Der literarische Raum in "La capitalina"

Eine semiotische Analyse am Roman "La frontera de cristal" (Kapitel 1) von Carlos Fuentes


Exposé Écrit pour un Séminaire / Cours, 2005

14 Pages, Note: 1,3


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Der literarische Raum
2.1 Der literarische Raum in narrativen Texten
2.2 Der literarische Raum in La capitalina

3. Schlussbetrachtungen und Bemerkungen

4. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Man kann [...] davon ausgehen, daß das in einem Erzähltext entworfene Koordinatensystem räumlicher Verhältnisse auf dem Hintergrund [...] allgemeiner, kulturell und historisch bestimmter Raummodelle realisiert wird, und das wiederum bedeutet, daß das fiktiv erstellte ‚Lokal’ (die im Roman konkret dargestellte und vorgestellte räumliche Wirklichkeit also) entsprechend organisiert sein muß.[1]

Wie in diesem Zitat bereits angedeutet, soll es in der vorliegenden Hausarbeit zum Seminar „Análisis de textos literarios II: Carlos Fuentes“ innerhalb einer semiotischen Romananalyse im Speziellen um eine Betrachtung des literarischen Raums einer Erzählung gehen. Er gehört wie z.B. auch die Erzählperspektive zu den grundlegenden untersuchbaren Merkmalen verschiedener Textarten im Hinblick auf eine Interpretation derselben.

Im Folgenden wird nach der Klärung seiner Grundlagen und Einordnung in die literaturwissenschaftlichen Zusammenhänge der Begriff des literarischen Raums erläutert und veranschaulicht, indem er zuerst in den Kontext narrativer Texte gesetzt wird und schließlich am Beispiel eines Erzähltextes zur Anwendung kommt. Bei besagtem Text handelt es sich um ein Kapitel des Romans La frontera de cristal von Carlos Fuentes, „La capitalina“.

Im letzten Punkt der Ausarbeitung finden sich Schlussbemerkungen zur Arbeit mit dem Text, sowie zusammenfassende Aspekte.

2. Der literarische Raum

Das Modell des literarischen Raums ist eines von vielen Modellen in der Literatur-wissenschaft, die der in den 1960er Jahren an Bedeutung gewinnende Strukturalismus hervorgebracht hat und deren Grundannahme es ist, „daß jede Erscheinung innerhalb eines postulierten Zeichensystems nicht isoliert für sich steht, sondern von allen anderen Erscheinungen oder Elementen innerhalb desselben Systems mitbedingt ist und von dorther ihre Bedeutung erhält.“[2]

Dies in Form von Theorien zu manifestieren, war ein Anliegen, dem sich z.B. auch Claude Lévi-Strauss in seiner Mythostheorie oder Roland Barthes in seinen Untersuchungen zum zentralen Gegensatz von Männlichem zu Weiblichem verschrieben.[3] Die Theorie zur Untersuchung des literarischen Raums geht auf den estnischen Literatur- und Kulturwissen-schaftler Jurij M. Lotman zurück, einem Vertreter der Dorpater Schule, einer Strömung des Strukturalismus (ähnlich der Prager Schule). Gegenstand seines Modells ist der Versuch, die Bedeutung narrativer Texte zu bestimmen, indem man die in ihnen dargestellten Lokalitäten vor dem Hintergrund der Annahme analysiert, dass sich eben jenen (Lokalitäten) bedeutungstragende Gegensatzpaare zuordnen lassen.

2.1 Der literarische Raum in narrativen Texten

Zur Einordnung des literarischen Raums in den textanalytischen Zusammenhang soll zuerst kurz auf die Grundlage der folgenden Ausführungen eingegangen werden: Was versteht man unter narrativen Texten ?

Narrative, oder auch erzählende, Texte sind

[...] Texte, die einen Stoff bzw. Erzählgegenstand in einen besonders strukturierten Geschehens- und Handlungszusammenhang ‚übersetzen’ und dabei von einer speziellen Kommunikationssituation ausgehen: der nämlich, in der ein Autor seinen Lesern oder Hörern mittels eines bestimmten Erzählverfahrens ein Geschehen als ein symbolisch transformiertes Bedeutungsganzes zu erkennen gibt.[4]

Gattungen dieser Textart sind unter anderen das Märchen, die Kurzgeschichte, die Novelle und, in seiner besonders umfassend angelegten Form, auch der Roman[5], um dessen Analyse es im Folgenden gehen wird.

Grundlage narrativer Texte sind Motive oder Ereignisse, die einerseits tatsächlich Geschehnisse im Verlauf eines Erzähltextes und somit Teile seiner Handlung sein können, andererseits bezeichnet Ereignis auf einer globaleren Ebene eine Paraphrasierung der Gesamthandlung, bzw. die zusammengefasste Grundstruktur eines eben solchen Textes. Letztere Definition des Ereignisses oder auch Sujets geht auf den bereits erwähnten Jurij M. Lotman zurück, der zur Bestimmung seines Sujet-Begriffs innerhalb eines Textes „drei notwendige Elemente“ anführt. Erstens muss im Text ein „semantisches[6] Feld“, das heißt das Bild bzw. die Vorstellung einer Welt, geschaffen werden, das in zwei sich gegenseitig ausschließende, sich aber ergänzende Teile unterteilt ist. Zweitens ist eine die beiden Teilfelder trennende Grenze notwendig, die grundsätzlich undurchlässig, im „vorliegenden Fall jedoch (der sujethaltige Text spricht immer von einem vorliegenden Fall)“[7] für die handlungstragende Figur überwindbar ist. Und drittens und letztens braucht man eine die Handlung tragende Figur.

Indem nun der Protagonist (die handlungstragende Figur) die benannte Grenze zwischen den Teilfeldern überschreitet, „macht“ er den Text, in dem sich diese Handlung vollzieht, zu einem, nach Lotman sujethaften, also narrativen, Text. Dieser steht dem sujetlosen Text gegenüber, welcher sich z.B. als lyrisches Gedicht findet, und lässt je nach Art der Grenzüberschreitung weitere Unterscheidungen zu. So erkennt Lotman unter den sujethaften Texten einerseits jene, in denen eine vollständige Grenzüberschreitung stattfindet (revolutionäre Texte) und andererseits restitutive Texte, die entweder eine versuchte aber gescheiterte, oder eine durchgeführte aber wieder rückgängig gemachte Überwindung der Grenze zwischen den beiden Teilfeldern enthalten.

Der Held der Geschichte bewegt sich demnach auf eine bestimmte Weise zwischen diesen Teilräumen, die oben bereits als gegensätzlich aber sich ergänzend, sprich als komplementär, benannt wurden. Diese Gegensätzlichkeit kann sich laut Lotman auf drei Ebenen, nämlich in topologischen, semantischen und topographischen Oppositionspaaren manifestieren. Dabei lassen sich für die erstgenannte Raumdifferenzierung beispielsweise allgemeine binäre Gegensätze finden wie ‚links vs. rechts’, ‚hoch vs. tief (niedrig)’, ‚nah vs. fern’ oder auch ‚offen vs. geschlossen’.

Diese wiederum können „mit ursprünglich nicht-topologischen semantischen Gegensatz-paaren verbunden“[8] und „zum Aufbau von Kulturmodellen mit keineswegs räumlichem Inhalt“[9] verwendet werden. Oppositionelle Paare in diesem Sinne sind z.B. ‚gut vs. schlecht’, ‚eigen vs. fremd’, ‚zugänglich vs. unzugänglich’, usw.

Im dritten Schritt erfolgt eine Präzisierung dieser semantisch erweiterten Ordnung topologischer Merkmalspaare durch die in der im Text dargestellten Welt beschriebenen, topographischen Gegensätze, z.B. ‚Berg vs. Tal’, ‚Stadt vs. Wald’, ‚Erde vs. Unterwelt’.[10]

Zwischen den (meist zwei) Teilen des semantischen Raums einer Handlung befindet sich die bereits genannte Grenze, die vom Protagonisten überschritten werden muss. Um zur klassifikatorischen Grenze im Sinne des Raum-Modells zu werden und die Überschreitung derselben von bloßen topographischen Übertritten zu unterscheiden, muss sie laut Lotmans Theorie, den Komplementärräumen gleich, dreifach definiert sein: topologisch, semantisch und topographisch.

So stellt letztlich die räumliche Struktur eines Erzähltextes das Grundgerüst für seine weiteren, durchaus nicht-räumlichen Zusammenhänge dar und leistet dadurch Hilfestellung bei der Erschaffung eines geordneten Weltmodells, in das sich der Leser schnell hineinfinden kann, sich in ihm wiederfindet und sich gegebenenfalls mit ihm identifiziert. Nach Lotman begegnet man räumlichen Zusammenhängen samt übertragener Bedeutungen in verschiedensten Lebensbereichen der Wirklichkeit, z.B. in Politik (‚rechts - links’), Religion (‚oben - unten’, z.B.) und weiteren:

Die allerallgemeinsten sozialen, religiösen, politischen, ethischen Modelle der Welt, mit deren Hilfe der Mensch auf verschiedenen Etappen seiner Geistesgeschichte den Sinn des ihn umgebenden Lebens deutet, sind stets mit räumlichen Charakteristiken ausgestattet, [...].[11]

Ebenso sind die räumlichen Strukturen für das in einem narrativen Text erstellte Weltbild wichtig, indem die Darstellung der Lokalitäten dem Rezipienten Aufschluss über kulturelle, geschichtliche oder ganz allgemeine Hintergründe der Handlung geben kann.[12]

[...]


[1] Schulte-Sasse, Jochen/Werner, Renate: Einführung in die Literaturwissenschaft. 9. unveränderte Auflage. München: Wilhelm Fink Verlag GmbH & Co. KG 1997. S. 167.

[2] Wilpert, Gero von: Sachwörterbuch der Literatur. 8. erw. Auflage. Stuttgart: Alfred Kröner Verlag 2001.

S. 792f..

[3] Vgl. Martínez, Matias/Scheffel, Michael: Einführung in die Erzähltheorie. 3. Auflage. München: Beck Verlag 2002. S. 144.

[4] Schulte-Sasse/Werner, 1997, S. 137.

[5] Vgl. Wilpert, 2001, S. 238.

[6] Semantik: untersucht „die Relation zwischen den Zeichen (als Zeichenmaterie) und den gedanklichen Abbildern (Begriffen, Aussagen)“, Schulte-Sasse/Werner, 1997, S. 53.

[7] Martínez/Scheffel, 2002, S. 140.

[8] Martínez/Scheffel, 2002, S. 141.

[9] Schulte-Sasse/Werner, 1997, S. 167.

[10] Vgl. Martínez/Scheffel, 2002, S. 140f..

[11] Schulte-Sasse/Werner, 1997, S. 167.

[12] Lotman, Jurij M. zitiert nach Schulte-Sasse/Werner, 1997, S. 167.

Fin de l'extrait de 14 pages

Résumé des informations

Titre
Der literarische Raum in "La capitalina"
Sous-titre
Eine semiotische Analyse am Roman "La frontera de cristal" (Kapitel 1) von Carlos Fuentes
Université
University of Göttingen
Cours
Seminar: Análisis de textos literarios II: Carlos Fuentes
Note
1,3
Auteur
Année
2005
Pages
14
N° de catalogue
V74658
ISBN (ebook)
9783638881951
ISBN (Livre)
9783640972319
Taille d'un fichier
466 KB
Langue
allemand
Mots clés
Raum, Seminar, Análisis, Carlos, Fuentes
Citation du texte
Anja Wedekind (Auteur), 2005, Der literarische Raum in "La capitalina", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/74658

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