Koordination


Hausarbeit (Hauptseminar), 2002

31 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhalt

Einleitung

1 Das Fähigkeitskonzept
1.1 Begriffsklärung
1.1.1 Koordinative Leistungsvoraussetzungen
1.1.2 Motorische Fertigkeiten
1.1.3 Motorische Fähigkeiten
1.2 Ansätze zur Strukturierung
1.3 Die Grenzen des Fähigkeitskonzepts

2 Das Vereinigungsmodell
2.1 Das Modell
2.1.1 Informationsanforderungen
2.1.2 Druckbedingungen
2.1.3 Anwendbarkeit und Grenzen des Strukturmodells
2.2 Der Koordinations-Anforderungs-Regler
2.2.1 Der Regler
2.2.2 Beispiele
2.2.3 Benutzung des KAR und Reglerverschiebungen

3 Training der Koordination
3.1 Altersbezogene Aspekte der Koordinationsentwicklung
3.2 Methoden und Inhalte des Koordinationstrainings
3.3 Methodische Grundformel der Koordinationsschulung

Schluss

Literaturverzeichnis

Einleitung

„Ihr Turner habt halt eine gute Koordination. Deshalb seid ihr eben oft in anderen Sportarten gut.“ Ähnliche Sprüche höre ich häufig. Diese Aussage impliziert, dass Turnen die Koordination schult und selbige auf andere Sportarten übertragbar ist. Ihr wird also eine gewisse Generalität und Transferabilität zugesprochen. Ich habe dieser Einschätzung bisher durchaus zugestimmt. Durch die intensive Auseinandersetzung mit dem Thema Koordination im Rahmen dieser Hausarbeit, erhoffe ich mir, abschließend diese Aussage etwas differenzierter einschätzen zu können.

Die Arbeit wird in drei Kapitel gegliedert. Im ersten wird das bisher in der Literatur dominante Fähigkeitskonzept näher untersucht, verschiedene fähigkeitsorientierte Strukturierungsansätze vorgestellt und die Grenzen dieses Konzeptes aufgezeigt. Das zweite Kapitel, das den Schwerpunkt der Arbeit bildet, beschäftig sich mit einem neuen und mir bis dato unbekannten Strukturmodell, das versucht, die bestehenden Ansätze zu vereinen. Außerdem wird in diesem Kapitel der Koordinations-Anforderungs-Regler, ein vom Strukturmodell abgeleitetes Modul zur Erstellung von Anforderungsprofilen einer Sportart, vorgestellt. Der dritte und letzte Teil der Arbeit beschäftigt sich mit dem Training der Koordination. Es werden altersbezogene Aspekte der Koordinationsentwicklung und Methoden und Inhalte des Koordinationstrainings thematisiert sowie die methodische Grundformel der Koordinationsschulung vorgestellt.

Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird ausschließlich die maskuline Form verwendet.

1 Das Fähigkeitskonzept

Den Begriff Koordination habe ich bisher immer eng mit den koordinativen Fähigkeiten verbunden, da sich die mir bislang bekannten Strukturierungsversuche im Wesentlichen am Fähigkeitskonzept orientieren. Dass die Koordination aber nicht unbedingt fähigkeitsorientiert interpretiert werden muss, ist mir bei Bearbeitung der Thematik bewusst geworden. In diesem Kapitel sollen verschiedene fähigkeitsorientierte Strukturierungsansätze dargestellt werden und abschließend die Grenzen des Fähigkeitskonzeptes aufgezeigt werden. Beginnen möchte ich mit einigen wesentlichen Begriffen zur Thematik.

1.1 Begriffsklärung

In diesem Kapitel wird versucht den Begriff koordinative Leistungsvoraussetzungen, der in der Literatur sehr unterschiedlich verwendet wird, einzugrenzen. Außerdem sollen die motorischen Fertigkeiten von den motorischen Fähigkeiten abgegrenzt werden.

1.1.1 Koordinative Leistungsvoraussetzungen

Der Begriff koordinative Leistungsvoraussetzungen wird in der Literatur sehr vielfältig und unterschiedlich verwendet. Meinel/Schnabel (1998) setzen die koordinativen Leistungsvoraussetzungen mit den koordinativen Fähigkeiten gleich, während Hirtz (1994) die koordinativen Fähigkeiten zusammen mit den motorischen Fertigkeiten als koordinative Leistungsvoraussetzungen definiert. Unter Vorbehalt zählt er noch weitere Komponenten wie individuell gespeicherte Bewegungserfahrung, psychomotorische Grundfunktionen und generalisierte motorische Programme (GMP) hinzu.

Im Folgenden soll der Begriff motorische Fertigkeiten, die nach Hirtz Teil der koordinativen Leistungsvoraussetzungen sind, näher beleuchtet werden.

1.1.2 Motorische Fertigkeiten

Eine motorische Fertigkeit ist eine „spezielle erworbene und gespeicherte dispositionelle Eigenschaft im Sinne von relativ stabilen motorischen Handlungen bzw. von automatisierten Komponenten, Teilhandlungen bzw. Operationen“ (Hirtz 1994); also kurz: eine gelernte, abrufbare und weitgehend stabile Technik. Nach Roth (2001) zeigen sich die motorischen Fertigkeiten in den äußerlich sichtbaren, voneinander abgrenzbaren Sporttechniken. Jede motorische Fertigkeit entspricht demnach genau einer strukturellen Bewegungsform und umgekehrt.

Roth unterteilt die motorischen Fertigkeiten, die motor skills, in elementare motorische und sportmotorische Fertigkeiten. Die elementaren motorischen Fertigkeiten dienen der Bewältigung alltäglicher und grundlegender, sportbezogener Aufgabenstellungen. Bewegungen wie Gehen, Laufen, Kriechen, Hüpfen, Springen, Heben, Tragen, Ziehen, Schieben, Klettern, Steigen, Rollen und Wälzen werden zu dieser Gruppe gezählt und können als Mindestbestandteile der normalen menschlichen Fertigkeitsausstattung betrachtet werden. Aufbauend auf diesen elementaren Fertigkeiten entwickeln sich die sportmotorischen Fertigkeiten, die in der Ausführung sportlicher Techniken zum Ausdruck kommen.

Neben den motorischen Fertigkeiten taucht in der Literatur häufig der Begriff motorische Fähigkeiten auf, der im folgenden Absatz beschrieben wird.

1.1.3 Motorische Fähigkeiten

Die motorischen Fähigkeiten oder motor abilities sind nach Roth (2001) von unterschiedlichem Allgemeinheitsgrad und können, diesem Rechnung tragend, hierarchisch gegliedert werden. Oben in der Hierarchie stehen einige wenige, Minimumprinzip, einfach strukturierte, Elementarprinzip, und von einander unabhängige, Unabhängigkeitsprinzip, Basisfertigkeiten, die die Dimensionen der menschlichen Motorik bilden (vergl. Roth 1982).

In der obersten Ebene geht Roth (1982) von einer Zweiteilung des Bereichs der motorischen Fähigkeiten aus. Die zentralnervös bedingten koordinativen Fähigkeiten werden von den energetisch bedingten konditionellen Fähigkeiten abgegrenzt.

Schon Gundlach (1968) beschreibt die koordinativen Fähigkeiten als „generelle, bewegungs- und sportartübergreifende Fähigkeiten, die das Niveau wesentlicher Vorgänge bei der Steuerung und Regelung menschlicher Willkürbewegungen“ bestimmen. Definitionen für diesen Begriff gibt es unzählige; die Komponente Generalität sowie die Funktion der koordinativen Fähigkeiten für die Bewegungssteuerung tauchen aber in fast allen auf.

Die konditionellen Fähigkeiten repräsentieren technikübergreifende Leistungsvoraussetzungen auf dem Niveau der Energiebereitstellung und Energieübertragung (vergl. Roth 2001).

Nach der Abgrenzung der einzelnen Begriffe sollen nun einige Ansätze zur Strukturierung der Koordination innerhalb des Fähigkeitskonzeptes vorgestellt werden.

1.2 Ansätze zur Strukturierung

Die Gestaltung der verschiedenen Modelle zur Strukturierung der Koordination bzw. der koordinativen Fähigkeiten ist u. a. davon abhängig, welche Ordnungskriterien zugrunde gelegt werden. Solche Kriterien können z. B. sein: Allgemeinheitsgrad, Komplexität, Art und Umfang der beteiligten Muskelgruppen, Beteiligung dominanter sensorischer Prozesse, Zeitfaktor und Variabilitätsgrad.

Roth (1982) gliedert in einen induktiven und einen deduktiven Ansatz. Beim induktiven Ansatz wird auf Grundlage von beobachtbarem bzw. messbarem motorischen Verhalten auf eine allgemein Fähigkeitsstruktur geschlossen, während beim deduktiven Ansatz die Fähigkeiten aus bestehenden sozialwissenschaftlichen Theorien des motorischen Verhaltens abgeleitet werden.

Roth nimmt eine Zweiteilung der koordinativen Fähigkeiten vor. Er unterscheidet zwischen der Fähigkeit zur Koordination unter Zeitdruck und der Fähigkeit zur genauen Kontrolle der Bewegung. Als zweites, nachgeordnetes Klassifikationskriterium nimmt er die Situationsvariabilität bzw. Situationskonstanz hinzu. Somit ergeben sich vier koordinative Grundfähigkeiten: 1. die Fähigkeit zur schnellen motorischen Steuerung, 2. die Fähigkeit zur schnellen motorischen Anpassung und Umstellung, 3. die Fähigkeit zur präzisen motorischen Steuerung und 4. die Fähigkeit zur präzisen motorischen Anpassung und Umstellung.

Vom induktiven Ansatz ausgehend kommt Hirtz (1985) zu einer Strukturierung in 5 koordinative Fähigkeiten, dem Modell, das den größten Bekanntheitsgrad in Deutschland und den meisten Einfluss auf die deutsche Sportpraxis hat.

Folgende Graphik zeigt die 5 koordinativen Fähigkeiten nach Hirtz und deren Beziehungen zueinander.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1. Die 5 koordinativen Fähigkeiten und ihre Beziehung zueinander (nach Hirtz 1985, S. 33)

Ein ebenfalls sehr bekanntes Modell ist der Vorschlag von Zimmermann (vergl. z. B. Zimmermann 1998), der 7 koordinative Fähigkeiten unterscheidet: Die Kopplungsfähigkeit, die Differenzierungsfähig, die Gleichgewichtsfähigkeit, die Orientierungsfähigkeit, die Rhythmisierungsfähigkeit, die Reaktionsfähigkeit und die Umstellungsfähigkeit. Er nimmt also im Vergleich zu Hirtz die Kopplungs- und die Umstellungsfähigkeit mit auf.

Im Gegensatz zu Hirtz und Zimmermann gehen Puni (1961) und Blume (1978) nicht von Fähigkeiten, sondern von Anforderungsklassen aus. Blume unterscheidet in 7 Anforderungen: Orientierungs-, Differenzierungs-, Kopplungs-, Gleichgewichts-, Reaktions-, Rhythmus- und Umstellungsanforderungen. Puni beschränkt sich auf 5: Zeit-, Raum-, Rhythmus-, Genauigkeits- und Geschicklichkeitsanforderungen.

Eine weitere Gruppe von Ansätzen hat Motorikmodule als Bausteine der Bewegungskoordination; so z. B. der modulare Ansatz, der fähigkeitszentrierte Ansatz, der ausführungszentrierte Ansatz und der wahrnehmungszentrierte Ansatz.

Die Liste mit Strukturierungsvorschlägen könnte noch fortgeführt werden, was jedoch nicht Sinn dieser Hausarbeit ist. Es sollte nur an einigen Beispielen verdeutlicht werden, wie vielfältig die verschiedenen Ansätze und Lösungsmöglichkeiten bzgl. dieser Thematik sind.

Die große Varietät der Entwürfe weist indirekt auf die Problematik hin, mit der das Fähigkeitskonzept verbunden ist. Abschließend werden deshalb Probleme und Grenzen dieser Konzeption thematisiert.

1.3 Die Grenzen des Fähigkeitskonzepts

Wesentliche Merkmale von Fähigkeiten sind der hohe Allgemeinheitsgrad und der Generalitätsanspruch (vergl. Hirtz 1994). So ist eine Fähigkeit nur dann eine Fähigkeit, wenn sie Voraussetzung für viele Bewegungshandlungen ist und ein Transfer zwischen sportlichen Handlungen festgestellt werden kann (vergl. Neumaier 1999). Eine Abgrenzung zu motorischen Fertigkeiten ist oft schwierig, da beides koordinative Leistungsvoraussetzungen sind, die durch Prozesse der Bewegungskoordination bestimmt werden. Der Unterschied besteht lediglich im Allgemeinheitsgrad.

Motorische Fähig- und Fertigkeiten sind eng miteinander verknüpft, da sie sich wechselseitig bedingen: Entsprechende motorische Fähigkeiten sind die Voraussetzung zur Ausübung bestimmter motorischer Fertigkeiten, bei deren Training wiederum die motorischen Fähigkeiten weiterentwickelt werden.

Auch die Abgrenzungen innerhalb des Fähigkeitskonzeptes ist diffizil (vergl. Hirtz 1998): Aufgrund der großen Komplexität der Fähigkeiten ist eine idealtypische Differenzierung der Komponenten kaum möglich. Die einzelnen Fähigkeiten sind immer gekoppelt; bei Bewegungen wird immer die Fähigkeitsstruktur als Ganzes beansprucht. Warum sollen also einzelne Fähigkeiten differenziert werden?

Ein weiterer Aspekt, der gegen das Fähigkeitskonzept spricht ist die Tatsache, dass der Generalitätsanspruch und somit auch der Transferabilitätsanspruch, der Grundbedingung für den Begriff der Fähigkeit ist, zunehmend in Frage gestellt wird. Der Erwerb von Expertisen, d. h. spezifisch vernetzten, komplexen Fertigkeits- und Wissensstrukturen wird häufig als erfolgsversprechender erachtet (vergl. Neumaier 1999).

Aufgrund der Ab- und Eingrenzungsproblematik zwischen fähigkeits- und fertigkeitsspezifischen Leistungsvoraussetzungen schlägt Neumaier (1999) den Begriff koordinative Leistungsvoraussetzungen vor: „Die personbezogenen Einflussgrößen auf die motorische Handlungsfähigkeit, die bei der Bewegungskoordination die Prozesse der Informationsaufnahme und –verarbeitung der Bewegungsprogrammierung und –kontrolle bestimmen, werden zusammenfassend als koordinative Leistungsvoraussetzungen bezeichnet“ (Neumaier 1999, 98).

Nachdem im ersten Kapitel die zentralen Begrifflichkeiten der Thematik näher erläutert, verschiedene Strukturierungsversuche vorgestellt und abschließend auf die Grenzen des Fähigkeitskonzeptes hingewiesen wurde, beschäftig sich das folgende Kapitel mit einer neuen Konzeption, die diesen Problemen Rechnung trägt und die unterschiedlichen Ansätze zu integrieren sucht.

2 Das Vereinigungsmodell

Das im Folgenden vorgestellte Modell basiert auf einem Ansatz von Neumaier&Mechling (vergl. Neumaier&Mechling 1995), den Neumaier in seinem aktuellen Buch (Neumaier 1999) ausführlich diskutiert. Es geht darum, die alltags- und sportmotorischen Aufgabenstellungen nach ihren Gemeinsamkeiten in koordinative Anforderungskategorien bzw. Aufgabenklassen zu strukturieren. Bisherige Konzepte zum Koordinationstraining waren primär an den Leistungs voraussetzungen, v. a. an den koordinativen Fähigkeiten orientiert. Leistungs anforderungen wurden, von einigen Ausnahmen abgesehen (vergl.1.2) wenig oder nur sehr global untersucht.

Ausgangspunkt für die Erstellung dieses Modells waren Zweifel an der Gültigkeit der traditionellen Konzepte, insbesondere am Fähigkeitskonzept. Der Ansatz von Neumaier ist auf die Praxis ausgerichtet und möchte ein Entscheidungsraster liefern, mit dessen Hilfe konkrete Ziele und Inhalte für ein allgemeines sowie für ein sportartspezifisches Koordinationstraining abgeleitet werden können. Nicht Leistungs voraussetzungen, sondern koordinative Leistungs anforderungen von motorischen Aufgabenstellungen stehen im Vordergrund. Ausgehend von Aufgabenstellungen werden koordinative Anforderungskategorien gesucht, um die Aufgabenstellungen zu systematisieren.

Das Konzept ist ein Versuch, die bestehenden Modelle zu verbinden.

[...]

Ende der Leseprobe aus 31 Seiten

Details

Titel
Koordination
Hochschule
Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main  (Institut für Sportwissenschaften)
Veranstaltung
Fachdidaktik Leichtathletik
Note
1,3
Autor
Jahr
2002
Seiten
31
Katalognummer
V7389
ISBN (eBook)
9783638146708
Dateigröße
2344 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Koordination, Fachdidaktik, Leichtathletik
Arbeit zitieren
Dr. Florian Krick (Autor:in), 2002, Koordination, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/7389

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