Geschichten im Religionsunterricht

Nacherzählen oder Miterzählen?


Seminararbeit, 2007

18 Seiten, Note: 1-


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Einleitung

II. B. Hurrelmann: Erzählen im schulischen Handlungskontext
1. Textverarbeitungsoperationen nach Hurrelmann
1.1.1 Rekapitulation
1.1.2 Evaluation
1.1.3 Metanarration
1.2 Ergebnis
2. Kritik

III. Neubewertung des Nacherzählens

IV. Ich-Erzählung oder Er-Erzählung – Erzählperspektiven in theologischer Hinsicht

V. Konkretisation in Form von verschiedenen Methoden im Unterricht
1. Das vorgestaltende Erzählen
2. Das umgestaltende Erzählen
3. Die erzählte Welt als Spiel-Raum
4. Erzählen als komplexe Sprech- und Schreibsituation
5. Visuelle Abbildung der erzählten Welt

VI. Fazit

VII. Literaturverzeichnis

I. Einleitung

Der Religionsunterricht in der Sekundarstufe I soll Orientierungshilfe bei essentiellen Fragen sein: Probleme wie der Ursprung der Dinge, der Sinn des Lebens und der Tod als das Ende des Lebens werden vom evangelischen Religionsunterricht, zusammen mit dem katholischen Religionsunterricht und dem Philosophieunterricht als Unterrichtsthemen wahrgenommen und behandelt. Dabei wird der evangelische Religionsunterricht den im Grundgesetz verankerten Ansprüchen auf freie Persönlichkeitsentfaltung1 (Art. 2,1 GG) und Religionsfreiheit2 (Art. 4,1 GG) insofern gerecht, als dass er sich mit den Grundlagen, Bedingungen und Möglichkeiten menschlicher Existenz in Ansehung von christlich-evangelischen Traditionen beschäftigt, sie aber bewußt nur als möglichen und nicht einzigen Zugang zu den behandelten Problemen versteht. Der evangelische Religionsunterricht sieht sich also als Angebot, sich grundlegenden Fragen des Lebens auf christlich-evangelischen Bahnen zu nähern – als Angebot, das für alle Schülerinnen und Schüler frei und ohne Verpflichtung, inhaltlich aber klar definiert ist.

Fundament des Unterrichts und damit Grundlage und Quelle christlich-evangelischer Traditionen sind das Evangelium und die reformatorischen Bekenntnisse.

Diese dem Lehrplan3 für die Sekundarstufe [1] entnommene Charakterisierung macht deutlich, dass biblische Texte als Träger christlicher Traditionen als Unterrichtsgegenstand unumgänglich sind.

Der evangelische Zugang zu grundlegenden Lebensfragen und damit die christlich-evangelische Tradition tritt in Form von biblischen Texten vor die Schülerinnen und Schüler – und vom Verständnis dieser Texte hängt wiederum der Zugang zum Verständnis des Christentums ab.

Bei der Behandlung biblischer Literatur im Religionsunterricht ist die Hinwendung zur Methode der Nacherzählung aus Scheu, in die biblischen Texte einzugreifen und sie zu verändern ein naheliegender Reflex, bedenkt man das Alter der Texte, ihre Entstehungsgeschichte und ihren Status als heilige Schrift.

Diese Arbeit beschäftigt sich mit der Methode des Nacherzählens, ihrem Sitz im Schulunterricht und ihrer Eignung für das oben formulierte Ziel des Religionsunterrichts. Grundlage soll ein 1980 von Bettina Hurrelmann veröffentlichter Aufsatz mit dem Titel „Erzähltextverarbeitung im schulischen Handlungskontext“ sein, dessen Inhalt im Folgenden umrissen wird. Nach kurzer Kritik soll anschließend unter Zuhilfenahme anderer religionspädagogischer und didaktischer Literatur die Methode des Nacherzählens bewertet werden um schließlich einen Ausblick auf methodische Neuorientierung bei der Behandlung biblischer Texte im Religionsunterricht zu ermöglichen. Im Schlussteil dieser Arbeit sollen die erarbeiteten Methoden kurz vorgestellt und am Beispiel einer biblischen Geschichte skizzenhaft angewendet werden.

II. B. Hurrelmann: Erzählen im schulischen Handlungskontext

Der Aufsatz ist ein Bericht über ein Forschungsprojekt, das die sprachliche Verarbeitung fiktionaler Texte durch ca. 10Jährige Schülerinnen und Schüler zum Gegenstand hat.

Anhand der sprachlichen Reaktionen auf den Kindern vorgelegte fiktionale Texte erstellt Hurrelmann ein Inventar verschiedener Textverarbeitungsoperationen und bewertet dieses anschließend.

Anlass für das Projekt ist die Beobachtung, dass der Zugang zu Texten und ihre Verarbeitung von den institutionellen und organisatorischen Rahmenbedingungen abhängig ist.

Es geht von der Beobachtung aus, daß literarische Kommunikation als Gegenstand des Lernens in Bildungsinstitutionen von den institutionellen Zielen, organisatorischen Bedingungen, Rollendefinitionen und Interaktionsformen innerhalb dieses Handlungsbereichs beeinflußt wird – daß Literatur in der Schule für Schüler (wie auch Lehrer) in ein eigenes Kommunikations- und Handlungsmuster einrückt, das möglicherweise auch eine Behinderung ästhetischen Lernens darstellen kann.[4]

Dieses Kommunikationsmuster soll, falls existent, gefunden und seine Auswirkungen ergründet werden.

Nach dieser grundlegenden Legitimation der Untersuchung wird der Begriff der Fiktionalität geklärt, den Hurrelmann als formales Kommunikationsprinzip bezeichnet, das eine direkte Referenz zwischen Textwelt und Erfahrungswelt des Lesers aufhebt. Die Reaktion auf diese Aufhebung ist unterschiedlich denkbar. Der in der Literaturtheorie gängige Begriff des “kompetenten Lesers”, der fiktionale Texte als Probierstein versteht, an dem er seine Realitätserfahrungen, moralische Orientierung und seine Identität messen kann und souverän mit ihnen umgehen kann, ist Hurrelmann zu wenig fundiert.

Diese Leitvorstellung ist aber allenfalls an der Introspektion der Wissenschaftler bei der eigenen Lektüre empirisch kontrolliert worden und damit zumindest an Lesebedinungen kultureller Privilegierung gebunden. Unter Umständen ist der Literaturtheoretiker vom >Durchschnittsleser< so weit entfernt wie der Ethnologe vom Kannibalen.[5]

Deswegen antwortet Hurrelmanns Studie auf die Frage, was wirklich passiert, wenn literarische Texte gelesen werden und welche Operationen und Deutungsmuster der Leser anwendet, wie also auf das Kriterium der Fiktionalität, wenn die Texte es aufweisen, vom Leser reagiert wird.

Um die auf Tonband aufgezeichneten Äußerungen der Schülerinnen und Schüler zu den ihnen vorgelegten Texten einordnen zu können, legt Hurrelmann drei Grundkategorien von Textverarbeitungstypen vor. Diese Grundkategorien beziehen sich jeweils auf eine Konstitutionsebene der Erzählung und werden als 1.) Rekapitulation des Geschehens, 2.) Evaluation der Geschichte und 3.) Metanarration bezeichnet. Diesen Grundkategorien werden die bei den Schülerinnen und Schülern im Laufe der Studie erkannten Verarbeitungsoperationen zugeordnet.

Für eine genauere Einordnung der Äußerungen werden die Grundkategorien von Hurrelmann folgendermassen spezifiziert:

1. Textverarbeitungsoperationen nach Hurrelmann

1.1.1 Rekapitulation

Die Kategorie der Rekapitulation unterteilt sich in 1.) Nacherzählen, 2.) Kondensieren und

3.) Explizieren.

Nacherzählen meint die Rekapitulation des Geschehens nach Vorgabe des Ausgangstextes. Die zeitliche Reihenfolge von Handlungen und Ereignissen, sowie einzelne Details und sogar Formulierungen entsprechen dem Ausgangstext. Die Nacherzählung reproduziert dem Hörer den Geschehensverlauf. Eine unspezifische Situation, in der eine Nacherzählung sinnvoll ist, läßt sich, so Hurrelmann, nur mit Mühe konstruieren. Der Sprecher müßte davon ausgehen, dass der Hörer entweder durch Störungen gehindert war, die Erzählung aufzunehmen oder prinzipell unfähig ist, eine Erzählung beim ersten mal zu erfassen. Hurrelmann schließt mit der Vermutung, dass die Nacherzählung eine schulspezifische Textverarbeitungshandlung und Textsorte ist, die später genauer bewertet werden muss.

Kondensieren meint die Rekapitulation des Geschehens in geraffter Form. Es werden die wesentlichen Merkmale der Erzählung zusammengefasst. Der Sprecher versucht, die wichtigsten Momente des Geschehens zusammenzufassen und herauszustellen. Den Einsatzort für die Operation des Kondensierens sieht Hurrelmann im Alltag, wenn der Sprecher dem Hörer einen Geschehenszusammenhang mitteilt, den dieser nicht kennt.

Explizieren meint die Reformulierung des Geschehens vom Ausgangstext in erweiterter Form. Es werden Handlungen und Motive erklärt, Hypothesen zu einzelnen Geschehnissen geäußert. Der Sprecher eines Explikats nutzt sein Alltagswissen, um Teile der Erzählung zu erklären.

1.1.2 Evaluation

Die Kategorie der Evaluation unterteilt sich in 1.) Stellung nehmen, 2.) Imaginieren,

3.) Problematisieren und 4.) Analogisieren

Stellungnehmen meint die Bewertung von Handlungen in der Erzählung. Der Sprecher misst die in der Erzählung erfahrenen Handlungen und ihre Motive an seinen eigenen Handlungsnormen. Grundlage hierfür ist nach Hurrelmann wahrscheinlich ein Nacherleben der Geschichte – die Frage “Wie hätte ich gehandelt?”

Imaginieren meint die Neuformulierung von Handlungsabschnitten mit Hilfe der eigenen Vorstellungskraft. Der Sprecher äußert sich zu möglichen Handlungsoptionen und -motivationen in der Erzählung, alternativen Enden und entfaltet für ihn wesentliche Momente der Geschichte.

Problematisieren meint das Kommentieren und in Frage stellen einzelner Handlungsabläufe und -motive, gestützt durch das Alltagswissen des Sprechers. Fragwürdige Handlungen werden als solche identifiziert und zur Sprache gebracht.

Analogisieren meint den Vergleich von in der Geschichte vorkommenden Handlungen und Geschehnissen mit eigenen Erfahrungen des Sprechers. Dabei kann durch die Bezugsherstellung zwischen persönlicher Erfahrung und literarischer Fiktion auch eine Bewertung der letzteren stattfinden. Hurrelmann sieht in dieser Verarbeitungshandlung eine zentrale Möglichkeit, durch Texte eine Sinnorientierung des Lesers zu erreichen.

1.1.3 Metanarration

Die Kategorie der Metanarration unterteilt sich in 1.) Text beschreiben, 2.) Text bewerten und

3.) Text deuten

Text beschreiben meint die Charakterisierung des Erzähltextes durch die Nennung von Einzelmerkmalen unter Zuhilfenahme von metasprachlichen Kategorien. Der Sprecher nennt Merkmale des Textes, die ihm aufgefallen sind.

Text bewerten meint die Bewertung des Textes als Ganzen, also nicht nur inhaltliche, sondern auch strukturelle oder stilistische Bewertung.

Text deuten meint die allgemeine Interpretation des Erzähltextes unter Bezugnahme auf die reale Welt des Sprechers und seine Erfahrungen. Der Sprecher formuliert sein allgemeines Verständnis des Textes durch seine Deutung.

[...]


[1]Deutscher Bundestag: Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, Bonn/Berlin 1998, S. 13

[2]Grundgesetz, S. 13

[3]Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Schleswig-Holstein, Lehrplan SEK I, Evangelische Religion (PDF-Dokument http://lehrplan.lernnetz.de/intranet1/links/materials/1107161177.pdf), abgerufen am 6.1.2007

[4]Hurrelmann, Bettina, Erzähltextverarbeitung im schulischen Handlungskontext, in: Ehlich, Konrad, Erzählen im Alltag, Frankfurt am Main 1980, S. 296-334, S.296 – Z. 40 ff.

[5]Hurrelmann, S. 299, Z. 25-30.

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Geschichten im Religionsunterricht
Untertitel
Nacherzählen oder Miterzählen?
Hochschule
Christian-Albrechts-Universität Kiel
Veranstaltung
Erzählen im Religionsunterricht
Note
1-
Autor
Jahr
2007
Seiten
18
Katalognummer
V74387
ISBN (eBook)
9783638741606
ISBN (Buch)
9783638756853
Dateigröße
495 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Diese Arbeit beschäftigt sich mit der Methode des Nacherzählens, ihrem Sitz im Schulunterricht und ihrer Eignung für das oben formulierte Ziel des Religionsunterrichts. Grundlage ist ein 1980 von B. Hurrelmann veröffentlichter Aufsatz mit dem Titel „Erzähltextverarbeitung im schulischen Handlungskontext“. Nach kurzer Kritik wird mit Seitenblick auf andere religionspädagogische und fachdidaktische Literatur die Methode des Nacherzählens von biblischen Texten im Religionsunterricht bewertet.
Schlagworte
Geschichten, Religionsunterricht, Erzählen, Religionsunterricht
Arbeit zitieren
Asmus Green (Autor:in), 2007, Geschichten im Religionsunterricht, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/74387

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