Die Entwicklung des Francitan


Hausarbeit, 2005

27 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Die heutige Situation des Okzitanischen

2.1.1. Die Substituierung des Okzitanischen durch das Französische
2.1.2. Diglossie und Bilinguismus
2.1.3. Die französisch-okzitanische Diglossie
2.2.1. Die Stellung des Franzitanischen in der diglossischen Situation
2.2.2. Besonderheiten des francitan
2.2.3. Francitan und FranVais d’oc
2.3.1. Der Status des Francitan
2.3.2. Das Francitan in den Medien

3. Ausblicke für das Francitan

4. Literaturverzeichnis

1. Die heutige Situation des Okzitanischen

Seit der französischen Revolution betreibt Frankreich eine rigorose Sprachpolitik, die danach strebt, alle Bürger in eine Sprach- und Kulturgemeinschaft einzugliedern. Die Anstrengungen zur Vereinheitlichung betreffen aber nicht nur die baskischen, flämischen, katalonischen, bretonischen, deutschen, korsischen und okzitanischen Minderheiten in Frankreich, sondern genauso die Sprechergruppen in den Überseedepartements. Trotz fehlender sachlicher Grundlagen bezeichnet man die allogenen Sprachen als Patois. Da sie nicht die gesamte Kommunikationsplattform abzudecken vermögen, wird ihnen der Status einer Sprache aberkannt. Man bezeichnet sie als Blockaden des sozialen Aufstiegs. Diese Behauptungen werden vom französischen Staatsapparat verbreitet und von großen Teilen der Bevölkerung als glaubhaft angenommen. Abgesehen von jüngsten Bestrebungen, den Gebrauch der Mundarten und Dialekte wieder zu fördern, ist diese Sprachhierarchie noch nie wirklich in Frage gestellt worden. Das offizielle Leben wird vom Französischen beherrscht. Den Minderheitensprachen wird nur der private Bereich zugestanden. Daher neigt man dazu, das knapp 200000 km² umfassende Gebiet, in dem heutzutage okzitanisch gesprochen wird, eher als fiktives Sprachgebiet zu bezeichnen. Sind im Jahre 1864 noch mehr als 90 Prozent der Okzitanen des Französischen nicht mächtig, so ist das Okzitanische in den letzten Jahrzehnten stark zurückgedrängt worden, so dass heutzutage das Französische dominiert. Die Massenmedien räumen dem Okzitanischen nur einen bescheidenen Platz ein. Während, abgesehen von den karikierenden Formen in der Werbung, das Okzitanische im Fernsehen nicht zu Tage tritt, tut es dies zumindest bei einzelnen Radiosendern, oder zuweilen in der französischen Tagespresse, die ab und zu Beiträge auf Okzitanisch veröffentlicht. Im Schulwesen zeigt sich kein anderes Bild. Auch wenn das Okzitanische durch das Loi Deixonne vom 11.1.1951 im höheren Schulwesen verhältnismäßig stark vertreten ist, wird es in den Grundschulen kaum gebraucht. So steigt die Zahl der Abiturienten, die sich für die freiwillige Okzitanischprüfung im Rahmen des Abiturs entscheiden, zwar, doch der eigentliche Garant für das Weiterleben der Langue d’oc, nämlich die Anzahl der Kinder, die das Okzitanische in ihrer alltäglichen Umgebung gebrauchen, wird zunehmend brüchiger. Die Sprache ist zum Bildungsgut, zum Luxusartikel für Oberschüler geworden, für die das Okzitanische auf dem weiteren Lebensweg jedoch nur von geringer Bedeutung sein wird. Es gestaltet sich schwierig, die Stellung des Okzitanischen im privaten Gebrauch einzuschätzen. Meist geht die Bewertung einer Sprache durch ihre Sprecher mit der öffentlichen Spracheinschätzung einher, oder wird vielmehr durch letztere bedingt. Das bedeutet, dass die Langue d’oc nur mehr unter Vorbehalt gern und bewusst gebraucht wird und der Sprechakt auf Okzitanisch oft mit dem Gedanken gekoppelt ist, eine minderbemittelte Sprache zu sprechen. Dennoch zeigt sich heutzutage, wenn auch nicht in der Sprachpraxis, so zumindest an zahlreichen Erklärungen, die Tendenz, die Unterdrückung des Okzitanischen nicht mehr weiter zu akzeptieren. So weist beispielsweise die vermehrte Produktion okzitanischer Texte auf diese Tendenz hin, garantiert aber eben noch keinen Wandel in der Realität der Sprecher. Die Nutzer des Okzitanischen lassen sich in zwei Gruppen einteilen, zum einen diejenigen, die viel lesen und kaum okzitanisch sprechen und zum anderen die Oktzitanischsprecher, die wenig vertraut mit dem geschriebenen Wort sind. Für die zweite Gruppe, die vor allem aus ländlicher Bevölkerung besteht, hat das Okzitanische eine notwendige Kommunikationsfunktion, da sie auf Französisch noch nicht vollständig sozialisiert ist. Die erste Gruppe weist neben der französischen Kompetenz auch eine okzitanische auf, weshalb die Hinwendung zum Okzitanischen freie Willensentscheidung ist. Diese Gruppe versucht somit nicht nur den Wert des Okzitanischen aufzubessern, sondern auch das Sprachverhalten zu verändern. Die von einigen ersehnte vollständige Rückkehr zum Okzitanischen ist aber utopisch und wäre mit einem gewaltsamen Umbruch des kollektiven Sprachgebrauchs verbunden. Das hieße, die zum Teil stark entokzitanisierten Schichten zu reokzitanisieren. Hier stellt sich die Frage, wie weit beim entokzitanisierten Südfranzosen die Kompetenz im Französischsprechen fortgeschritten ist. Welches Französisch sprechen die Okzitanen? Ist es ein normiertes, ein vom Okzitanischen beeinflusstes? Couderc liefert hierfür einen ersten Anhaltspunkt: « Les occitans ne parlent pas occitan [...]. Ils parlent francitan. […]. »[1] Das Mischwort beschreibt eine Hybridform zwischen dem Okzitanischen und dem Französischen, die sich durch die bei weitem noch nicht abgeschlossene Substituierung des Okzitanischen durch das Französische herausgebildet hat.[2]

2.1.1. Die Substituierung des Okzitanischen durch das Französische

Das Franzitanische nimmt eine Position in der diglossischen Situation zwischen dem Okzitanischen und dem Französischen ein. Wir befinden uns also in einem Sprachkonfliktgebiet, wo die Ersetzung der autochthonen Sprache große Fortschritte gemacht hat, aber lange noch nicht abgeschlossen ist. Um die gegenwärtige Situation der Diglossie und die Stellung des francitan besser zu verstehen, sollen hier nun die wichtigsten Etappen der Substituierung des Okzitanischen durch das Französische skizziert werden. Die erste Phase erstreckt sich von 1270 bis 1539. Hier breitet sich das Französische langsam in der Schriftsprache aus. In dieser ersten Periode, die mit dem Albigenserkreuzzug einsetzt, können Frankreichs Könige ihren Einfluss im Süden nach und nach verstärken. Dieser politische Einfluss ist aber noch kein sprachpolitischer. Französische Dokumente treten in gemäßigter Zahl auf, vermehren sich aber mit der Zeit. Die Behauptung der königlichen Macht nach dem hundertjährigen Krieg und die Schwächung der Stellung des Lateins bringen mehrere Spracherlasse mit sich, welche die Verwendung des Französischen oder der lokalen Sprachen in allen bedeutenden juristischen Texten vorschreiben. Die Personen, die zu dieser Zeit französisch sprechen und lesen machen nur eine kleine Oberschicht aus, die besser französisch lesen als sprechen kann. Die große analphabetische Mehrheit, welche im besten der Fälle mit den lokalen Staatsvertretern in Kontakt kommt, bleibt einsprachig, also okzitanisch. Das in den ersten Dokumenten niedergelegte Französisch enthält Merkmale, die wir heutzutage unter dem Begriff des francitan zusammenfassen. Auch wenn dieses sich im Lauf der Zeit verändert hat, ist es seit Beginn des Ausbaus des Französischen im Süden präsent. Von 1539 bis 1789 wird das Französische in der öffentlichen Kommunikation generalisiert und macht langsame Fortschritte im mündlichen Sprachgebrauch. Das Edikt von Villers-Cotterets markiert einen wichtigen Bruch. Neben der Verwendung der lateinischen Sprache verbietet es auch die der lokalen Sprachen. Das Edikt hat Erfolg. Zwei Generationen später wird das Okzitanische als Verwaltungssprache in den Gebieten, die unter die französische Krone fallen, verschwunden sein. Doch die Verbreitung des Französischen bezeiht sich vorwiegend auf die Schriftsprache. Das Okzitanische bleibt weiterhin gesprochene Sprache. Eine weitere Konsequenz des Edikts ist das Verschwinden der okzitanischen Schriftnorm und der damit verbundene wachsende Einfluss französischer Graphienormen in einem Zeitraum von einem halben Jahrhundert. Den ersten intellektuellen Widerstand gegen das nordfranzösische Modell verkörpert die literarische okzitanische Renaissance zwischen 1550 und 1620, die sich vorwiegend in der Gascogne und der Provence abspielt. Der Widerstand findet sich natürlicherweise nur bei den Schichten, die am meisten mit dem Französischen in Berührung kommen, also vor allem bei schreibenden Juristen und Pastoren. In einigen Teilen der Oberschicht bleibt die aktive Kenntnis des Französischen bis zur Revolution begrenzt. Schriftsteller wie Racine oder Mme de Sévigné bezeugen diese Tatsache. Auch die passive Kenntnis bleibt ausschließlich dem alphabetisierten Teil der Bevölkerung vorbehalten. Für den größten Anteil der Sprecher ist das Französische immer noch eine fremde, beinahe unverständliche Sprache. Nur die Gruppen, die Teil des politischen und sozialen Lebens des Ancien Régime sind, sind des Französischen mächtig. Die Klassen, welche nichts mit der Staatslenkung zu tun haben, beherrschen es, trotz ihres ökonomischen Gewichts, beinahe, beziehungsweise gar nicht. Die überraschende, über Jahrhunderte andauernde Starrheit dieser Situation erklärt sich durch die minimalen sozialen Aufstiegschancen, sowie durch die mäßigen, nur sehr langsamen Fortschritte der Alphabetisierung. Die dritte Phase, der Beginn der massiven Ersetzung des Okzitanischen im mündlichen Gebrauch, lässt sich zeitlich zwischen 1789 und 1881 einordnen. Nach dem Edikt von Villers-Cotterets ist die französische Revolution das zweite bedeutende Element in der Substituierung. Die Möglichkeiten für den sozialen Aufstieg vermehren sich, wodurch auch das Interesse für das Französische in weiteren Bevölkerungskreisen steigt. Denn eine ausreichende Kenntnis des Französischen ist für den Aufstieg notwendige Bedingung. Nachdem die Sprachpolitik der Revolution eine Zeit lang den Gebrauch von Volkssprachen zulässt, nähert sie sich dann doch wieder den alten sprachpolitischen Orientierungen des Ancien Régime an, fügt aber neue essentielle Komponenten hinzu. Zum einen fordert man von der Gesamtheit der französischen Bevölkerung die aktive Kenntnis des Französischen, zum anderen versteht man unter der vorangetriebenen Alphabetisierung ein bedeutendes Mittel zur Substituierung. Wichtiger als diese ideologischen Vorraussetzungen, ist die materielle Situation dieser Phase. Seit Beginn des 19. Jahrhunderts deutet sich in Okzitanien eine Wirtschaftskrise an. Diese lässt sich an den archaischen landwirtschaftlichen Strukturen, die den einzelnen Monokulturen immer mehr Gewicht verleihen, an dem Zusammenbruch lokaler und regionaler Banken und dem damit einhergehenden Mangel an Investitionskapital, sowie an der Organisation der Verkehrswege nach nationalen, das heißt Pariser Interessen festmachen. Mit diesen Entwicklungen ist auch der bedeutende Rückgang des Bevölkerungswachstums verbunden. Diese ökonomische Schwäche hat das Schicksal Okzitaniens ebenso wie das Prestige des Französischen als Sprache der Revolution beeinflusst. Chronologisch gesehen, haben nicht die Revolutionsprogramme zur ersten großen Zunahme der Französischkenntnisse geführt, sondern die Bevölkerungsverschiebungen in der Revolutionsphase. Neben diesen Faktoren sind die allmähliche Öffnung der Gesellschaft im 19. Jahrhundert, sowie die Zunahme der Schulbildung zu nennen. Zum ersten Mal lernen große Teile der Mittel- und Unterschicht französisch zu sprechen. Ab 1881 stellt sich im Rahmen der Schulpflicht die weitreichende Substituierung des Okzitanischen im mündlichen Sprachgebrauch ein. Die Kenntnis des Französischen bleibt Bedingung für den sozialen Aufstieg. Ein möglichst reines Französisch bringt Prestige mit sich. Es ist in sozialer Hinsicht die einzig rentable Sprache und wird daher angestrebt. Nach Einführung der Schulpflicht 1881 dauert es nur mehr einige Jahrzehnte, bis die gesamte Bevölkerung mehr oder weniger französisch spricht. Durch das niedrige Ansehen, dem das Okzitanische unterliegt, ist die Zahl der Französisch- Einsprachigen gestiegen. Dennoch gibt es immer noch Bevölkerungsteile, die okzitanisch sprechen. Andere verfügen über nichts als das francitan und zeigen sich stark vom Okzitanischen beeinflusst.

Interessant ist es nun, den Begriff der Diglossie, insbesondere die französisch-okzitanische Diglossie, die durch die eben erläuterte nicht vollendete Substituierung entstanden ist, zu beleuchten.[3]

[...]


[1] Henri, Boyer (1991): Langues en conflit. Études sociolinguistiques. Paris : L’Harmattan. S. 147.

[2] Nach: Georg, Kremnitz (1982): Zur okzitanischen Soziolinguistik, in: Entfremdung, Selbstbefreiung und Norm. Texte aus der okzitanischen Soziolinguistik, ed. Georg Kremnitz , Tübingen: Gunter Narr. S. 17-21. & Georg, Kremnitz (1981): Das Okzitanische. Sprachgeschichte und Soziologie. Tübingen: Max Niemeyer. S. 8-10.

[3] Nach: Georg, Kremnitz (1981) : De l’occitan au français (par le francitan). Étapes d’une substitution linguistique, in : Logos Semantikos. Studia lingusitica in homorem Eugenio Coseriu 1921-1981 no 5, ed. Horst Geckeler, Berlin: de Gruyter..S. 187-192.

Ende der Leseprobe aus 27 Seiten

Details

Titel
Die Entwicklung des Francitan
Hochschule
Universität Regensburg
Note
1,7
Autor
Jahr
2005
Seiten
27
Katalognummer
V74643
ISBN (eBook)
9783638716086
ISBN (Buch)
9783638721875
Dateigröße
540 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Entwicklung, Francitan
Arbeit zitieren
Maria Schmid (Autor:in), 2005, Die Entwicklung des Francitan, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/74643

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Die Entwicklung des Francitan



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden