,1 (Cormeau 45) in Handschrift C
- Zusätzlicher Text
- Interpretation
- Zusammenfassung
- Die Interpretation der Reihung nach Handschrift A
- Text
- Interpretation
- Zusammenfassung
- Schlusszusammenfassung
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Arbeit untersucht das Lied L. 69,1 (Cormeau 44) von Walther von der Vogelweide in seinen verschiedenen Fassungen, die in unterschiedlichen Handschriften überliefert sind. Ziel ist es, den Sinn der einzelnen Versionen zu ergründen und zu analysieren, ob und in welcher Weise sie sich voneinander unterscheiden. Dazu werden die Reihungen nach den Handschriften EFO, C und A interpretiert.
- Analyse der unterschiedlichen Strophenfolgen in den Handschriften
- Begriffsklärung der Minnekanzone und ihrer Merkmale
- Interpretation der einzelnen Strophen und ihrer Bezüge zum Minnedreieck
- Untersuchung des Autorschaftsanspruchs und der fiktiven Elemente in der Minnekanzone
- Rekonstruktion des kommunikativen Kontextes und der Rezeption des Minnesangs
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung stellt das Lied L. 69,1 vor, beleuchtet die verschiedenen Handschriften und ihre Überlieferungsformen, und gibt einen Überblick über die Forschungsgeschichte. Anschließend wird der Begriff der Minnekanzone im Hinblick auf Form und Personal geklärt. In den folgenden Kapiteln werden die Interpretationen der drei wichtigsten Fassungen des Liedes in den Handschriften EFO, C und A vorgestellt. Die Analysen konzentrieren sich auf die spezifischen Strophenreihenfolgen, die Bedeutung der einzelnen Strophen und die darin enthaltenen Bezüge zum Minnedreieck.
Schlüsselwörter
Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit dem Minnesang, der Minnekanzone, Walther von der Vogelweide, Handschriftenüberlieferung, Liedinterpretation, Strophenreihenfolge, Minnedreieck, Rollenlyrik, Fiktionalität und kommunikativem Kontext.
- Citation du texte
- Ines Hoepfel (Auteur), 2005, Interpretation innerhalb der Variation: Die Fassungen des Walther-Liedes L 69,1, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/73702